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Allgemeiner Anzeiger : 04.07.1894
- Erscheinungsdatum
- 1894-07-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189407042
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18940704
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18940704
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1894
-
Monat
1894-07
- Tag 1894-07-04
-
Monat
1894-07
-
Jahr
1894
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 04.07.1894
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Politische Rundschau. Deutschland. * Zwischen Deutschland und Frankreich herrscht augenblicklich, da die Beilcidskundgcbung des Kaisers Wilhelm in Frankreich sehr sym pathisch berührt hat, ein viel wärmerer Ton als jemals. Am Donnerstag ist der französische Botschafter Herbette in Kiel eingetroffen, um dem Kaiser den Dank der französischen Regie rung für die Beileidsbezeigungen aus Anlaß der Ermordung des Präsidenten Carnot auszudrücken. Der Botschafter wurde im Hotel Germania durch den Oberhof- und Hausmarschall Grafen zu Eulenburg begrüßt und darauf von dem Kaiser an Bord der Jacht „Hohenzollern" in Privat audienz empfangen. * Der Bundesrat hat den Gesetzentwurf über die Einführung der Berufung gegen die Urteile der Strafkammern und die Abänderung der Strafprozeßordnung angenommen. * Der badische Landtag ist am Don nerstag mit einer Thronrede des Großherzogs von Baden geschlossen worden. Die Thronrede nimmt besonders Bezug auf die Reichs finanzreform, spricht das Bedauern über das Scheitern derselben und die Hoffnung einer Verständigung mit dem Reichstag „zur Ermög lichung einer geordneten Fortführung der Finanz- Wirtschaft in den Bundesstaaten" aus. Frankreich. *Das Ministerium Dupuy hat also wirk lich seine Entlassung eingereicht und Casimir- Perier hat dieselbe genehmigt. Burde au, ein persönlicher Freund des neuen Präsidenten, übernahm die Kabinettsbildung. Dupuy dürfte auch auf das Präsidium der Kammer verzichten, sein Nachfolger ist vermutlich Etienne, der jetzige Vizepräsident. Man sieht der Botschaft Periers mit Spannung entgegen und erwartet energische Gcsetzesverschärsungen sowohl gegen Anarchisten wie gegen Fremde. Es ist bis jetzt noch unent schieden, welcher Gerichtshof den Mörder Carnots aburteilt. *Die Gruppe der sozialistischen Deputierten protestiert in einem Manifest gegen die Wahl Casimir-Periers, die durch Vereinigung von Klerikalen, Konservativen und Kapitalisten zu stände gekommen sei und die Republik gefährde. * Das ,Journal de Debats' schreibt: „Frank reich spendet der Wahl Casimir-Periers Beifall, weil es in ihm das sicht, was es am notwendigsten braucht: einen Regierungsmann." Die ,Estafette' erklärt, die Wahl Casimir-Periers bedeute die Konsolidierung der republikanischen Institutionen. Der ,Figaro' meint, es sei wahr-, scheinlich, daß Casimir-Perier offen mit den Republikanern regieren werde, selbst mit Ver letzung der Konservativen, die zu viel auf ihn rechneten. Der,Gaulois' sagt: „Casimir-Perier wurde vor allem seiner Geburt, seines Ver mögens, seiner Beziehungen und seines glän zenden Namens wegen gewählt. Dieses mon - archischeGefühl, das die Wahl inspirierte, kann den Monarchisten nicht mißfallen." Das Blatt verlangt schließlich eine Amnestie und die Aufhebung der Verbannungsgesetze. Die ,Autorits' führt aus: „Wir treten in eine Periode ent scheidender Ereignisse ein, während der die mon archische Sache sich rasch erheben wird. Der Dolch Cesarios wird nicht bloß einen Menschen, sondern auch ein Regime getötet haben." * Geboren zu Paris am 8. November 1847, ani 2. Dezember 1893 Ministerpräsident, hat Peri er gleich dem ermordeten Präsidenten Carnot einen bekannten Ahnen, den gleichnamigen Minister Ludwig Philipps, dessen Vornamen Casimir die Familie seidem ihrem Namen ein- verleibt hat. Bei den Abgeordnetenwahlen am 20. Februar 1876 trat er als republikanischer Bewerber auf und wurde ohne Widerstand ge wählt ; er ließ sich beim linken Zentrum und bei der republikanischen Linken einschreiben. 1877 und 1881 wiedergewählt, legte er am 1. Februar 1883 sein Mandat nieder, weil er mit der Ver bannung der Prätendenten-Familien aus Frank reich nicht einverstanden war. Zwei Monate später kehrte er neugewählt in die Kammer zurück, der er seither ununterbrochen angchörte. Er war Unterstaatssekretär in den Ministerien des Unterrichts und des Krieges, Mitglied der wichtigsten Kammerausschüsse, in fünf aufeinander folgenden Tagungen Vizepräsident der Kammer, die ihn nach dem unfreiwilligen Rücktritt Floquets während der schlimmsten Zeit der Panamakrise zu ihrem Vorsitzenden wählte. Perier gilt für that- krüftig, aber auch für ebenso gemäßigt konser vativ und ebenso ehrlich wie Carnot. Er ist ge achtet und ob seines etwas schroffen Wesens ge fürchtet zugleich. * Für die Bestattungsfeierlich- keiten Carnots wurden in Paris die groß artigsten Vorbereitungen getroffen. Casimir- Perier nimmt persönlich an dem Leichenzuge teil. *Aus Cette wird gemeldet, daß dort ein Individuum namens Garnier bereits am Sonntag abend zu einer Zeit, als das Attentat in Cette noch nicht bekannt sein konnte, Freunden die Nachricht von derErmordungCarnots mitteilte. Die Gerichtsbehörden forderten Garnier mehrfach auf, zu einer Vernehmung zu erscheinen, dieser leistete aber nicht Folge, sondern entleibte sich am Mittwoch abend durch Dolchstiche. Der Vorfall erregt ungeheures Aufsehen. *Die Jtalienerhetze in Frankreich scheint glücklicherweise nicht fortgesetzt zu werden. Vom Donnerstag wird aus Lyon gemeldet: Die Stadt ist vollkommen ruhig. Die Arbeit in den Fabriken ist wieder ausgenommen, die Truppen sind in die Kasernen wieder eingerückt. Nur die Rue Labarre, in der sich das italienische Kon sulat befindet, ist noch besetzt. Die Zahl der aufrecht erhaltenen Verhaftungen beläuft sich auf 1500. England. * Gegen das englisch-congostaat- licheAbkommen hat nun auch dieTürkei formellen Einspruch erhoben. Der türkische Botschafter in London überreichte dem Minister des Auswärtigen Limberley eine Note, worin die türkische Regierung gegen das Ab kommen zwischen England und dem Congostaat ihre Einwendungen macht. Die Note, der Lord Kimberley seine volle Aufmerksamkeit zuzuwenden versprach, ist in freundschaftlicher und verbindlicher Form abgefaßt. *Jn einer in Edinburg stattgehabten Ver sammlung der Liberalen Vereinigung von Midlo- thian wurde formell bekannt gegeben, daß Gladstone nichtmehr ins Parlament zurückkehre und Sir T. Gibson-Carmichael als liberaler Kandidat an Stelle Gladstones aufge stellt werde. *Der Bergarbeiterstreik in Schott land hat bereits große Ausdehnung ange nommen. Nach einer Depesche aus Glasgow arbeiteten am Donnerstag in Schottland nur 500 Bergleute, während 73 000 feiern. Alle An zeichen deuten darauf hin, daß der Ausstand an halten werde. Der Schiffsverkehr und der Be trieb der Stahlwerke leiden unter dem Kohlen mangel. Belgien. * Die belgische Verfassungsrevision hat am Mittwoch durch Annahme des Wahlgesetzes im Senat mit 39 gegen 18 Stimmen ihren Abschluß gefunden. Die Session wurde dann geschlossen. Italien. * Begreiflicherweise macht sich in Italien einige Erregung gegenFrankreich be merkbar, doch behält dort die Vernunft die Ober hand. In Turin, Genua und Lucca bildeten sich kleine Gruppen, die den Versuch machten, Kundgebungen zu veranstalten und die zum Zeichen der Trauer um Carnot ausgehängten Fahnen zu beseitigen, aber die verständige Be völkerung verhinderte jede Demonstration; es ereignete sich kein Zwischenfall. Balkanstaaten. * Wie nunmehr fcststeht, wird.König Alexander von Serbien nach seiner Rückkehr aus Kon stantinopel im August auch dem Wiener und Berliner Hofe einen Besuch abstatten. Asien. * Nach einer Meldung ausMarokko haben 600 zum Stamme der Hayeyhua gehörige Reiter die Stadt Fes angegriffen. Sie wurden aber zurückgeschlagen und ihr Anführer gefangen ge nommen. Afrika. * Der König vonKorea soll thatsächlich ein Gefangener der Japaner sein, die Söul besetzt haben. Es fragt sich nun, wie sich China hierzu verhalten wird. Korea ist seit Jahrhunderten ein chinesischer Vasallenstaat und hat stets seinen Tribut pünktlich bezahlt, womit man in Peking zufrieden war, ohne sich um die verlotterte Wirtschaft in Korea weiter zu kümmern. Uon Uah «nd Fern. Von der Heilsarmee. Die zum 50jährigen Bekehrungs-Jubiläum des Generals Booth nach England reisenden deutschen „Offiziere" der Heilsarmee, die sich in Berlin versammelt haben, hatten Mittwoch abend „zum Heil und Nutzen Deutschlands" in der Berliner Ressource eine Versammlung veranstaltet, um die Berichte über den Fortgang des „Krieges" aus den ver schiedenen Teilen entgegenzunehmen. Mit den dreißig nach England abgeordneten Offizieren waren etwa 150 Kadetten, Soldaten und „Aus gehobene" der Berliner Heflsarmee und etwa 50 Neugierige erschienen, so daß der Saal ziem lich gefüllt war. Die Versammlung brachte an sich wenig Neues zu Tage, man vermied es ge flissentlich, irgend welche bestimmte Zahlen zu nennen, berichtete vielmehr nur über Bekehrungs geschichten u. dergl. In Berlin, wo die Heils armee seit etwa sechs Jahren sich festgesetzt hat, bestehen zur Zeit drei Korps unter den Kapi tänen Röhl, Bach und Westroth mit etwa 40 Offizieren. Chef des hiesigen Hauptquartiers ist Major Rauch. In Ostpreußen hat die Heils armee einen besonders schweren Stand, da die Heilssoldaten dort als „falsche Propheten" geradezu gemieden werden. In Sachsen ist die Agitation der Heilsarmee erst seit kurzem aus genommen worden. Der Kassierer der Halverer Volksbank Aichmeister Becker ist verhaftet worden. Becker steht unter dem Verdacht, seinem Freunde und Direktor vom Heede bei der Plünderung der Bankkasse Hilfe geleistet zu haben. Die ,Tremonia' teilt mit, daß vom Heede seiner Zeit seinem Mitdirektor in der Halverer Volksbank mit der Pistole in der Hand die für Wechsel auf die Volksbank in Höhe von 400 000 Mk. für ihn hinterlegten Depots abgenommen hat. Es würden nunmehr in der Bank nicht allein die Sparkassen einlagen verloren gehen, sondern die Akttonäre 50 Prozent des Aktienkapitals, die noch nicht eingezahlt waren, nachzahlen müssen. Zweite silberne Hochzeit. In Minden feierte vor einigen Tagen der älteste Mitbürger, Joh. Vogeler, im Kreise zahlreicher Kinder, Enkel und Urenkel zum zweiten Male seine silberne Hochzeit. In erster Ehe war er 35 Jahre ver heiratet gewesen; nach 10jährigem Witwerstande schritt er im 64. Lebensjahre zur zweiten. Der jetzt 89jährige Greis erfreut sich noch voller körperlicher und geistiger Frische. Bon einem erheblichen Brandunglück wird aus Königsberg i. Pr. gemeldet: Auf dem Jahrmarkt entstand durch einen zerbrochenen Benzinballon ein Brand, der drei Marktbuden einäscherte. Eine Frau verbrannte vor den Augen der entsetzten Zuschauer. Außerdem geriet ein vierjähriges Mädchen in die Flammen und trug lebensgefährliche Verletzungen davon. Das Feuer ist durch den Mutwillen mehrerer Knaben verur sacht worden. Die Cholera. Am Donnerstag wurden amtlich einige Cholerafälle außerhalb des Weichsel gebietes gemeldet. Bei der zu Deutsch - Eylau erkrankten Fischhändlerin Rosenstein, die aus Mlawa zugereist war, ist Cholera bakteriologisch festgestellt. In Großgrünhof bei Mewe ist die Frau des Amtsvorstehers nach 36 stündiger Krankheit gestorben und die Tochter unter gleichen Erscheinungen schwer erkrankt. Ein beachtenswertes Verfahren auf dem Gebiete des Submisstonswesens, das als ein er freulicher Fortschritt begrüßt zu werden verdient, haben die Mitglieder des Hochbauausschusses der Sta.dt Meißen beobachtet. Ein größeres Etablissement, das der Stadt gehörige Wald- schlößchen-Restaurant, sollte einem Neubau Platz machen und hierfür die Lieferungen vergeben werden. Während nun bisher bei ähnlichen Gelegenheiten die sämtlichen Arbeiten einem größeren Lieferanten übertragen wurden, hat man diesmal die alte Praxis aufgegeben und die Schlosser-, Tischler-, Glaser-, Dachdecker- rc. Arbeiten direkt alle einzeln und je nach Umfang wieder verteilt vergeben, dergestalt, daß wohl 12—15 Gewerksmeister an dem Bau Arbeit finden. Dieses Vorgehen verdient Nachahmung. Grohes Aufsehen erregt in Altenburg der Selbstmord des Bankiers Liebeschütz, der sich in der Pleiße ertränkte. Ueber die Ursache dieses Selbstmordes sind bis jetzt allerlei Gerüchte ver breitet, deren Richtigkeit noch zu prüfen ist. „S'isch nix, s'isch garnix." Bekanntlich hat Kaiser Wilhelm II. dieses Frühjahr mit dem Erbgroßherzog von Baden auf Jagdhaus Kaüen- bronn in: oberen Murgthal der Auerhahnjagd obgelegen. Darüber bringt nun die ,Jagdztg. St. Hubertus' einen längeren Aufsatz, dem wir folgendes entnehmen: Tags über unterhielten sich die hohen Jäger durch Schießen nach festen und beweglichen Zielen; zu dem Zwecke war unter anderem eiue Scheibe aufgestellt worden, deren sehr kleiner Mittelpunkt getroffen werden mußte, um einen auf Eisenblech gemalten Auer hahn erscheinen zu lassen. Der Oberförster Klebe hatte nach der erwähnten Aucrhahnscheibe ge schossen und die Kugel des sonst sicheren Schützen war am Ziel vorbeigegangen. Der Anzeiger suchte vergebens an der Scheibe und rief dann in seiner badischen Mundart dem Oberförster zu: „S'isch nix, s'isch garnix." Da klopfte der Kaiser dem ob des Fehlschusses ganz verdutzt dreinschauenden Oberförster neckisch auf die Schulter und rief herzlich lachend und den badi schen Dialekt nachahmend: „S'isch nix, Ober- förschtcr, s'isch rein gar nix." — Interessante Momente bot das Schießen auf bunte Ballons, deren mehrere zugleich aufgelassen wurden. Der Kaiser pflegte zu warten, bis sämtliche Herren geschossen hatten. Wenn dann die nicht ge troffenen Ballons sich unheimlich weit entfernt hatten, dann krachten schnell einige Schüsse hintereinander und fast jede Kugel des Kaisers holte einen Ausreißer herunter. Als dabei ein mal der Hofjägermeister v. Schilling in besonders fröhlicher Stimmung seinen Hut mit einem Jodler in die Luft warf, da ergriff der Kaiser die neben ihm stehende 8 mm-Militärbüchse und durchschoß, fast ohne zu zielen, den fliegenden Hut oberhalb der Krempe. Ueber die Treff sicherheit des Kaisers äußerte sich einer der mit schießenden Herren, wie folgt: „Rasch das Gewehr vorstoßend, ansetzend, zielend — alles nur ein Moment — ein Blitz, ein Knall, ein Treffer! — so schießt der Kaiser!" Eigenartiges Mistgeschick. Vor einigen Tagen sollte Herr v. Kiderlen-Wächter, der neue preußische Gesandte bei den Hansestädten, in feierlichem Empfange dem Senate in Lübeck sein Beglaubigungsschreiben überreichen. Zur festge setzten Stunde war der Diplomat auch einge troffen und hatte im Hotel Stadt Hamburg Ab steigequartier genommen. Der Galawagen, der ihn zum regierenden Bürgermeister führen sollte, hielt bereits vor der Thür, und in voller Gala wollte eben der Gesandte ihn besteigen, als er entdeckte, daß das Beglaubigungsschreiben fehlt- Alle Effekten wurden umgekehrt — cs war nicht zu finden, sondern in Hamburg vergessen wor den! Nach einem dringlichen Depeschenwechsel gelang es endlich, nach Verlauf mehrerer Stunden, das Schreiben herbeizuschaffen. Natürlich ging der offizielle Akt dann ohne zeremoniellen Pomp vor sich. Bei einem Hauseinsturz in Reichenberg wurden dreißig Arbeiter verschüttet; acht wurden, als Leichen ausgegraben, neunzehn hatten Per- lctzungen erlitten. Man befürchtet, daß auch! die noch nicht aufgefundenen drei Personen, darunter der Sohn des Baumeisters, tot sind.! Man vermutet, daß der Einsturz durch Boden-i senkungen verursacht wurde. Mord in der Kirche. Aus Amsterdam wird über einen anarchistischen Mord berichtet,! der anscheinend von einem Wahnsinnigen be gangen worden ist. Ein gewisser van dec Zwa« ermordete den Pfarrer der Neuen Kirche während Das Areux am Waldessaum. 4 lForttetzunq.! Nachdem die beiden hierauf über gleichgültige Dinge zu sprechen versucht hatten, wobei das Gespräch recht oft ins Stocken geriet, begann er kleinlaut: „Auguste, ich habe eine Bitte auf dem Herzen, deren Erfüllung mir große Freude machen würde." Da traf ihn ein fragender Blick, als er eine Weile schwieg. Das weitere sollte froh und lustig klingen, kam jedoch kleinlaut hervor: „Bevor ich mein Anliegen aussprechen kann, muß unser altes, trauliches Du wieder hergestellt sein, sonst bringe ich es nicht über meine Lippen. Nicht wahr, Auguste, du bist nicht bös darüber, wenn ich dich wie früher nenne, trotzdem du nun erwachsen?" „Wie sollte ich, ist es mir doch lieb und wert, wenn es geschieht!" „Dann muß aber auch mir das Du von dir werden!" „Das dürfte sich wohl nicht mehr schicken, und ich bringe es gewiß beim besten Willen nicht mehr zuwege!" wehrte sie schüchtern ab. „Versuche es nur einmal, denke an die Kinderzeit, dann wird drr's schon gelingen!" „Heinrich, wie lieb und gut warst du damals doch mit mir!" sprach sie voll tiefer Innigkeit. „Siehst du, wie leicht es dir geworden?! — Nun aber lasse uns denken, wir wären noch mals Kinder. Blicke mir vertrauensvoll ins Ge sicht, damit ich aus dem deinen lesen kann, daß du mir nicht zürnst über meine Bitte!" Fragend suchten ihre Augen die seinen; er fuhr jedoch fort, indem er innig ihre beiden Hände erfaßte: „Als ich heut' auf dem Friedhöfe war und an das Grab deiner Mutter gelangte, erzählte mir der Totengräber, daß er in einigen Tagen dasselbe zerstören und seines dir so teuren In halts berauben müsse." Voll und klagend blickte sie ihn an, während er weiter sprach: „Bei meinem letzten Hiersein versprachst du mir droben an dem Teiche in dem Walde, wenn je ein Leid dich treffen sollte, das ich mildern oder von dir nehmen könne, mir das Recht dazu zu geben, es zu thun. Nur um hundert Gulden handelt es sich, um deiner Mutter die Ruhe im Grabe zu erkaufen! — Keine frohe Stunde würde wir mehr werden, wenn ich, da ich es kann, das Schwere nicht von dir nehmen würde!" Blaß wie eine Leiche starrte Auguste nach ihm hin. Um unserer alten Freundschaft willen mußt du das Geld nun von mir nehmen; es ist mein freies Eigentum und ich kann nach Belieben darüber verfügen. Da nimm es, du weißt ja nicht, wie glücklich du mich dadurch machst!" Mit diesen Worten hatte er ihr das Geld in die Hand gedrückt, was sie willenlos gleich einem Kinde geschehen ließ. Vergeblich wollte sie ihrem Danke Worte verleihen, aber nur in heißen Thränen, die ihr perlengleich über die Wangen rollten, konnte sie demselben Ausdruck geben. Heinrich aber fühlte sich so frei und glücklich, wie noch nie in seinem ganzen Leben. 3. Kurze Zeit darauf herrschte große Auflegung in Ellerwang, hieß es doch eines Tages, daß Rainhofer, der Raubmörder, begnadigt worden sei. Volle sechs Jahre hatte man ihm von der Strafe nachgelassen wegen seines musterhaften Bettagens während der Kerkerhaft; nach anderer Meinung sollte der Richter beim obersten Gerichts höfe, der schon nach seiner Verurteilung nicht an den vollen Schuldbeweis geglaubt, Rainhofer zur Begnadigung empfohlen haben. Mochte das eine oder das andere sein, die Thatsache der Freilassung bestand, denn die Nachricht davon war vom Gerichte aus schon an die Ortsgemeinde gelangt und Rainhofer konnte jeden Tag seinen Einzug in Ellerwang halten. Dies Ereignis verdrängte vorderhand alle andern. So interessant die Nachricht für die meisten war, so hatte sie doch auch einen recht bittern Beigeschmack für diejenigen, die mit Rainhofer aufgewachsen oder durch Freundschaft mit ihm verbunden gewesen, da es recht schwer ist, an jemand vorüberzugehen, als wenn er in undurchdringlichem Nebel wandeln würde, wenn man ihn einst gut gekannt. Man hoffte jedoch, daß er menschenscheu geworden und es deshalb gewiß unterlassen werde, sich aufzudrängen. Es war in den hohen Nachmittagsstunden, der Tannenforst lag bereits in tiefem Schatten, und es war daselbst recht still und märchenhaft. Die Vögel des Waldes schwiegen, und nur von feme erklang leise das Hämmern eines Spechtes. Auf dem enggewundenen Wege, der über Felsgestein hinweg zum Thale führte, kam ein Mann daher, der es nicht gerade eilig zu haben schien, denn oft hielt er seine Schritte an und blieb, in tiefes Sinnen verloren, lange stehen. Wenn es irgend eine Waldlichtung gestattete, einen Blick nach dem Himmel zu werfen, so that er es, um sich von dem Stande der Sonne zu überzeugen. Doch nicht deren frühen Nieder gang schien er zu fürchten, sondern denselben sich herbeizusehnen. Zugleich erfüllte ihn aber auch heiße Ungeduld, und diese trieb ihn stets wieder mächtig vorwärts. Lange kämpfte er mit sich, ohne zu einem festen Entschlusse zu gelangen. Er war von mittlerer Größe und trug einen grauen Anzug. Sein Gesicht, das eine ungesunde Blässe zeigte, war glatt rasiert und das kurz- geschorcne Haar bereits stark ergraut, trotzdem er noch keine fünfzig Jahre zählte. In seinen großen, dunklen Augen brannte ein seltsames Feuer, und vergeblich war er bemüht, durch die hohen Bäume, die ihn rings umgaben, einen freien Ausblick in das Thal zu erlangen. Er schien da oben Wohl bekannt zu sein uw) sich dennoch nicht mehr recht in seine Umgebung finden zu können. Als er wieder eine Weile gegangen, bog er plötzlich von dem Wege ab und nach einigen Schritten stand er auf einem hohen Felsen, der steil abfiel, und von dem aus ihm ein tiefer Abgrund entgegengähnte; zugleich erschloß sich ihm aber eine volle, freie Aussicht. Ein leises Beben erschütterte seinen ganzen Körper, als er auf das freundliche Ellerwang hinabblickte, das still nnd lieblich zu seinen Füßen lag. Lange stand er regungslos, auf seinen derben Knoten stock gestützt, daun schlug er die Hände vor's^
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