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Allgemeiner Anzeiger : 17.10.1894
- Erscheinungsdatum
- 1894-10-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189410172
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18941017
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18941017
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1894
-
Monat
1894-10
- Tag 1894-10-17
-
Monat
1894-10
-
Jahr
1894
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 17.10.1894
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Politische Rundschau. Deutschland. * Zu der Meldung des ,Reuterschen Bürcaus', die europäischen Mächte würden nicht gestatten, daß die Selbständigkeit Koreas gestört werde, und zu der Andeutung, daß sie Zwang anwenden würden, falls Japan versuchen sollte, ein Er oberungsrecht auf das Land auszuüben, schreibt die Köln. Zeitung' (anscheinend offiziös), daß Deutschland nicht zu den Mächten gehört, die die Selbständigkeit Koreas verbürgen. Das Zusammenwirken Deutschlands mit den andern europäischen Mächten beschränkt sich vielmehr, wie schon früher mitgeteilt, ausschließlich auf den gemeinsamen Schutz der Euro päer in China. — Es ist erfreulich, die Reichs- regicrung von einer so gesunden Politik in der vorliegenden Frage ausgehen zu sehen. *Eine neue Lesart wird bezüglich der Vor gänge in der Oberfeuerwerker schule bekannt. Danach soll der Ruf: „Hoch die An archie!" überhaupt nicht gefallen sein; viel mehr sollen nur die Worte: „Hoch die Artillerie!" ausgerufen und bei dem herr schenden Lärm falsch verstanden worden sein. Diese Auslegung, die zweifellos etwas für sich hat, würde den ganzen Vorfall in wesentlich an derem Lichte erscheinen lassen. * Ueber die neueReichstagssession teilt die ,Kreuzztg.' als feststehend mit, daß die erste Sitzung, nach der Eröffnung im Weißen Saale, im neuen Reichstagsgebäude stattfinden wird. Es ist indessen nicht ausge schlossen, daß dann einige Sitzungen noch in dem alten Hause abgehalten werden. Die Frage, unter welchen Modalitäten sich die Feier der ersten Sitzung im neuen Hause vollziehen wird, ist zur Zeit noch nicht erledigt. *Der Prinz-Regent Luitpold hat verfügt, daß die feierliche Uebergabe der brn vierten Bataillonen verliehenen Fahnen an die Regiments-Kommandeure durch die beiden Korps- Generale an deren Kommandositzen am 23. d. erfolgen soll. Dazu sind die Kommandeure sämt licher Infanterie-Regimenter mit je einem Leut nant und einem Unteroffizier befohlen. Die Uebergabe der neuen Fahnen an die vierten Bataillone selbst wird später an dem Tage der Rekruten - Vereidigung durch die Regiments- Kommandeure erfolgen. * Ueber "dieLage inSüdwestafrika bis zum August d. gibt die ,Südafr. Ztg/ folgende Uedersicht: Witboi benutzte die ihm ge währte Frist des Waffenstillstandes nicht etwa, um mit seinen Leuten, wie versprochen, über den Friedensschluß zu beraten, sondern er versuchte, neue Bundesgenossen zu werben und das Land in nur um so größere Unruhen zu stürzen. Es bleibt erfreulich, zu hören, daß seine Versuche, soweit bekannt, erfolglos geblieben sind. Im Gegenteil, die größte Gefahr, die Aufhetzung der Hereros, ist gänzlich beseitigt, nachdem dieselben sich vollständig auf deutsche Seite gestellt haben; es ist dies ein sehr wesentlicher Punkt. Frankreich. *Der sozialistische Deputierte Cluseret, der einstige Communegeneral, hat eine Interpellation eingebracht über den vielbesprochenen Fall freundschaftlichen Verkehrs zwischen deutschen und französischen Unter offiz i e r e n an der elsaß-lothringischen Grenze. Cluseret ist trotz seiner revolutionären Gesinnung ein großer Patriot und darum hat jener Vor gang sein Mißfallen erregt. Es ist nicht das erste Mal, daß gerade von feiten der franzö sischen Sozialisten chauvinistische Töne ange schlagen werden. Die Debatte über die Inter pellation verspricht übrigens sehr interessant zu werden. Wie verlautet, wird außer dem Kriegs minister auch der Minister des Auswärtigen bei dieser Gelegenheit eine Erklärung abgeben. *Jn der Madagaskarfrage ist zwischen Frankreich und England anscheinend eine Einigung erzielt. Zwischen Paris und London sollen sehr befriedigende Versicherungen ausgetauscht worden sein. Es verlautet, das englische Kabinett in Paris habe erklären lassen, daß es nicht nur gegen die Entsendung des Abgeordneten Le Myre de Vilers nach Tanana- rivo, sondern auch gegen eine militärische Unter ¬ nehmung Frankreichs nach Madagaskar keine Einwendungen erheben werde. Ferner habe das Londoner Kabinett ausdrücklich versichert, daß es englischen Offizieren nicht gestatten werde, die madagassischen Truppen zu befehligen. Nur über jene englischen Offiziere, die den englischen Dienst verlassen haben, oder über englische Zivilisten habe es keine Macht. Es ist anzu nehmen, daß England seine Versicherungen nicht ohne entsprechende Erklärungen Frankreichs ge geben hat. Dänemark. *Jm Folkething erklärte bei der Beratung der Budgetvorlage der Ministerpräsident v. Reedtz- Thott, das Ministerium habe bei seinem Amts antritt ein ordentliches Finanzgesetz sowie die Regelung der seit Jahren be standenen unregelmäßigen Zu stände vorgefunden. Das Ministerium habe diese Ord nung der Zustände genehmigt und es für seine Aufgabe gehalten, zu der Entwickelung regel rechter Zustände und dem Zusammenarbeiten beider Thinge beizutragen. Das Ministerium habe nicht übersehen, daß die Ungunst der Zeiten auf viele Gewerbe des Landes drückte, es könne aber nicht verlangt werden, daß die Regierung schon jetzt diesbezügliche Gesetzesvorlagen ein bringen solle. Rußland. *Aus verläßlichster Quelle verlautet, daß die letzten aus Livadia eingetroffenen Nachrichten über die Krankheit des Kaisers u n - günstig sind. Die Aerzte bezeichnen es als sehr besorgniserregend, daß der Schwächezustand des Monarchen sich bis zu auffälliger Schlaf sucht steigere; es gehe fast keine Mahlzeit vor über bei der der Zar nicht einschlüft; eine un mittelbare Gefahr sei indes nicht vorhanden. *Die Frage der Einsetzung einer Regentschaft ist der ,Kreuz-Ztg.' zufolge noch nicht entschieden. Man glaubt, daß sich entwederder Zar wichtige politische Entschließungen Vorbehalten oder dem Thronfolger ein zweites, im Vertrauen des Zaren stehendes Mitglied der kaiserlichen Familie zur Seite gestellt werden würde. Diese Losung würde den Anhängern der friedlichen Politik am meisten entsprechen, weil sie fürchten, daß sich der jugendliche Thron folger gewissen Einflüssen, die sich unzweifelhaft geltend machen würden, nicht mit jener Kraft und jenem festen Willen entgegenstemmen könnte wie sein Vater. Amerika. *Auch in den Ver. Staaten befinden sich die allen politischen Parteien mehr oder weniger im Auflösungsprozeß. Es ist sehr wahrscheinlich, daß die Volkspartei, die bisher nur im Westen und Süden thätig ge wesen ist, das Zünglein der Wage im nächsten Kongreß halten wird. In Massachusetts haben die Arbeiter einen Sozialisten als Gouverneurs kandidaten ausgestellt. Desgleichen gibt es einen Sozialisten als Kandidaten sür den Posten eines Bürgermeisters in New Jork. Die unabhängigen Zeitungen New Jorks sind der Ansicht, daß die Gouverneurskandidatur des Senators Hill den Demokraten eine Niederlage bereiten wird. Geht New Jork den Demokraten verloren, so ist die Niederlage der Demokraten im ganzen Lande sicher. Der ,New Jork Herald' sagt: „Uns will es scheinen, als ob der nächste Kongreß entweder republikanisch oder daß eine Volkspartei den Ausschlag geben wird." Niemals hat eine große Volkspartei in den Ver. Staaten so schnell Schiffbruch gelitten, wie die demokratische in den letzten zwei Jahren.^ Asien. * Vom ostasiatischenKriegsschau- platze wird gemeldet: Nach einem noch unbe stätigten Gerüchte sind 40 000 Mann Japaner bei Schanhaikwan gelandet und haben den Tele graphendraht durchschnitten. Ein anderes Gerücht meldet, eine weitere Streitmacht sei bei Niutschwang gelandet, mehrere japanische Kriegsschiffe seien in der Nähe des Häsens von Taku gesehen worden. Zwischen der Vorhut der Japaner und der Chinesen nördlich des Jaluflusses hat ein Gefecht stattgefunden; die Japaner sollen zurück geworfen und gezwungen worden sein, wieder über den Fluß zurückzugehen. Nach Meldungen aus Tientsin sind die Gesandten Englands und Rußlands dort eingetroffen und werden sofort nach Peking abgehen. * Einer Meldung aus Kabul zufolge ist der Emir von Afghani st an ernstlich erkrankt. — Nachttäglich erfährt man, daß Ende Angust das vielumstrittene Pamir gebiet von den dort bisher noch stehenden afghanischen Truppen geräumt worden ist und sich nunmehr völlig im Besitze der Russen befindet. Nach russi scher Darstellung hätte der Vorgang sich ganz friedlich vollzogen, aus englischer Quelle wird dagegen berichtet, daß zwischen den russischen Truppen unter Oberst Ionow und der afghani schen Grenzwache Schüsse gewechselt worden feien, und daß dann erst vom Emir von Afghanistan auf geschehene Anfrage der Rückzug der Afghanen angeordnet wurde. Jedenfalls har in dieser Frage, die in den letzten Jahren zu so vielen „geographischen Forschungsreisen" und diplomatischen Verhandlungen Anlaß gegeben hat, Rußland einen vollen Erfolg gegenüber England, China und Afghanistan errungen. Uon Uah «nd Fern. Eine erschütternde Szene spielte sich am Dienstag im Moabiter Justizpalast ab. Vor etwa 8 Jahren verzog der Vergolder Fritz N. aus einer kleinen Stadt des westhavelländischen Kreises nach Berlin, um sein Glück in der Reichs hauptstadt zu machen. Der junge Mann war bald in dieser, bald in jener Fabrik thätig, und aus seinen Briefen erfuhren die Eltern, daß der Sohn sich kümmerlich aber ehrlich durchs Leben schlage. Seit etwa zwei Jahren aber war Fritz N. für die Seinigen verschollen, es schien, als habe der Vergolder Berlin verlassen und sei in einer fremden Stadt verstorben. Anfang voriger Woche kam die Mutter des jungen Mannes zu einer inzwischen nach Berlin verzogenen Ver wandten zu Besuch und begleitete ihre Wirtin, die Zeugin in einem Prozeß war, nach dem Justizpalast in Moabit. — Beide Frauen durch schritten plaudernd einen der langen Korridore des Kriminalgerichtes, als ein Gefangener vor übergeführt wurde; sie hörten, wie der Trans porteur einem ihm bekannten Nuntius zurief: „Du, der hat eben zwei Jahr Gefängnis bekom men," und diese Mitteilung erregte die Neugier der alten Ackerbürgerfrau. Unwillkürlich trat sie an den gesenkten Hauptes vorüberschreitenden Gefangenen heran, unwillkürlich begegneten sich beider Blicke, dann aber brach die alte Frau mit dem herzzerreißenden Schrei „Mein Sohn, ein Dieb", bewußtlos auf den Steinfliesen zusam men. Der aber, um dessentwillen ein Mutter herz gebrochen wurde, bat, schnell in die Zelle zurückgeführt zu werden. Die bedauernswerte Mutter wurde, schwer erkrankt, mittels Droschke nach der Wohnung ihrer .Gastgeberin zurück gebracht. Ein 102 jähriger Veteran aus den Be freiungskriegen, Gottlob Gimpel, der an einer Reihe von Schlachten gegen Napoleon teilnahm, ist in Reipisch bei Merseburg gestorben. Neue Erderschütterungen haben am Sonntag und Montag abend in Eisleben statt gefunden. Sie äußerten sich auch diesmal durch schwankende Bewegungen des Erdbodens, während der charakteristische starke Schlag fehlte. Die Gasanstalt sieht sich saft außer stände, die fort während einttetenden Rohrbrüche ihrer Gasröhren umgehend zu beseitigen. Es entflieht diesen Röhren infolgedessen eine erhebliche Menge Gas, so daß an verschiedenen Stellen auf der Straße der starke Gasgeruch bemerkt wird. Das Kaiser- sche Eckhaus in der Zeißingsttaße, das besonders fest und stark konstruiert ist und sich bisher den Zerstörungen gegenüber ziemlich unanfechtbar verhielt, ist in den letzten Tagen augenscheinlich recht stark mitgenommen worden. Ein schweres Gewitter, wie es im Oktober noch nicht dagewesen, hat am Montag nachmittag 4 Stunden lang in verschiedenen Gegenden Thüringens und der Provinz Sachsen getobt. Ein Güterzug, der zwischen 6 und 7 Uhr von Greußen nach Erfurt fährt, kam trotz seiner zwei Lokomotiven, nur bis an die Gang loff-Sömmerdaer Höhe und mußte des Unwet ters wegen nach Bahnhof Greußen zurückfahren. In Sömmerda verursachte ein Blitzschlag einen Hausbrand. Ein anderer Blitz erschlug den 18jährigen Sohn des Restaurateurs Hildenhagen in Ebeleben, der mit Feldarbeit beschäftigt war. In Erfurt gab es ein furchtbares Hagelwetter, und kaum hatte dies nachgelassen, clls es in Strömen zu regnen begann, so daß bald alles unter Wasser gesetzt wurde. In verschiedenen Straßen traten Störungen durch Ueberschwem- mungen ein, und das Wasser strömte in viele Keller. Auch am neuen Staatsbahnhof herrschte große Verwirrung. Das eben erst eingeräumte Büreau der Stationskasse wurde unter Wasser gesetzt. In Lindenau vergiftete sich am zehnten Oktober der Bildhauer R. H. Beyer in der elterlichen Wohnung; zu gleicher Zeit nahm sich die 19 jährige Anna Winkler, ebenfalls in der elterlichen Wohnung, durch Gift das Leben. Beide gingen seit einigen Jahren als Liebes leute zusammen. Die Aussichtslosigkeit, bald heiraten zu können, scheint der Grund zu der That gewesen zn sein. Ein irrsinniger Arzt. Teilnahme erregt das Schicksal des Dr. Otto Mayerhofer aus Kirchberg am Wechsel, der an dem vor kurzem stattgehabten Naturforschertag lebhaften Anteil genommen hatte. Der im Alter von 54 Jahren stehende Arzt zeigte schon während des Kongresses große Aufregung, die sich als Vorbote einer ab sonderlichen Wahnvorstellung herausstellte. Dr. Mayerhofer hielt sich nämlich für Napoleon den Großen, sodann für Goethe und schließlich für — Dr. Eisenbart. Er wurde der psychiatrischen Klinik im Allgemeinen Krankenhause in Wien übergeben. Ein eigenartiger Fall von Aberglaube« trug sich vor einigen Tagen in dem Gute N. bei Battenstein zu. Kommt da ein Mann zum Kämmerer, Nachtherberge verlangend, die ihm auch gewährt wird. Die Frau des Kämmerers ist von einem Schlaganfall heimgesucht, von dem sie noch nicht ganz genesen ist. Sobald der Gast Kunde davon erhielt, gab er sich als Schwarzkünstler aus und suchte den Eheleuten klar zu machen, daß an der Krankheit nur böse Menschen schuld haben, er dieselben aber ver treiben könne, sobald man ihm die nötigen Geld mittel und die nötigen Gegenstände aus der Wirtschaft gebe, die er vergraben müsse. Da ihm Glauben geschenkt wurde, wurden Kisten und Kasten geöffnet und die besten Handtücher, Schürzen, Hemden w. wanderten in die Hände des Schwarzkünstlers. Als die Mädchen des Gutes Kunde hiervon erhielten, eilten sie in Hellen Haufen zu ihm, alle getrieben von der Hoffnung, er würde ihnen den Dieb nennen können, der ihnen Wäsche gestohlen habe. Nach dem das nötige Geld zusammengelegt war, er klärte der Betrüger ihnen, daß der Dieb im Gut wohne, und daß er morgen mit Hörnern gekenn zeichnet sein werde. Mit klingender Münze in der Tasche und mit Wäsche und Nahrungs mitteln auf dem Rücken zog der Wundermann von dannen. Die Bethörten harren vergeblich aus die Wirkung des Zaubermittels, die Kranke aus Genesung, die Bestohlenen auf das Erscheinen des gehörnten Diebes. Ein Riesenkind, wie es in Deutschland kaum seinesgleichen haben dürfte, lebt gegen wärtig im nördlichen Teil unseres Vaterlandes. Das Kind heißt Johanna Schmidt und ist am 2. März 1888 als Tochter des Kaufmanns Schmidt zu Woyens, der deutschen Zollstation vor der jütischen Grenze, geboren. Das Kind, das bei der Geburt das normale Gewicht von sieben Pfund hatte, entwickelte sich körperlich sehr schnell und stark, wog 1891 schon 99 und zu Anfang dieses Jahres 146 Pfund. Bei einer am Dienstag voriger Woche vorgenommenen Wägung hatte Johanna Schmidt 165 Pfund, mithin das Normalgewicht eines ausgewachsenen Mannes erreicht. Dabei sind alle Körperteile des Mädchens, das 1,20 Meter hoch ist, bei einer Brustweite von 1,10 Meter harmonisch ent wickelt; und auch die geistige Veranlagung stellt sich als durchaus normal heraus. Das Kind, das kräftig, aber keineswegs viel ißt, erfreul sich trotz seiner Körperfülle voller Gewandtheit, spielt gleich allen anderen Kindern und ist fast immer guter Laune. Zwei ältere Geschwister, die ähnliche Anlagen zu Riesenkindern zeigten, Die rechte Kabe. 4j (Fortsetzung.) Der Professor mußte des fast vergessenen Bibelwottes gedenken, das er vor mehr als einem halben Jahrhundert als Knabe ver nommen, ein langes Leben hindurch gleichgültig unbeachtet gelassen und jetzt erst, an der Schwelle des Greisenalters, zu verstehen be gann: „Nun aber bleibet Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größeste unter ihnen." Als Inez ihr freundliches Zimmer betrat, fand sie bereits dort Juanita ihrer harrend. Diese hatte das geräumige Gemach, ein Gemisch von Atelier und Studierzimmer, behaglich er wärmt und einen Imbiß für ihre junge Herrin bereit gehalten, da sie wohl wußte, daß Inez die Gastfreundschaft des Gelehrten nicht gern in Anspruch nahm, um dessen alter Haushälterin nicht außergewöhnliche Mühen zu verursachen. Indes ließ Inez heute das reichliche Mahl zu Juanitas Kummer fast unberührt. Alsbald rückte sie für die erzürnte Duenna einen Stuhl an das offene Kaminfeuer, und während sie sich selbst in einen geradlehnigen Sessel von alter, getriebener Lederarbcit niederließ, bat sie: „Mn, Juanna, erfülle dein Versprechen. Zuvor aber verhülle die Lampe, ich liebe es, bei dem roten Schein des Feuers zu sitzen, der dir zum Er zählen ja auch Licht genug gibt." Widerstrebend erfüllte diese Inez' Gebot, in dem sie unwillig murmelte: „Ja, zum Erzählen ist die Juanna schon gut genug; wenn sie aber verlangt, daß du etwas Vernünftiges genießen sollst, denn essen und trinken hält Leib und Seele zusammen, so schickst du mich mit der lieben Gottesgabe sott." „Nun, morgen und alle übrigen Tage will ich dir ja auch den Gefallen thun, nur quäle mich heute abend nicht damit. Ich versichere dir, ich brächte keinen Bissen hinunter." „Kind, Kind," sagte die treue Dienerin be kümmert, „du gefällst mir garnicht, schon seit Wochen nicht. Mag der Himmel wissen, was in dir vorgeht, etwas Erfreuliches ist's sicher nicht. Meine alten Augen sehen deutlich, daß dein schmales Gesichtchen von Tag zu Tag wo möglich noch weißer wird, als es schon immer war. Ich werde dem Vater sagen, daß dir eine Veränderung nor thut, das einsame Leben taugt nicht länger für dich." „Juanna, wenn du nur ein Wort von deiner einfältigen Besorgnis redest, dann ist's aus mit unserer Freundschaft," brauste Inez auf. „Nun, nun, dann laß ich's eben. Hätte gar nicht gedacht, daß du wirklich noch so lebhaft sein könntest. Gehst du doch immer herum wie ein Schatten, dem weder Lust noch Leid was anhaben können. Also steckt noch ein bißchen Leben in dir. Wenn ich mir aber deine Mutter vorstelle, als sie so in deinen Jahren stand, » du mein Herrgott, das war was anderes — nichts als Freude und Lust am Leben atmete sie. Ach, mir könnt' das Herz brechen, daß du so ganz verschieden geartet bist: aber deine Schuld ist's just nicht, mein armes Lamm, das weiß ich wohl."' Inez hatte ihren Sessel in den Schatten zu rückgeschoben, um ihr Gesicht somit Juanitas scharf prüfenden Augen zu entziehen. Der rosige Feuerschein reichte nicht weiter als bis zu ihren im Schoße gefaltet ruhenden Händen und huschte spielend über die kleinen Füße, die sie auf den niedrigen Rost gestemmt hatte. „Aber Juanna, was redest du da, ich bin völlig gesund und zufrieden, die Vergnügungen anderer Mädchen würden mich kaum erfreuen. Und nun sprich nicht mehr davon, sondern erzähle jetzt von meiner fchönen, jungen Mama. Wie alt war sie, als sie den Vater heiratete?" „Achtzehn Jahre, ein halbes Kind noch, und er so viel älter, daß er fast ihr Vater sein konnte. Doch das machte nichts, war er doch ein schöner, stattlicher Mann; o äio, wie glücklich sie waren! Wie glückselig sie aussah, als er sie zum Mar führte! Mir ist's wie gestern, so deutlich sehe ich sie vor mir. Wie eine Fee erschien mir deine Mutter in ihrem weißen Atlaskleide, das weit hinter ihr herrauschte. Sie war im Grunde nicht groß von Gestalt, jedenfalls ein gut Stück kleiner als du, aber an dem Tage schien sie mir so hoch und hehr, das Glück hatte sie wohl so er hoben, sie war die strahlendste Braut, die ich je erblickt." „Und mein Vater?" warf Inez leise ein. „Der sah gar stolz und siegesfröhlich aus, du hast ihn nie so gekannt, mein armes Herz blättchen. „Mein heiliger Johannes" nannte ihn deine Mutter und führwahr, er glich mit seinen: blonden Kopfe und den herrlichen blauen Augen just dein Johannisbilde in unserer Kirche. Bei uns sind die Menschen meist schwarzhaarig und. dunkel äugig. Als du dann später mit dem bernstein gelben, lockigen Haar deines Vaters zur Welt kamst, war Anita ganz närrisch vor Freude. Nun, du warst ja auch ein richtiger, Engel mit den goldenen Ringellöckchen rund um das Köpfchen, wie bei dem Christusbilde auf dem Altarbild, vor dem wir unsere heilige Mist Hütten." „Vater hätte es gewiß lieber gesehen, wenn ich mehr der Mutter geglichen," schaltete IM seufzend ein, „und ich ähnele ihr so wenig, wie du sagst?" Sie richtete sich bei dieser Frage ein wenig aus ihrer zusammengeschmiegten Stellung enipor, so daß eine aufzüngclnde Flamme die schlaf Gestalt voll zu beleuchten vermochte. Ein köst liches Bild gab das Mädchen im Rahmen des antiken Sessels, umflossen von dem Purpurschew des Feuers, der die starre Marmorkälte des klassisch geschnittenen jungen Gesichts zaubechast belebte. Die ernsten, dunklen Augen schauten träumerisch auf das bunte Funkenspiel, währens das aufsprühende, flackernde Feuer flimmernde Lichter in dem prächtigen, goldhellen Haar weckie, das sich in schweren Massen um die junge, ge dankenvolle Stirn legte. . Obwohl nun Juanita mit zärtlicher Liebe ihren schönen Pflegling bettachtete, schien sie doch nicht völlig Inez' eigenartigen Zauber zu em pfinden, denn sie erwiderte kurz: „Nur ihre Augen hast du, und doch auch diese nicht ganz- Die ihren blickten niemals so schwermütig unk
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