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Allgemeiner Anzeiger : 14.04.1894
- Erscheinungsdatum
- 1894-04-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189404146
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18940414
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1894
-
Monat
1894-04
- Tag 1894-04-14
-
Monat
1894-04
-
Jahr
1894
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 14.04.1894
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laufe der langen Zeit von mehr als 23 Jahren von der Schulter bis in die Seite gesunken. ' Man wird sich leicht die Freude des Mannes vorstellen können, der endlich von dem verborge nen Verursacher großer Schmerzen befreit ist. Bei einer Feuersbrunst in Kirchheim bolanden, die in der Freitag-Nacht zwei Häuser vollständig einäscherte, kamen der Kaufmann Lutz und zwei erwachsene Söhne ums Leben. Eine groste Torfstreu- und Prcsttorf- Fabrik wird auf fiskalischem Moor bei Owschlag in Schleswig errichtet. Mit der königlichen Regierung hat der Untemehmer betreffs Aus beutung des 94 Hektar großen Moores bereits eine Vereinbarung getroffen. Während das eigentliche Moor zu Preßtorf verarbeitet wird, soll die obere Schicht als Torfstreu verwendet werden. Der Betrieb wird am 15. d. eröffnet, an welchem Tage mehrere Hundert Arbeiter aus Lippe-Detmold eintreffen, die in Baracken unter gebracht werden. Die Torsstreu soll namentlich nach England ausgeführt werden, wo bereits größere Ablieferungsverträge abgeschlossen sind. Der erste Helgoländer Einjährige. Die Berechtigung als Einjährig-Freiwilliger zu dienen, hat sich als erster Helgoländer der 15 jährige Kröger Franz, Sohn des dortigen Einwohners Pieter Franz, erworben. Er be stand das betreffende Examen in Düsseldorf, wo er seit sechs Jahren das Gymnasium besucht. Vom Posten erschossen wurde in Straß- , bürg i. E. Freitag nacht ein Mann an den i Klcbsauer Schießständen. Der Mann wollte mit i zwei anderen Obdachlosen in einem Schuppen ein Nachtlager suchen, woran ihn der Posten hinderte. Während die beiden Gefährten die Flucht ergriffen, widersetzte er sich und wurde vom Posten arretiert. Auf dem Wege nach dem Nachtlokale versuchte der Verhaftete plötzlich einen Ueberfall. Bei dem'sich entwickelnden Kampfe gewann der Posten die Oberhand und feuerte dann auf den fliehenden Arrestanten zwei Schüsse ab, wovon der letzte in den Rücken traf. Der Getroffene verschied nach kurzer Zeit. Ein neuer Erfolg deutscher Betrieb samkeit im Auslande! Wie man aus Bukarest schreibt, wurde in der Kammersitzung ein Gesetzentwurf angenommen, der die Stadt Craiova ermächtigt, mit der Allgemeinen Elektri zitäts-Gesellschaft zu Berlin einen Vertrag für die Anlage einer elektrischen Beleuchtung der Straßen abzuschlicßen. Ein Oberleutnant als Falschspieler. Peinliches Aufsehen macht in Fünfkirchen die seitens des Auditoriats gegen den dortigen aktiven Oberleutnant B. eingeleitete Untersuchung. Der Oberleutnant soll nämlich nach der überein stimmenden Aussage der Zeugen das „Mogeln" vorzüglich verstehen, so daß er im Makaospiel an manchem Abend bis 10 000 Gulden gewonnen habe. Die Untersuchung führt der Stuhlweißen burger Major Bihar, der auch im Besitze der „gezinkten" Spielkarten ist, deren jede einzelne markiert ist. Der angeschuldigte Offizier ent stammt einer wohlhabenden Familie und hat, als er von der Anklage erfuhr, seine Charge quittiert, die Abdankung aber alsbald wieder zurückge zogen. Es sind noch 24 Zeugen zu verhören, bis ein Urteil gefällt werden kann. Neber eine Stadt ohne Polizei wird aus Jaßbereny (Ungarn) geschrieben: Seit dem 3. d. vormittags steht unsere 24 000 Einwohner zählende Stadt ohne Polizei. Sämtliche Poli zisten haben den Dienst eingestellt und die Aus tragung dieser sonderbaren Angelegenheit be schäftigt begreiflicherweise unsere Bevölkerung sehr lebhaft, zumal dieselbe in diesem Falle fast ausnahmslos die Partei der Ausstän dischen ergreift. Die Ursache des ungewöhnlichen Ausstandes ist die geradezu lächerlich geringe Bezahlung der Polizeimannschaft. Sie erhalten einen Monatslohn von 8 Gulden 50 Kreuzer; mithin sollen 27 Kreuzer täglich hinreichen, um die Lebensbedürfnisse der Leute, die zumeist ver heiratet und Familienväter sind, zu decken. Eine Abordnung der Polizisten sprach beim Bürger meister vor, um eine Aufbesserung der Bezahlung zu erwirken. Da der Bürgermeister keine Er mächtigung besaß, die Bezüge der Polizisten aus- zubcssern, mußte er das Gesuch abschlägig be scheiden, und die Folge war, daß die Polizei leute die Diensteinstellung beschlossen und auch sofort die Uniformen ablegten. Bon Wilddieben ermordet wurde in der Gemeinde Fajsz, im Somogyer Komitate, der Großgrundbesitzer und bekannte Sportsman Bola Kund. Die Wilderer entflohen und sind bisher noch nicht entdeckt. Ein eigentümlicher Streik oder vielmehr Boycott fand dieser Tage auf der Pariser Börse statt. Die Fernsprechverwaltung hatte angeordnet, daß die Börsenbesucher, die den Fernsprecher für- weite Strecken benutzen, im voraus zahlen und dabei erklären mußten, ob sie den Fernsprecher für eine oder zwei Mitteilungen benutzen wollten. In Folge dieser Anordnung beschlossen sämtliche Börsenbesucher, den Fernsprecher überhaupt nicht zu benutzen. Drei Stunden später hob der Generaldirektor des Post- und Telegraphen wesens die erwähnte Verordnung auf. Ein wahrer Rattenkönig von Un glücksfällen wird vom Sonntag aus Paris gemeldet: Heute nachmittag durcheilte ein Fiaker, dessen Pferd scheu geworden, den Boulevard. An der Ecke der Rue Seze wurde ein Schutz mann, der dem Pferd den Weg versperren wollte, niedergeworfen und ihm durch die Deichsel die Brust zerschmettert. Ein junger Mann, der das selbe versuchte, wurde von der Deichsel im Auge tötlich getroffen. In diesem Augenblick verlor ein Stubenmädchen, das vom Fenster des sechsten Stockes eines angrenzenden Hauses diesen Vor gängen zusah, das Gleichgewicht und stürzte herab, wo sie tot liegen blieb. Auf das Pflaster stürzend, warf sie eine vorübergehende Frau um, die unter die Räder eines vorbeifahrenden Wagens geriet und ein Bein brach, währenddem das scheue Pferd den Kutscher vom Bock schleu derte, der schwer verwundet wurde. Das Pferd rannte mit voller Wucht gegen einen Karren und fand dabei seinen sofortigen Tod. Ein neues Opfer von Monte Carlo. Im Lustpark bei Nizza wurde ein Mann aufge hängt gefunden, den man sogleich abschnitt nnd ins Leben zurückzubringen suchte, was auch gelang. Er gab an, Benjamin Hasmoner zu heißen und aus Algier zu sein. Er habe in Monte Carlo sein Vermögen verspielt und sich deshalb aufgehüngt. Der Sohn des Bürgermeisters von Rom, der als Erforscher des Somali-Landes und des oberen Juba bekannte Prinz Eugen Ruspoli, ist nach amtlicher römischer Meldung aus Sansibar am 4. Dezember 1893 von einem Elefanten getötet worden. Seine Karawane sei am Montag in Sansibar eingetroffen.' Ertränkt. Im Luganer See bei Morcote hat sich der Litteraturprofessor Polari, ein an Sprachkenntnissen überaus - reich ausgestatteter Schriftsteller, im Alter von 65 Jahren ertränkt. Er litt seit einiger Zeit an einer außerordentlichen Nervenaufregung. Theaterbrand. In Milwaukee wurde durch eine Feuersbrunst das Davidson-Hotel und das Theater zerstört. Dabei kamen 16 Personen ums Leben; viele wurden verletzt. Der Schaden wird auf eine Million Dollar geschätzt. Vom vergrabenen indischen Schatz, von dem jüngst berichtet wurde, heißt es jetzt, daß die beiden englischen Soldaten, die bei der Ein nahme von Mandalay in Birma die Krone, den goldenen Elefanten, den goldenen Regenschirm re. stahlen und verscharrten, bitter enttäuscht waren, als sie einige Tage später den Schatz wieder heben wollten, denn man war ihnen bereits zu vorgekommen und sie fanden im Sack nur noch einen reich mit Rubinen geschmückten Fächer griff. Diesen, so erzählt der Gewährsmann eines großen Zeitungsbüreans der Preß- Association (ein englischer Offizier, der seinen Namen vorläufig verschweigt), erstand ein Gentle man für eine verhältnismäßig geringe Summe. GrrichtshaUe. Gleitvitz. Das hiesige Schwurgericht ver urteilte nach mehrtägiger Verhandlung den Polizeisergeanten Hennek aus Peiskretscham wegen mehrerer Brandstiftungen zu 10 Jahr Zuchthaus. Zwei drollige Histörchen, deren unfreiwillige Helden zwei deutsche Prinzen waren, werden aus Rom erzählt: Als von Florenz die Ankunft der Königin Viktoria von England erwartet wurde, fanden sich mehrere Würdenträger und mehrere Journalisten zum Empfange ein. Ein Herr, der offenbar, seinem einfachen Anzuge nach zu schließen, zu den Herren von der Feder gehörte, mischte sich unbefangen unter die Würde^räger, die ihn mit scheelen Augen anfahen. Der Stationsvorstand bemerkte das, ging auf den Fremden zu und sagte: „Ich bitte, wollen Sie sich nicht so vordrängen. Sie sehen von dort genug." „Bitte, bitte, mit Ver gnügen," war die Antwort. Welch verdutzte Gesichter machten aber die hohen Herren, als der Zug einfnhr, Königin Viktoria ausstieg und, einen prüfenden Blick über die Anwesenden werfend, dem Gemaßregelten die Hand mit den Worten entgegenstreckte: „Ah, da bist du ja, es ist schön, daß du da bist," und die Herren alle dem Fremden vorstellte, der kein anderer war als der Herzog von Sachsen-Meiningen, von dessen Anwesenheit sin Florenz keine Seele eine Ahnung hatte. — Noch hübscher ist die Geschichte von der Verhaftung des Prinzen von Baden, für deren Richtigkeit die ,Gazetta Piemontese' eintreten zu können behauptet. Bei der Auf fahrt zur Garden-Party im Quirinal wurde dem Prinzen das Warten zu lange. Er stieg daher aus und ging zu Fuß in den Palast. Hier hielt der Portier den Prinzen an und ver weigerte ihn: den Zutritt. Der Prinz, der nicht Italienisch versteht, gab eine deutsche Antwort, die wieder der Portier nicht verstand, und ging weiter. Das war verdächtig. Ein Wink — und zwei Karabinieri bemächtigten sich des Prinzen und führten ihn zum Kommissar; dieser gab Befehl, den Verdächtigen zur Präfektur zu fuhren, als einer der Eingeladenen den Prinzen erkannte und dessen Persönlichkeit feststellte. Zehn Minuten später wurden Portier und Karabinieri zum König berufen. Angstvoll leisteten sie Folge, auf das Schrecklichste gefaßt. Wer schildert aber ihre Freude, als der König sie lächelnden Mundes für ihre Wachsamkeit be lobt und der verhaftete Prinz jedem von ihnen ein namhaftes Geldgeschenk in die Hand drückt! Mr das „SechsMuten", das große Frühlingsfest der Stadt Zürich, wird ein Festzug, der die Entwickelung des Reisens darstellen soll, in folgender Ordnung vorbereitet: 1) Eröffnungsgruppe. Ein Prunkwagen trägt einen großen Globus, den Genien der Geo graphie, des Krieges, des Handels und der Wissenschaft umgeben. 2) Reise zum Zweck der Eroberung und der Kulturverbreitung: Gruppe aus dem Zuge Alexanders des Großen zum Indus in vierundzwanzig Charakterdarstellungen. 3) Reise im Staatsdienst: Zug des Kaisers Hadrian mit Familie und Gefolge nach Aegypten, vierzehn Darstellungen. 4) Reise durch den Not zwang: Gruppe aus der Völkerwanderung in elf Bildern. 5) Reise als Beutezug: Wikinger im Drachenschiff nach Süden fahrend. 6) Reise im Dienste der Religion: Einzug des Johannes Huß in Konstanz, zehn Gruppen. 7) Entdeckungs reise : Erste Fahrt des Christoph Kolumbus nach Amerika, zehn Gruppen. 8) Handelsreise: Waren zug hanseatischer Kaufleute mit kriegerischer Be deckung und gefolgt von Raubrittern, dreißig Gruppen. 9) Reise wegen Vertreibung aus der Heimat: Jndiancrzug zum Westen, neun Gruppen. 10) Geschäftsreisen in neun Gruppen. 11) Reise wider Willen.: Ein Vagabundentransport. 12) Hochzeitsreise. 13) Reise auf lateinische Zehrung: drei Bettelmönche, sowie ein Reporter für Reisehandbücher mit Frau und vier Kindern. 14) Forschungsreise: Ankunft der Emin Pascha- Expedition in Bagamoyo, zwölf Gruppen. 15) Reisen aus hygienischen Gründen: a. Kur gäste in Karlsbad vor und nach der Kur, fünf Gruppen, d. Reise zu Pfarrer Kneipp nach Wörishofen. 16) Vergnügungsreise in sieben Gruppen. 17) Festreisen zu Feierlichkeiten. 18) Sportreise: Alpenklubmitglieder mit Gebirgs führern, Bergfexen beiderlei Geschlechts, Ski läufer, Belocipedisten. 19) Jmmerreisende und Heimatlose: Zigeuner, Zigeunerkönigin, berittene Tschikos, Slowaken, Dudelsackpfeifer, Wahr sagerinnen. 20) Schlußgruppe, die. Reisekräfte der Zukunft: allegorischer Wagen mit symbolischen Gestalten, die Elektrizität und Luftschiffahrt dar stellen. Gememnühiges. Zur Entfernung von Fettflecken aus Wollen- und Seidenwaren, Papier rc., bedecke man dieselben mit französischem Kalk. Die Flecken werden mit braunem Papier bedeckt, dann setzt man ein mäßig warmes Eisen daraus bis es kalt ist. Es ist darauf zu achten, daß das Eisen nicht so heiß ist, um den Stoff zu sengen oder seine Farbe zu verändern. Will der Fettfleck nicht weichen, streut man mehr Kalk auf, erhitzt das Eisen von neuem und stellt es darauf. Dieses Verfahren wird so lange wiederholt, bis der Fleck gänzlich verschwunden ist. Fettflecken in Fußböden werden entfernt, wenn man sie mit einer starken Lösung von Perlasche in Wasser, der Sand zugemischt wird, abr eibt. Herstellung grasfreier Gartenwege. Zur Herstellung schöner grasfreier Gartenwege wird empfohlen, die Wege 20 bis 25 Zenti meter tief auszugraben und an Stelle der weg geführten Erde eine ebenso hohe Lage von Sägespähnen aufzuschütten. Es soll dies eine Wegdecke bilden, die jeder Anforderung voll kommen entspreche und jedem Kies- oder Sand wege vorzuziehen sei. Es wachse auf ihr kein Gras, nach dem Regen würde dieselbe schnell trocknen, und selbst bei Kälte bleibe sie ver hältnismäßig warm. Nur müsse die Sägespänlage alle 5 bis 6 Jahre erneuert werden, währeird die alte Lage als trefflicher Dünger für die Gartenanlagen benutzt werden könne. Wolle man aber wirkliche Kieswege, so dürfe man nur in den wie oben ausgegrabenen Wegen etwa 15 Zentimeter Sägespäne und darauf eine 5—7 Zentimeter hohe Kieslage aufbringen und man werde dadurch vortreffliche Wege erhalten. Gegen Raupen. Gegen Raupen und anderes Ungeziefer soll die Karbolsäure sich vor züglich bewährt haben. Sie wird mittels einer geglühten Schaufel in Dampf verwandelt und mit diesem Dampf der Baum umgeben. Kuntes Allerlei. Eine vielbegehrte Patin. Die Exkaiserin Eugenie ist, was wenig bekannt sein dürfte, bei überaus vielen Kindern Pate gewesen; die Zahl ihrer Patenkinder beträgt nämlich nicht weniger als 3834! Von dem sehr ernsten Präsidenten der südafrikanischen Republik, Paul Krüger, erzählt die ,Südafrikanische Wochenschrift', daß er ein einziges Mal in seinem Leben einen Scherz ver brochen habe. Als er vor einiger Zeit mit dem Gouverneur der Kolonie Natal in Newcastle, einem Städtchen genannter Kolonie, eine Be gegnung hatte, wurde zu seinen Ehren ein Ball gegeben, zu dem die Damen wie üblich in mehr oder weniger ausgeschnittenen Kleidern er schienen. Der sittenstrenge Präsident, der ziem lich früh den Ballsaal betrat, war unangenehm berührt, als er die Toiletten sah und wandte sich zu dem ihn begleitenden Gouverneur mit den in lautem Flüsterton gesprochenen Worten: „Die Damen scheinen mit dem Anziehen noch nicht fertig zu sein! Wollen wir nicht fortgehen und in einer halben Stunde wiederkommen?" Zweierlei Auffassung. „Wir Deutsche," meinte einst Bismarck, „fürchten niemand als Gott allein!" Ein Mitarbeiter des ,Grenzboten' ist anderer Meinung. „Der Reichsdeutsche, meint er, kommt aus der Furcht nicht heraus. Er fürchtet sich vor'm Schulmeister, er fürchtet sich vor'm Lehrherrn oder Fabrikaufseher, er sürchret sich vor den Examinatoren, er fürchtet sich vor'm Unteroffizier, er fürchtet sich vor Polizei und Staatsanwalt, er fürchtet sich vor den Denun zianten, von denen es wimmelt, er fürchtet sich vor'm Hauswirt, er fürchtet sich vor seinem Brot herrn oder vor seinen Kunden, er sürchtet sich vor seinen einflußreichen Gönnern oder Miß- ! gönnern; — nur vor Gott fürchtet er sich nicht!" i Stimmt's? «.En,»»» die volle Liebe ihres Mannes zu besitzen, und wenn das nicht möglich ist, doch den äußeren Schein." Viktor war gerührt über die Wärme, mit der Carmen für die Frau eintrat, die den Platz aus füllte, der ihr gehören sollte, und sagte, indem er in das früher gewohnte „du" fiel: „Ich will sie nie wieder vernachlässigen, Carmen, ich danke dir. Ich verspreche dir, mich zu bessern. Gehst du schon fort?" „Ich kam nicht her, nm über andere Dinge zu sprechen," sagte sie ruhig, „mein Anliegen ist erledigt, und ich weiß, daß Sie ihr Versprechen halten werden." Sie ging fort und wider Willen folgten ihr seine Gedanken voll Sehnsucht. Lady Klara konnte nicht ahnen, daß sie Carmen die glücklichen Lage verdankte, die nun folgten. Ihr Gatte vergaß sie nie wieder und umgab sie mit einer zärtlichen Aufmerksamkeit, die er wohl nicht für nötig gehalten hätte, wenn sie im Besitz seiner vollen Liebe gewesen wäre. Eines Morgens, Ende August, erhielt Lord Ryeburn überraschende Nachrichten aus Trewyn. Die Bergwerke schienen doch noch Erfolg in Aus sicht zu stellen, das Wasser war gesunken, und einer der geschicktesten Techniker hatte gemeint, wenn es gelänge, den Rest auszupumpen, so hätten die Minen eine große Zukunft. Lord Ryeburn las den Damen den Brief vor, und die Gräfin sagte erfreut: „Dein ' -te hielt die Spekulation immer für günstig, wundere mich nicht, wenn er recht behal .Was haben wir alle deswegen gelitten!". meinte Lord Ryeburn nachdenklich. Für ihn kam der Reichtum zu spät, sein Lebensglück konnte er ihm nicht mehr erkaufen. „Was wurde eigentlich aus dem damaligen Verwalter?" fragte Lady Klara, „hieß er nicht Adam Grant?" „Ja, so hieß er," bestätigte Lord Ryeburn. Seine Blicke begegneten denen Carmens, deren Gesicht bleich wurde. „Wozu wurde er verurteilt?" „Zu fünf Jahren Gefängnis." Die Gräfin seufzte. „Das ist etwas, was ich nie verstehen konnte, Viktor, daß du, den er so furchtbar betrogen hat, in der Verhandlung zu seinen Gunsten ge sprochen hast." „Ich hatte Gründe, die ich nicht nennen kann, Mutter; bitte, laß uns nicht weiter darüber sprechen." Nun folgte eine sehr arbeitsreiche Zeit. Lord Ryeburn hatte damals alle Papiere, die sich auf die Angelegenheit bezogen, eilig beiseite gelegt in dem Glauben, daß sie nicht wieder gebraucht würden. Nun sollten sie zur Stelle fein und zwar wohlgeordnet. Er arbeitete fleißig. Bis Dienstag mußte alles geordnet sein und am Donnerstag wollte er mit seinem Schwiegervater nach Trewyn reisen, um die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Nur ein Dokument fehlte noch, welches gerade von großer Wichtigkeit war und Lady Klara fand ihren Mann eines Morgens in Verzweiflung - seinen Verlust. f h kenne das Papier so gut," sagte er, „es . einem großen blauen Kouvert. Ich „ - - . «lle Schubladen umgekehrt." „Könnte es nicht anderswo sein?" „Nur in dem großen Sekretär unten im Ge schäftszimmer, aber ich erinnere mich gar nicht, den damals benutzt zu haben." „Laß mich dort suchen," bat sie. „Du siehst angegriffen auS und solltest etwas spazieren gehen." „Ich hatte Henderson versprochen, heute nach mittag ein paar Stunden mit ihm zu jagen." sagte er zögernd. „Thue das, bitte, ich kann ebenso gut suchen wie du und ich verspreche dir, überall nachzu sehen ; wenn du zurückkommst, werde ich mit dem blauen Kouvert vor der Thür stehen." In späteren Jahren war es Lord Ryeburn eine liebe Erinnerung, daß er, einer plötzlichen Eingebung folgend, seiner Frau mit einem herz lichen Kuß für ihre Hilfe dankte. Mit einer Zärtlichkeit, die sie ihm selten zeigte, legte sie die Arme um seinen Hals. „Du hast mich also doch ein klein wenig lieb?" „Nicht nur ein wenig!" „Wirklich mehr? Dann wirst du mich bald von Herzen lieben, Viktor." „Du scheinst zu glauben, daß ich das jetzt noch nicht thue," bemerkte er. „3a," sagte sie traurig, „aber mit der Zeit wirst du es lernen. Liebe muß Gegenliebe wecken, und ich habe dich so sehr lieb." Sie schien über ihre eigenen Worte erschrocken, so offen hatte sie noch nie gesprochen, und trat errötend zurück. So wie sie da vor ihm stand, liebend, schüchtern und einen warmen Schimmer von Glück in den Augen, so sah er sie nie im Leben wieder! 25. DaS Zimmer, in welchem Lord Ryeburn die laufenden Geschäfte zu erledigen pflegte, war ein großer Raum im unteren Stockwerk. Lady Klara trat an eines der Fenster und fah voll Freude auf den stolzen Besitz ihres Gatten. Er lernte es endlich, sie zu lieben, Gott sei Dank, endlich, und in ihrem Herzen leuchtete eS so hell und warm wie der Sonnenschein draußen. Ach, eine kurze Stunde später war er für immer verschwunden, nie wieder hatten die Blumen denselben Duft, die Sonne dasselbe Licht, ihr Antlitz solch' glückliches Lächeln! Der alte Schreibtisch war das einzige alt modische Möbel im Zimmer; oft hatte die Gräfin ihrem Sohn vorgeschlagen, ihn durch einen neuen zu ersetzen, aber er hing an dem alten Stück, welches ihm bequem und nützlich war. Lady Klara lächelte, als sie ihn aufschloß. Sie wußte, was er enthielt: Viktors Briefe auS früherer Zeit, seine Schul- und Tagebücher; sie hatte erst kürzlich über verschiedene alte Schrift stücke gelacht, und er hatte ihr erlaubt, alles zu lesen, was sie darin fände. Sie begann jeden Platz nach dem verlorenen Dokument zu durchsuchen; in einem blauen Kouvert sollte es stecken, daS mußte sich, wenn es überhaupt darin war, leicht finden. Ihr Mann hatte ihr gesagt, daß sie unter geordneten Papieren nicht nachzusehen brauche, er erinnerte sich, einen Koffer voll Akten mit nach London gebracht zu haben. Unter diesen mußte das ver lorene Blatt sein. W sr (Fortsetzung folgt.)
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