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Dabei setzte Käthe sich entschlossen an den zierlichen, mit allerlei überflüssigen Nippsachen beladenen Damen-Schreibtisch und schrieb, während die ernstere Schwester ihr kopfschüttelnd zusah, schnell und ohne viel Ucberlegung: „Mein edler Prinz! Es geschehen , viel Dinge, von denen Eure Schulweisheit sich uichts träumen läßt; zu diesen zähle ich den Zufall, der mir heute Ihr Inserat zu Gesicht brachte und der auch in dem un gläubigsten Zweifler die Ueberzeugung erwecken muß, daß eine höhere Macht das Geschick der armen Erdeuwürmer lenkt. Wenn jenials zwei Wesen für einander bestimmt waren, so müssen wir beide es sein, denn niemals klangen Wunsch und Empfinden zweier Seelen so harmonisch zusammen, wie hier! So wage ich es denn, alle mädchenhafte Zurückhaltung kühn bei Seite werfend, mich Ihnen vorzustellen und hoffe, daß Sie schnell meinem Beispiel folgen werden. Ich heiße Konstanze, bin zweiundzwanzig Jahre alt und Waise. Seit dem Tode meiner Eltern wohne ich bei einer alten Tante, die mich unter ihre Obhut genommen hat und mich so zärtlich liebt, daß sie mich am liebsten in Watte packte Und vor jedem Luftzug und — Männerauge hütete. Sie können sich keinen Begriff machen, wie entsetzlich langweilig mein Leben ist und wie inbrünstig ich mich hinaussehne. Ich will es nun keinessalls länger tragen und habe mich fest entschlossen zu heiraten. Leider kann ich das aber nicht ohne die Hilfe eines andern; mir fehlt jede Gelegenheit, einen Retter kennen zu lernen, so „sehe ich mich deshalb gezwungen, zu diesem wenig poetischen Mittel zu greifen" und Sie zu bitten, das Dorn röschen aus dem bösen Zauber zu erlösen. Um einige Aeußerlichkeiten zu berühren, bemerke ich noch, daß ich in unabhängigem Besitze von 150 000 Mark bin, eine eigene hübsche Villa bewohne und nach dem Tode meiner Tante, deren einzige Erbin ich bin, noch vielleicht die gleiche Summe erhalte. — Man nennt mich „nicht häßlich," doch das ist Ge schmackssache, ich will Ihnen deshalb schnell meine äußere Er scheinung skizzieren: Figur mittelgroß und schlank, dunkelgrauc Augen, die manchmal schwarz werden, wenn ich mich allzu sehr über irgend etwas ärgere; meine Tante behauptet das wenigstens und fürchtet sich ein wenig vor meinen „schwarzen" Äugen. Gesichtsfarbe klar und gesund, Zähne klein, weiß und sehr scharf. Mein Haar war ehemals — rot, hat sich jetzt aber glücklicherweise entschlossen, braun, mit einem Stich ins Rötliche, zu werdeu und ist ziemlich lang und stark, viel zu stark für die hübschen, modernen Haarfrisuren. Ich bin stets gesund und trotz meiner einförmigen Lebensweise recht heiter; auch glaube ich einen guten, verträglichen Charakter zu besitzen. Wenn Sie nun nach dieser ebenso wahrheitsgetreuen wie ernstgemeinten Antwort noch Neigung haben, mich kennen zu lernen, so bitte ich Sie mir bis nächsten Dienstag postlagernd unter: Scherz oder Ernst? zu schreiben." — „So, das wäre gemacht! Ich möchte Mäuschen sein, um die Augen des guten Mannes zu sehen! Denkst Du, daß er alles glauben wird?" „Närrchen, zerbrich Dir doch nicht den Kopf darüber. Ich hoffe, er wird so gescheit sein, gar nicht zu antworten.... ich habe wirklich Gewissensbisse und überlege, ob ich Dir den leicht sinnigen" — „Still, stillD Moralpredigerin, jetzt isls zu spät, aber damit Du nicht noch einmal solche Äuwandlung bekommst, will ich den Brief sogleich in den Kasten werfen." Während Käthe so die aussteigenden Bedenken Hedwigs zu beschwichtigen suchte, hatte sie den Brief geschlossen, mit Marke uud Adresse versehen und vorsichtig in die Tasche geschoben. Ihrer Schwester freundlich zulnchcnd, eilte sie leichten Schrittes aus der Thür. — Die drei Tage, die bis zum Dienstag vergehen mußten, waren den Mädchen ausfallend lang erschienen, denn sie warteten mit Ungeduld auf die Antwort ihres unbekannten Heiratslustigen. Ob gleich Hedwig sich der Schwester gegenüber äußerst gleichgiltig zeigte, erregte das kleine Abenteuer ihre Gedanken doch ebenso stark, wie die Käthens, und ihr neunzehnjähriges Herz schlug schneller, wenn sie an den tollen Streich ihrer jüngeren Schwester dachte, nichtsdestoweniger beschäftigte sie sich unausgesetzt mit der Frage, ob Er wohl antworten würde, oder ob das Ganze nur ein Scherz sei. Die beiden lustigen Mädchen waren die Töchter eines in Berlin lebenden Justizrates. Die Mutter, die seit mehreren Jahren leidend war, starb als Heddy sechszehn und Käthe 14 Jahre zählten. Der Vater, welcher den Gram um die früh verlorene, geliebte Frau in verdoppelter Arbeit zu ertöten suchte, liebte seine hübschen Töchter recht herzlich, erfüllte nach Möglichkeit alle ihre Wünsche, bekümmerte sich aber sonst nicht viel um ihr Thun uud Lassen. Er hegte volles Vertrauen zu ihnen, freute sich über ihr hübsches, frisches Aussehen und über ihre Lustigkeit und Zufrieden heit und ivar fest überzeugt, seine Vaterpflichten getreu zu erfüllen, wenn er seine Töchterchen monatlich ein- oder zweimal ins Theater und ebenso oft ins Konzert führte. Seit die früh gereifte Heddy sich des HausregimcntS bemächtigt hatte und den kleinen Haushalt mit Hilfe der alten Magd musterhaft führte, war dem guten Justizrat sein Heim äußerst behaglich und er sah mit Vergnügen, wenn seine jungen Damen ihre Freundinnen einludcn, oder wenn sie selbst zu befreundeten Familien gingen und ließ ihnen völlige Freiheit. Sv angenehm und beneidenswert nun aber auch das Leben der Schwestern schien, so beschlich die lebhafte, zu allerlei tollen Streichen geneigte Käthe doch manchmal leise Langeweile. In einem solchen Moment hatte sie obiges Inserat gelesen und, trotz des erst sehr'energischen Widerspruchs Heddys, die Beantwortung desselben durchgesetzt. Endlich war der Dienstag erschienen. Die Schwestern hatten verabredet, daß Käthe, die zur Klavierstunde mußte, auf dem Rückwege zur Post gehen solle, um nach dem Briefe zu fragen. Heddy stand schon lange am Erkerfenster und spähte ungeduldig nach der Erwarteten. Da! endlich tauchte sie auf! Die geröteten Wangen und das schiessitzende Sealskin-Mützchen bezeugten. die Aufregung und Erwartung, in der das junge Mädchen sich befand. Triumphierend schwenkte sie einen Brief in der Hand und lachte der Schwester schelmisch zu. Diese trat erschrocken vom Fenster zurück und schritt zur Thür; doch ehe sie dieselbe erreicht hatte, wurde sie heftig ausgerissen und Käthe stürmte ins Zimmer. Sie schleuderte das Müffchen auf den Tisch, zog Heddy zu sich auf das Sofa und riß zitternd vor Ungeduld den Bries auf. Ein Blatt mit festen, charaktervollen Schriftzügen siel ihr entgegen, sie schlug es auseinander und las: Hochverehrtes, gnädiges Fräulein! „Kaum wage ich an mein Glück zu glauben und fürchte noch immer, ein liebenswürdiger Kobold treibt seinen Scherz mit mir. Ist es denn wirklich wahr, daß ein reizendes, lustiges - Mädchen ernsthaft auf mein lächerliches Inserat eingeht? Mein Herz wünscht sehnlichst, daß es wahr sein möge, und was man innigst wünscht und hofft, das glaubt mau. Ich habe mich herzlich über Ihren frischen, liebenswürdigen Brief gefreut und wenn meine Sehnsucht nach einer gleichgesinnten weiblichen Seele bis jetzt nur formlos in meinem Gemüte lebte, so hat sie jetzt scharf gezeichnete, bestimmte Umrisse erhalten und ich sehe wachend und träumend eine hohe, schlanke Elsengestalt mit lachenden, klugen Augen und goldbraunem Haar! Goldbraun! O gnädiges Fräulein, lachen Sie nicht allzu sehr, wenn ich Ihnen gestehe, daß diese entzückende Nuance die Farbe meiner Träume ist! Hätte ich mir ein Idealbild geschaffen, so würde es unfehlbar diese Haarfarbe getragen haben, und ich bin nun mit Ihnen überzeugt, daß das gütige Schicksal uns wirklich für einander bestimmt hat. Wollen Sie mich zum Glücklichsten der Sterblichen machen, so erlauben Sie mir, mich Ihnen persönlich nähern zu dürfen. In sehnsüchtiger Erwartung Ihrer gütigen Erlaubnis küßt demütig Ihre kleine weiße Hand Ihr ganz ergebener vr. Paul Hellmut, UniversitäiSstraßc 58." Käthe ließ den Brief sinken und blickte ihre Schwester er wartungsvoll an. „Was sagst Du dazu?" fragte sie endlich, als Heddy nichts verlauten ließ, „mir scheint der — meint es wirklich ernst, denn er gibt seine volle Adresse an." — „Ich zweifle nicht, daß er ernsthaft die Absicht hat, sich zu verheiraten und ich bedauere umsomehr unseren leichtsinnigen Streich, denn wir müssen dem armen Mann nun eine Enttäuschung bereiten; cs ist mir peinlich, zu denken, daß er vergeblich auf Ant wort harrt. „Das ist gar nicht nötig, wir erlösen ihn anS dieser un angenehmen Lage, indem wir sofort einen zweiten Brief senden. Mach nur kein böses Gesicht, wer einmal A gesagt, muß auch B sagen und Du wirst sehen, daß unsere kleine Korrespondenz ganz interessant wird. — Jetzt will ich aber erst die Pelzjacke ablcgen, bitte zieh mal; so, danke! cs ist schauderhaft heiß hier; dann wollen wir überlegen, was wir weiter schreiben. Weißt Du übrigens, cs ist gräßlich peinlich, einen Postlagernden Brief zu holen; der Postschwede — verzeih,» der Beamte zwinkerte so sonderbar mit den Augen uud griente so unverschämt, ich wette, er dachte, es sei ein Liebesbrief! Zu dumm, immer gleich solche Dinge zu glauben, als ob man stets nur an so was dächte!"