Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 28.10.1894
- Erscheinungsdatum
- 1894-10-28
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189410285
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18941028
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18941028
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1894
-
Monat
1894-10
- Tag 1894-10-28
-
Monat
1894-10
-
Jahr
1894
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 28.10.1894
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Politische Rundschau. Deutschland. *Jm Neuen Palais wurde am Montag der Geburtstag der Kaiserin Viktoria Auguste im Familienkreise gestiert. — Der Kaiser hat Befehl gegeben, die Jacht „tzohenzollern" bereit zuhalten; wahrscheinlich fährt der Monarch nach Petersburg, wenn von dorther eine Trauerkunde kommt. * Die Einberufung des Reichs tags ist, wie die ,Nordd. Allgem. Ztg.' mit teilt, für den 22. November in Aussicht ge nommen. Die besondere Einweihungsfcicr des neuen Reichstagsgebäudcs soll nach Meldung eines Berichterstatters voraussichtlich am 15. November erfolgen. *Wic dem ,Reichsboten' von unterrichteter Seite mitgeteilt wird, ist es im Auswärtigen Amt bereits beschlossene Sache, den ehemaligen Kanzler Leist im Reichsdienst nicht mehr zu verwenden und Berufung gegen das Urteil der Potsdamer Disziplinarkammcr einzu legen, sobald das Urteil derselben ausgefertigt vorliegt. Hoffentlich entspricht diese Mitteilung in der That den an maßgebender Stelle ge faßten Entschlüssen. Wird Berufung eingelegt, dann kann die Frage eines strafrechtlichen Vor gehens gegen Leist aus ß 174 St.-G.-B. bis zur Erledigung des Disziplinarverfahrens in der höchsten Instanz auf sich beruhen bleiben. * Die .mtungen des Preuß. Staatsmini- stcriums über Maßregeln zur Bekämpfung des Umsturzes sind noch nicht abgeschlossen; es werden noch weitere Sitzungen stattfinden. Es handelt sich um eine ganze Reihe von Ent würfen, und es verlautet nur, daß eine Ver ständigung darüber wahrscheinlich sei. *Wie nicht anders zu erwarten stand, wird der Etat des Patentamtes für 1895/96 eine Erhöhung der Ausgaben gegenüber dem von 1894 95 aufzuweisen. In dem letzteren war die am 1. Oktober d. neu errichtete Abteilung für Warenbezeichnungs schütz über haupt noch nicht berücksichtigt. Die Mittel für das laufende Halbjahr wurden in einem Nach tragsetat bewilligt. Es dürfte sich jedoch nicht bloß um die Verdoppelung der in diesen Nach tragsetat eingestellten Summe handeln. Aber wie die Ausgaben werden auch die Einnahmen des Patentamts, die unter den Einnahmen im Ressort des Innern die einzige nennenswerte Summe darstellen, eine außergewöhnliche Steige rung erfahren. * Der diesjährige sozialdemokratische Parteitag wurde am Sonntag abend in Bornheim-Frankfurt unter zahlreicher Beteiligung eröffnet. Etwa 250 Delegierte aus Deutschland und zum Teil aus dem Auslande wie auch fast sämtliche sozialdemokratische Reichstags - und Landtagsabgeordneten waren anwesend. *Zur Unterwerfung Hendrik Witbois meldet noch das Privatschreiben eines Offiziers der südwestafrikanischen Schutztruppe: Nach Er stürmung der Naawklosf sowie nach zehntägiger Verfolgung durch Hss Gebirge hat sich gestern Hendrik Witboi, gerade als ihn Major Leut wein bei Zam (an den Dünen südlich Ababes) mit drei Kompanien angreifen wollte, der deutschen Schutzherrschaft bedingungslos unter worfen. Er konnte weder vorwärts noch rück wärts. Seine Verluste sind kolossal. Wir be klagen sechzehn Tote, die in acht Gefechten mit Witboi fielen. Oesterreich-Ungarn. * Ueber die österreichische Wahl- reform hat im Ministerium des Innern eine abermalige vertrauliche Besprechung zwischen den Mitgliedern der Regierung und den Obmännern der koalierten Parteien stattgefunden; für die Fortsetzung der Beratung wurde einer der nächsten Tage in Aussicht genommen. * Sozialpolitische Gesetz-Ent würfe betr. die Errichtung von Arbeiteraus-- schüsscn und Einigungsämtcrn sowie die Rege lung der Sonntagsruhe im Gewerbebetrieb sind dem österreichischen Abgcordnetenhause vor- gelcgt worden. *Jn politischen Kreisen von Budapest hält man die kaiserliche Sanktion des Gesetzes über die Zivilehe, die Zivilstandsregister und über die Religion der Kinder gemischter Ehen als in allernächster Zeit bevorstehend. Frankreich. *Die französische Schutzzollpolitik hat eine neue Bekräftigung erfahren. Bei dem Empfange des zum Schluß der französischen Industrieausstellung nach Lyon ge reisten französischen Handelsministcrs Lourties hob der Präsident der Handelskammer in Lyon hervor nnd sprach den Wunsch aus, daß dem Handel die größtmögliche Freiheit gewährt würde, falls es nicht angängig sein sollte, zum Freihandelssystem überzugehen. Der Handelsmimster wies in seiner Erwiderung darauf hin, daß in dem freihändlerischen Nachbarlande Verringerung der Steuererträge bemerkbar sei, und erklärte, das gegenwärtige Zoll system sei ein aus der Erfahrung hcrvorge- gangenes, das man in gebührender Weise er proben müsse. Hierfür sei eine Beständigkeit des Zollsystems erforderlich; es müßten durch aus zwingende Gründe sein, um Aendernngen daran vorzunehmen. *Jn der Budgetkommission der französischen Deputiertenkammer äußerte sich der Minister der Kolonien über die Sudanfrage und erklärte, die Regierung wolle in ihren Erwerbungen nicht weiter gehen, dieselben aber auf recht erhalten und organisieren. Die Regierung habe deshalb, um mit der militärischen Epoche abzuschließen, einen Zivilgouverneur ernannt. Belgien. * Die Stichwahlen in Belgien sind überwiegend zu gunsten der Katholiken und Sozialisten ausgefallen und haben demzufolge das durch die Hauptwahlcn gewonnene Resultat bestätigt und ergänzt. Die Niederlage des Liberalismus — was sich in Belgien eben „Liberalismus" nannte — ist vollständig; selbst Brüssel ist mit seinen 18 Mandaten für die Kammer den Katholiken zugefallen, trotzdem die Sozialisten allgemein die Losung abgegeben hatten: „gegen die Katholiken". Der Minister präsident de Burlet ist nicht wiedergcwählt worden. — Nach den bisherigen Feststellungen der Stichwahlergebnisse wird die Kammer aus 104 Katholiken, 19 Liberalen, 29 Sozialisten und Radikalen zusammengesetzt sein. Italien. * Durch Dekrete vom 22. d. wurden gleich zeitig in allen Provinzen sämtliche Vereinigungen, die sich als s o z i al i sti s ch e italienische Arbeiterpartei bezeichneten, aufgelöst, ebenso diejenigen Gesellschaften, die eine Sektion solcher Vereinigungen bildeten, und Vereine, die obgleich zu philantropischen oder wirtschaftlichen Zwecken gegründet, doch sich dem bezeichneten Parteiprogramm zuwandten, das zwischen den verschiedenen Klassen der Gesellschaft Streit er rege und Umsturzidcen verbreite. Rußland. * Am Dienstag sollte am Krankenlager des Zaren in Livadia die Hochzeit des Thronfolgers mit der Prinzessin Alix von Hessen stattfinden. Anderseits wurde gemeldet, daß die Reise der Prinzessin nach der Krim nur dem Wunsche des Zaren entspringe, seine zukünftige Schwiegertocher noch einmal zu sehen. Mit dem Befinden des Zaren soll es am Sonntag und Montag etwas besser gewesen sein; der Kranke zeigte einigen Appetit und hat auch etwas ge schlafen. Trotzdem, so heißt es, erhalten ihn die Aerzte nur künstlich am Leben; er soll zum Skelett abgemagert sein. * Um das Maß des Unglücks im russischen Kaiserhause voll zu machen, wird nun auch glaub haft gemeldet, daß die Zarin von einem Schlag an fall betroffen worden ist. Auch die Großfürstin Tenta, der Liebling des Zaren, soll bettlägerig sein und das Be finden des lnngenkran-kenG roßfürsten .Georg lasse einen ernsten Ausgang befürchten. Nach der ,Köln. Ztg.' ist die Lähmung, die die Kaiserin infolge des Schlaganfalls erlitten hat, allerdings nicht so bedenklich, als es anfänglich den Anschein hatte. Asien. * Vom ostasiatischenKriegsschau- platz wird aus englischer Quelle die Nachricht verbreitet, daß beide kriegführende Teile des Haders müde wären. .Reuters Büreau' meldet aus Tientsin, daß zwischen China und Japan in Söul Friedensverhandlungen ein geleitet seien. Nach einem Wölfischen Telegramm vom Montag abend findet diese Meldung indes in Londoner unterrichteten Kreisen keine Be stätigung. Gegen de» unlauteren Wett bewerb. Bei den Vorarbeiten zur Fertigstellung eines Gesetzentwurfs über die Bekämpfung des un lauteren Wettbewerbes wird entsprechend den früheren Aeußerungen der Kommifiarien der ver bündeten Regierungen im Reichstage auch die Formulierung von Bestimmungen erwogen, die dem Verrat von Fabrik- und Geschäftsgeheim nissen vorzubeugen geeignet sind. Ueber diese Seite der zu regelnden Materie waren schon in der Mitte der achtziger Jahre von der zuständigen reichsbehördlichen Stelle Erhebungen veranstaltet. Leider hatte sich damals keine Uebereinstimmung in den Ansichten der Interessentenkreise heraus gestellt, weshalb die Behörde von einer weiteren Verfolgung der Angelegenheit Abstand nahm. Inzwischen dürfte aber wohl allgemein die Ueber- zeugung durchgedrungen sein, daß auch hier cin- geschritten werden muß. wenn nicht die Miß stände allzu groß werden sollen. Die Fälle, daß solche Geheimnisse verraten werden, sind durchaus nicht selten. Allerdings kommt der Verrat, der Natur der Sache entsprechend, mehr bei den Geschäfts- als den Fabrikgeheimnissen vor. Kundenlisten, Absatzgebiete, Warenpreise und andere für eine Firnia wichtige Dinge, werden an Konkurrenten preisgegeben. Jedoch auch Geheimnisse über Herstellungsverfahren, Konstruktionen u. a. werden vielfach in einer, die besitzende Firma schädigenden Weise gelüstet. Man hat nun in den Kreisen, die diesem Gegen stände schon seit längerer Zeit ihre Beobachtung gewidmet haben, die Bemerkung gemacht, daß der Verrat der Fabrik- und Geschäftsgeheimnisse recht häufig in fahrlässiger Weise erfolgt. Ent weder aus bloßer Renommiersucht oder in der Trunkenheit sind die für einzelne Betriebe wichtigsten Geheimnisse von Angestellten ausge plaudert worden. Man neigt sogar der Ansicht zu, daß der fahrlässige Verrat häufiger vor kommt, als derjenige, der mit der Absicht unter nommen wird, für die eigene Person Vorteile herauszuschlagen. Auf Grund dieser Erfahrung wünscht man vielfach, daß in dem Gesetzentwurf über die Bekämpfung des unlauteren Wett bewerbes auch der fahrlässige Verrat von Fabrik- und Geschäftsgeheimnissen unter Strafe gestellt wird. Natürlich würde das Strafmaß nicht so hoch wie für die anderen Fälle festgesetzt werden dürfen. Uon Uah und Fern. Rauchlose Verbrennung. Die seitMonaten durchgeführten Versuche des Berliner Magistrats, die in der städtischen Markthalle Lindenstraße- Friedrichstraße mit der rauchlosen Verbrennung unter Benutzung von Kohlenstaub gemacht sind, haben, wie man glaubt, höchst befriedigende Resultate erzielt. Die Frage der rauchlosen Thätigkeit der Fabrikschornsteine scheint jetzt ge löst zu sein, auch soll eine Kohlenersparnis damit verbunden sein. Die Aussicht, in absehbarer Zeit Berlin ftei von Qualm, Rauch, Ruß und allen den sich hieraus ergebenden Unzuträglichkeiten zu wissen, ist sicher für die Bewohner der Reichs hauptstadt sehr erfreulich. Ein netter Armenpfleger. „Merkwürdige Dinge" über einen Armeukommissions-Vorsteher gab in Berlin der Stadtverordnete L. im Bezirks verein „Fortschritt" zum Besten. Der betreffende Vorsteher, der zugleich Hausbesitzer ist, habe danach von seinem Rechte, für rückständige Mieten aus der Armenkasse die Miete zu bezahlen, den Gebrauch gemacht, daß er sämtliche in seinem Hause leerstehenden Wohnungen an Leute ver mietete, von denen er vorher wußte, daß sie die Miete nicht bezahlen würden, und habe dann für diese Leute an sich selbst die Zahlungen aus der Armenkasse bewirkt. Es ist dies ein recht bequemes Verfahren, leerstehen Mahnungen los zu werden. Zwischen den beiden größt, Fabriken Deutschlands, die beide d^^ Weltfirmen genießen, nämlich zwischen^" ber einigten Köln-Rottweiler Pulverfabriken . Pulverfabrik Troisdorf, ist ein Abkomn, stände gekommen, durch das eine Inters gemeinschaft zwischen beiden Werken herge^ ist, die nun gemeinschaftlich und mit verein^ Kräften den Kampf gegen den ausländische. Wettbewerb aufnehmen werden. Eine moderne Brunhild. In Radau, Kreis Rosenberg, O.-Schl., erblickte eine junge Dame bei einem Spaziergange im Walde einen Wilddieb. Sie machte sich an ihn heran, entriß ihm das Gewehr und zwang ihn mit vorge haltener Waffe, ihr bis zum nahen Gutshofe zu folgen. (Wehe dem künftigen Gatten der Dame, wenn er den Stammtisch einmal zu spät verläßt l) Auf der Hochzeitsreise seine Frau er mordet hat der Handelsmann Ernst R. aus Tricbelwitz in Schlesien. R. hat seine 56jährige Gattin in den See gestoßen, um deren Bar vermögen und die Versicherungssumme zu er langen. Frau R. ertrank, der Thäter wurde verhaftet und ist geständig. Das Dorf der Ehrhardte. In dem Harzorte Stempeda mit kaum 300 Einwohnern gibt es etwa 30 Familien namens Ehrhardt. Um diese genau zu bezeichnen, hat man sie fort laufend numeriert. Ueberaus komisch wirkt nun eine amtliche Bekanntmachung z. B. dahin, daß Ehrhardt Nr. 25 als Schöffe neu, während Ehrhardt Nr. 17 als solcher wiedergewählt ist, Ehrhardt Nr. 13 aber in ein anderes Amt be rufen wurde. — Aehnliche Namensverhältnisse bestehen in dem Glasindustrie-Dorfe Lauscha auf dem Thüringer Walde. Neben vielen Müller gibt es dort namentlich eine solche Menge Greiner, daß zur Unterscheidung sich die mannigfaltigsten Beinamen und Sonderbezeich nungen notwendig gemacht haben; u. a. heißt ein Fabrikant „Elias Greiner Matzen Sohn", ein anderer „Elias Greiner Vetters Sohn". Da die Lauschaer höchst eigenartige lebens- und sangesfrohe Einwohnerschaft (jetzt etwa 6000) sich selbst ohne Zuzug sehr vermehrt, wenige aber ihre liebe Heimat zn verlassen sich entschließen können, so wird die Namensfrage immer schwie riger, so daß schließlich auch eine Numerierung wird eintreten müssen. Ueber eine Schießaffäre wird aus Köln vom Montag gemeldet. Ein Arbeiter verfolgte einen Kollegen mittels eines geladenen Revolvers und gab, als der Verfolgte in ein Haus flüchtete, auf die inzwischen angesammelte Menschenmenge fünf Schüsse ab. Zwei Personen wurden tätlich ver wundet, der Thäter ist verhaftet. Treibendes Boot. Der in Warnemünde eingelaufene Dampfer „Livadia" traf unweit der dänischen.Küste ein Boot mit sechs männlichen Leichen, anscheinend verhungerte Schiffbrüchige, und lieferte dieselben in Kopenhagen ab. Raubmord. Aus Schleswig wird ge meldet: Von einem unbekannten Thäter wurden in der Nacht zum Sonntag zu Buschau im Kreise Angeln der Landmann Callsen nebst seiner Dienstmagd getötet. Sämtliches Geld und Wert sachen wurden geraubt. Planmäßiger Hausdiebstahl. Ein Juwelier in Würzburg ist seit längerer Zeit durch sein Ladcnpcrsonal systematisch bestohlen worden. Jetzt ist man den Thätern auf die Spur ge kommen und wird ihnen den Prozeß machen, wodurch mehrere achtbare Familien hart betroffen werden sollen. Eine bestialische That wird aus Karls ruhe gemeldet: Ein lediges Dienstmädchen gebar in der Nacht zum Sonntag ein Kind, erwürgte es, zerschnitt den Leichnam und warf die einzel- nen Teile in den Abort. Die Verbrecherin wurde sofort ermittelt und in das städtische Krankenhaus verbracht. Glückliche Ehe. Die 67 jährige Frau N., von Beruf Lumpensammlerin, wohnte in der Stadt Zürich und ist Bürgerin einer Gemeinde des Kantons Zürich. Die Frau konnte wohl noch ihr Essen verdienen, den Hauszins aber Die rechte Kabe. 7) (Fortsetzung.) Die Gräfin nahm sich nicht einmal die Mühe, diese Abneigung zu verbergen, sie hatte nur Spott für die urwüchsige Reckengestalt des künftigen Majoratsherrn, nur Geringschätzung für die schlichte, warmherzige Charakteranlage des Knaben, seinen redlichen Lerneifer, den sie plebejisch nannte. So war es natürlich, daß derselbe der schönen eleganten Stiefmutter möglichst aus dem Wege ging und mit aller Innigkeit an den Vater hing, der sich wiederum, uni das gehoffte Glück betrogen, eng an den Sohn schloß. Ob wohl die Gräfin über dies traute Verhältnis, von dem sie völlig ausgeschlossen war, spöttelte, litt ihr kaltes Gemüt keineswegs darunter. Sie fand völliges Genüge an der äußeren Pracht, die sie verschwenderisch genoß, den rauschenden Festlichkeiten, die ihre Tage füllten, während sie ihrem Gemahl nur eine schwere Last dünkten, der er sich nur zu gern entledigte, wo die Eti kette es nur irgend gestattete. Dies unumschränkt vergnügliche Dasein hatte für die Gräfin doch die lange Dauer von fünf zehn Jahren gehabt, als der Graf starb und sein Tod ihr zunächst eine trauernde Zurück gezogenheit aufzwang. Indes war ausgiebig für ihre Zukunft gesorgt worden. Auch hatte Graf Prittwitz dem Sohne, auf dessen ritter lich warmes Herz er bauen durfte, die Frau, welche er einst heiß geliebt, trotz aller Ent täuschungen, die sic ihm bereitet, auf das dringendste auempfohlen. Harald hatte geloben müssen, die Gräfin niemals freiwillig zu ver lassen, und dies gegebene Wort wurde eine schwere, drückende Kette für ihn, die er nun schon Jahre klaglos, pflichttreu durch sein Leben schleppte. Das Verhältnis zwischen ihm und der Stief mutter war keineswegs herzlicher geworden; Harald verachtete im Herzen die eitle, genuß süchtige Frau, erfüllte indes mit eiserner Ge wissenhaftigkeit die übernommene Pflicht. Die Gräfin hingegen fand es jetzt ratsam, ihr kaltes, schroffes Verhalten gegen den ungeliebten Stief sohn wenigstens äußerlich zu mildern und sich die Gutmütigkeit des Erben nach Möglichkeit zu Nutzen zu machen. Harald durchschaute sie vollkommen, ließ sie indes großniüng gewähren. So raubte ihm diese kühle, berechnende Egoistin, die er nicht ver lassen durfte, so lange sie seinen Namen trug, die schönsten Jugendjahre, machte ihn mit ihrem verborgenen und doch nie ruhenden Haß, ihrer habsüchtigen Berechnung arm an wahrer Herzens freude, beschränkte selbst, wo sie es vermochte, die strebende Regsamkeit seines Geistes, und doch sagte sich dieser, um Rang und Reichtum so viel beneidete, herzenseinsame Mann nur in einer seltenen, dunkelen Stunde, daß sein Vater ein unbilliges Opfer von ihm gefordert, als er ihn zum Schutzherrn dieser Frau gemacht. Freilich hatte demselben nichts ferner gelegen, als den Sohn damit zur Ehelosigkeit zu verdammen. Harald aber glaubte nicht an ein reines, hohes Glück der Liebe und suchte es dämm nicht. Er hatte es gelernt, die Frauen nach seiner Stief mutter und deren Freundinnenkreis zu beurteilen; war es ein Wunder, daß er sie alle gering schätzte und sich bisher gegen jede weitere Fessel gesträubt hatte? Die leise Hoffnung, daß die Gräfin eine zweite Ehe schließen könne, hatte sich nicht er füllt. Einer übereilten Neigung, die sie vielleicht ein weniges in Rang oder Vermögen erniedrigt hätte, war sie nicht fähig, anderseits aber lagen trotz ihrer noch so wohl erhaltenen Schönheit, dennoch die blühenden Tage der Jugend zu weit hinter ihr, als daß es ihr geglückt wäre, eine zweite, ebenso glänzende Verbindung zu schließen. So fand sie ihre letzte Lebensaufgabe darin, Haralds Dasein zu trüben mit ihren kindischen, eigen süchtigen Launen, ihn sich in jeder Weise dienst bar zu machen. In grausamer Freude ließ sie ihn allezeit fühlen, daß er kein freier Mann sei und sie ihn gleichsam wie eine Marionette am Fädchen hielt, das sie nach Belieben lose oder straffer zog. Und nun hatte er sogar in der Wahl der Lebensgefährtin sich ihr gefügig ge zeigt. Es erstaunte sie fast. Sie ahnte freilich nicht, bis zu welchem Grade Haralds Gemüt durch ihre böswillige Quälerei aufgerieben war, daß ihm eine zeitweilige Befreiung von ihr, selbst auf Gefahr seiner engeren Freiheit, eine Er lösung dünkte. Sie hatte nur sein strenges Pflichtgefühl in Erwägung gezogen, als sie ihm vorgestellt, daß es weder im Sinne seines Vaters, noch auch den Gesetzen seines Hauses nach statthaft für ihn sei, ledig zu bleiben und er nun endlich an die Fortpflanzung des alten Namens denken müsse. Sie hatte sich nicht ge täuscht. Er wußte, was er dem hohen voll tönenden Namen, den er trug, schuldig war, j ohne doch anderseits von den starren Vorurteilen seiner Kaste befangen zu sein. Und so stand er wiederum im Bann der Pflicht — das einzige, was seinen lauteren, geraden Sinn zu knechten vermochte. Den erstaunten Ausruf Haralds: „So allein?" beantwortete die Gräfin heiter mit einem vergnügten Hinweis auf ein in ihrer Hand befindliches Schreiben. „Gräfin Elkström kündet mir da die gestrige Ankunft ihrer Familie und einen heutigen Besuch an. Ich ziehe ein erstes Zusammentreffen sn kamiUe vor und bin daher für sonstige Besucher heute nicht zu Hause. Es wird dir lieb sein, denn du wirst somit Muße haben, dich eingehender mit deiner künftigen Gemahlin zu beschäftigen. Ich hoffe bestimmt, Harald, du wirst mir nicht in letzter Stunde zu wider handeln, denn ich habe die Präliminarien mit der Gräfin bereits eingeleitet." „Das war übereilt, Mama, du darfst nicht vergessen, daß ich mir die endgültige Entschei dung Vorbehalten, bis ich die junge Dame und deren Eltern kennen gelernt habe. Ist die Kom tesse vielleicht auch gar eingeweiht? Das wäre ein kait aeeompli, dem ich meine Zustimmung versagen müßte!" , „ „Du wirst mich nicht für so taktlos halten^ versetzte die Gräfin ärgerlich. „Ich habe aus drücklich gewünscht, die Komtesse möge dir arg los entgcgentreten, während ich ihrer Mutter freilich eine eingehende Beschreibung deiner liebens würdigen Eigenschaften gab," fügte sie nicht ohne Sarkasmus hinzu. „Das will sagen, eine Aufzählung meiner
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)