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Allgemeiner Anzeiger : 23.05.1894
- Erscheinungsdatum
- 1894-05-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189405239
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18940523
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18940523
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1894
-
Monat
1894-05
- Tag 1894-05-23
-
Monat
1894-05
-
Jahr
1894
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 23.05.1894
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Politische Rundschau. Deutschland. *Die Kaiserin Friedrich wird einen großen Teil des Sommers auf Schloß Cronbcrg zubringen und fast alle ihre Kinder sowie eine Reihe anderer fürstlicher Persönlichkeiten dort em pfangen, wie verlautet, auch die Kronprinzessin Sophie von Griechenland in Begleitung ihres Gatten. *Dem Vernehmen nach ist dem Bundesrate der Entwurf zu einer Verordnung zugegangcn, welche die Aufhebung der Verordnung vom 4. Juli v. betr. das Verbot der Ausfuhr von Streu- und Futtermitteln aus spricht. Der Entwurf ist vorgelegt, weil jenes Verbot der Ausfuhr von Heu, Futterkräutern, Stroh und Häcksel den zu jener Zeit von aus ländischer Seite beabsichtigten Ankauf von Streu- und Futtermitteln im Reichsgebiet verhindert und damit seinen Zweck erfüllt hat. Bei der jetzigen Lage der Verhältnisse ist nicht mehr zu befürchten, daß die inländische Versorgung durch Ankäufe vom Auslande beeinträchtigt werden könnte, zumal nachdem auch der österreichisch-ungarische Markt bereits seit mehreren Monaten durch Aufhebung des dort erlassenen Ausfuhrverbotes wieder eröffnet worden ist. , * Der ,Reichs-Anz.' schreibt: „Die nach Maß gabe des Gesetzes vom 18. Juli 1892 fest zustellenden Entschädigungen für die Aufhebung des den vormals unmittelbaren deut schen Reichs ständen zustehenden Rechts auf Freiheit von ordentlichen Personal steuern sind nunmehr zum Gesamtbeträge von 1 645 646 Mk. ermittelt, während dieser Betrag in den Motiven des betreffenden Gesetzentwurfs auf 2 400 000 Mk. bis 2 700 000 Mk. ver anschlagt war. Hiermit ist nunmehr die volle Rechtsgleichheit in der Tragung der Staatslasten hergestellt und eine in früherer Zeit zu vielen politischen Differenzen führende Streitfrage unter Schonung der bestehenden Rechtsverhältnisse in befriedigender Weise erledigt worden." *Aus Mainz wird der ,Voss. Ztg/ ge meldet, daß dort zwei fein gekleidete Fran zosen, die die Festungswerke aufnahmen, verhaftet worden seien. Beide verweigern jeglichen Aufschluß über ihre Persönlichkeiten. * Die deutsche überseeische Aus wanderung über deutsche Häfen und Ant werpen stellte sich nach den Ermittelungen des kaiserlichen statistischen Amts im April 1894 und im gleichen Zeitraum des Vorjahres folgender maßen: Es wurden befördert im April über . 1894 1893 Bremen 2713 5577 Hamburg 2164 5055 deutsche Häfen zusammen 4877 10632 Antwerpen 436 1621 Aus deutschen Häfen wurden im April d. I. neben den vorgenannten 4877 deutschen Aus wanderern noch 5570 Angehörige fremder Staaten befördert. Davon gingen über Bremen 3123, Hamburg 2347. * Der DeutscheApotheker-Verein hatte, uni die verschiedentlich aufgestellten Be hauptungen, daß die Mehrzahl der nicht be sitzenden Apotheker für die bekanntlich geplante Einführung der Personal-Konzession sei, auf ihre Begründetheit zu prüfen, eine Unter suchung veranstaltet und die approbierten und nicht approbierten Gehilfen des Apothekerstandes durch Fragebogen um die Abgabe ihres Urteils in dieser Angelegenheit ersucht. Nach dem vor läufigen Abschluß der Erhebung hat sich ergeben, daß von den Gehilfen nicht weniger als nahezu 68 Prozent für die freie Vererblichkeit und Veräußerlichtest der Apothekerbetriebs - Berechti gung, also gegen die Personal-Konzession sind. Angesichis eines solchen Ergebnisses wird jetzt- , niemand mehr berechtigt sein, davon zu sprechen, ' daß die Mehrheit der Apothekergehilfen in der - Beurteilung der Personal-Konzession anderer Meinung sei als die Mehrheit der Apotheken- - Bescher. i *Jn der Untersuchungssache gegen den i Kwnzler Leist und den Assessor Wehlau § crhäli das ,B. T.' von angeblich gut unter- < richteier Seite folgende Mitteilungen. Kanzler i Leist ist noch nicht in Deutschland wieder einge- ! troffen. Er befand sich, als der Befehl seiner Amtssuspendierung in Kamerun eintraf, mit Vize konsul Sprcngler in der Nähe von Victoria und konnte den Woermannschen Dampfer nicht mehr erreichen. Voraussichtlich wird er die Rückreise mit einem englischen Schiffe antreten und dem nächst hier eintreffen. Da die Wiederanstellung des Assessors Wehlau im Kolonialdienst von dem Resultate der gegen den Kanzler Leist einge leiteten Disziplinaruntersuchung mit abhängig gemacht ist, so bleibt Herr Wehlau bis auf weiteres beurlaubt. Oesterreich-Ungarn. *Am Donnerstag hat sich das ungarische Unterhaus abermals mit der Zivilehe- Vorlage beschäftigt. Der Ministerpräsident Wekerle unterbreitete dem Hause folgenden Be schlußantrag: „Das Abgeordnetenhaus hält an dem hinsichtlich des Eherechts bereits ange nommenen Gesetzentwürfe fest und sendet den selben an das Oberhaus zurück mit der Auf- sorderung, ihn neuerdings in Erwägung zu ziehen und annehmen zu wollen." Die Debatte wurde auf Freitag vertagt. Frankreich. *Die französischen Blätter beschäftigen sich bereits eifrig mit der im November d. statt findenden Wahl eines Präsidenten der Republik, doch beruht das meiste, was sie Vorbringen, augenscheinlich auf mehr oder weniger begründeten Vermutungen. Während der Mastiff von einer angeblich dem Elysäe nahestehenden Seite erfahren haben will, daß Herr Carnot, um ein Beispiel echt amerikanischer Tugend zu geben, die Kandidatur für die Präsidentschaft ab lehnen werde, erzählt ein anderes Blatt, gerade neuerdings trage Herr Carnot sich mit dem Wunsche, sein Amt zu verlängern, und wenn er seine Absicht darüber noch nicht kundgcgeben habe, so sei das nur geschehen, um etwaige un liebsame Auseinandersetzungen zu vermeiden. * In Roubaix fand am Mittwoch abend ein blutiger Zusammenstoß zwischen der Polizei und Anarchisten statt. Letztere durchzogen die Straßen der Stadt unter den Rufen: „Nieder mit Frankreich!" „Es lebe die Internationale!" Mehrere Manifestanten wurden verwundet; sechs Verhaftungen wurden vorge nommen. England. *Die anglikanischen Erzbischöfe und Bischöfe protestieren in einem von ihnen erlassenen Mani fest gegen die Regierungsvorlage betr. die EntstaatlichungderKircheinWales und die Verweltlichung der Kirchengüter. Belgien. * Der von der Lütticher Polizei festgenommene deutsche Anarchist Richard Müller, der den Dynamitanschlag gegen den Arzt Renson ver übt haben soll, ist ein Braunschweiger, 25 Jahre alt; ursprünglich Schuhmacher, hatte er sich dem Militärdienst in Deutschland entzogen und nach Belgien begeben, wo er zuletzt auf der Zeche Bois d'Avroy arbeitete. Zweimal war er im Laufe der Jahre wegen Entwendung von Revol vern bei Lütticher Waffcnfabrikanten durch das Lütticher Zuchtpolizeigericht zu zwei Monat Ge fängnis verurteilt und sodann aus Belgien aus gewiesen worden. Unter dem Namen Richard kehrte er nach Lüttich zurück. Portugal. *Der diplomatische Bruch zwischen Bra silien und Portugal ist vollzogen; der brasilianische Geschäftsträger in Lissabon, der seine Pässe verlangt hat, ist am Mittwoch nach Paris abgereist. Damit sind die Beziehungen zwischen den beiden einzigen Staaten portu giesischer Zunge gelöst, aber in den diplomatischen Kreisen Europas wird dieser „Kriegsfall" durch aus nicht tragisch aufgefaßt. Die Flotte Peixotos mit ihren merkwürdigen neuen Ge schützen wird sich nicht in die Mündung des Tajo legen und der in Südamerika befindliche portugiesische Kreuzer „Mindello" wird nicht ver suchen, Rio de Janeiro zu bombardieren. Trotz dem ist die Angelegenheit für Portugal ernst genug, da sein Handel zum großen Teil aufZden alten Verbindungen mit Brasilien beruht. Wie aus London gemeldet wird, rief Portugal die Vermittelung Großbritanniens an. Balkanstaaten. * Das oberste Gericht Serbiens hat den Ukas betr. die Rehabilitierung Milans und Nataliens als für die Gerichte nicht rechts verbindlich erklärt. * Die Stadt Belgrad durchschwirrten Ge rüchte, es sei eine Verschwörung der Radikalen entdeckt worden; infolgedessen hätten zahlreiche Haussuchungen stattgefunden, so bei dem Exminister Tauschanowitsch, bei dem Kassationsrichler Novakowitsch, in der Redaktion des,Odjeff, bei Stauojcwitsch, dem Besitzer einer radikalen Druckerei; letzterer sei sofort verhaftet und bereits verhört worden. Auch der Depu tierte Ratarac wurde verhaftet, aber wieder entlassen. preußischer Landtag. Am Donnerstag begann das Abgeordnetenhaus die zweite Lesung der Vorlage betr. den Bau eines Schiffahrtskanals vom Dortmund - Ems - Kanal bis zum Rhein. Es wurden die schon wiederholt er örterten Bedenken wieder von der einen Seite hervor gehoben und von der anderen zu widerlegen gesucht, ohne daß irgend welche neue Momente zu Tage ge treten wären. Minister Thielen nahm sich sehr warm der Vorlage an, ohne jedoch mit seinen Ausführun gen einen großen Teil der Freikonservativen, der Deutschkonservativcn, des Zentrums, der freisinnigen Volkspartei und einige Nationalliberale von ihrem ablehnenden Standpunkt abzubringen. In der Freitag-Sitzung wurde vom Abgeordneten hause die Vorlage betr. den Rhein-Dortmund-Kanal nach längerer Beratung mit 186 gegen 116 Stimmen abgelehnt, so daß eine dritte Beratung nicht mehr staltsindet und nur noch Resolutionen zur Verhand lung ausstehen. Von nationalliberaler Seite wurde noch einmal bedauert, daß die wichtige Verkehrsstraße wegen des Gegensatzes der Interessen von Ost und West nicht zu stände kommen könne. Finanzminister Miguel versuchte zweimal durch längere Reden die Vorlage zu retten. Auch die Regierungskommissarien thaten ihr möglichstes, aber vergebens. Dafür sprachen die Abgg. Schulz-Bochum, Wallbrecht- Hamwver, Nötzel-Essen, Jmwalle-Hamm, dagegen v. Schalscha, Winckler (kons.), Fritzen (Zentr.) und Eugen Richter. Letzterer bekämpfte nicht den Kanal an sich, sondern die ungenügende Heranziehung der Jnteressenkreise zu der Garantieleistung für den Kanalbau. Uon Uah und Fern. Graf von Fngenheim hat seine an den Kaiser verkaufte Villa in Potsdam verlassen und dabei einen bemerkenswerten Wohlthätigkeitsakt ausgeführt. Der Graf schickte nämlich sämtliche Trödler und Möbelhändlcr, die sich bei seinem Umzug nach Wiesbaden geschäftsfreudig einge- funden hatten, fort und ließ aus der Umgebung seiner Villa eine größere Anzahl armer Leute kommen, denen er sein Mobiliar fchenkte. Tische, Stühle, Spinden, Betten u. s. w. waren schnell aus der Villa verschwunden. Hur Hinrichtung der beiden Brüder Koziolek in Gleiwitz bringt der .Oberschl. Wandff noch einige Mitteilungen, für die ihm jedoch die Verantwortung voll und ganz über lassen bleibe. Der Mutter der Hingerichteten war gestattet worden, daß sie die Leichen ihrer beiden Söhne mit nach Dombrowka nehme. Auf der Peiskretschamer Chaussee hat sie den Sarg des einen geöffnet und die Leiche einem Droschken kutscher gezeigt. In Groß-Dombrowka hat sie die Leichen aufgebahrt und allen Leuten aus dem Orte gezeigt. Die Leiche des Jüngeren hat einen geradezu entsetzlichen Anblick geboten; die Hände sind noch immer geballt und zu sammengekrampft gewesen und das Gesicht war ganz blau und verzerrt. Der Anblick war so schaurig, daß selbst die unnatürliche Mutter das Zartgefühl hatte, den Kopf völlig mit Tüchern zu verbinden. Den Kopf des anderen, des älteren Bruders, hat sie aber mehrfach heraus genommen, geküßt und herumgezeigt. Die Leichen hat sie nachher völlig mit Heiligenbildern und Kränzen überdeckt, die aber durch den Gendarmen entfernt worden sind. Die Beerdigung haben die Mutter, der dritte Sohn und einige Weiber vorgenommen. Sie haben den Leichen Weih wasser und, wie erzählt wird, einen Brief an Petrus mitgegeben, in dem die Unschuld der Ge richteten beteuert wird. Entführtes Kind. Auf der Kirmes in Steele vor acht Tagen ließ ein anständig ge kleideter, etwa 40jähriger Mann ein schulpflichtiges Mädchen namens Knigge aus dem Karussell fahren und ihm auch ein Schinkenbrot geben. Unter dem Vorwande, ihm noch mehr zu schenken, veranlaßte der Mann das Kind, mit ihm zu gehen. Beide schlugen den Weg nach Kray ein, wo ihnen der Lehrer des Mädchens begegnete, der eben den Mann, da das Kind harmlos plauderte, für einen Anverwandten hielt. Seit jener Zeit ist das Kind spmlos verschwunden. Die Nachforfchungen haben noch nicht zu einem Ergebnis geführt. Ueberfallen wurde in Thorn am Pfingst sonntag der beim Pulvermagazin vom Fort 111 stehende Posten. Der Ueberfall geschah am Hellen Tage, kurz vor der Ablösung, von drei oder vier Männern, die aus dem Barbarkener Walde kamen. Der Soldat wurde durch Messer stiche schrecklich zugerichtet, der Körper des Un glücklichen sodann von den bestialischen Uebel- thätern auf die unmenschlichste Weise verstümmelt. Die Thäter entflohen unter Mitnahme des Ge wehrs des unglücklichen Postens, der kurz darauf von der Ablösung in seinem Blute liegend be wußtlos vorgefunden und nach dem Lazarett transportiert wurde, wo er am andern Tage seinen Verletzungen erlegen ist. Von den Uebel- thätern fehlt bis jetzt jede Spur, auch ist der Zweck des Verbrechens nicht recht ersichtlich; dasselbe konnte, wie man annimmt, wohl nur dadurch ausgeführt werden, daß die Männer sich dem Posten freundschaftlich genähert hatten und ihn dann hinterrücks niederstießen. Die Spionenaffäre des Realgym nasiasten Schnalz in Thorn ist noch keines wegs aufgeklärt. Jetzt hat das Reichsgericht die Einleitung der Untersuchung gegen den ver hafteten jungen Mann verfügt und den Land gerichtsdirektor Wünsche zum Untersuchungsrichter ernannt. Am Donnerstag nachmittag fand beim Landgericht die erste Vernehmung statt, zu der alle beteiligten Zeugen, meistens Mitschüler des Schuolz, geladen waren. Zwei Förster sind in der Umgegend von Marburg verhaftet worden, die unter dem schweren Verdachte stehen, fortgesetzt Wilddiebereien be trieben zu haben. Die beiden Förster waren in zwei Dörfern in der Gegend von Homberg (Station der Berlin-Koblenzer Bahn) in Amt und Würden und sollen die gewerbsmäßige Wilddieberei schon längere Zeit ausgeführt haben, wie die gegen sie gerichtete Anzeige behauptet. Das erbeutete Wild verkauften sie zu hohen Preisen nach außerhalb. Mit zusammengebundenen Fristen, die durch einen Stein beschwert waren, ist am Mitt woch der 64 jährige Postschaffner Sauer aus Mainz als Leiche im Rhein gefunden worden. Man nimmt allgemein an, daß der Beamte, der in geregelten Verhältnissen lebte, einem Ver brechen zum Opfer gefallen. Seltsame Bühnenerscheinungen machten in letzten Zeit bei dem Publikum der Münchener Theater Furore. Kürzlich betrat im Theater am Gärtnerplatz während einer rührsamen Sterbe- szenc eine mächtige Katze die Bretter, die die Welt bedeuten, setzte sich neben die mit dem Tode ringende Heldin, und der beste Komiker der Welt hätte keinen solch' stürmischen Lachcrfolg bei dem Publikum erzielen können, wie ihn die Katze mit ihrem „stummen Spiel" im Gärtner- Platz-Theater errang. Aber — der Erfolg ist der Vater neuer Thaten. Am letzten Sonntag wurde „Mignon" im Hoftheater gegeben. Da spaziert zwischen dem zweiten und dritten Akt eine gewaltige — Ratte über das Proszenium und verschwand wieder. Die Wirkung dieses Auftretens war bei dem Publikum natürlich eine senfationclle. An Bühnenroutine und Bühnen ehrgeiz ist aber die Hoftheater-Ratte der Gärtner platztheater-Katze entschieden voraus. Sie betrat in einsamer Größe die Bühne und wirkte durch sich selbst. Kein Schatten eines Rivalen ver dunkelte sie, und so errang sie den größten Er folg des Abends. Was hätte aber entstehen können, wenn es der Ratte eingefallen wäre, einen Sprung ins Parkett zu thun. Bei dem bekannten Abscheu, den besonders die Damen- Aer Staatsanwalt. 7) (Fortsetzung.) Indessen war Otto Kramer keineswegs glück lich ; zum wenigsten war sein Glück nicht ohne Bitterkeit. Er empfand es als unwürdig, daß Lina als Kellnerin in einer Kneipe leben mußte. Zwar ging es bei Vater Fritz durchaus ehrbar her, und da Lina mit zur Familie gerechnet wurde, so war im Grunde nichts Bedenkliches dabei, aber trotzdem konnte sich Kramer nicht damit befreunden. Es ließ sich nicht vermeiden, daß Lina auch gegen die anderen Gäste freund lich war und sich dann und wann mit ihnen unterhielt, und das ärgerte ihn und machte ihn eifersüchtig. In dem unschuldigsten Wort sah er dann wohl eine geheime Verabredung und wenn Lina in aller Harmlosigkeit einmal lachte, so meinte er herauszuhören, daß sie sich über ihn lustig machte. A quälte sie dann und ärgerte sie mit seinen Vorwürfen, bis sie zuletzt in ihrem verletzten Stolz ebenfalls unangenehm wurde und ihn durch ihr Schmollen nun vollends zur Ver zweiflung brachte. Otto Kramer wäre diesen mißlichen Verhält nissen gern entronnen, aber er sah vorläufig keinen Ausweg dazu. Denn Lina mußte schließlich ein Unterkommen haben, und da ihre Eltern tot waren, war es bei Vater Fritz und seiner braven Frau immer noch am besten. Am liebsten hätte er sie auf der Stelle geheiratet, aber er wollte ihr eine freundliche Existenz bieten, und dazu reichten vorläufig seine Mittel noch nicht aus. Er dachte erst noch etwas zu sparen, um sie in ein hübsches Häuschen Wren zu können, viel leicht auch so viel zusammenzubringen, daß er ein eigenes Geschäft oder wenigstens ein Kom missionsgeschäft anfangen konnte. Das mochte aber noch immer ein halbes Jahr dauern, und so lange mußte er sich, so ungem er es auch that, gedulden. Dieser Zwang der Verhältnisse aber machte Otto Kramer mißmutig und verstimmte ihn und so lebte er denn mit Lina fast beständig in einem kleinen Kriege. Allerdings wurde fast täglich der Friede neu geschlossen, aber ebenso oft wurde er auch wieder gebrochen und die Plänkeleien er neuert. Auch gestern abend hatte es wieder eine kleine Szene gegeben. Ein Gast hatte sich gegen Lina mit einer Höflichkeit und Liebenswürdigkeit benommen, die Otto Kramer als ungehörige Zu dringlichkeit erschienen war. Lina aber, wett entfernt, derselben Meinung zu sein, war dem Gaste mit großer Freundlichkeit entgegen gekom men. Das hatte nun den Anlaß gegeben zu einer kleinen Häkelei, man hatte sich spitze Worte gesagt und Lina hatte schließlich auf seine Vor würfe mit kalter Miene geantwortet, was er sich eigentlich einbilde. So lange sie nicht verheiratet seien, müsse er sie schon thun lassen, was sie für recht halte. Darauf war er ärgerlich hinaus gegangen und hatte die Thür krachend hinter sich zugeworfen. Nun war er heute morgen in demütiger Stimmung wieder gekommen und hatte um Ver zeihung gebeten. Und Lina hatte wohl erst ein wenig geschmollt, aber bald war ihre gute Laune wiedergekehrt und sie nahm seine Entschuldigung gnädig entgegen. Kramer erklärte ihr denn auch mit geheimnisvoller Miene, in dieser Nacht sei der Entschluß unerschütterlich in ihm gereift, nicht länger mehr mit der Hochzeit zu warten. Er wolle sie heiraten, auch wenn zuerst nicht alles so sein könnte, wie er es ihr gem bieten möchte. Die Hauptsache sei ja doch, daß sie sich liebten. Und dann wollten sie das Schwere lieber ge meinsam bestehen, als daß sie sich gegenseitig die schönen Tage verbitterten. Lina war darüber auf das höchste entzückt worden. Sie hatte längst darauf gehofft, daß er ihr endlich einmal von der Heirat reden sollte und sie konnte sein Zögem immer nicht begreifen. Nun endlich aber sollte es Wahrheit werden! O, sie war so glücklich; und sie war ihm so dankbar. Ach, sie hatte ihn noch nie so treu und aufrichtig geliebt, wie in diesem Augenblick. Am liebsten wäre sie ihm um den Hals gefallen und hätte ihn tüchtig abgeküßt. Aber da das nun der Gäste wegen nicht anging, so zeigte sie doch wenigstens auf alle mögliche Art, wie glücklich sie sei. So oft sie an ihm vorbei mußte, um einen Gast zu bedienen, lächelte sie ihm freund lich zu, und suchte womöglich seine Hand zu fassen oder ihn wenigstens mit ihrem Kleide zu streifen, und in jeder freien Minute hatte sie ihm etwas zuzuflüstern, irgend ein unbedeutendes Wort oder einen kleinen Scherz, über den dann beide unbändig lachen mußten. Dadurch wurde nun wieder Otto Kramer in die beste Laune versetzt; er stimmte in ihren lustigen Ton fröhlich mit ein; er glaubte noch nie so vergnügt gewesen zu sein, wie an diesem Morgen. Er vergaß fast darüber, daß er eigent lich zu thun habe und schon längst auf Lem Boden bei den andern Arbeitern sein müsse. Aber an einem solchen Morgen, sagte er sich, kann man schon einmal bummeln. In diesem seinem Glücke kümmerte es ihn auch nicht, daß der alte Trödler oben ermordet worden war. Was ging das im Grunde ihn an! Weshalb sollte er an diese häßlichen Dinge denken; er hatte doch wirklich Besseres zu denken. Und weshalb sollte er sich den Kopf zerbrechen, wer eigentlich der Mörder sei? Er hatte ja gottlob die Untersuchung nicht zu führen und er wußte auch nicht einmal, ob es besser sei, wenn der Mörder entdeckt würde, oder nicht. Denn der Alte war doch nicht viel mehr gewesen, als ein häßlicher Schmarotzer. Nein, er zerbrach sich darüber nicht den Kopf. Er dachte lieber an das schöne Leben, das in so blühender Gestalt in seiner Braut, in Lina, vor ihm stand, und er fteute sich des Tages, so lange er dauerte. Ja, er war lustig und vergnügt heute, so lustig, daß er die ganze Welt umarmen mochte, oder wenig stens, da das doch ein wenig beschwerlich sein mußte, die Lina als die Vertreterin der ganzen Welt. Und da auch das ihm nicht erlaubt war, so drückte er wenigstens feurig ihre Hand und schaute ihr glücklich in die lachenden Augen. Er war auf dem Gipfel seines Glücks, als der Polizist, den der Staatsanwalt abgcsendet hatte, im Gazimmer erschien und sich mit ernst- . Hafter Amtsmiene nach Otto Kramer erkundigte. Otto Kramer war erstaunt, als er hörte, daß er zum Staatsanwalt gerufen wurde. Was konnte man von ihm wollen? Sollte er Auskunft geben? Aber er hatte den Alten nicht gekannt, hatte nie eiwas mit ihm zu thun gehabt und
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