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IM Kinderreiche war, eingetreten, um seine Pflichten bei der kleinen Leiche der Müller-Anne zu erfüllen. Dieser Wärter war das Original des Hauses. Fernab von dem Krankenhause zu Westerhagen, da wo das ostpreußische Samland ins Littauische übergeht, batte die Wiege des Alten gestanden, daher der Name Sausmikät, daher die Gemüt lichkeit im Dialekt. Der Erfahrung gemäß stehen sehr betagte Leute dem Elend dieser Welt gelassen gegenüber; zwanzig Jahre Thätigkeit in einem Krankenhause aber machen den Menschen zum Stoiker. Mit einem etwas schlürfenden, wogenden Schritte ging der eisgraue Mann in seiner rosa Bluse die Reihe der Bettchen ent lang, hier und da einen Blick des Interesses, aber nicht gerade der Teilnahme hinwerfend. „Ist kein Karbunkelche nich dabei?" Mit Nichten war Sausmikat dem Karbunkel gegenüber der sonstige Stoiker; niemand hätte anzugeben vermocht, warum, aber eine Thatsachc war es, daß der Karbunkel und seine Behandlung für den alten SauS- mikat ungefähr das war, was der Baldrian für die Katzen, was das Stiergefecht für den Spanier, was die Auer hahnbalz für den Waid mann ist. Dabei stehtSausmikat trotz langjähriger Tren nung von der heimat lichen Scholle immer noch mit einem Fuß auf dem feudalen Boden des alten Herrenhauses, in dessen Schatten er das Licht der Welt erblickt. „Der Herr Baron auf Nummer vier sind diese Nacht verschieden," mel det er mit feierlichem Tonfall von dem Patien ten erster Klasse. „Der Herr Fabrikinspektvr ist auch gestorben," lautet es gemütlicheren Klanges über den Kranken in der zweiten Klasse: „und Nummer sieben hat dran glauben müssen," klingt es geschäftsmäßig über den Mann in der dritten Abteilung. In Fällen Wie der mit der Müller- Anne, deren Leben nur wenig Monde zählte, kennzeichnet ein einziges Wort .die Situation: „Mausetot," sagt Saus mikat und weiter nichts. In Beziehung aus Zuverlässigkeit und Ge schicklichkeit war er eine Perle unter der Zunft der Wärter: Höflichkeit und gute Worte fanden im allgemeinen wenig Raum in der Rede des Alten, und wenn trotzdem zwischen ihm und Ellen ein gewisses Freundschaftsbündnis bestand, so hatte die neunzinkige Krone unter dem dunklen Schwesternkleide vielleicht ihren kleinen Teil an der besonderen Hochachtung des Mannes und: „Sie ist nämlich von Natur ein Komtesselche," wurde etwaigen Besuchern gelegentlich zugeraunt. Nebenbei wurzelte die Freundschaft in einem Päckchen Pastoren tabak, das eines Tages unvermutet in die Tasche des Alten ge- geglitten war; das Pflänzchen zu begießen, hatte sich in einer Zeit, da der Alte über „große Wehdag" klagte, eine Flasche guten Weines in seiner Stube vorgefunden. Dafür hatte dann Sausmikat, der sich in Gegendiensten nicht lumpen ließ, bei Gelegenheit seiner Gänge nach der Stadt allerlei Dinge eingeschmuggelt, Bücher, Spielsachen, Näschereien, von denen Ellen meinte, daß sie dem Friedel doch vielleicht zu einem Lächeln verhelfen könnten. An Friedels Bettstatt stand der Wärter still. „Ja, ja, das Husten, das Husten! Da wird gehustet, bis es alle ist, mit dem Husten nämlich so zu sagen. Da reden die Leut, wenn son Kind hungern und frieren thut, cs ist elendiger, wie ein Hund; möcht mancher Wohl wünschen, er könnt so was wie ein Hund sein." „Und laufen und springen und bellen!" hauchte es mit einem Ton heißer Sehnsucht von Friedels Bettchen her. Ellen wandte sich, die dicken Thränen, die ihr über die Wangen liefen, zu verbergen, der Hantierung mit der kleinen Leiche zu. „Ja, ja, Schwasterche schönnstes" — philosophierte Sausmikat dabei weiter — „son Menschenleben, das ist wie Gras, schießt ans und blüht und welkt, und holen thut sich der Musse Tod ein jedes Hälmchen, und übersieht auch keines nicht. Da wundertS einen man blos, was sich die Leut immer noch den Kopp voll nehmen mit dem Zukunftsstaat und der Eingalität; da will hier schon im Leben jeder es genau so gut haben wie der andere, und manches, was doch als Geis in die Welt ist kommen, sieht sich sein Leben lang nach nein langen Schwänzchen um! Alleweile aber kommt der Tod seine Straß gezogen, zu dem einen als ein Reiter mit dem Galopp sprung, zu dem anderen im sachten Trabchen; aber kommen — kommen kommt er!" Damit schlürfte der Alte von dannen, unter dem Arm ein kleines weißes Bündel. 3. Um zwei Uhr ist die Schwester Ellen zur Operation bestellt. Das Krankenhaus ist mit Nichten, eine Stätte der geistigen Gelassen heit, von der man meinen könnte, daß der Ehrgeiz der Menschenseele strebe, darin zu verharren, und schlimm genug wäre solche Windstille für den Patienten. Im Gegen teil setzt der Ehrgeiz in werkthätiger Liebe volle Segel ein, und tiefer, als die abfällige Kritik der Schriftsteller, als das kühle Verhalten des Publikums den Mimen trifft, trifft der Tadel der Oberin, oder gar der des Arztes die empfind lichste Stelle bei der Schwester. Der bisherige Chef, der früher noch, als man vermutet, abgereist war, den überreizten Nerven ihr Recht zu geben, war von Hause aus eine milde Natur, und da er nun ein kranker Mann geworden, wehte es wie ein verhaltenes Raunen von „gelockerter Diszi plin", „ungerügter Ver säumnis" durchs Haus. Das sollte anders werden, raunte es weniger schüchtern, denn „über Nacht, wie das Unheil kommt," meinte die Pessimistin Johanne, war der arge Doktor angekommen. Also, um zwei Uhr war Operation angesagt. Schwester Ellens sonst so harmonisch abgetöntes Wesen steht vor der neuen ärztlichen Größe, die die Operation vollziehen soll, unterm Zeichen einer kleinen Angst. Sie ist damit beschäftigt, die Vorbereitung ins Werk zu setzen, und die als einziger Beitrag zur Familienschönheit einst sorgfältig gepflegte Hand holt geschäftig aus den Verbandschränken Chloroform und Maske, Tupfer, Schwämme, Seidensaden und Katgut hervor, letzteres beides in einem Glase voll Alkohol und Sublimat vor Luftzutritt geborgen. Auf einem zweiten Tische ordnet Ellen die Glasschalen ver schiedener Formen zur Ausnahme der Instrumente, Karbol und Sublimat, sowohl zum Desinfizieren der Hände, wie für die Reinigung der Schwämme. Die großen, geschlossenen Blechkasten enthalten Jodoformgaze, sterilisierte Binden und Mooskissen als ersten Verband für die Wunde. (Fortsetzung folgt.) Kaiser Wilhelm II. in Friedrichsruh.