Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 20.10.1894
- Erscheinungsdatum
- 1894-10-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189410208
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18941020
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18941020
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1894
-
Monat
1894-10
- Tag 1894-10-20
-
Monat
1894-10
-
Jahr
1894
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 20.10.1894
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Politische Rundschau. Deutschland. * Nachdem der Kaiser seiner Mutter, der Kaiserin Friedrich, in Cronberg im Taunus und dem Großherzog von Hessen in Darm stadt Besuche abgestattet hatte, tras derselbe am Dienstag zur Enthüllung des Denkmals sür Kaiser Wilhelm I. in Wiesbaden ein. Am Abend trat der Kaiser die Rückreise nach Berlin an, woselbst am Mittwoch im Zeughause die Nagelung der Fahnen sür die vierten Bataillone statifand. * Ueber den G es u nd h eits z ustand des Prinz - Regenten Luitpold von Bayern waren dieser Tage ungünstige Gerüchte ver breitet. Nach amtlicher Mitteilung hat sich der Prinz-Regent infolge Ausgleitens auf der Jagd am 4. Oktober eine leichte Kontusion des rechten Kniegelenks zugezogen. Die Verletzung war jedoch so unbedeutend, daß der Prinz-Regent bereits in den nächsten Tagen sich wieder an den Jagden beteiligen konnte. * Schon seit längerer Zeit liegt der Erb- großherzog von Sachsen-Weimar krank danieder. Neuere Nachrichten schildern den Zustand des Patienten als sehr bedenklich, was u. a. auch daraus hervorgeht, daß die in Aus sicht genommene Uebersiedelung des Erbgroß herzogs nach der Riviera wieder fraglich gewor den ist. — Der gegenwärtig regierende Groß herzog Karl Alexander ist 77 Jahre alt. Sein Sohn, der Erbgroßherzog Karl August, ist am 31. Juli 1844 geboren, steht also im 51. Lebens jahre. Er besitzt zwei männliche Nachkommen, Wilhelm Ernst und Bernhard Heinrich, von denen der erstere erst 18, der zweite 16 Jahre alt ist; beide besuchen noch das Gymnasium zu Kassel. "Der Aufstand in Kamerun bezw. die dem Kanzler Leist zur Last gelegten Ueber- schreitungen seiner Amtsbefugnisse gelangten am Dienstag vor der kaiserlichen Disziplinarkammer in Potsdam zur Erörterung. Der Gerichtshof konnte auf Grund des Ergebnisses der Beweis aufnahme nichj zu der Ueberzeugung ge langen, daß der Kanzler Leist den Aufstand verschuldet hat; ebensowenig in der Auspeitschung eine Ueberschreitung seiner Amtsbefugnisseerblickten. Dagegen erblickte der Gerichtshof in dem Umgang mit den Pfandweibern seitens deS Angeklagten eine Verletzung der amtlichen Pflichten und ver urteilte denselben zur Versetzung in ein anderes Amt, zwar mit demselben Range, aber unter Schmälerung von einem Fünftel seines bisherigen Diensteinkommens; außerdem hat der Angeklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen. * Der ,Hamb. Korr/ bezeichnet alle bisherigen Angaben über den Stand der Untersuchung gegen die Schüler der Oberfeuerwerkerschule als unzutreffend und teilt offiziös mit, daß die erste Vernehmung der Schüler am 13. Oktober beendet worden sei. Ein „ruckweises" Zurück schicken von Zöglingen sei bisher nicht erfolgt, nur sieben Schüler seien zur Zeit des Unfugs nicht auf der Schule anwesend gewesen und als schuldlos zu ihren Truppenteilen zurückgcschickt worden. Die Untersuchung werde fortgesetzt. Ueber das Ergebnis werde von amtlicher Seite Aufklärung erfolgen. "Wegen des Aufstandes im portugie sischen Ostafrika ist deutscherseits das Stationsschiff der ostafrikanischen Station „See adler" von Kilwa, wo es sich in letzter Zeit be fand, nach Lorenzo Marquez geschickt worden, um angesichts der dortigen Unruhen die deutschen Interessen zu schützen. "Hendrik Witboi ist endlich unschädlich gemacht. Major Leutwein telegraphiert aus Werft Witbois, den 14. September, daß Hendrik Witboi sich, nachdem er wiederholt geschlagen worden, bedingungslos der deutschen Schutzherrschaft unterworfen habe. Frankreich. * Gelegentlich des Jahrestages der Feier der franco - russischen Feste in Toulon und Paris, veröffentlichen die Pariser Blätter an leitender Stelle sympathische Artikel, in denen des Admirals Avellane und der russischen Offi ziere gedacht wird. Die Blätter sprechen die Hoffnung aus, daß bald beruhigende Nachrichten über den Gesundheitszustand des Zaren eintreffen I mögen, an dessen Leiden alle Franzosen den innigsten Anteil nehmen. Belgien. "Am Sonntag haben in Belgien die Kammerwahlen (und zwar zum ersten Riale nach dem neuen bedeutend erweiterten Wahl rechte) stattgefunden. Nach einer Ueberstcht über die Zusammensetzung der neuen Kammern sind in den Senat 41 Katholiken und 25 Liberale gewählt; in 15 Wahlkreisen haben Stichwahlen stattzufinden. Die Wahlen für die Reprä sentantenkammer ergaben 75 Katholiken, 8 Liberale, 6 (warscheinlich aber mehr) Sozia listen und 44 Stichwahlen. 19 Wahlen sind noch ungewiß, dieselben dürften zu gunsten der Sozialisten ausfallen. Die Katholiken rechnen im ungünstigsten Falle in der Kammer auf eine Mehrheit von 5 bis 10 Stimmen. In den Regierungskreisen ist man höchst bestürzt über die Wahlerfolge der Sozialisten, die zahlreiche Sitze gewannen und in den Kreisen, in denen sie nicht durchdrangen, große Minori täten erzieltem Schweden-Norwegen. "Die Wahlen in Christiani« er gaben für die Linke 8339 und für die Rechte 7969 Stimmen. Infolgedessen ist die Stadt Christianis im Storthing von 4 Mitgliedern der Linken vertreten, während sie bisher 4 Mitglieder der Rechten in das Storthing entsandt hatte. Das Storthing wird wahrscheinlich aus 58 Mitgliedern der Linken und 56 der Rechten zusammengesetzt sein. Italien. * Der Fehlbetrag des italienischen Bud gets für das nächste Etatsjahr ist vom Finanz- und Schatzminister auf 60 Millionen festgesetzt worden, wovon vierzig durch Mehrauflagen ge deckt werden sollen. Portugal. "Lorenzo Marquez, die bedrohte portu giesische Kolonie in Südafrika, ist im vollkommenen Belagerungszustand. Alle Straßen sind verbarrikadiert und mit Kanonen gespickt, 170 portugiesische Seesoldaten sollen sie halten. Das ist aber mit diesen geringen Kräften unmöglich und thatsächlich hängt das Schicksal der Stadt von der Gnade oder der Unentschlossen heit der Eingeborenen ab. Im allgemeinen zeichnen sich die Kaffern aber gerade durch toll kühne Tapferkeit aus und die von Portugal ab gesandten Hilsstruppen werden also wahrscheinlich zu spät eintreffen, um das Blutbad in Lorenzo Marquez verhindern zu können. Ruhland. * Nach einer Meldung der ,Pol. Korr/ aus Petersburg ist die Abreise des Zaren nach Korfu für den 24. d. in Aussicht genommen. Der Zar wird den Seeweg einschlagen, die Ueberfahrt bis Piraeus auf dem Dampfer „Orel" zurücklegen und sich dort auf die Jacht „Polarstern" überschiffen. "Nach einer Meldung des russischen .Inva lider/ ist die Errichtung eines neuenArmee- Korps in Warschau beschlossen worden. "Der Plan einer Annexion der Mandschurei gewinnt hier zusehends An hänger. Für diese Maßnahme sprächen strate gische und politische Gründe. Die sibirische Bahn würde, durch die Mandschurei geführt, eine kürzere Route erhalten können und durch die Annexion der Mandschurei würde China für den Fall eines Konfliktes mit Rußland eine wertvolle Operationsbasis entzogen. Balkanstaaten. * Die Krisis im bul g aris ch en Mini- sterium ist nicht mehr wegzulengnen. Minister Tontschew hat in Varna den Prinzen Ferdinand mündlich gebeten, seine Entlassung zu geneh migen. Keinesfalls wird Tontschew bei der Er öffnung der Sobranje noch Minister sein. Amerika. * Expräsident Ezeta von San Salvador, der sich mit seinen erpreßten Geldern nach den Ver. Staaten geflüchtet hat, wird nicht aus- ge liefert werden, da der Bundesrichter Marrow ihm den Schutz politischer Flüchtlinge zugesprochen hat. Asien. * Aus japanischen Kreisen wird der englischen Regierung mitgeteilt, daßIapan das Anerbieten Chinas, in Friedensverhandlungen einzutreten, abgelehnt habe. Das ließ sich wohl erwarten. Japan scheint eben seine Siege ausnutzen zu wollen. "Das Hauptkorps der chinesischen Armee steht in starker Stellung verschanzt an der Nordostgrenze der Provinz Chi-li. Die Mandschus werden als Reserve näher bei Tientsin und Peking zurückbehalten. Die Vorhut der japanischenArmee soll sich jetzt nur sieben Tagemärsche von Mukden befinden. Die japanische Flotte beherrscht den nördlichen Teil des Golfes von Pctschili, um den Chinesen nach der bevorstehenden Schlacht den Rückzug zur See abzuschneiden. — Zwei japanische Studenten, die der amerikanische Konsul in Schanghai den chinesischenBchörden auf die Anklage derSpioncr e ausgcliefcrt hat, sind in der grausamsten Weise in Nanking auf Befehl des Vizekönigs hingerichtet worden. Die beiden jungen Leute gingen gefaßt ihrem Schicksal entgegen. * InChina ist, das steht jetzt außer allem Zweifel, die Rebellion ausgebrochen. Wie die englischen Zeitungen aus Schanghai melden, wird der nach auswärts gemeldete Aufruhr in der Mongolei vollkommen bestätigt. Die Rebellen sollen ziemlich gut bewaffnet sein. Die Behörden versuchten, den Aufstand zu unterdrücken, hatten jedoch keinen Erfolg. Zwei Mandarinen wurden getötet; man befürchtet, daß die Rebellen gegen Wutschang vorrücken, dessen Garnison an die Küste geschickt worden ist. "Wie dem .Reuterschen Bureau' aus Simla gemeldet wird, ist der indischen Regierung die Bestätigung der ernstlichen Erkrankung des Emirs von Afghanistan zugegangen, Die Natur des Leidens wird offiziell nicht an gegeben, es soll sich aber um eine innere Blutung handeln. Von Uah «nd Fer«. Ein ernsteS Kapitel aus dem Leben der Großstadt erzählen die trockenen Zahlen des letzten Wochenberichtes des Statistischen Amtes der Stadt Berlin. Sie verzeichnen für die erste Oktoberwoche 22 Fälle von gewaltsamem Tod, das heißt von Sterbefällen, die durch Selbst mord, Ueberfahren, Ertrinken oder in ähnlicher Weise herbeigeführt worden sind. Und die Ziffer ist nicht einmal etwa dnrch ihre Höhe bemerkens wert. In der Vorwoche betrug die Zahl der Personen, die in Berlin durch einen gewaltsamen Tod ihr Ende gefunden haben, 17, in der Woche vorher gleichfalls 17, und auf dieser Höhe un gefähr hält sich die Ziffer während des ganzen Jahres. In runder Zahl sind es jährlich etwa tausend Menschen, die in Berlin in gewaltsamer Weise ihr Leben verlieren. Vielleicht ein Drittel davon entfällt auf die Rubrik „Selbstmord". Hut ab! Am Freitag wurde in Berlin wieder einmal ein unhöflicher Mann, der einer vor der 1. Strafkammer stattfindenden Verhand lung als Zuhörer beiwohnen wollte und den Hut zu spät vom Kopfe nahm, in eine Ordnungs strafe von 6 Stunden Hast genommen und die Strafe sofort vollstreckt. Das Denkmal des Kurfürsten Friedrichs des Ersten in Friesack, das am 13. d. in Friesack feierlich enthüllt wurde, erhebt sich unweit der Stelle, von der aus „die faule Grete" ihre Ge schosse gegen die trotzige Raubrittcrburg der Quitzows gerichtet und die bis dahin für un überwindlich gehaltenen Mauern der festen Burg niedergelegt hat. Die Ausführung des Werkes war Prof. Calandrelli übertragen, der die Auf gabe hatte, die Gestatt des Kurfürsten im wesent lichen frei aus der Phantasie zu erschaffen, eine in die ritterliche Tracht jener Zeit gekleidete Charakterfigur hinzustellen. In der Höhe von 3 Meter ist das Standbild auf einem 6 Meter im Quadrat messenden Unterbau aus rotem schwedischen Granit errichtet. Aus diesem Unter bau ruht das achteckige Postament, dessen oberer Teil mit einem Zinnenkranz umgeben ist. Mit dem Gesicht nach Westen steht der Kurfürst in ruhiger Haltung, mit Sturmhaube, Panzer und wallendem Mantel umgeben, die rechte Hand auf das Schwert gestützt, die linke im Gürtel, den Kopf und Blick etwas nach rechts gewendet. An der Frontseite des Denkmals befindet sich am Postament der brandenburgische Adler auf einem Bronzeschild, das von der heraldischen Helmzier des Hohenzollernhauses bekrönt wird, und dar unter, in den steinernen Sockel eingehauen, m altgotischen Lettern die einfache Inschrift: „Kur fürst Friedrich der Erste, Markgraf von Bran denburg." Falschmünzer. In Sprottau nahm die Polizei einen längst gesuchten Falschmünzer, den Maschinisten Kunze, fest. Viele Falsifikate und Formen wurden vorgefunden. Uebermut thut selten gut. Am Donners tag zogen durch die Stadt Haynau Bärenführer, die drei prächtige, dressierte Bären vorführten. Als dieselben im Gatten des „Schützenhauses" sich produzierten, machte sich ein dort anwesender Rittergutsbesitzer aus der Umgegend den Spaß, die Rolle des Bärenführers zu übernehmen. Jedenfalls paßte der Tausch dem „Meister Braun" nicht, denn er ging auf den Uebermütigen los und biß ihm ein Fingerglied durch. Ein hartnäckiger Selbstmörder. Der Besitzer Türk aus Ellerwand bei Elbing war verhaftet worden, weil er im Verdachte stand, einen Ochsen gestohlen zu haben. Türk öffnete sich in der Gefängniszelle die Adern, doch wurde er dabei ertappt und ins Krankenhaus gebracht. Hier gelang es ihm durch ein Fenster zu ent weichen. Er nahm eine Droschke und fuhr nach seinem Gehöft. Dem Kutscher war der Fahrgast jedoch verdächtig vorgekommen und er machte einen Gendarm auf ihn aufmerksam, der den Entflohenen sofort wieder einbrachte. Hierbei hatte es nicht verhindert werden können, daß Türk Gift eingenommen hatte, und obwohl man sogleich Gegenmittel anwandte, starb er nach einigen Stunden. Drei Eisenbahn - Zusammenstöße an einem Morgen auf einem Bahnhof hat man in Duisburg erlebt. Ein Deutzer Güterzug fuhr zwischen 5 und 6 Uhr auf einen anderen Güter zug, der bei der Ausfahrt bereits mit einem Rangierzug in Kollision geraten war. Der materielle Schaden ist erheblich. Personen sind nicht verunglückt, da das Personal rechtzeitig ab sprang. Der Führer des Deutzer Zuges wollte wegen des dichten Nebels und bei der bekannten Gefährlichkeit der Duisburger Zentralbahnhof- Einrichtung nicht einfahren ohne persönliche Weisung des dienstthuenden Assistenten. Dieser kam und gab den Befehl. Gleichzeitig erfolgte der erste Zusammenstoß und sofort darauf auch der zweite. 1//. Stunden später fuhr vor der nördlichen Einfahrt auf der Köln-Mindener Strecke ein Personenzug aus Oberhausen von hinten in einen vor dem Signale stehenden Güterzug. Oberhausen hatte ihn abgelassen, ohne erst das Eintreffen des Güterzuges in Duisburg abzuwatten. Auch hier ist der materielle Schaden bedeutend. Mehrere Güterwagen wurden zertrümmert oder stark beschädigt. Zwei Kolli wagen schoben sich ineinander und die Personen zug-Lokomotive fuhr in den letzten Güterwagen wie in ein Futteral. Außer zwei Fahrpost- Beamten, welche Kopfverletzungen erlitten, sind die Reisenden mit dem Schrecken und vielen leichteren Quetschungen davongekommen. Der Personenzug soll an der Ruhrbrücke Warnungs signale durch Platzpattonen erhalten, sie aber nicht beachtet haben. Die Doppelstörung machte sich natürlich durch Zugverspätungen weit über Duisburg hinaus fühlbar. Gegen 11 Uhr mittags war die Köln-Mindener Strecke wieder fahrbar. Sensationelle Verhaftung. In Köln ist ein holländischer Baron verhaftet worden, als er gerade seine Verlobung mit der Tochter einer angesehenen Kölner Familie feierte. Der Baron wird der Verübung vielfacher Schwindeleien be zichtigt. Mehrere Angehörige des Verhafteten sind in Köln eingetroffen. Gegen daS Haberfeldtreiben hat die Regierung von Oberbayern angeordnet, daß in sämtlichen Gemeinden des Amtsbezirks Mießbach ohne Verzug allnächtliche Sicherhcitswachen, je nach der Größe der Gemeinden, in der Stärke von vier bis acht Mann und zwar vorläufig auf die Dauer von drei Monaten eingerichtet werden, wobei es dem Bezirksamt überlassen bleibe, für bestimmte Tage im voraus, sowie für Tage, an Die rechte Habe. bs (Fortsetzung.) „Nun, ich hatte auch just mein Lebensglück begraben, mein einziges Kind, einen lieben Knaben, meinen alleinigen Trost, nachdem sein Vater, den ich bald nach Anitas Vermählung geheiratet, in einem Seesturm verunglückt war. Die Geschwister waren wohl versorgt, die Eltern tot, niemand bedurfte meiner, nichts fesselte mich besonders an die Heimat, aber dir konnte ich von Nutzen sein. Und du warst solch ein zartes, jämmerliches Geschöpfchen, das die zärtlichste Pflege nötig hatte. Anita hatte mich beschworen, dich nicht sobald zu verlassen; so ging ich denn mit dir in das kalte, fremde Land, in dies düstere, freudlose Haus, in dem du nie einen Strahl echter, warmer Lebenssonne gesehen hast, mein armes Kind." Liebkosend glitt Inez' kleine Hand über die arbeitgewohnte Rechte ihrer treuen Pflegerin. „Ich hätt's jedoch nimmer gedacht, daß ich mein schönes Gebirgsdörfchen gar nicht Wieder sehen sollte," sprach diese weiter. „Als du vier Jahre alt geworden, stellte mir dein Vater frei lich die Rückkehr anheim, aber mein Herz liebte nichts mehr als dich, und von deinem Vater, der sich nie wieder von jenem Schicksalsschlage er holte, war doch schwerlich die rechte Sorglichkeit für dich zu erwarten, das sagte mir mein schlichter Verstand, und ich konnt's nicht über mich ge winnen, dich einer fremden gleichgülugen Diene rin zu übergeben. So blieb ich, dein Vater war's wohl zufrieden, aber eine zweite Anita konnte ich nicht aus dir machen. Du warst von klein auf ein sonderliches Kind, das seine eigenen Wege ging und sich gar vor dem Vater ver steckte, wo es ihn sah. Freilich, er hatte keine Art, mit Kindern umzugehen, und war und blieb in seinen Gram versunken. Was wunder, wenn auch du nicht lachen lerntest! Ach, und deine schöne Mutter hatte ein so herzliches, kinderfrohes Lachen. Ja, mein Herzblatt, ich gäbe wer weiß was, wenn ich dich einmal so recht herzerquickend lachen Hötte. Ich glaub's schon, daß du's nicht kannst, wie hättest du es lernen sollen in dem traurigen Hause. Aber Unrecht ist's, bitteres Unrecht," murmelte sie vor sich hin, indem sie eifrig das Feuer schürte. Inez, die bisher lautlos zugchött, legte jetzt mit seltener Weichheit ihren Arm um Juanita, indem sie liebevoll flüsterte: „Wie gut du bist, Juanna, was hast du alles um mich dahinge geben und entbehrt!" „Sprich nicht davon, Kind," wehrte diese. „Uno was war's denn auch, konnte ich dich denn glücklich machen? O, wie mich dein freudloser Ernst ost dauert, mein armer Liebling! Freilich, wir Menschen können nicht alle gleich sein, und unser Herrgott wird ja wohl seine Absicht gehabt haben, als er dich so anders machte. Aber die Heiteren, Sorglosen unter uns haben es so viel leichter im Leben, die kommen dem Glück immer lachend Halbwegs entgegen; an den Stolzen, Eigenwilligen geht's gern vorbei, und du bist eine, die es ziehen läßt und nicht mal den Kopf danach wendet." Inez richtete sich hoch auf. „Ich würde niemals etwas halten, was nicht des Fesselns wert wäre, oder auch ich irgendwie nicht festhalten dürfte, da hast du recht," antwortete sie stolz. „Ja, ja," seufzte Juanna, „weiß schon, du hast deine besonderen Gedanken, die immer direkt allem bequemen Weltgebrauch widersprechen. So was mag ja vielleicht edel und groß sein, aber wenn mau dabei leidet, so ist's just doch nicht das rechte, meine ich. Deine Mutter dachte nicht so, sicher war sie aber in ihrer schlichten Natür lichkeit sehr viel glücklicher als du. Doch lassen wir das, noch ist das Glück für dich nicht da, und kommt cs dereinst, so wird die heilige Jung frau dir helfen, das Rechte zu thun; sie wird dir einen braven, tüchtigen Mann bescheren, das ist ja mein tägliches Gebet." Inez lächelte jetzt. „Du glaubst, nur in der Ehe findet man das Glück?" „Aber wo denn sonst?" fragte Juanna mit naivem Erstaunen. „Machen dich etwa deine Steine glücklich?" „Nein," antwortete Inez fest, „auch die nicht, aber sie trösten mich, ist das nichts?" Juanna zuckte die Schultern. „Nicht alles, du wirst's ja dereinst erfahren. Jetzt aber geh' zur Ruhe, mein Herz, schlafe die trüben Gedanken fort, du siehst so blaß und müde aus." Inez erhob keine Einwendung, sie fühlte sich in der That tief abgespannt. Trotzdem fand sie nicht rasch den erquickenden Schlaf. Die Auf regungen des Tages ließen auch jetzt den über müdeten Nerven keine Ruhe. Aengstliche Träume webten sie in einen Halbschlummer, der erst gegen Morgen in einen festen, wohlthuenden Schlaf überging. So schlief sie, zu Juanitas großer Genugthuung bis weit in den Hellen Tag hin ein, und das düstere Atelier, welches sie sonst r zu früher Stunde zu betteten pflegte, erschien heute unheimlicher denn je, da nun auch die.. lebende Statue der jungen Bildhauerin fehlte. . Auch Arnold Wallmor lag ruhelos in dieser... Nacht. Wohl hatten ihm ehedem die Marter von Trauer und schmerzlicher Sehnsucht nach der ewig Verlorenen kummervoll durchwachte Nächte bereitet, jetzt war es die Reue des auf geschreckten Gewissens, die den Schlaf verscheuchte. Zum ersten Male quälte ihn der nagende Selbst vorwurf, daß sein Schmerz egoistisch gewesen sei, daß er ihn groß gezogen habe, wie einen ver hätschelten, illegitimen Liebling, der ihn die nächsten Pflichten gegen sein einziges, rechl- mäßiges Kind versäumen ließ. An den Glauben auf ein Wiedersehen klammerte sich sein sehn süchtiges Herz; doch wenn Inez' Mutter dereinst Rechenschaft von ihm forderte über das Kleinod, welches sie ihm zurückgelassen, das er in seiner blinden Unzugänglichkeit so grausam vernach lässigt, so mußte er beschämt bekennen: „Ich habe die Seele unseres Kindes nicht gehütet — ich kenne sie nicht." Dieser Gedanke peinigte ihn plötzlich namen los. Er gelobte sich, die Vaterpflicht fortan ernst und heilig zu nehmen. Es mochte dennoch nicht zu spät sein, Inez' Liebe zu gewinnen. Die scheue Ehrfurcht, mit der sie bisher zu ihm aus- gesehen, die er gleichgültig entgegengenommen, ; beschämte ihn jetzt. . - Und doch, als er am nächsten Morgen früh zeitig sein Atelier betrat, gewahrte er der Tochter ungewohnte Abwesenheit fast mit Erleichterung- Ein Mensch seiner Jahre ändert sich schwer. Das
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)