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Allgemeiner Anzeiger : 26.05.1894
- Erscheinungsdatum
- 1894-05-26
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189405265
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18940526
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18940526
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1894
-
Monat
1894-05
- Tag 1894-05-26
-
Monat
1894-05
-
Jahr
1894
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 26.05.1894
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Politische Rundschau. Deutschland. * Der Kaiser wird noch vor dem 30. Mai nach Berlin von seinem Jagdausfluge zurück kehren. DieKaiserin traf in Begleitung der Prinzessin Heinrich am Dienstag früh aus Kiel in Berlin ein. . *Die über eine Entmündigung des Königs Otto von Bayern neuerdings auf getauchten Nachrichten werden von München aus offiziös dementiert. *Nach einer angeblich dem Bundesrat zuge gangenen Mitteilung wird das Begassche Kaiser Wilhelm-Denkmal auf Befehl des Kaisers innerhalb des vom Reichstag ge nehmigten Kostenaufwandes von vier Millionen hergestellt werden. Die gegenüber dem Kosten anschlag hierbei erforderlich werdende Kosten minderung soll, wie die Münch. Reuest. Nachr.' melden, durch Wahl billigeren Materials und Vereinfachung des BegaSschen Entwurfs erzielt werden. * Das am 10. Februar zwischen dem Deutschen Reich und Rußland ge troffene Abkommen, nach dem sich beide Teile verpflichtet haben, ihre gegenwärtigen und ihre frühem Angehörigen, soweit diese eine andere Staatsangehörigkeit nicht erworben haben, aus Verlangen des andern Teiles zu übernehmen, ist am 7. Mai in Kraft getreten. Unterm 6. d. hat der preuß. Minister des Jnnem für die zuständigen Behörden nähere Ausführungsbestimmungen dazu erlassen. *Der Silberkommission, die am 22. d. wiederzusammentrat, ist eine Uebersicht über den „deutschen Thalerumlauf" mit Wahrscheinlichkeitsberechnungen der noch vor handenen Stücke zugegangen. Das Resultat der mit Zahlen und bisherigen Beobachtungen be legten Untersuchung geht darauf hinaus, daß die höchste Schätzung des noch existierenden Thalervorrats einen Gesamtbestand von 403 Mill. »Mark ergibt, einschließlich der österreichischen Vereinssilbermünzen, die auf 50^2 Mill. Mark nach Ablieferung der vonOesterreich übernommenen 26 Mill, veranschlagt sind. Hierzu wird jedoch bemerkt, daß die Gesamtsumme wahrscheinlich sich niedriger stellen wird, da bei den älteren Thalern ein viel stärkerer Abgang als der bei der jetzigen Berechnung zu Grunde gelegte von 17 Prozent sich ergeben werde. * Nach amtlichem Wahlergebnis ist bei der Reichstagsersatzwahl im Kreise Jnowrazlaw- Mogilno der Pole Dr. Krzyminski mit 10612 Stimmen gewählt worden. (Timm, kons., 1746, Priebe, Antis., 1449, Bertus, Sozialdem., 219 Stimmen.) * Der Ober Präsident von Schlesien v. Seydewitz ist bekanntlich um seine Ver abschiedung zum Herbst eingekommen. Unter den Persönlichkeiten, die zur Nachfolge in Betracht kommen, steht, wie die Mil. Pol. Korr.' erfährt, mit in erster Linie auch der vormalige Kultusminister Graf v. Zedlitz-Trützschler, der in der Provinz angesessen ist und bekannt lich, bevor er in das Ministerium berufen wurde, Regierungspräsident von Oppeln und später Oberpräsident von Posen war. * Kanzler Leist soll nach dem ,Hann. Cour.' — nach Amerika entwichen sein. Wir geben diese Nachricht nur unter allem Vorbehalte wie der und hoffen, sie recht bald widerrufen zu können. Oesterreich-Ungarn. *Graf Eulenburg, der neu ernannte deutsche Botschafter am Wiener Hof, wurde am Montag mittag vom österreichischen Kaiser in be sonderer Audienz empfangen und überreichte sein Beglaubigungsschreiben. * Der Vertreter des Handelsministeriums gab bei der Budgetberatung des österreichischen Ab geordnetenhauses die Erklärung ab, eine tele phonische Verbindung zwischen Wien und Berlin solle noch in diesem Jahre her gestellt werden. * Das ungarische Abgeordnetenhaus hat am Montag den Antrag des Ministerpräsidenten Wekcrle auf Zurücksendung des Zivilehe- g e s e tz e nt w urf s an das Oberhaus behufs neuerlicher Verhandlung mit 271 gegen 105 Stimmen angenommen. Die anderen An träge, darunter diejenigen auf Vertagung und auf Einführung der fakultativen Zivilehe, wurden abgelehnt. — Nun hat wieder das Oberhaus zu votieren. Es wird sich bald zeigen müssen, ob die Drohung mit einem Pairsschub die Magnatentafel eingeschüchtert hat oder nicht. Frankreich. *Jn der Dienstagssitzung der Deputierten kammer ist das Ministerium CasimirPerier mit der vom Ministerpräsidenten geforderten ein fachen Tagesordnung in der Minderheit geblieben und hat darauf seine Entlassung ein gereicht. *Der ,Figaro' hatte über eine Unterredung geflunkert, die einer seiner Redakteure mit einem kommandierenden General gehabt haben will und worin letzterer sich für Abrüstung ausge sprochen haben soll. Darüber kam es in der Deputiertenkammer zu einer Aussprache. In Beantwortung einer entsprechenden Anfrage des Generals Riu erklärte der Kriegsminister General Mercier, die ,Figaro'-Meldung sei falsch und fügte hinzu, es sei einem Soldaten nicht erlaubt, dergleichen Dinge zu besprechen. Es sei Pflicht der Soldaten, überall hinzugehen, wohin Frank reich sie schicke, sich töten zu lassen, wenn es ihnen befohlen werde, über andere Dinge hätten sie nicht zu sprechen. Hiermit war der Zwischenfall erledigt. * Der ,Figaro' hält seinen Bericht bezüg lich der Aussagen eines Armeekommandanten (man nimmt an, daß es Gallifet gewesen sei) aufrecht und fügt hinzu, er habe noch viel auffallendere Bemerkungen über die auswärtige Politik unterdrückt. *Emil Henry, der „Rächer Vaillants", hat nunmehr dessen Schicksal geteilt: er ist am Montag früh 4 Uhr hingerichtet worden. Ein Zwischenfall ist nicht, vorgekommen. Nach der Hinrichtung wurden drei Personen, von denen die eine ein Hoch auf die Anarchie, die anderen Hochrufe auf Henry und die Commune ausgebracht hatten, verhaftet. - * InMarseille überfiel am Sonntag der ! Anarchist Nat auf der Straße den Oel- fabrikanten Blanc und verwundete ihn mit einer Ahle erheblich an der Schläfe. Bei seiner Ver haftung erklärte Nat, er habe sich an dem ersten besten Bourgeois rächen wollen, weil ihm die Mairie eine Unterstützung abgeschlagen habe. Spanien. *Die wegen Teilnahme am Attentat gegen den Marschall Martinez Campos in Barcelona zum Tode verurteilten vier Anarchisten sind am Montag morgen 4 Uhr in den Gräben der Citadelle Montjuich erschossen worden. Rußland. *Die in den letzten Tagen in Petersburg verhafteten Mitglieder der „Liga zur Erlangung einer Verfassung" werden vor einem Kriegs- < gericht abgeurtcilt werden, zugleich mit den Anarchisten, die in der Nähe des kaiser lichen Palastes Bomben niederlegten. Einige von den Verhafteten wurden bereits mit ihren Familien auf dem Verwaltungswege, das heißt ohne ordentlichen Richterspruch, nach Sibirien verschickt. Es stehen weitere Verhaftungen hervor- ragendender politischer Persönlichkeiten bevor. In Moskau fand man ani Sonntag vor dem Polizei- büreau eine mit Dynamit geladene Bombe. *Ein russisches Blatt meldet gerüchtweise, dem Reichsrat in Petersburg werde demnächst ein Gesetzentwurf zugehen, nach dem finnländischeAngelegenheiten, die eine allgemeine staatliche Bedeutung haben, künftighin durch ein vom Kaiser bestätigtes Reichs rats-Gutachten entschieden werden sollen. Der Senat und der Landtag von Finnland sollen vorher ihre Ansichten über die in Frage kommenden Angelegenheiten äußern. Ob dieses „Gutachten" aber auch Berücksichtigung finden werde, wird natürlich nicht gesagt und dürfte auch kaum der Fall sein. Balkanstaaten. * In Serbien hat am Montag seit einem Jahre der dritte Staatsstreich stattgefunden. König Alexander hat die vom König Milan ge gebene radikale Verfassung aufgehoben und die frühere wieder in Kraft gesetzt. Das Ministerium bleibt im Amte, doch ist ein neuer oberster Ge richtshof gebildet worden. — Im ganzen Lande herrscht nach offiziöser Meldung Ruhe und zahlreiche Huldigungsdepeschen an den König treffen in Belgrad ein. Die Führer der Radikalen erklären, abwarten zu wollen. — Artikel 10 der neu in Kraft getretenen 1869er Verfassung schließt die Familie Karageorgewitsch für alle Zeit von der Thronfolge Ms und schleudert auf sie für immer den Fluch der Nation. Amerika. *Die Lage in Pennsylvanien, wo bekanntlich Tausende von Bergarbeitern schon seit Wochen streiken, wird in einem Telegramm aus New Jork als sehr ernst bezeichnet. Falls der Bergarbeiterstreik noch eine Woche andauert, müssen die Fabriken infolge KohlenmangelsMe Arbeit einstellen; hierdurch würden .zwei Millionen Arbeiter brotlos werden. Preußischer Aandtag. Am Montag wurde im Abgeordnetenhause die Vorlage über die Landwirtschaftskammern in dritter Lesung beraten. Nach längerer Debatte wurde zu nächst der Kompromißantrag zu H 1, wonach Land- wirtschaftskammern durch königl. Verordnung nach Anhörung der Provinziallandtage eingerichtet werden können, mit den Stimmen der gesamten Rechten und des größeren Teils der Nationalliberalen angenom men. Angenommen wurden auch die wesentlichen Teile des Kompromißantrags bezüglich der Bestim mungen über das Wahlrecht und das Wahlverfahren, wonach die Wahl zunächst durch die Kreistage unter Ausscheidung der rein städtischen Mitglieder erfolgt und später durch die Satzungen der Landwirtschasts- kammern ein bestimmtes Wahlverfahren eingeführt werden kann. Das Abgeordnetenhaus nahm am Dienstag das Landwirtschaftskammergesetz in namentlicher Gesamt abstimmung endgültig mit 213 gegen 126 Stimmen an. Ferner wurden noch einige Wahlprüfungen er ledigt und die Gesetzentwürfe betr. Ausführung des Reichsviehseuchengesctzes und betr. Aufhebung des ! Retentionsrechtes des Vermieters an sonst nicht ' pfändbaren Gegenständen in dritter Lesung ange nommen. Das Retentionsrecht des Urr- mieters. Der Entwurf des Bürgerlichen Gesetzbuches gibt dem Vermieter für seine Forderungen aus dem Mietsvertrage ein Pfandrecht an den ein gebrachten Sachen des Mieters, das sich aber nicht auf die der Pfändung nicht unterworfenen Sachen erstreckt. Dieser Rechtsgrundsatz hat im Wege der Partikülargesetzgebung zur Zeit bereits in Sachsen, Bayern, Anhalt, Oldenburg, Braun schweig, Baden, Hessen, Elsaß-Lothringen und Lübeck Geltung erlangt, während in den ver schiedenen Rechtsgebieten von Preußen der Ver mieter im Exmisfionsfalle die Gesamthabe des Mieters und dessen Familie retinieren und diese von allem entblößt an die Luft setzen kann. Die Folgen dieser Härte des Gesetzes sind bekannt genug. Sie drücken schwer nicht nur auf die ärmeren Bevölkerungsklassen selbst, sondern auch auf die öffentliche Armenpflege. Die Ueber- zeugung, daß hier Abhilfe geschaffen und hart herzigen Hausbesitzern die Möglichkeit entzogen werden muß, arme Leute obdachlos und erwerbs unfähig zu machen, ist so allgemein, daß der am 28. April d. vom Justizminister eingebrachte Gesetzentwurf betreffend die Rechte des Ver mieters an den in die Mietsräume eingebrachten Sachen im Abgeordnetenhause eine sehr beifällige Aufnahme fand. Das Gesetz wurde allseitig als ein großer Fortschritt nicht bloß in humanitärer, sondern auch in wirtschaftlicher Beziehung be trachtet, weil arbeitsfähige Handwerker und Arbeiter durch die Wegnahme und Versteigerung der zur persönlichen Ausübung des Bemfs un entbehrlichen Gegenstände, Kleidungsstücke, Betten und Hausrat in den meisten Fällen erwerbs unfähig werden und der öffentlichen Armenpflege zur Last fallen, die, wenn sie wirklich den Leuten helfen will, gewöhnlich nichts eiligeres zu thun hat, als die für den persönlichen Gebrauch des Schuldners und seiner Familie erforderlichen Gegenstände und das notdürftigste Arbeitsgerät auf ihre Kosten entweder beim Gläubiger aus zulösen oder neu anzuschaffen. Man war ferner der Ansicht, daß die durch das Gesetz dem Mieter zu gewährende Wohlthat erheblich größer sei als der für den Vermieter eintretende Nach teil, indem erfahrungsmäßig der Erlös aus alten, gebrauchten Sachen ein ganz geringfügiger ist und ost kaum zur Deckung der Kosten aus reicht, während sie dem bisherigen Besitzer noch von hohem Werte seien. Nur in dem einen Punkte bestanden Zweifel, ob nicht vielen Per sonen durch die Beschränkung des Retentions rechts des Vermieters namentlich in den großen Städten die Möglichkeit entzogen oder doch sehr erschwert werde, geeignete Mietswohnungen zu erlangen. Auch in der Kommission kam dieses Bedenken zur Sprache, es wurde ihm aber, und wohl mit Recht, ein besonderes Gewicht nicht beigemessen. Allerdings werden ja die Haus besitzer mit dem Vermieten vorsichtiger sein, wie bisher, schließlich aber doch sich lieber mit einer geringeren Sicherheit begnügen, als ihre Wohnungen leer stehen zu lassen. Und sollte es wirklich infolge des Gesetzes den Arbeitern in den großen Städten schwerer als bisher werden, eine Wohnung zu finden, und sich da durch der Zuzug vermindern, der Abzug ver mehren, so wäre dies im Interesse der öffent lichen Armenpflege und aus politischen Gründen kein Nachteil, sondern ein wahrer Segen. Nach dem Entwurf soll das Gesetz mit dem Tage seiner Verkündung in Kraft treten, und auch für die zu dieser Zeit bestehenden Mietsverhältnisse gelten. Man war aber bereits im Plenum der Meinung, daß dadurch in wohlerworbene Rechte der Vermieter eingegriffen werde und denselben die Möglichkeit gewährt werden müsse, sich durch Auflösung der alten Mietsverhältnisse vor Nach teilen zu schützen. Dieser Gesichtspunkt behielt auch in der Kommission die Oberhand, wiewohl der Regierungskommissar auf die wörtliche Ueber einstimmung der Bestimmung des Entwurfs mit Artikel 3 des denselben Gegenstand betreffenden bayrischen Gesetzes vom 18. Dezember 1887 verwies, der, obwohl Bayern mehrere Groß städte mit starker Arbeitcrbevölkerung besitzt, zu Uebelständen nicht geführt habe und daneben geltend machte, daß das Recht, dem Mieter das letzte Kleidungsstück, das einzige Bett zu ent ziehen, dem modernen Rechtsbewnßtsein wider spricht und deshalb den Schutz der Gesetzgebung nicht verdiene. Nach dem Kommissionsbeschluß soll daher das Gesetz für die am Tage seiner Verkündung bestehenden Mietsverhältnisse erst am 1. Oktober 1894 in Kraft treten, im übrigen aber den Vermietern nicht erlaubt sein, sich von den Mietern weitergehende Pfandrechte einräumen zu lassen, als der Entwurf gestattet. Don Uah und Fern. Daß der Dowesche Panzer für diL Praxis nur geringen Wert habe, nehmen jetzt mit seltener Uebereinsiimmung viele deutsche Blätter an. Sein Erfinder scheint jedoch anderer Meinung zu sein, denn er hat, wie von London berichtet wird, für die Preisgebung seines Ge heimnisses nicht weniger als 3 Mill. Mark ver langt. Die praktischen Engländer werden sich jedoch hüten, für diese honende Summe die Katze im Sacke zu kaufen. Die Eröffnung des Nordostseekanals ist für den 1. Mai 1895 in bestimnite Aussicht genommen, und bei der Feier wird der Kaiser zugegen sein. Cholera. In Waldek (Kr. Löbau, Ostpr.) erkrankte und starb der Altsitzer Dombowski an astatischer Cholera. Weitere Erkrankungen sind bisher nicht eingetreten und man nimmt an, daß hier ein vereinzelter Einschleppungsfall vorliegt. Die als Spione verhafteten beiden Fran zosen in Mainz sind am Montag aus der Haft entlassen worden. Durchgebrannt. Der Markthelfer Rudloff in Leipzig, der von seinem Prinzipal beauf tragt war, bei einer Bank einen Wechsel über 2000 Mark zu diskontieren, ist mit dem Geld beträge durchgebrannt. Verhaftung. Der aus Leipzig flüchtige frühere Polizei-Leutnant Stimmel, der sich vor dem Landgerichte wegen Betrugs und Unter schlagung verantworten sollte, im Termin aber nicht erschienen war, ist auf erlassenen Steckbrief in München verhaftet worden. Der Staatsanwalt. 8' iForrietzuna.! Kramer aber, der das sonderbare Wesen des biederen Wen sich nicht zu deuten weiß, lächelt ihm freundlich zu und schüttelt etwas erstaunt den Kopf. „Sagen Sie, Herr Kramer," beginnt der Staatsanwalt, der dem Protokollführer einige Worte zugeflüstert hat, von neuem, „haben Sie den ermordeten Samelson gekannt?" „Ich habe ihn nur ein- oder zweimal im Leben gesehen." „Haben Sie jemals mit ihm zu thun ge habt ?" „Nein." „Sic haben nie etwas bei ihm in Versatz gegeben oder Geld von ihm geliehen, oder einen Versuch dazu gemacht?" „Nein, niemals." „Sind Sie einmal in der Wohnung des Wen gewesen?" „Ich bin jetzt zum ersten Mal hier." „Ich fordere Sie auf," sagte der Staats anwalt mit erhöhtem Tone, „mir die volle Wahr heit zu sagen. Falls Sie irgend etwas mit dem Alten zu thun hatten, muß das aus den Bückern desselben ja doch hervorgehen. Und es würde dann ein schlechtes Licht auf Ihre Wahr heitsliebe werfen, wenn Sie mich belogen hätten." „Herr Staatsanwalt," erwiderte Kramer ge kränkt, „ich weiß nicht, weshalb Sie mich das alles fragen. Es mag nötig sein, und ich will auch alles nach bestem Wissen beantworten» aber ich habe Ihnen und niemand Grund gegeben, an meiner Aufrichtigkeit zu zweifeln. „Nun gut," antwortete der Staatsanwalt, indem er wieder dem Protokollführer etwas zu flüstert. Dann wendet er sich an den Kriminal kommissar, der vor der mit einem Tuch ver deckten Leiche steht und sie so halb verbirgt und der das Eisen auf dem Rücken gehalten hat, damit es Kramer nicht vorzeitig in die Augen fällt. „Wollen Sie Herrn Kramer einmal das Eisen zeigen," sagte der Staatsanwalt. Der Kommissar holt das Eisen hervor und hält es in einiger Entfernung Kramer vor Äugen. „Kennen Sie dieses Eisen ?" fragt der Staats anwalt. Kramer betrachtete eS einen Augenblick auf merksam. „Jawohl," erwidert er dann, „es ist der Riegel von oben. Er war verbogen und lose geworden und er sollte vom Schlosser wieder zu rechtgehämmert werden." „Wer sollte das besorgen?" Ich habe es selbst übernommen und habe deshalb den Riegel gestern mit herunter ge nommen." „Nun, und dann?" „Ja so, ich hatte es ganz vergessen," fährt Kramer fort. „Ich hatte nämlich den Riegel vorläufig im Hofe an die Treppe gestellt und wollte ihn mitnehmen, wenn ich nach Hause ging. Aber ich war schließlich so aufgeregt, daß ich nicht mehr daran gedacht habe." „Also Sie sagen," wiederholte der Staats anwalt, „daß Sie gestern abend den Riegel mit sich genommen haben und daß Sie ihn dann an die Treppe im Hofe stellten. Sie wollten ihn zu einem Schlosser bringen, haben das aber vergessen und wissen nicht, was aus ihm ge- worden ist?" „Ich erinnere mich erst jetzt wieder daran," sagte Kramer. „Ueberlegen Sie wohl, was Sie sagen," er widert der Staatsanwalt langsam, indem er jedes seiner Worte bedächtig erwägt, „denn mit diesem Eisen ist Samelson ermordet worden." „Wie ?...." fährt Kramer auf und schreckt zusammen. „Mit.... dem Riegel... er mordet ?" Dann schaut er sich wild um. „Also?" sagt er, indem er auf den Gesichtern des Staats anwaltes und der Umstehenden zu lesen sucht. „Also?" stammelt er halb verzweifelt, indem er überall eine Bestätigung seines furchtbaren Ver dachtes sieht. „Ich also?" Er tritt auf den Staatsanwalt zu und erhebt seine Hände. „Herr Staatsanwalt", ruft er, „ich bitte Sie, ich be schwöre Sie, glaubeu Sie es nicht, glauben Sie es nicht! O Gott, wie schrecklich! Ich schwöre es Ihnen, daß ich nie an den Alten gedacht habe! Ich brauche sein Geld nicht, ich brauche niemand, um glücklich zu sein. Seit gestern abend habe ich dieses Eisen nicht angerührt. Es hat draußen gestanden, im Hofe, da kann es der Mörder genommen haben. Aber ich selbst weiß davon nichts." Seine Augen rollen, sein Körper bebt vor Aufregung. „Aber man glaubt mir nicht", fährt er halb verzweifelt fort, „man glaubt doch, daß ich der Mörder bin. Oh, ich sehe es euch allen an, ihr haltet mich doch für den Mörder. Aber so wahr Gott lebt, ich bin unschuldig daran. Nie, nie, ist mir auch nur der Gedanke gekommen, mir unrechtmäßiges Gut anzueignen. Ich wußte nicht einmal, ob der Tote reich oder arm ist, ich hätte ihn nicht einmal anfassen können, viel weniger ihn totschlagen." „Nun, beruhigen Sie sich, Kramer", sagt der Staatsanwalt erst. „Es hat Sie niemand be schuldigt. Ich wenigstens habe es nicht gethan. Was Sie mir da so leidenschaftlich versichern, kann wahr sein, und ich hoffe es für Sie, daß es wahr ist. Aber das wird sich alles finden. Vorläufig müssen Sie selbst zugestehen, daß der Schein gegen Sie spricht." „O, dieser Verdacht ist so entsetzlich!" mft Kramer aus, der noch immer gewaltsam mit sich selbst ringt und nicht zur Ruhe kommen kann. Der Staatsanwalt schaut ihn mit durch bohrenden Blicken an. Spricht er die Wahrheit oder heuchelt er? Er müßte ein Meister sein in der Verstellung, um diese Verzweiflung zu heucheln. Und es spricht kaum etwas dafür, daß er lügt, desto mehr dafür, daß er aufrichtig ist- Aber noch gilt es einen Versuch. Wer weiß, vielleicht ... „Nehmen Sie das Tuch fort!" sagt der Staatsanwalt zum Kriminalbeamten. Der hebt es ab. Der Tote liegt auf dem Gesicht, wie ihn der Mörder niedergedrückt hat. Der blusige und zerschmetterte Hinterkopf mit dem geronnenen Blut im grauen Haar bietet einen schrecklichen Anblick.
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