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Allgemeiner Anzeiger : 27.06.1894
- Erscheinungsdatum
- 1894-06-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189406271
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18940627
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- Zeitungen
- Saxonica
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- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1894
-
Monat
1894-06
- Tag 1894-06-27
-
Monat
1894-06
-
Jahr
1894
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 27.06.1894
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Politische Rundschau. Deutschland. * Die Kaiserin wird den Kaiser auf der diesjährigen No rdlands reise, die be kanntlich am 2. Juli von Kiel aus angetreten wird, begleiten. * Der ,Reichs-Anzeiger' veröffentlicht den vom Bundesrat den zuständigen Ausschüssen über wiesenen Entwurf einer Erweiterung der Unfall- versicherung namentlich auf das Hand werk und sonstige Kleingewerbe. Der Entwurf enthält 140 Paragraphen. Hinzugefügt ist eine allgemeine und eine spezielle Begründung, so daß die ganze Veröffentlichung des .Reichs- Anzeigers' nicht weniger als 42 Spalten umsaßt. *Eine neue Beschwerde-Ordnung für Mannschaften vom Feldwebel abwärts ist nach der Köln. Ztg/ in vergangener Woche vom Kaiser vollzogen worden und wird in einigen Tagen erscheinen. Der Kaiser hat danach bereits im vorigen Jahre die Ausarbeitung dieser neuen Beschwerde - Ordnung verfügt und die Grundsätze für diese Ausarbeitung aufgestellt. (Bekanntlich hatte der Reichstag aus Anlaß des sächsischen Korpsbefehls über Mißhandlungen in der Armee am 17. Februar 1892 eine Resolution angenommen, die die Regierung aufforderte, die Bestimmungen über das Beschwerderecht der Militärpersonen, namentlich in der Richtung einer Erleichterung dieses Beschwerderechts, einer Re form zu unterziehen.) *Nach den Ergebnissen des Heeres- Ergänzungsgeschäfts für das Jahr 1893 wurden in den Listen im ganzen geführt 1 522 076 Mann, unter diesen 664 846 zwanzig jährige, 469 414 einundzwanzigjährige, 312 509 zweiundzwanzigjährige und 75 307 ältere. Von der Gesamtzahl wurden 45 522 als unermittelt in den Restantenlisten geführt, 117 483 waren ohne Entschuldigung ausgeblieben, 375390 ander wärts gestellungspflichtig geworden; 517186 wurden zurückgestellt, 1431 ausgeschlossen, 30496 ausgemustert, 90217 dem Landsturm ersten Auf gebots, 94 394 der Ersatzreserve, 334 der Marine- Ersatzreserve überwiesen, 234 685 ausgehoben. 8350 sind überzählig geblieben. Freiwillig traten 15 814 in das Heer und 774 in die Marine ein. Von den 234 685 Ausgehobenen wurden bestimmt für das Heer zum Dienst mit der Waffe 226 519, zum Dienst ohne Waffe 4065, für die Marine ans der Landbevölkerung 1898, aus der seemännischen und halbscemännischen Bevölkerung 2203. Es sind ferner vor Beginn des militär pflichtigen Alters freiwillig eingetreten in das Heer 15 922, in die Marine 978. *Eine Aenderung in denKonkursan- zeigen der Amtsgerichte wird von den Be rufsgenossenschaften angcstrcbt. Diese haben vielfach dadurch Ausfälle erlitten, daß sie von der Mitgliedschaft des Gemeinschuldners zu ihrer Genossenschast oft erst dann Kenntnis er- § hielten, wenn die zur Anmeldung von Forde rungen gesetzte Frist verstrichen war. Diesem Uebelstande glaubt man dadurch abhelfen zu können, daß die Amtsgerichte verpflichtet werden, in den Konkursanzeigen sämtliche vom Gemein schuldner ausgeübten Gewerbezweige anzugeben. ! Zur Erreichung dieses Ziels haben die Berufs- gcnossenschaffen die nötigen Schritte bereits gcthau. * Nach einer Meldung von den Halligen ist einer der bedeutendsten Kenner dieser Eilande und zugleich einer der eifrigsten Förderer aller die Befestigung derselben erstrebenden Unter nehmungen, Dr. Eugen Träger, zur Audienz beim Kaiser befohlen worden, außerdem die Gemeindevorsteher der sehr bedrohten Halligen Langenes, Hooge und Oland. Dr. Träger wird dem Kaiser einen Vortrag über die Notwendigkeit und Wichtigkeit der Erhaltung der Hallig- ! Welt halten. Zur großen Freude der Insulaner haben die vorbereitenden Befestigungsarbeiten bereits ihren Anfang genommen. * lieber den neuesten „Grenzzwischen- sall", d. h. über die Mißhandlung zweier deutscher Eisenbahnbeamten ans französischem Gebiet, liegen jetzt nähere Mitteilungen vor: Zwei Zugbcamtc der Reichs-Eisenbahnvcrwal- tung, die einen Zug von Metz nach Pagny ge- i bracht hatten, waren vom Bahnhof in eine auf französischem Boden liegende Wirtschaft gegangen,! um einmal die bis zum Abgang des nächsten Zuges stattfindende größere Zeitdauer totzu schlagen, znm andern, um sich an einem Glase Bier zu erfrischen. Bei der Rückkehr zum Bahn- hos wurden sie von einigen Arbeitern, die an einem Neubau beschäftigt waren, ob ihrer Uniform angefallen, und es entspann sich ein Handgemenge, bei dem es aber zu Verwundungen oder Miß handlungen nicht kam. Der Regierung zu Straß burg ist die Sache nicht offiziell gemeldet worden, wohl aber hat die französische Staatsanwaltschaft zu Nancy Veranlassung genommen, die schuldigen Arbeiter wegen Gewaltthätigkeit in Untersuchung zu ziehen. Oesterreich-Ungarn. * Am Donnerstag hat im ungarischen Oberhause die entscheidende Abstimmung über das Zivilehegesetz stattgefunden. Mit 128 gegen 124 Stimmen beschloß das Haus, auf die Spezialberatung des Gesetzes ein zugehen. Dänemark. * Die Verlobung des Prinzen Christian von Dänemark, des ältesten Sohnes des Kronprinzen, mit der Prinzessin Maud von Wales steht nach der ,Franks. Ztg.' bevor. Der Prinz weilt gegenwärtig in London. Italien. *Jn der Deputiertenkammer hat in der Spezialberatung der Finanzmaßnahmen die erste Abstimmung stattgefunden. Der Vorschlag der Regierung, den Getreidezoll von 5 auf 7 Lira (also von 4 auf 5,60 Mk.) zu erhöhen (die Erhöhung ist schon seit Februar durch könig liches Dekret eingeführt) wurde mit großer Mehrheit angenommen. Ein von agrarischer Seite eingebrachter Antrag, den Zoll auf 8 Lira (6,40 Mk.) festzusetzen, wurde mit 190 gegen 127 Stimmen abgelehnt. Rustland. *An der Orel-Witebsker Bahn soll nach einer Depesche des,Kl. Journ.' eine Sprengminen- Anlage entdeckt worden sein, deren Zweck es war, den Hofzug bei der Durchfahrt nach den großen Manövern in Mittel-Rußland in die Luft zu sprengen. Infolge dieser Ent deckung dürste die Reise des Zaren zur Ein weihung der Votiv-Kirche bei Borki wahrscheinlich unterbleiben. *Der ,Swjet' erörtert die Frage, wie Bulgarien in reguläre Beziehungen zu Rußland treten könnte, und erklärt, es gebe nur ein einziges Mittel, den beleidigten Ge fühlen der Besteier Bulgariens Genugthuung zu verschaffen und dieses Mittel sei, daß Fürst Ferdinand dem unrechtmäßig von ihm ein genommenen Throne entsage und seine Kandidatur auf den Thron von neuem aufstelle. Werde der Fürst aus gesetzlichen Grundlagen wiedergewählt, so werde Rußland schwerlich etwas gegen seine Anerkennung haben, da schon vor der Reise des Fürsten nach Bulgarien auf seine Anstage in Petersburg, wie sich Ruß land zu seiner Kandidatur stelle, die Erklärung erfolgt sei, persönlich habe Rußland nichts gegen den Fürsten, es seien nur die internationalen Verträge zu achten. Balkanstaate». * Wie man in Ergänzung früherer Meldungen der,Nowoje Wremja' aus Sofia über Wien telegraphiert, hatte der bekannte Depeschen- Escamoteur und Dokumentenfälscher Jakobson den Versuch gemacht, heimlich aus Sofia zu entkommen; auf telegraphische Weisung aus der Hauptstadt arretierte ihn die bulgarische Polizei in Lompalanka. Man beförderte ihn unter Wache nach Sofia, wo er gefangen ge halten wird. Unter dem Gepäck Jakobsons be fanden sich auch zwei Koffer mit verschiedenen Dokumenten; die Polizei nahm sie in Beschlag und übergab sie dem Ministerium. Es heißt, unter diesen Papieren befänden sich wichtige Dokumente aus der Zeit Stambulows. Afrika. *Die Dinge in Marokko wickeln sich wider Erwarten glatt ab. Der mächtige Scherff von Wasan hat Abd-el-Aziz anerkannt, ebenso die Städte Marakesch und Mequinez. Die meisten Stämnie haben sich der Oberhoheit des neuen Suttans unterworfen und sämtliche Vertreter des Auslandes an Abd-el-Aziz Schreiben gerichtet, worin sie ihn als Sultan anerkennen. Der be rühmte Häuptling Ohamu Zayani, das Haupt des Zayan-Stammes, dem man in seinen unzugäng lichen Bergen thatsächlich nichts anhaben kann, hat nicht nur sofort den Sultan anerkannt, son dern auch 3000 Bewaffnete zur Aufrechterhaltung der Ordnung auf der Straße, die von Fes nach Mequinez führt, geschickt. Nirgends erhebt sich Widerstand gegen die neue Ordnung und alle Straßen im Innern sind offen. Amerika. * Der brasilianische Bürgerkrieg wütet fort. Nach in Paris vorliegenden Nach richten aus Curitiba haben die Regierungstruppcn die zwischen Lorena und Rio Grande gefangen genommenen Aufständischen erschossen. Saraiva (wer ist das?) bereite sich zum Angriff vor. Aus Paris. Vom Marquis de Gallifet, dem dermaligen französischen Zukunstsmoltke und bestgehaßten Manne der französischen Armee, werden jetzt, da ihm die Urheberschaft des vielbesprochenen „Interview eines kommandierenden Generals" im ,Figaro' zugeschrieben wird, in französischen Blättern allerhand böse Geschichten erzählt, die alle den einen Zweck haben, die Wahrheit eines Ausspruchs des Zivil-Kriegsministcrs Freycinet zu erweisen: „Gallifet ist wohl zu allem fähig, aber nicht zu allem befähigt." Am hübschesten ist die Geschichte, die von dem Marquis anläßlich des Sturzes Boulangers berichtet wird. Da soll — es war zur Zeit der Wahlen der aus dem Kampf gegen den Boulangismus hervorgegange nen vorletzten französischen Kammer — eines Abends General Gallifet zu dem damaligen Minister des Innern, Herrn Constans, der die verzweifelte Kampagne gegen den „brav' xäuöral" führte, gekommen sein und diesem etwa folgendes gesagt haben: „Wenn ich Sie richtig beurteile, wollen Sie Boulanger los sein. Ich bin bereit, Sie von dem Manne zu befreien. Meine Be dingung ist: Sie machen mich zum Kriegs minister. Dann nehme ich einen Unteroffizier und sechs Mann, schicke sie zu Boulanger, ein zweiter Unteroffizier und sechs Mann gehen zu Rochefort; ich lasse beide verhaften, in die nächste Kaserne führen und erschießen. Die Ver antwortung vor dem Lande und vor der Kammer übernehme ich." Noch am selben Abend war Ministerrat. Dort soll Constans seinen Kollegen den Vorschlag Gallifets unterbreitet haben; die Ansichten, ob annehmen oder ablehncn, sollen sehr geteilt gewesen sein. Schließlich habe Constans den Ausschlag gegeben. Er halte zwar, so soll er gesagt haben, den General Gallifet durchaus für fähig, das, was er ihm vorgeschlagen, auch wirklich auszuführen; die Sache sei auch ganz gut, aber sie habe leider ein kleines Bedenken gegen sich. „Wer," so soll Herr Constans sich weiter geäußert haben, „steht uns dafür, daß, wenn wir Gallifet zum Kriegsminister machen, er nicht noch ein paar- andere Unteroffiziere mit noch einigen Dutzend Soldaten nimmt, und nicht nur Boulanger und Rochefort, sondern auch uns alle, die wir da sitzen, verhaften und auf dem nächsten Kasernen hofe erschießen läßt?" Das gab, wie gesagt, den Ausschlag: Gallifet wurde nicht Megs minister, Boulanger und Rochefort wurden nicht erschossen; Herr Constans erreichte seinen Zweck, Boulanger zu beseitigen, unblutiger. Er rief einen der Beamten des Ministeriums des Innern, von dem er wußte, daß er zu den Freunden des „brav' Moors.?- gehörte, zu sich und gab ihm eine Ordre an den Polizeipräfekten von Paris zur schnellen Reinschrift. In der Ordre stand, angesichts dieses Boulanger und seinen Freund Rochefort zu verhaften. Der Beamte benach richtigte natürlich, wie Constans richtig voraus gesehen hatte, sofort Boulanger von der ihm drohenden Gefahr, und mit dem nächsten Zuge nach Brüssel verließ der gefürchtete Zukunsts diktator Paris und Frankreich. Pon Uah und Fern. Die Schustliste des Kaisers. Zur Feier des 150 jährigen Jubiläums des Garde-Jäger- . Bataillons erschien eine Fcstuummec der ,Jäger- Zeitung', in der eine Nachweisung des Wildes und des Raubzeuges veröffentlicht wurde, das der Kaiser in den Jahren von 1872—1894 erlegt hat. Die Liste, zu deren Veröffentlichung der Kaiser seine Genehmigung erteilt, lautet: 1 Wal, 2 Auerochsen, 3 Renntiere, 7 Stück Elchwild, 3 Bären, 709 männliches und 57 weibliches Rotwild, 944 männliches und 40 weibliches Damwild, 1524 grobe und 179 geringe Sauen, 121 Gemsen, 413 Rehböcke, 16 Füchse, 11 066 Hasen, 7387 Fasanen, 407 Rebhühner, 29 Auer- Hähne, 4 Birkhähne 56 Enten, 2 Schnepfen, 638 Kaninchen, 694 Reiher und Kormorane, und 559 Verschiedenes, in Summa 24 860 Stück. Im lausenden Jahre 1894 hat der Kaiser erlegt: 29 männliches und 1 weibliches Rotwild, drei zehn männliches und 1 weibliches Damwild, 2 geringe Sauen, 56 Rehböcke, 1 Fuchs, 400 Hasen, 8 Auerhähne, Summa 512 Stück. Die Gesamtsumme des vom Kaiser bisher erlegten Wildes und Raubzeuges beträgt somit 25 372 Stück. Diese Aufstellung ist vom königlichen Büchsenspanner Rieger gemacht und am 31. Mai dieses Jahres abgeschlossen. Am 18. August soll einige hundert Meter von der Ferme Mogador bei Gravclotte, da wo Kaiser Wilhelm im Jahre 1870 während der denkwürdigen Schlacht verweilt hat, die feierliche Einweihung eines Denksteines statt finden. Ddr Ankauf des Grundstücks durch den Fiskus wurde in diesen Tagen unterzeichnet. Uebcr die Motive des Selbstmordes des nationalliberalen Landtagsabgeordneten vom Heede erfahren die ,Leipz. N. N.' aus angeblich bester Quelle, daß auch Herr vom Heede ein Opfer des Berliner Bauschwindels geworden ist. Sein finanzieller Ruin war die Folge der Zahlungseinstellung eines bekannten großen Bau spekulanten, an dessen Unternehmungen er mit großen Summen beteiligt war. Ein „geistesgestörter" Mörder. Als des Mordes in Nimptsch an dem Gendarmen Karnath aus Prauß verdächtig wurden die Weber Mesletzky und Friese! verhaftet und in das Strchlener Gerichtsgefängnis abgeliefcrt. Beider Kleider waren mit Blut bespritzt. Sie haben als berüchtigte Wilddiebe schon viele Zusammen stöße mit den Behörden gehabt. Mesletzky war schon wegen Totschlags zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt, aber wegen „Geistesgestörtheit" frei- gelassen worden. Grostfeuer in Leipzig. In der Nacht zum 21. d. brach in einem Gasthause in der Kloster- straßc ein großes Feuer aus. Das Haus wurde vollständig eingcäschert. Neun Personen wurden mittels Rettungsleiter geborgen. Der 65jährige Portier kam in den Flammen uni; außerdem werden zwei Personen vermißt. Zu den Blutthaten in Halle schreibt man von dort: Wctzestein, der sich bisher noch zu keinem Geständnis bequemt hat, wird immer mehr durch Aussagen von Personen, die ihn am Sonntag nach dem Mordanfall auf der Flucht gesehen, wie auch von Frauen belastet, die er noch kurz vor seiner erfolgten Verhaftung über fallen hat, wobei er jedoch zum Glück an weiteren Unthaten durch Hinzukommen dritter Personen verhindert worden ist. Einen solchen lleberfall führte er etwa eine Stunde vor seiner in der Mähe der Elisabethbrücke erfolgten Verhaftung auf ein den benachbarten Sandanger passierendes Mädchen, einen anderen auf ein beim Pächter des Stadtgutes Gimritz, Kohnert, in Dienst stehendes Mädchen am Garten des Gutes aus; beide Mädchen erklärten mit Bestimmtheit, daß Wctzestein der Mann sei, der sic Überfällen habe. Das Kohnertsche Dienstmädchen hat er am Halse gewürgt und mit Gewalt zu Boden geworfen und erst von seinem Treiben abgelassen, als von Nictleben her ein Mann nahte. Zur Beerdigung des verunglückten Luftschiffers Lattemnnn in Krefeld, die am 19. d. vor sich ging, waren die Eltern des Ver- unglückten eingetroffen. Von ärztlicher Seite ist erklärt worden, daß Lattcmann schon vor dem Sturze auf den Boden infolge eines durch die starke Lustpressung herbeigeführten Herzschlages ) ! gestorben war und als Leiche zur Erde kam. Das Aussehen des Toten bestätigte durchaus diese Annahme; die Nachricht, Lattemann habe Das Kreitz am Waldessaum. r) (Fortsetzung.) Ihr Grab war das größte Heiligtum ihrer Tochter Auguste, die nicht müde wurde, dasselbe zu schmücken und zu zieren. An dieses Grab mußte nun auch Heinrich denken, als seine Blicke auf dem kleinen Kirchhof haften blieben, der die heimatliche Kirche umgab, hatte ihm doch vor kaum einer Stunde der Totengräber mit geteilt, daß er in vierzehn Tagen Hand an das selbe legen müsse, da die Frist vorüber sei, die man den Todten zur Verwesung gönnte. Die dauernde Erwerbung einer Grabstelle kostete hundert Gulden. Woher hätte Auguste diese Summe schaffen sollen, da es so arm bei ihr zuging und der Kurator beim Gericht nicht ein- .willigte, das Geld auf die durch den Mordpro- zcß stark verschuldete Wirtschaft aufzunehmen. Die Eltern ihres Vaters hatten noch bei Leb zeiten dafür gesorgt, daß ihr gemeinsames Grab dem Sohne erhalten bleibe. Was hatte Auguste nicht gebeten, daß man ihr die letzte Ruhestätte der Mutter unversehrt lasse. Ingrimmig hatte der Totengräber seine Erzählung mit den Worten geendet: „Als sie nirgends Hilse sah, da wandte sie sich sn mich und mit gerungenen Händen flehte sie, ich solle mich ihrer erbarmen und die Mutter im Grabe ruhen lassen, müsse sie dasselbe doch auch für den Vater erhallen. Ich solle ihr helfen, sie wolle die große Summe später bei mir ab- arbeiten und mir dankbar sein bis an ihr Lebens- ende. — Herr Heinrich, man ist doch auch nur «t» Mensch und deshalb frißt es bitter an meinem Herzen, daß ich armer Mann ihre Bitte nicht erfüllen kann. Ich glaube, wenn ich den ersten Spatenstich in dieses Grab werde thun müssen, wird mir sein, als gelle es, ins eigene Herz hinein zu graben!" An diese Worte des Totengräbers mußte Heinrich nun denken und es erfaßte ihn tiefes Mitleid mit Auguste, konnte er doch ihren Schmerz verstehen, da er ja auch eine gute Mutter verloren, deren Grab ihm über alles teuer war. Als er in ernstes Sinnen verloren noch so dastand, umspielte plötzlich ein leises Lächeln seinen Muud. Gleich darauf zog er seine Brief tasche hervor und nachdem er sie geöffnet, über blickte er prüsend die vielen Banknoten, welche sich darin befanden. Sein Vater hatte ihm überreich das Geld für die Prüfungen und das Doktorat gesandt und ihm dabei geschrieben: „Für das Uebrigbleibende gönne dir ein Ver gnügen, oder benütze es zu einer Reise!" Es waren weit über hundert Gulden, die er nun sein Eigen nannte. Als er das Geld überzählt hatte, leuchtete es freudig in seinen Augen auf, und es war ihm plötzlich, als halte ein Mes Glück Ein kehr in seinem Herzen. 2. In der großen Wohnstube saß ein Mädchen von ungefähr siebzehn Jahren am Fenster und blickte gedankenvoll hinaus in die sonnige Land schaft. Es war Auguste, die Tochter Rain hofers, welcher bereits seit zwölf Jahren im Kerker schmachtete. Ihre Gestalt war schlank und fein und doch auch voll dabei. Das reiche, dunkelblonde Haar umrahmte ein Gesicht von ungemeiner Lieblichkeit und seltener Schönheit. Auf der Bank, welche den mächtigen Kachelofen umgab, hatte Bärbel, die treue Magd, Platz genommen, eine Frau von ungefähr sechzig Jahren, die bereits seit undenklichen Zeiten sich im Hause befand und nicht nur in den Tagen des Glückes daselbst ausgehalten, sondern auch dann, als Jammer und Trübsal Einkehr hielten. Als man Rainhofer in den Kerker abgeführt, da war sie der jungen, verzweifelnden Frau desselben Stab und Stütze gewesen und nicht um Lohn diente sie fortan, den man ihr ohnehin nicht mehr hätte gewähren können, da die Gerichts kosten des Mordprozesses alles verschlungen, sondern sie opferte noch ihre sauer verdienten Sparpfennige, ohne daß sie es merken ließ. Und als Rainhosers Frau, ganz in Leid ver sunken, nicht an die Führung der Wirtschaft dachte, griff Bärbel entschieden ein, um von der selben zu retten, was noch zu retten war. Dem kleinen Mädchen aber war sie eine liebevolle Pflegerin, was um so nötiger, da die Mutter desselben bald nachher zu kränkeln begann und endlich hart und schwer zu liegen kam. Was lastete da nicht alles auf der treuen Magd, deren Kräfte in dieser schweren Zeit zu wachsen schienen. Als die traurige Stunde kam, in der es für die todkranke Mutter galt, den letzten Abschied von dem geliebten Ktnde zu nehmen, flüsterte ihr Bärbel zu: „Rainhoferin, ich will das Mädchen lieben, so mächtig, wie du es selbst gethan, und es behüten, wie du es nicht besser könntest!" Als die Mutter dann mit ersterbenden Lippen den letzten Kuß auf des Kindes Mund hauchte, ging sie gottergeben und getröstet zur ewigen Ruhe ein. Was Bärbel versprochen, hatte sie auch gehalten, und der ganze Zweck ihres weiteren Lebens bestand nur darin, dem Mädchen eine gute Mutter zu ersetzen. Lange Zeit herrschte tiefe Sülle in dem Zimmer und es war nichts zu vernehmen, als das leise Ticken der Wanduhr. Nach einer ziemlichen Weile begann Bärbel gleich wie zu sich selbst: „Der Heinrich vom Lindenhofe ist auch wieder im Dorfe!" Da zuckte Auguste plötzlich zusammen, schaute jedoch gleich nachher noch eifriger zum Fenster hinaus. Bärbel, die gerade eine fallen gelassene Masche wieder aufzunehmen hatte, be gann endlich, da sie keine Antwort erhielt, von neuem, aber weit lauter: „Hörst du es? Der Heinrich vom Linden hofe ist wieder da, und zwar fest einigen Tagen schon!" „So?" wurde der Magd beklommen zur Antwort, dann versank Auguste wieder in ge dankenvolles Schweigen. Sie meinte bei sich, Heinrich werde wohl auch nicht mehr so sein wie früher, denn es waren bereits zwei Jahre her, daß er das letzte Mal die Heimar verlassen. Schon damals, als er noch mit ihr gespielt, war er ihr leuchtendster Kindertraum gewesen, denn sein Mitleid und seine Teilnahme hatten ihm das junge Herz gewonnen, das ihm von da an m schwärmerischer Liebe entgegenschlug. Die Kinder- ;ahre schwanden wohl dahin, die Liebe aber wuchs in der Einsamkeit immer inniger empor
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