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Allgemeiner Anzeiger : 18.04.1894
- Erscheinungsdatum
- 1894-04-18
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189404180
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18940418
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18940418
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1894
-
Monat
1894-04
- Tag 1894-04-18
-
Monat
1894-04
-
Jahr
1894
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 18.04.1894
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Politische UuudsüM. Deutschland. 'Wie aus Karlsruhe geneidet WTb, unterbleibt bei der am Sonntag ersolgenLeu Ankunft des Kaisers jeder offizielle Empfang, selbst die Beflaggung der öffentlichen Gebäude unterbleibt, da dec,Besuch eine., rein privaten Charakter trägt. * Gegenüber den von der ,Weser-Ztg.' zuerst verbreiteten Nachrichten über den angeblich un günstigen Gesundheitszustand des Botschafters Grasen Münster wird aus Paris gemeldet, daß der Botschafter sich bereits seit längerer Zeit in bestem Wohlsein wieder in Paris aufhält. * Zu dem Getreidemonopol -Antrag des Grafen Kanitz bemerkt die offiziöse ,N. A. Ztg.': „Die Hilfsleistung, die hier auf öffent liche Kosten gefordert wird, ist exorbitant; sie überschreitet erheblich das Maß des Nachhilfe bedürfnisses, das bei dem rührigen und seiner Aufgabe gewachsenen praktischen Landwirt vor liegt. Dementsprechend wird die Antwort der verbündeten Regierungen ohne Zweifel nur in einem runden Nein bestehen können." *Die Silber-Enquetekommission hat am Donnerstag bei fast vollzähliger Be setzung ihre Beratungen unter dem Vorsitz des Schatzsekretürs Graf Posadowski wieder aus genommen. Es scheint, das; die Beratungen sich stark in die Länge ziehen werden. * In Sachen der in den H a nn o v ers ch e n Spielerprozeß verwickelten Offiziere ist, Ivie der ,Hamb. Korr.' von gut unterrichteter Seite erfährt, dasehrengerichtlichcVer- fahren auf Grund einer besonderen Aller höchsten Ordre erfolgt, während in sonstigen Fällen bekanntlich die Befugnisse des Divisions kommandeurs dafür gasreichen. Jene Ordre ging von den beim Prozeß zu Tage getretenen Erscheinungen aus, derart, daß eine Abstufung vom schwersten bis zum gelindesten Vergehen vorgezeichnet war. Hieran hatten dis Ehren gerichte sich im allgemeinen zu halten. Die Sprüche bewegen sich daher auch vom schlichten Abschied bis zur Warnung. * Gegen den Kanzler Leist soll nach dem Hann. Cour.' nunmehr in der Thal wegen seines Verhaltens in Kamerun, dem man nach den Ermittelungen des Regierungsrats Rose die Schuld an der Meuterei der Polizeitruppe bei messen zu müssen glaubt, dos D i s z i p l i n a r - Strafverfahren eingelester werden. Da bei der Meuterei in Kamerun neben Eigentum des Reichs auch privatem Eigentum zu Schaden gekommen ist, so könnte gegebenenfalls gegen Kanzler Leist auch ff 6 des Disziplinargesetzes Platz greifen, der bestimmt: „Spricht das Gesetz bei Dienstvergehen, welche Gegenstand eines Disziplinarverfahrens werden, die Verpflichtung zur Wiedererstattung oder zum Schadenersätze oder eine sonstige zivilrechtliche Verpflichtung aus, so gehört die Klage der Beteiligten vor das Zivilgettcht." Mit dem Eintreffen des Regicrungsratö Rose in Kamerun war Kanzler Leist jeglicher amtlichen Funktionen enthoben worden; er dürste auch nach seiner Ankunft in Berlin von allen dienstlichen Verwendungen bis zur Beendigung des Disziplinar - Verfahrens suspendiert bleiben. Oesterreich-Ungarn. *Die amtliche ,Wiener Abendpost' widmet em in Wien eingetroffenen deutschen Kaiser äußerst herzlicheBegrüßungs- worle, indem sie gleichzeitig hcrvorhebt, daß die Zusammenkunft der beiden Souverainc eine neue Bürgschaft für jene innigen Beziehungen bilde, die zum Heile Europas zwischen den beiden erlauchten Herrscherhäusern und deren Völkern bestehen. * In der Mittwoch-Sitzung des Abgeordneten hauses erkannte der Jungtscheche Dvorak an, daß die in neuer Zeit von der Regierung getroffenen Einrichtungen zum Schutze und zur Herbei führung einer besserenLage der Arbeiter sich glänzend bewährt und eine außerordentliche Abnahme der Sterblichkeit und der Jnfektions- erkrankungen herbeigeführt hätten, doch sei die Sterblichkeit unter den Kindern noch ungemein groß. Dvorak richtete einen Appell an die Re- j gierung zur Ergänzung u Ausgestaltung des s Sanitätswesens. tt * Die ungarische Regierungsvorlage bett, die obligatorische Zivilehe wurde am Donnerstag vom Abgeordnetenhause mit 271 gegen 106 Stimmen, also mit einer Majorität von 165 Stimmen im allgemeinen zur Grund lage für die Einzelberatung angenommen. Das Ergebnis der Abstimmung wurde mit enthusiastischem Jubel und minutenlang an haltenden Eljenrufen aufgenommen. — Bei der Abstimmung über die Vertrauensfrage für den Justizminister stimmten 214 dafür, 102 dagegen. Nachträglich verkündete sodann der Präsident, daß für die Ehegesetzvorlage 281 , gegen dieselbe 106 Abgeordnete gestimmt hätten, daß daher die Majorität 175 Stimmen betrage. England. *Der Anarchist Meunier, dessen Auslieferung von der französischen Re gierung verlangt wurde, erschien am Donnerstag neuerdings vor dem Zuchtpolizeigericht in Bow street. Die Angelegenheit wurde auf acht Tage verschoben. Der Anarchist Ricken, der beschuldigt wird, versucht zu haben, Meunier aus dem Ge fängnis zu befreien, wurde zu 5 Pfund Geld strafe oder 1 Monat Gefängnis verurteilt. Dänemark. *Die zweite Kammer des dänischen Reichstags, die seit zehn Jahren jede Teilnahme an Hoffestlichkeiten unterließ, hat diesmal infolge des mit der Regierung geschlossenen Ausgleichs, dem Könige Christian anläßlich des 77. Geburtstages desselben, durch den Vize präsidenten des Hauses ihre Glückwünsche über mitteln lassen. Schweiz. *Der schweizerische Nationalrat verwarf mit großer Mehrheit nach viettägiger Debatte das sozialdemokratische Jnitiativbegehren für Ein führung des Rechts auf Arbeit. Italien. * Die parlamentarische Lage hat sich derart zugespitzt, daß ein Ausgleich undenkbar erscheint. Die Negierung bezeichnet jede Ver kürzung der Wehrmacht als „Selbstmord" und beharrt auf der Nentenstcuer-Erhöhnng sowie auf den anderen Finanzplänen Sonninos. Würden die Regierungsvorschläge verworfen, so werde nicht der Rücktritt des Ministeriums, sondern die Auflösung der Kammer erfolgen. * Der Prozeß gegen die „Banca Romana" wird am 2, Mai vor dem Schwur gericht zur Verhandlung gelangen. — Einem römischen Blatte zufolge ist in Rom ein Mann verhaftet worden, in dessen Besitz sich eine Bombe vorfand. Nähere Einzelheiten sind noch ausständig. *Jn dem bei dem Kriegsgericht anhängigen Prozesse gegen den sizilianischen Abg. Defelice Giuffride und seine Mitangeklagten begann am Donnerstag das Verhör. Defelice leugnete, vom Auslande Geld erhalten zu haben, und wies die Beschuldigung zurück, daß die sozialistische Partei beabsichtigt hätte, Sizilien an England abzutteten und einen oder mehrere Häfen Ruß land zu überlassen. Ebenso bestritt der Haupt angeklagte, daß ein Einvernehmen mit den Klerikalen bestanden habe. Das Ziel seiner Partei sei die Lösung der wirtschaftlichen Probleme nicht mittels Verschwörung, sondern durch Revo lution, die sich durch die Wissenschaft und die Zivilisation vollziehen werde. Spanien. * GegeneinenspanischenA rbeiterpilger- zug, der nach Rom geht, fanden von feiten der kirchenfeindlichen Arbeiter in Sevilla schwere Ausschreitungen statt. Es wurden dabei 17 Pilger verwundet, von den Angreifern 4 verletzt. Der Bischof von Madrid erhielt einen Dolchstich, der durch die Soutane ging. Dem Erzbischof von Sevilla wurden die Scheiben seines Wagens Angeschlagen. Die Aufrührer warfen die Fenster scheiben des bischöflichen Palastes mit Steinen ein. Balkanstaaten. * Die s erb i s ch - r ad i k al e P arte i in Belgrad hat durch eine Abordnung, bestehend aus dem General Gruitsch und dem früheren Minister des Aeußeren Andra Nikolitsch, dem ehemaligen ersten Regenten Ristitsch die Führer schaft der radikalen Partei angeboten. Ristitsch hat sich vor Bekanntgabe seiner endgültigen Ent schließung eine kurze Bedenkzeit erbeten. *Es verlautet, daß der italienische Geschäftsträger bei Stambulow protestiert habe wegen Verteilung von Ritter orden des Ex-Herzogtums Parma, die der Ex- Herzog Robert von Parma, der Vater der Fürstin von Bulgarien, kurz vor seiner Abreise aus Bul garien vornahm. Man wird sich erinnern, daß bereits gelegentlich der Hochzeit des Fürsten Ferdinand mit der ältesten Tochter des Ex- HerzogS die italienische Regierung Grund zum Protest hatte, da auf dem Palaste des Fürsten Flaggen des Ex-Herzogtums Parma gehißt waren. Deutscher Reichstag. Dm Donnerstag wird zunächst in dritter Lesung der Handelsvertrag mit Uruguay debattelos angenommen, ebenso das Patent-, Muster- und Markenschutz-Abkommen mit der Schweiz. Es folgt die dritte Lesung des Gesetzentwurfs über die A b z a h l u n g s g e s ch ä f te. In der Generaldebatte bemerkt Abg. Meyer-Halle (freis. Vgg.), daß in der Fassung der zweiten Lesung dieser Entwurf die einfachsten Grundsätze der Billig keit verlasse. Das Gesetz schädige den redlichen Ab zahlungsverkäufer zu gunsten des Käufers, durch dessen Schuld noch der Abzahlungs-Vertrag rück gängig werde. Er werde deshalb gegen das Gesetz stimmen. Zur Spezialberatung liegt ein Antrag Auer (soz.) vor. Derselbe will in dem 8 7, der für den Fall schriftlicher Vertragsabschlüsse den Verkäufer verpflichtet, dem Käufer eine zweite Ausfertigung der Vertragsurkunde auszuantworten, die vorstehend gesperrt gedruckten Worte ersetzen durch: gleich lautende , von beiden Teilen unterschrieben. Die HZ 1 bis 6 werden debattelos angenommen. Bei H 7 führt Staatssekretär Nieberding aus, der ganze Paragraph gehöre nicht in dieses Gesetz. Die Vorschrift desselben würde nicht nur die eigent lichen Abzahlungs-, sondern jedes Geschäft mit Teil zahlungen treffen und dadurch in bedenklicher Weise in den gesamten Geschäftsverkehr eingreifen. — Abg. Lenzmann (fr. Vp.) bittet ebenfalls um Wieder- strcichung des erst bei der zweiten Lesung auf Antrag Tutzauer beschlossenen Paragraphen. — Abg. Auer (soz.) bedauert den Widerspruch gegen den Para graphen, der doch in zweiter Lesung allseitig Beifall gesunden habe. — Die Abgg. Spahn (Zentr.), Meyer (fr. Vgg.), v. Buchka (kons.) und Mar- quardsen (nat.-lib.) sprachen sich ebenfalls für Streichung des Z 7 aus. Der Z 7 wird sodann ge strichen. H 8 will nach dem Beschluß zweiter Lesung allgemein alle Wertpapiere (und Lotterielosc) von dem Teilzahlungsverkehr ausschließen, während das nach der Regierungsvorlage nur hinsichtlich der „Jnhaberpapiere mit Prämie" sowie der (Lotterie lose) der Fall sein sollte. — Abg. Meyer (freis. Vgg.) beantragt Wiederherstellung der Fassung der Regierungsvorlage. — Staatssekretär ».Bötticher befürwortet diesen Antrag. — Gegen den Antrag erklärt sich Abg. Singer. — Der Antrag Meyer wird angenommen. Der Rest des Gesetzes ohne Debatte. Die Abstimmung über das Gesetz im ganzen wird ausgesetzt. Darauf wurde noch der Gesetz entwurf betr. die Abänderung des H 41 der Konkursordnung unverändert in der Fassung der Regierungsvorlage nach kurzer Debatte in zweiter Lesung genehmigt. Auf der Tages - Ordnung der Freitag - Sitzung steht die Uebersicht der Einnahmen und Ausgaben der Schutzgebiete von Kamerun und Togo. Abg. Richter (freis. Vp.) bringt die in der Presse neuerdings veröffentlichten Vorgänge in Kamerun zur Sprache. Er fragt an, wie sich die Regierung zu diesen schweren Beschuldigungen verhalte. — Staatssekretär Frhr. v. Marschall erklärt, daß der nach Kamerun entsandte Regierungsrat Rose ein umfassendes Material zur Beurteilung der Vor kommnisse gesammelt und dem Reichskanzler über reicht habe. Aus diesem Aktenmalerial ergab sich in der That eine ganze Reihe von Thatsachen, die in allererster Reihe den Kanzler Leist auf das aller schwerste belasten. Deshalb sei dieser telegraphisch vom Dienst enthoben und nach Berlin befohlen worden. Die disziplinarische Untersuchung sei ein geleitet. Bis zu ihrer Beendigung möge sowohl der Reichstag wie die öffentliche Meinung mit ihrem definitiven Urteil zurückhalten und sich nicht durch unbcglaubigte Gerüchte in der Presse beeinflussen lassen. Kem Schuldiger werde seiner Strafe ent gehen und nichts werde der Ocffentlichkeit vor- enthalten werden; es würden auch Maßregeln ge troffen werden, die geeignel seien, der Wiederholung derartiger trauriger Vorfälle für die Zukunft vorzu beugen. — Abg. Bebel (soz.) ersucht, die Disziplinaruntersuchung auch auf den Assessor Wehlau auszudehnen und wird das Ergebnis abwarten. — Die Uebersicht wird durch Kenntnisnahme für erledigt erklärt. — Hierauf werden Rcchnungssachen und Petitionen erledigt. — Nachdem dann noch der Gesetzentwurf betr. die A b - zahlungsgeschäfte im ganzen definitiv an genommen war, begründete Abg. Graf v. Kanitz seinen Antrag betr. den Einkauf und Verkauf des zum Verbrauch im Zollgebiet bestimmten aus ländischen Getreides re. für Rechnung des Reiches. Der Antragsteller betonte die große Notlage der Land wirtschaft, sowie die ungleiche Verteilung der Arbeitskräfte auf Stadt und Land. Durch Zolk- erhöhung sei nach dem Abschluß der Zollverträge jetzt der Landwirtschaft nicht mehr zu helfen. Er wisse wohl, daß man seinen Antrag jetzt mit großer Majorität ablehnen werde; aber die eigentliche Ent scheidung werde erst in nächster Session erfolgen. Sein Antrag wolle der ländlichen Bevölkerung das Vertrauen wiedergeben, dessen sie für die Zukunft bedürfe. Die Bedenken gegen die Höhe der vor geschlagenen Verkaufspreise sucht Redner als nicht begründet darzuthun. Eine sozialistische Tendenz, die man in dem Anträge habe entdecken wollen, liege demselben fern. Auch werde der Antrag keines wegs den Getreidehandel untergraben; der Termin handel werde allerdings aufhörcn. Bei dem Anträge kämen besonders die Mehreinnahmen in Betracht, deren das Reich so dringend bedürfe. Der Antrag biete auch sichere Gelegenheit, Vorrat an Lebens mitteln für die Armee für den Kriegsfall zu schaffen. Im Lande werde es nicht verstanden werden, wenn die Regierung diesen Antrag ablehne, ohne bessere Vorschläge zu machen. — Abg. Barth (frs. Vgg.) hält es nach Abschluß der Handelsverträge für ganz unmöglich, innerhalb der nächsten zehn Jahre einen solchen Antrag ernsthaft in Erwägung zu nehmen. Zum ersten Male mache man den Versuch, einem einzelnen Produzentenkreise aus Kosten der Allgemein heit Minimalprcise für seine Produkte zu sichern. Zu welchen Konsequenzen würde ein solcher Antrag führen müssen! — Die Weiterberatung wurde darauf vertagt. Preußisch«! Landtag. Am Donnerstag begann im Abgeordnetenhause die erste Lesung des Gesetzentwurfs über Abänderung der evangelischen Kirchenverfassung und Synodal ordnung. Abg. Enneccerus (nat.-lib.) hält das vor liegende Gesetz für sehr bedenklich, besonders wegen der Befugnisse der Synode, Mitglieder der Kirchen- gemeinde vom Wahlrecht ausschließen zu können, ohne der staatlichen Genehmigung zu bedürfen. Kultus minister Bosse bemerkte, die Vorlage sei eine Vor wärtsentwickelung in der Richtung eines friedlichen und würdigen Verhältnisses zwischen Staat und Kirche, Abg. Stöcker (kons.) dankte der Regierung für Einbringung dieses Gesetzentwurfs. Gerade in der Zeit, wo große Teile der Bevölkerung in um stürzenden Gedanken leben, sei eine größere Freiheit der Kirche notwendig, die allein die sozialdemo kratischen Massen dem Chriftenthm wicdergewinnen könne. Die erste Beratung über das evangelische Kirchen gesetz wurde am Freitag im Abgeordnetenhaus zu Ende geführt und der Entwurf einer Kommission überwiesen. Sodann erledigte das Haus die Berichte der verschiedenen Kommissionen für das Justiz-, Agrar- und Unterrichtswesen. Eine Petition der an Faschschulen beschäftigten Lehrer, die, wie der Abg. Jerusalem (Zentr.) bemerkte, bisher weder pensions- berechtigt noch in bezug auf ihre Hinterbliebenen sichergcstellt sind, wurde der Regierung zur Erwägung überwiesen. Usn Uah und Fern. St. Elmsfeuer in besonders großer Zahl wurden jüngst in der Provinz Sachsen beobachtet. Als es nach einem Gewitter, das über Wulfer stedt fortzog, zu blitzen aufhörte, erschienen auf allen Zweigspitzcn der Chausseebäumc, aber nur an der Westseite, kleine blaue Flämmchen, die je nach der Stärke der Zweige ein bis zwei Zenti meter hoch waren und vom Wind gar nicht be einflußt wurden Eine Viertelstunde lang mochte ungefähr diese Erscheinung gedauert haben: der Beobachter war inzwischen wohl an hundert Bäumen vorbeigekommen, von denen durch schnittlich jeder etwa sechs Flämmchen trug, so daß also mindestens 600 Elmsfeuer auf dieser Wegstrecke erglänzten. Da plötzlich leuchtete in der Nähe von Oschersleben noch einmal ein starker Blitz auf, und in demselben Augenblick waren sämtliche Flammen erloschen. Daß nur die Bäume an der Westseite der Chaussee die Flämmchen zeigten, ist vielleicht so zu erklären: diese Bäume sind höher und stehen auf trockenem Boden, also besser isoliert. Wer liebte ihn mehr? Wl lFortjetzung., Aber was war das? Ein eisiges Gefühl überkam sie, als ihre Blicke auf ein Papier steten, welches ganz zerknittert zwischen den aadereu lag. „Viktor, Graf Ryeburn," stand darauf, „Erlaubnis, Carmen Ercell zu heiraten." Großer Gott, was bedeutete das? Sie sah das Dokument wieder an, es war der Dispens der sofortigen Trauung, den Lord Ryeburn sich damals verschafft hatte. Er hatte ihn völlig vergessen. Als Carmen nicht sein Weib werden wollte, hatte er das Papier zerknittert in die Tasche gesteckt, und da er zu Hause kein Feuer im Ofen fand, eS fortgclegt, um es später zu vernichten; so war es unseligerwcise mit nach Lancedene gekommen. „Bin ich meiner Sinne nicht mehr mächtig?" schluchzte Lady Klara laut, „meine Augen täu schen mich, es kann nicht da stehen. Viktor, Graf Ryeburn und Carmen Ercell." Sie lehnte ihren Kopf an das alte Möbel und schloß die Augen, sie hoffte zu träumen, und wenn sie erwachte, zu sehen, daß alles Ein bildung war. Aber ach, es war kein Traum! Da standen die Worte wieder vor ihr, und ihr Blick hing wie gebannt daran. „Min Gott, was kann das heißen!" rief sie laut. Hatte jemand sich einen Scherz mit ihr machen wollen?" Sie legte das Papier auf den Tisch und laS es von Anfang bis zu Ende. Nein, es war keine Täuschung, sie begriff, daß es ein Dispens war, Carmen Ercell sofort, ohne vorhergehendes Aufgebot, zu heiraten. Sie sah nach dem Datum; der Schein war zwei Tage vorher ausgestellt, ehe Lord Ryeburn um ihre Hand angehalten hatte. Das brach Klara fast das Herz; zwei Tage vorher! Viktor hatte sie also nie geliebt, es war nur ihr Geld, um das es ihm zu tbun war, das Geld, welches Lancedene retten, sollte. Sie war die unvermeidliche Zugabe. Er liebte Carmen, und doch begegneten sie sich wie Fremde! „Ich kann es nicht verstehen," sagte sie zu sich; „je mehr ich darüber nachdenke, desto un möglicher scheint es mir. Er war immer so kühl und zurückhaltend. Nie habe ich einen Blick des Einverständnisses zwischen ihnen bemerkt. Sie wollte nicht mit ihm tanzen, sie schien nicht gerne mit hierher zu kommen. Aber wenn er Carmen geliebt hat und sich nachher von ihr getrennt, was führt sie in das Haus seiner Mutter? ,Ob sie sich gezankt hatten und er mich daun nur aus Groll heiratete? Ja, so muß es fein, es ist die einzig mögliche Lösung." Kein unwürdiger Verdacht stieg in ihr auf, selbst in jenen qualvollen Minuten zweifelte sie keinen Augenblick an die Reinheit ihrer Neben buhlerin. Aber je länger sie über die Sache nachdachte, desto verwirrter wurde sie. Sie wußte nicht, daß Lord Ryeburn in Lissabon gewesen war, sie entsann sich nur, daß Lady Long Carmen Ende Mai von dort mitgebracht hatte, und daß er damals ein Jahr wieder in England war. Es konnte also nur ein Scherz sein, ein grausamer Scherz; denn wenn ihr Mann etwas von solchem Dokument gewußt hätte, so würde er es doch vernichtet haben. Sie nahm das Papier mit nach ihrem Zimmer, setzte sich an den Tisch und sah mit starren Blicken darauf hin. Wie lange sie so zubrachte, wußte sie nicht, sie sah nur die Worte, „Viktor, Graf Ryeburn und Carinen Ercell." Plötzlich wurde sie durch die Stimme ihres Mädchens aufgeschreckt, das ihr sagte, daß Lord Ryeburn nach ihr gefragt hatte, und im Lesezimmer sei. Das versetzte sie in die Wirklichkeit zurück, sie stand auf, schloß das verhängnisvolle Papier in ein Fach ein, kühlte ihre Augen und ging hinunter zu ihrem Gatten. Er kam ihr entgegen, fuhr aber bei ihrem Anblick zurück. „Was ist dir, Klara fragte er erstaunt. „Nichts," erwiderte sie. „Ich verlieb dich, wohl und vergnügt aus sehend, und finde dich blaß und elend. Du bist ja um Jahre gealtert." „Wirklich! Und was liegt daran?" „Klara," sagte er freundlich, „was fehlt dir nur?" Sie sah ihn gleichgültig an. „Mir fehlt nichts, eS ist warm draußen und ich bin müde." Er wußte nicht, was er sagen sollte. Dies war nicht dieselbe Frau, die vor wenigen Stunden ihre Arme zärtlich um seinen Hals geschlungen hatte; es mußte etwas vorgefallen sein. „Klara," begann er wieder, „hast du das blaue Kouvert gesunden?" Sie hatte es ganz vergessen. „Ja," antwortete sie, „es liegt unten auf deinem Schreibtisch." „Wirklich, es ist da! Ich danke dir, das er spart mir viel Mühe." Er trat näher an sie heran und wollte sie küssen, aber sie wandte ihr blasses Gesicht dem Fettster zu. „Ich bin dir sehr dankbar," wiederholte er. „Ich war besorgt, daß daS Dokument fort wäre, dein Vater wird sich auch freuen." „Es ist mir lieb, dir geholfen zu haben," er widerte sie ruhig. Er legte seine Hand auf ihr goldiges Haar. „Klara," sagte er, „deine Stimme ist so müde und dein Blick so traurig; ich möchte wissen, was vorgefallen ist." Die Antwort: „Ich habe einen DispenS gefunden, auf dem dein und Miß Ercells Namen steht," sckwcbte ihr auf den Lippen, aber sie unterdrückte sie. „Du scheinst an Einbildungen zu leiden," antwortete sie kühl. Lord Ryeburn wußte nicht, was er aus ihr machen sollte, er nahm ihre beiden Hände und sagte sehr entschieden: „Klara, seit ich dich vorhin verließ, ist etwas zwischen uns getreten." Der Ernst seiner Stimme verfehlte den Ein druck auf sie nicht. „Gibt es etwas, was zwischen uns treten könnte und müßte?" Er dachte nur an seine treue Pflichterfüllung seit seiner Heirat und sagte: „Nein."
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