Suche löschen...
Sächsische Elbzeitung : 28.11.1918
- Erscheinungsdatum
- 1918-11-28
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1787841065-191811280
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1787841065-19181128
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1787841065-19181128
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Sächsische Elbzeitung
-
Jahr
1918
-
Monat
1918-11
- Tag 1918-11-28
-
Monat
1918-11
-
Jahr
1918
- Titel
- Sächsische Elbzeitung : 28.11.1918
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bange Mags. Ein Berliner Mitarbeiter schreibt »ns: In dem denkwürdige» Kongreßsaal, in dein Bismarcks Geist eine ganze widerstrebende Welt zur Berständignng zwang, saßen sie beisammen die neuen Vertreter der deutschen Negierung, die Kinder der Revolution, mu Bilanz aufzuuelnnen von de» bis jetzt vorliegenden Ergebnissen des Umsturzes aller Dinge. Was sic zu hören bekamen klang trostlos über alle Masten. Schwierigkeiten über Schwierigkeiten ans allen Gebieten, iin Innern nnd nach allsten, und alle Köpfe, alle Arine wollen nicht ans reichen, um auch nur das dringendste in Ordnung zu halten oder weiterem Verfall vorznbengcn. Wird nun bei dieser Lage der Dinge die Liebe zum Ganzen grob genug sein, um nicht selbstsüchtige Regungen der Einzelteile aufkonnuen zn lassen? Wenn es sich wirklich nur dann» handelte, dast dieser oder jener kleine Bundesstaat in einen Nachbarstaat aufginge, sich mit ihm zu einer Einheit verschmölze nnd danach mit mwcr- mmderter Neichstreue zuiu Ganzen znrückkehrte — dagegen wäre natürlich gar nichts weiter einzuwenden. Aber ein mal liegen im Süden offenbar ganz andere Absichten vor. Die Losung „Los von Berlin!" wird dort schon reckt deutlich ausgcgeben, und namentlich scheint der Minister präsident des Vvlksstaatcs Bauern, Herr Kurt Eisner, es sich in den Kopf gesetzt zu haben, mit dru Berlinern nicht viel Federlesens zn machen. Das mindeste, was er will, ist die Beseitigung PrenstenS als führenden Bundesstaates im Reich. Deshalb hat er sich, kaum das; seine Republik in München anfgerichllt war, sofort mit einer Kundgebung an die feindlichen Re gierungen gewandt; deshalb liebäugelt er mit dcu Deutsch- Österreicher» mehr, als die gute Sache es zu rechtfertigen scheint. Dieser Mann weist wohl, was er will; aber dast seine Absichten zur Wiederaufrichtung des Reiches bei tragen könnten, das will uns sehr zweifelhaft erscheinen. Noch schlimmer vielleicht sind die Absplitterungen, denen Preußen au sich ausgesetzt erscheint. Nicht nur dast seine Oslprovinzen unmittelbar bedroht sind. Auch im Westen sieht cs übel genug aus. Das Saargcbict mit seinen reichen Kohlenschätzen haben sich die Franzosen entgegen dem Waffeustillstandsvertrage glattweg angeeignet; sie fragen eben nach nichts und nach niemand mehr, sondern tun, was ihnen beliebt. Aber die ganze schöne Nheinprovinz geht einer höchst ungewissen Zukunft ent gegen, und schon ist der Gedanke aufgetaucht, ob umu nicht am besten tue, sein Schicksal von Prensten zu trennen, sich als Republik aufzumachen und entweder allein oder unter Anlehnung an die Süddeutschen eine west liche Orientierung zn nehmen — wer weiß, wozu das alles gut sein könnte? Und auch im Norden, an der Wasserkante, sind neue Staatsbildungen aufgetaucht, die einfach von preußischem Land und Gut sich angliederu, was ihnen nützlich erscheint, ohne deswegen in Berlin auch nur ein Wort zu verlieren. Und mit Nord schleswig, das schon ganz ungeniert unt der dänischen Negierung in Verbindung getreten ist, schließt sich der Ning. Kann es, wenn alle diese Pläne verwirklicht werden, daun noch schwerer fallen, das Schwergewicht des Reiches — wenn wir überhaupt noch ein Reich behalten oder wiederbekonnuen — von Berlin sagen wir einiual nach München oder, wenn Bauern sich überhaupt anders entscheidet, nach Frankfurt am Main zu verlegen? Und wo soll überhaupt die Macht Herkommen, die es verhindern könnte, wenn Herr Eisner, wie er es einem englischen Bericht erstatter gegenüber ankündigte, aus Preußen drei Einzel republiken zurechtschneiden ließe? Und kann man den Ncgiernngsvertretern der Emzelstaaten, die jetzt in Berlin versammelt waren, überhaupt den guten Willen zutrauen, sich zu bescheiden, damit das Ganze, das Reich, das teure Erbe unserer Väter nicht völlig in die Brüche geht? Kann man es angesichts der Tatsache, dast z. B. das lippische Land, wohl das kleinste Teilgebiet, das wir in Deutsch land haben, nicht weniger als drei Vertreter zu dieser Neicbskouferenz entsandt hatte? Wer will, wer kann sich die Kraft zutrnucn, wieder zusammenzuleimen, was der >Novembersturm ans den Fngen gebracht hat? Zum dritten Riale alsv: was wird aus unserem Reich, -und was wird aus dein deutschen Volke? * JürReichseinhsii und Nationalversammlung. Die Beschlüsse der Neichskonferenz. Berlin, 26. November. Spät abends wurden gestern die Beratungen der im Reichskanzler-Palais zusammcngetretencn Vertreter der deutschen Einzelstaaien beendet. Auf Vorschlag des Volksbeanstragtcn Ebert wurden zum Schluß folgende Leitsätze als Ergebnis der Verhandlungen angenommen: 1. Die Aufrechterhaltung der Einheit Deutschlands ist ein dringendes Gebot. Alle deutschen Stämme stehe» geschlossen zur deutschen Republik. Sic verpflichten sich, entschieden im Sinne der Neichöcinhcit zn wirken und separatistische Bestrebungen zn bekämpfen. 2. Der Berufung einer konstituierenden Nationalver sammlung wird allgemein zngcstimmt, ebenso der Absicht der Reichölcitnng, die Vorbereitungen zur Nationalver sammlung möglichst bald dnrchznsiihreu. 3. Bis znm Zusammentritt der Nationalversammlung sind die ASR die Repräsentanten des BolköwillcnS. -t. Die Neichsleitnug wird crsncht, auf die schleunige Herbeiführung eines Präliminarfriedens hinznnrbeiten. Die Nachmittagssitzlmg verlief im Gegensatz zur Ver- sammluug, iu der die Geister stark aufciuauder gestoßen waren, in ruhigerem Rahmen. Die Mahnungen und Aus führungen verschiedener Redner iu der wirtschaftlichen Aussprache machten ersichtlichen Eindruck. Der Staats sekretär des Ernährungsamts Wurm legte die Schwierig keiten der Ernährung dar, Staatssekretär Schiffer vom Neichsschatzamt hob die Wichtigkeit gefestigter staatsrecht licher Verhältnisse für die Fiuan,Wirtschaft hervor. Staats sekretär Dr. August Müller vom Neichswirtschaftsaiut warnte dringend vor jedem Eingriff in linser Kreditsystem, da unbedingt finanzieller Zusammenbruch folgen werde» Kern Eingriff in Finanz- und Kreditwesen. Die Ausführungen dieser Redner überzeugten die Versammlung von der Notwendigkeit, alle etwa auf- keiniende» zerstörenden Neigungen iu dieser Richtung zurückzudämmeu. Folgende Resolution gelangte zur An nahme: Nm daö wirtschaftliche Leben Deutschlands mlfrccht- zncrhaltcn, die ungestörte Versorgung des LaudeS mit Lcbcusmittcln und Rohstoffen aus dem Ausland zn sichern und die deutsche Volksrepublik im In- nnd Anöland kredit fähig zn erhalten, ist das Fortarbeitc» aller Bauke», Sparkassen und sonstige» Kreditinstitute auf der bisherige» Grundlage imd auch in den bisherigen Formen unbedingt erforderlich. In Übereinstimmung mit den Vertreter» der deutschen CMzclstaaten erklärt daher die deutsche Reichöregicruug, dast jeder Eingriff iu die ge schäftliche Tätigkeit der Krcditaustalte» zu unterbleiben hat. Dieser Beschluß kommt zur rechte» Zeit, denn seit dem erste» Tage der Umwälzung kursierten gerade in dieser Beziehung die hartnäckigsten und tatsächlich be unruhigendsten Gerüchte, denen nun der Boden ab gegraben ist. * Aus den Verhandlungen. Ziemlich scharf hob sich ans der Fülle der Diskiissions- reduer ans der Kanferciiz die Person des bagerischen Miichter- vräsidenteu Kurt Eisner hervor. Sein Angriff ans die Männer aus früheren Zeiten, ans Solf, Erzberger nsw. wurde von Wolfgang Heine zurückgewiesen, der betonte, die Enteilte sei gegen das deutsche Volk, nicht gegen einen einzelnen Unterhändler. Eisner erklärte, Clemenceau bat erst neulich erklärt, die ursprünglichen Wasfcnstillstandsbedingungen gälten nicht dem deutschen Volk, sondern Wilhelm U. Der Kaiser sei gegangen, ihm mühten all die kompromitiierten Männer nach Holland folgen, wenn sie nicht wegen Landes- und Volksverrats angeklagt werden sollten. Sols, Erzberger und ihresgleichen seien für alle Zeiten erledigt. Jin übrigen ist der bäuerische Ministerpräsident für eine demokratische und soziale Politik der Näteregicruug. Außerdem schlägt er die Ein führung eines provisorische» Präsidiiimö an Sickle des Bundesrats vor, das alle Verhandlungen mit der Entente führt. Nur ans Grnnd dieser seiner Vorschläge konnten die Ablösungs- bestrcbungen unterdrückt werde», die er bekämpf'', die aber in Bauern stärker als je wären. Staatssekretär Erzberger führte in seiner Erwiderung auf die Angriffe Eisners ans, es müsse diesem bekannt sein, dnb er, Erzberger, so lange wie möglich für den Friede» gewirkt. Die Behauptung, jede für den Frieden hinderliche Persönlichkeit müsse beseitigt werden, paffe ebensogut auf Elsner, der sich auf Clemenceau berufe und nicht wisse, das; besten Freundlichkeit Herrn Eisner nicht als Sozialisten, sondern Herrn Eisner als Zerstörer der deutschen Einheit gelte. Mit politischen Naivetäten macht man keinen Weltfrieden. Der Vertreter GothaS Geitner findet die Verteidigung Heines erklärlich, das Erzbergers Sünden auch Heines Sünden seien. Er sieht das Programm in der Frage: Ist uns der Frieden lieber als der Sozialismus? Wir müssen für Soziali sierung sein, selbst dann, wenn wir uns dadurch eine feindliche Besetzung »»ziehen. Uns steht das Volk über dem so genannten Vaterland und dem Volk kann nur der Sozialismus helfen. Livinski-Sachsen legt scharfe Ver wahrung ein gegen die Zurückstellung der Sozialisierung, ebenso gegen eine etwa geplante Einschränkung der Bcfuguiffe der ASR. Die Nntionaiversammlung könne rubig »och ver tagt werden, bis die Vorbedingungen für sie geschaffen seien. Beigeordneter im Auswärtigen Amt Kaulstu unterstützt Eisners Forderung einer Negierung, die vom Mchrbcitswillen getragen sei und keine kompromittierten Männer enthalte. Die Friedensbedingungcn würden nicht so hart sein wie die Waffenstillstandsbcdingungen. Er bedauert, dast die noch nicht festgenommen seien, die durch die eben veröffentlichten bayerische» Berichte so schwer kompromittiert seien. Das würde dem Frieden wahrhaft dienen. Ulrich-Hessen sagt, das Reich muh bleiben, aber die Berliner Diktatur muh fallen. Man wolle nicht los von Berlin, verlange aber gemeinsames Arbeiten. Der Volks« beauftragte Barth erklärte die Nationalversammlung für not wendig, ebenso viele andere Vertreter. Eisner warnt vor dcrDurchführung des Sozialismus im Augenblick derZcrrüttung. Scheiden,an» spricht entschieden für die Nationalversaminlnng und tritt ferner der Ansicht Eisners bet, dnb man im Augen blick der Zerrüttung nicht sozialisieren könne, wendet sich gegen ein Klasscnparlament, wie es die Arbeiter- und Soldatenräte auf die Dauer wären, und nennt die technischen Schwierigkeiten derNationalversammluug lächcrlicheZwiruS- iüdr«. Statt Wählerlisten könnten einfache Legitimationen für jeden Wähler dienen. Wir brauchen keine Wählerlisten, nur Legitimationen für jeden Wähler, die nach der Wahl ab- gcstcmpclt würden, und für iede Partei eine Wählerliste fürs ganze Reich. Gradnaner (Sachsen) schließt sich ihm an und nennt die Nationalversammlung eine Schicksalsfrage. Volks- beaustragter Haase hält die Schwierigkeiten der Wahl doch für größer und bittet, die einzelnen Nationalversammlungen in de» Bundesstaaten znrückzustellen. Staatssekretär Schiffer entwickelt in der nun folgenden wirtschaftlichen Besprechung ein Flnanzprogramm der Zukunft, in dem schärfste Bekämpfung der Steuerscheu, Großkriegs gewinnsteuer, Besteuerung des Mehrgewinnes und Vermögens abgaben enthalten sind. Nachdem die oben mitgetcilten Be schlüsse gefaßt find, spricht Ehert das Schlußwort, in dem er sagt: „Wenn die deutsche Republik leben soll, so bedarf sic der Arbeit. Sozialismus ist Arbeit!" Er appelliert an die Arbeiter und Soldaten, damit die deutsche Arbeiterschaft der Welt zeige, daß 6» Jahre der Erziehung zur Selbstzucht durch die Sozialdemokratie nicht verloren gewesen seien. Die Be- richte der heutige» Sitzung machen cs allen zur Pflicht, für die neue Republik die staatsrechtliche Festigung in der Natio nalversammlung zu schaffen. s Die kommende Wahl. Die Entscheidung für die baldmögliche Einberufung der konstituierenden Versammlung erfolgte fast einstimmig, nur der Delegierte von Gotha stimmte gegen die sofortige Einberufung, der Delegierte von Braunschweig überhaupt gegen die Nationalversammlung. Eisner knüpfte an seine Zustimmung das Verlangen auf Beachtung seiner Vor schläge. Der Volksbcauftragte Ebert verteidigte noch die beiden angegriffene;: Staatssekretäre Solf und Erzberger. Dr. Solf fei als einziger Staatssekretär von Kricgsbeginn an für eine» Verständigimgsfrieden gewesen. Und ohne die Tag und Nacht währende Arbeit des Staatssekretärs Erzberger hätte die Waffenstillstandskommission ihre Befehle nicht durchführen können. Ans den Ausführungen des Volksbeauftragten Haase sind noch zu erwähne» sei»e Bemerkungen über die Rede des Vorsitzenden des Vollzugsrates Richard Müller im Zirkus Busch. Wenn Müller erklärt habe: „Nur über seine Leiche gehe der Weg zur Nationalversammlung", so habe er damit nur vor einer Überstürzung warnen wollen. Bereits Dienstag vormittag beschäftigte sich ein Kabinetisrat der Volksbeaustragtcn mit dem Mcichs- wa tilge setz, ei» Beschluß wurde »och nicht gefaßt, doch soll der erste, van Scheidemann stammende Entwurf ab- gelebnt morde» sein. Wie der Krieg eMimid» Dio Enthüllungen der neuen bayerischen Negierung. Vor einiger Zeit schon Halle der Ministerpräsident und Minister des Äußern in der bäuerischen Republik Kurt Eisner der Berliner Negierung die Anregung ge geben, alle Akten über den Ursprung des Krieges zu ver-- öffentliche», »m volle Aufklärung über die Geschichte der verhängnisvolle» Vcrwickllmg zu ermöglichen. Ehe die Neichsregienmg dieser Anregung Folge gegeben hat, begann nun die bäuerische Mgieruug bereits mit der Be kanntgabe von Aktenstücke» aus dem diplomatischen Dienst Bauerns, dessen Vertreter in Berlin damals Graf Lerchen- fcld Ivar. Oas österreichische Mimatum an Serbien. Am 18. Juli 191;, also etwa zwei Wochen vor Ausbruch deS Krieges, äußerl sich Graf Lcrchcnfeld in einem Bericht an die Münchener Negierung über das bcknmite Ultimatum Österreichs wegen der Ermordung deS Erzherzog-Thronfolgers durch großserbische Agitation a» Serbien, das die uumiltel- bare Ursache zur Entfesselung der Kricgsfuric gab. Der Diplomat sagt in seinem Bericht: Der Schritt, den das Wiener Kabinett sich entschlosserc bat in Belgrad zu unternehmen und der in der Überreichung einer Note bestehen wird, wird am 2v. d. M, erfolgen D Die Hinausschiebung der Aktion bis zu diesem Zeit punkt hat ihren Grund darin, daß man die Abreise der Herren Poincnrö und Viviani von Petersburg abwarten möchte, um den Zwcibundmächteii eine Bcrsländigrmg über eine Gegenaktion zu erschweren. Bis dahin gibt man sich in . I Wien durch die gleichzeitige Beurlaubung des.Kriegsministers und des Chefs des Geiieralstabes den Anschein friedlicher Gesinmmg, und auch auf die Presse und die Börse ist nicht ohne Erfolg eiiigcwirkt worden. Daß Serbien derartige, mit seiner Würde als unab hängiger Staat unvereinbare Forderungen nicht annehmen kann, liegt auf der Hand. Die Folge wäre also der Krieg. Hier ist man durchaus einverstanden, daß Österreich die günstige Stunde nützt, selbst auf die Gefahr weiterer Ver wicklungen hin. Ob man aber in Wien sich dazu aufraffen wird, erscheint Herr» v. Jagow wie» Herr» Zimmerman» noch immer zweifelhaft. Man ist hier der Ansicht, daß cs sich für Österreich um eine Schicksalsstunde handle, und aus diesem Grunde hat man hier auf eine Anfrage ans Wien ohne Zögern erklärt, daß wir mit jedem Vorgehen, zu dem man sich dort entschließe, ein verstanden sei, auch auf die Gefahr eines Krieges mit Ruß land hin. Die Blankovollmacht, die man dem Kabincttschel des Grafen Berchtold, dem Grasen Hoyos. gab, der zur Über gabe eines Allerhöchsten Handschreibens und eines ausführ lichen Materials hierhergefumme» war, ging so weit, daß die östcrrcichisch-lingarische Negierung ermächtigt wurde, mit Bulgarien wegen Ausnahme in den Dreibund zu verbandeln. In Wie» scheint man ein so unbedingtes Eintreten Deutsch lands für die Donaumonarchie nicht erwartet zu haben, und Herr Zimmermann hat den Eindruck, als ob es den immer ängstlichen und unciitschlossene» Stellen Wiens fast unangenehm wäre, daß von deutscher Seite nicht zur Vorsicht und Zurück haltung gemahnt worden sei. Ma» hätte es daher lieber ge sehen, wcim mit der Aktion gegen Serbien nicht so lange gewartet würde, und der serbischen Regierung nicht Zeit ge lassen würde, etwa unter russisch-französischem Druck von sich aus eine Genugtuung anzubicten. Es wird dann in diesem Bericht des Grase» Lerchenfeld an de» Grasen Hertling weiter über die diplomatische Aktion Deutschlands geplaudert. Die Ncichslcllung werde mit dem Hinweis darauf, daß der Kaiser sich auf der NvrdlaiidSrcisc und der Cbes des Große» Genernl- stabes, sowie der preußische Kriegsmstlistcr in Urlaub seien, bchaiiplcn. durch die Aktion Österreichs genau G überrascht zu sein, wie die andere» Mächte. Weiter werden in dem Bericht Lerchcnfelds die Ver- mullmgen über die voraussichtlichs-Haltung der übrigen Mächte behandelt. Herr Zimmermann war der Meinung, weder in D Englailld noch in Frankreich sei ein Krieg erwünscht und sie D würde» auf Rußland i» friedlichen; Sinne einwirken. Eng- D land müsse Rücksicht auf Irland nehmen. Freilich, wenn eS zum Kriege komme, werde England auf der Gegenseite stehen. Am 81. Juli 1914 telephoniert die Berliner bäurische Gesandt schaft, die zweifellos redlichen Bemühungen Str Grens für die Erhaltung des Friedens würden den Gang der Dinge nicht aushaltcn. Am gleichen Tage telegraphiert die bäurische Gesandtschaft, es liefe» augenblicklich zwei Ultimata: Petersburg 12 Stunden, Paris 18 Stunden, aii Rußland wegen Mobil machung, nach Frankreich mit der Frage, ob dort Neutralität beabsichtigt sei. Beide Anfragen würden selbstverständlich ablehnend beantwortet werden. Der Preußische Generalstab sehe dem Kriege mit Frankreich mit großer Zuversicht entgegen und rechne damit, daß Frankreich in vier Wochen nieücr- geworfen sei. Ein Bericht vom 4. August 1014 sagt, die Neutralität Belgiens könne nicht respektiert werden und der Gencralstabschef selbst, die englische Neutralität sei mit dem Verzicht aus den Durchmarsch durch Belgien zu teuer erkauft, da der Angriffskrieg gegen Frankreich nur auf der belgischen Linie nwgltch sei. Soweit die erste Veröffentlichung, die nur als Ein- I leitung gedacht ist und der weitere Erklärungen folgen sollen. Einstweilen stehen nur die Meinungen des Grafen Lerchenfeld zur Diskussion, die teilweise auf Grund mündlicher Unterhaltungen mit den damaligen leitende» I Männern in Berlin sich aufbauen und bei denen man nicht übersieht, wie weit persönliche Ansichten oder offizielle Beschlüsse in Frage stehen. Ob und wie sich das einst- I weilen in noch nicht ganz klaren Umrissen erscheinende I Bild verändert, wenn auch von anderer beteiligter Seite das Wort genommen wird, muß der Zukunft überlassen I bleiben. Wahrscheinlich kann es sich dabet, nachdem der Stein einmal ins Rollen gekommen ist, nicht mehr um lange FriLeu handeln. Das öffentliche Urteil über die Enthüllungen gibt in diese;» Moment selbstverständlich ebensowenig ein« I geschlossene abgeklärte Linie, sondern ist stark von politischen I Tendenzen beeinflußt. Die Deutsche Tageszeitung fragt: Wollten Herr l v. Bethmam; Hollweg und seine Leute den Krieg? Wir II I antworten nach wie vor: Nein! Sie wollte» ih» nicht. Sie j wollten Niederwerfung Serbiens durch Österreich-Ungarn. : Sie glaubten. Rußland sei nicht bereit und werde nur bluffen, ! Frankreichs Armee tauge nichts, Frankreich und England : würden auch auf Rußland in friedlichem Sinne einwtrken. i Auf diese Grundlage militärischer und politischer Einschätzung i wurde der Pla» des eigenen Muffes gebaut. Und das Blatt kommt zu dem Schluß: Wenn Dilettanten und Schwache den Macchiavelli zu spielen versuchen, muß es schief gehen und ! gibt es ein Unglück. ; Die Tägliche Rundschau schreibt: In einem Augen blick, da unser ganzes Land über die schweren Waffen- ! stillstandsbedingungen entsetzt ist und alle Anstrengungen < gemacht werden, die Bedingungen zu erleichtern, glaubt nian, . dein Feinde solches Anllagematerial auf dem Tisch lege» zu , sollen. Die Veröffentlichung solcher Urkunde;;. aus dem : Zusammenhang gerissen und daher bcwcislos, geschieht durch die neuen Machthaber natürlich nur zu dein Zweck, um in < diesen für sie kritischen Wochen, in denen die ganze Ver logenheit ihrer pazifistischen und demokratischen Politik zutage tritt, das Volk gegen das alte Regime uufzuhetzen und es im Banne der neuen Negierung zu halten. s Der Vorwärts erhebt strenge Klage: Man hat uns ge- < sagt, in Berlin habe mau das Wiener Ultimatum au Ser- < bien nicht gekannt. Eine Lüge! Berlin habe Wien zur f Zurückhaltung ermahnt! Eine Lüge! Berlin hat Wien um- z gekehrt aufgeputscht. Wilhelm sagte in seiner Proklamation: , „Mitten im Frieden hat uns der Feind überfallen!" Eine c bodenlos freche, niederträchtige, schamlose Lüge. Die Freiheit, das Berliner Organ der Unabhängigen Sozialdemokraten, überschreibt ihrer; Artikel „Die Entlarvung ' der Schuldigen" und verlangt Verantwortung mit den -
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)