Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 23.06.1894
- Erscheinungsdatum
- 1894-06-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189406235
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18940623
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18940623
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1894
-
Monat
1894-06
- Tag 1894-06-23
-
Monat
1894-06
-
Jahr
1894
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 23.06.1894
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Politische Rundschau. Deutschland. *°Wie nunmehr bekannt geworden, trifft der Kaiser am Freitag nachmittag mittels Eisen bahn in Kiel ein, um den Regatten während der Kieler Woche vom 24. bis 29. Juni bei- zuwohnen. *Jn den deutsch-englischen Ver handlungen betreffend den Pachtvertrag zwischen England und dem Congostaat ist eine er hebliche Annäherung eingetreten. In London scheint man gewillt zu sein, die von Deutschland beanstandete Verletzung der Congoakte und der Neutralität des Congostaates durch den Vertrag vom 12. Mai rückgängig zu machen. Damit wäre allerdings die deutsch-englische Streitfrage erledigt. * Der Justizausschuß des Bundes rats war für Dienstag zu einer Sitzung zu- sammcnberufen worden, um über die Heraus gabe einer Statistik der Konkurse zu beraten. * Wie man hört, liegt es in der Abficht der Reichsregierung, den kürzlich festgestellteu Gesetz entwurf wegen Ausdehnung der Unfallver sicherung auf das Handwerk amtlich zu veröffentlichen, um so weiteren Kreisen Ge legenheit zu geben, sich darüber zu äußern, ehe die Vorlage zur definitiven Feststellung an den Bundesrat gebracht wird. *Wie die ,Nat.-Ztg.' hört, ist als sicher anzuyehmen, daß das neue.Reichstags gebäude, falls die nächste Session im November eröffnet wird, gleich zum Beginn der selben vom Reichstag bezogen werden kann; es wird Lis dahin vollständig fertiggestellt sein. * In der Kommission zur Beratung über die Eisenbahn-Getreidetarife erklärte der Finanzminister Miquel, er habe nichts gegen eine Herabsetzung der Tarife einzu wenden, wenn die Verluste, die die Staatsbahnen dadurch erlitten, durch anderweitige Vorteile für den Handel und die Landwirtschaft ausgeglichen würden. *Aus den Erhebungen über die Arbeits verhältnisse im Bäckergewerbe ergibt sich hinsichtlich der Lehrlingshaltung, daß von 4551 befragten Bäckereien die Hälfte ohne Lehrlinge arbeitete; von den übrigen hatten 10 Prozent nur Lehrlinge, 25,4 Prozent weniger Lehrlinge als Gesellen, 42,4 Prozent ebenso viel Lehrlinge wie Gesellen; in 22,2 Prozent der Betriebe überschritt die Zahl der Lehrlinge die Zahl der Gesellen. In den meisten dieser letztgenannten Betriebe kommen auf einen Gesellen zwei oder mehr Lehrlinge. Dieses Verhältnis findet meist statt in Betrieben von 3 bis 5 Personen, seltener in größeren Bäckereien, am häufigsten im nord östlichen Deutschland, am seltensten in Süd- Deutschland. In den Orten unter 2000 Ein wohnern hatten 33,9 Prozent der Bäckereien nur Lehrlinge und 12,9 Prozent mehr Lehrlinge als Gesellen. Oesterreich-Ungarn. * Der Fürstbischof von Krakau, Kardinal Dunajew ski, ist am Montag mittag gestorben. * Das ungarische Oberhaus wollte am 21. d. über das Zivilehegesetz verhandeln. Frankreich. * DieKolonialgruppeder französischen Kammer beschloß auf Anttag des Abg. de Mahy, der die Lage der französischen Staatsangehörigen auf Madagaskar als eine sehr unsichere schilderte, die Aufmerksamkeit des Ministers des Aeußeren von neuem auf diesen Punkt zu lenken. England. *Das Gerücht, Harcourt, in dem die englischen Radikalen den getreuesten Vertreter der Gladstoneschen Grundsätze er blicken, gedenke aus dem Kabinett auszu scheiden, verbreitet innerhalb der Regierungs mehrheit des Unterhauses eine gewisse Unruhe. Dasselbe hat bis jetzt indessen noch keine Be stätigung gefunden. Allerdings macht namentlich die Vermögenssteuer noch erhebliche Schwierig keiten; insbesondere aus den Kolonien kommen von allen Seiten Proteste gegen die von der Regierung geplante Reform. Schweden-Norwegen. * Der norwegisch eStorthing nahm i mit 62 gegen 49 Stimmen die von dem Präsi denten Ullmann beantragte Adresse anden König an, in der die Aufmerksamkeit des Königs auf die bekannten militärischen Veran staltungen in den Jahren 1884 und 1893 gelenkt wird, die sich anscheinend gegen die radikale Storthingsmehrheit richteten. Der Antrag Haug land, den Bericht der Storthingskommission dem Reichsadvokaten vorzulegen, wurde mit derselben Stimmenzahl abgelehnt. Italien. *Das Revolver-Attentat, welches am 16. d. der Anarchist Lena auf den Minister präsidenten Crispi ausübte, hat mit einem Schlage die Stimmung zu gunsten Crispis be einflußt, so daß dieser der politischen Schwierig keiten Herr zu werden hoffen darf. Aus Anlaß des Attentats, das Crispi keinen Blutstropfen gekostet hat, sind dem italienischen Minister präsidenten gegen 18 000 Glückwunsch-Depeschen aus dem In- und Auslande zugegangen. Sämt liche Mitglieder des italienischen Königshauses wie auch die Königin-Witwe Maria Pia und der König von Portugal sandten Telegramme. Die Minister der auswärtigen Angelegenheiten der Hauptstaaten Europas übermittelten ihm die Glückwünsche ihrer Regierungen. *Die Regierung rechnet bestimmt auf die Erledigung der Finanzvorlagen bis Ende dieser Woche und auf deren Annahme spätestens am nächsten Dienstag mit einer Mehr heit von 70 Stimmen. * König Humberthat dem Präsidenten des Komitees zur Errichtung eines Standbildes für Mac Mahon in Magenta tausend Frank ge spendet. Die Gabe war von einem Schreiben aus der Feder eines Adjutanten begleitet, worin es hieß: Der König will damit seiner Dankbar keit den Manen des Marschalls gegenüber Aus druck geben und seinem Wunsch, durch seine patriotische Initiative teil zu nehmen an dem Vorhaben, Mac Mahon dort ein Denkmal zu errichten, wo sein Taft und seine militärische Bedeutung am hellsten erstrahlten. * Die Kommission der Generale zum Studium von Reformen im Heereswesen wird am 21. d. im Kriegsministerium zusammeutteten. Der ,Riforma' zufolge ist die Kommission er mächtigt, ohne an der ständigen Einrichtung von 12 Armeekorps zu rühren, die Aufhebung, Ein schränkung und Umbildung der einzelnen Teile der Heersverwaltung vorzuschlagen. Spanien. *Der Ministerpräsident Sagasta hat im Senat die Erklärung abgegeben, daß er aus der Annahme des Handelsvertrages mit Deutschland eine Kabinettsfrage mache und die Wahl zwischen seinem Rücktritt und der Auf lösung der Cortes stelle. — Ob die Erklärung auf den Senat, dessen Mehrheit bekanntlich bisher alles gethan hat, um das Zustandekommen des Handelsvertrages zu verhindern, die gewünschte Wirkung ausüben wird, bleibt abzuwarten. * Die spanische Fregatte, die zur Empfang nahme der ersten Rate der Kriegsent schädigung aus dem Melilla - Feld - zuge nach Cassablanca abgegangen war, ist von dort unverrichteter Dinge zurückgekehrt und wird sich nunmehr nach Rabat begeben, wo beim Sultan Abd-el-Aziz Beschwerde geführt werden soll. Ob's helfen wird? Balkanstaaten. * Der neue bulgarische Ministerrat be schloß, die vom vorigen Kabinett zum Bau eines Ministerratspalais bestimmten 200 000 Frank sofort zum Bau einer hier dringend nötigen Ent bindungsanstalt zu verwenden und von dem Bau des Regierungsgedäudes abzusehen. Amerika. * Eine Verschwörung gegen die Re gierung der Ver. Staaten soll jüngst in Washington entdeckt worden sein. Die Ver- schwörer sollen die Absicht gehabt haben, die Regierungsgebäude und das Weiße Haus in die Luft zu sprengen. *Jn Buenos Aires (Argentinien) ist der frühere Präsident von Paraguay, Gonzalez, eingetroffen. Er hält die Lage in Paraguay für unhaltbau Danach herrscht dort der her kömmliche Zustand. — Auch in Lima, der Haupt stadt Perus, wird wieder einmal der Ausbruch einer Revolution befürchtet. Afrika. * Nach Meldungen aus Fes ist die Prokla mierung Abd-el-Aziz' zum Sultan von Marokko daselbst günstig ausgenommen worden. Es herrsche vollkommene Ruhe. Auch die ,Agenzia Stefani' meldet aus Tanger, daß der neue Sultan in Fes proklamiert und formell auch von den Brüdern des verstorbenen Sultans Muley Hassan und seinem eigenen Bruder, dem Vizekönig von Fes, anerkannt worden ist. Es seien keinerlei Ruhestörungen vorgekommen. * Gegenüber einem Boerntrek nach Süd w estafrika hat die kapländische Ver waltung eine Proklamation erlassen, die darauf aufmerksam macht, daß es Weißen nicht ge stattet ist, Landhandel mit dem Häuptling Witboi im Damaraland zu treiben, ohne Ge nehmigung des kaiserlich deutschen Kommissars. Alle Personen, die Witboi beistehen, den Frieden des Landes zu stören, werden nach deutschem Recht besttast werden. Don Nah und Fer«. Das Fahrrad in der Armee. Nachdem die ersten Versuche während der letzten Herbst manöver, das Fahrrad in militärischen Gebrauch zu nehmen, befriedigend ausgefallen sind, ist dieses Beförderungsmittel nunmehr endgültig bei der Armee in Aufnahme gekommen. Im laufenden Etat sind über 100 000 Mk. als einmalige Aus gabe Mr diesen Zweck, und zwar zur Ausstattung der Infanterie und Jäger mit dem Armcefahrrad, das aus Niederrad mit Rahmengestell, Vorder radbremse und staubfreien Kugellagern besteht. Der Bedarf an solchen Fahrrädern ist auf 2 für jedes Bataillon, 4 für das Lehrbataillon ver anschlagt, im Ganzen also 830 Stück. Auf dem Marsche sollen die Räder dienen zur Verbindung zwischen einzelnen Gliedern der Marschsicherung, bei den Vorposten zur Uebermittelung von Mel dung zwischen einzelnen Gliedern der Vorposten. Im Quartier sind die mit Fahrrädern versehenen Mannschaften zu jeder Art des Ordonnanzdienstes bestimmt. Besonders nützlich erweisen sich die Räder im Relais- und Etappendienst. In großen Festungen haben die Radfahrer den Meldedienst völlig zu übernehmen und die Kavallerie zu er setzen. Die Berichte über das Hochwasser und die durch dasselbe angerichteten Verheerungen häufen sich. In Schlesien sind weite Strecken und zahlreiche Ortschaften überschwemmt, des gleichen in Galizien, wo außer dem Saufluß die Weichsel ausgetreten ist. Viele Dörfer und die Krakauer Stadtteile Podgoreze und Zwierzyniec stehen unter Wasser. Besonders bösartig wütet das Hochwasser in Oberungarn. Blücher-Denkmal in Caub. Am Montag mittag fand in Caub die Enthüllung des Blücher-Denkmals statt. (Bei Caub bewerk stelligte Blücher in der Neujahrsnacht 1814 seinen berühmten Uebergang über den Rhein.) Das elfte deutsche Bundesschiesten hat am Sonntag in Mainz begonnen. Es sind zahlreiche Schützen aus Deutschland und Oesterreich eingetroffen. Der historische Fest zug, mit dem die Feier eröffnet wurde, verlief glänzend. Der nationalliberale preust. Landtags abgeordnete vom Heede hat am Montag in Berlin Selbstmord durch Vergiftung begangen. Adolf vom Heede, Fabrikbesitzer auf HauH Heide bei Halver (Kreis Attena) vertrat seit 1879 den Wahlkreis Altena-Iserlohn im Abgeordnetenhause. Er stand im 50. Lebensjahr. Petroleum - Ring. Die Mannheimer Petroleum-Jmportgesellschaft Philipp Poth wird, wie verlautet, den Bestrebungen zur Bildung eines Pettoleumringes nicht beitteten. Bisher wurde angenommen, daß, wenn diese Finna nicht bei tritt, der Ring nicht zu stände kommt. Der bekannte Luftschiffer Lattemann, der am Sonntag in Krefeld mit einem Ballon aufgestiegen war, verunglückte beim Absturz aus ! 1500 MeterHöhe infolge Versagens der Fallschirm einrichtung. Lattemann verstarb wenige Minuten nach der Landung. Eine Luftschifferin aus Frank furt a. M. hatte sich an der Auffahrt beteiligt und landete glücklich mittels Touristenfall schirms. Das Wetter war schön, es herrschte fast Windstille. Die Ausweisung dänischer Schauspieler aus Hadersleben hat zur Folge gehabt, daß die Eigentümer der für die Kieler Regatta an gemeldeten dänischen Jachten beschlossen haben, in diesem Jahre nicht an den Regatten des kaiser lichen Jachtklubs in Kiel teilzunehmen. Die Unterschlagung eines bedeutende« Geldfundes hat die Polizeibehörde in Ragnit ermittelt. Arbeiter hatten den Fund in einem Torfmoor der Feldmark Karteningken gemacht. Der Fund hatte einen Wert von mehreren Tau send Thalern und bestand aus Silbergeld neuerer Zeit. Die Finder hatten das Geld stillschweigend unter sich geteilt. Aus- und eingeliefert. Der vor mehreren Jahren geflüchtete Bankier Schwahn ist aus Transvaal in das Gefängnis zu Frankfurt a. M. eingeliefert worden. Der Schächter Bernheim in Ulm wurde aus der Untersuchungshaft entlassen. Das Gut achten des Professors Hufner in Tübingen be sagt, die Flecken an der Packnadel und an dem Mester zeigten bei der Untersuchung die charakte ristischen Blutlinien nicht, möglicherweise wären es Rostflecken. An den Kleidern und Hand tüchern wurde Blut überhaupt festgestellt, aber es war nicht zu bestimmen, ob es Menschen oder Gänseblut ist. Zwei gemeingefährliche Geldagenten, Max Fürst' und 'Joseph Fries, in Firma S. Warner, sind in Hamburg verhaftet worden, weil sie, obwohl völlig mittellos, in Zeitungs anzeigen Darlehen gegen 6 Prozent Zinsen an boten und sich zunächst 2 Prozent des ge wünschten Darlehens als Provision zahlen ließen. Nach Hamburger Blättern sind, Hunderte von Personen dadurch geschädigt worden. Die Reederei des englischen Dampfers „Wildflower", der den Schnelldampfer „Ems" mit gebrochenem Schaft in den Hafen von Fayal schleppte, erhält, der,Weserzeitung' zufolge, vom Norddeutschen Lloyd 160 000 Mk. Hilfslohn ausbezahlt. Eine Familientragödie wird aus Saar louis gemeldet. Dort beging ein stellenloser Schlosser Mord an seiner Familie und darauf Selbstmord durch Kohlengas. Das Ehepaar und zwei Kinder sind tot, ein Kind ist gerettet. Verunglückte Höhlenbewohner. Der bei dem letzten Ausstand entlassene Arbeiter Newald in Falkenau hatte sich mit seiner Familie in einer Höhle des gräflich Nostizschen Steinbruchs eingenistet. Obwohl er das Gewölbe durch Bretter stützte, brach es am Sonntag abend zu sammen und begrub die Familie im Geröll. Newald arbeitete sich Herms und vermochte auch seine schwer verletzte Frau zu retten. Ihre zwei Kinder von 2 und 6 Jahren, deren Lager im Hintergründe war, wurden furchtbar verstümmelt herausgezogen. Selbstmord einer Schauspielerin. Die aus Bayern gebürtige, wegen ihrer hervorragen den Schönheit bekannte Schauspielerin Jenny Pfaller, die eine Zeitlang auch am Burgtheater beschäftigt gewesen ist, hat in Wien durch Gist Selbstmord begangen. Die Verstorbene wurde vor einigen Jahren anläßlich eines Skandal prozesses wegen Kindesunterschiebung viel genannt. Ein Dynamitfund ist in Reichenberg in Böhmen gemacht worden. In einem dortigen Gasthause wurde von Kindern ein Sack mit 29 Kilogramm Dynamit gefunden. Zum Karwiner Grubenunglück. Nach den am 16. d. angestellten Erhebungen ist die Anzahl der Getöteten auf 232 festgestellt. Bei den Rettungsarbeiten sind 35 Personen verun glückt, von denen 23 das Leben eingebüßt haben. 128 Opfer waren verheiratet. Am Sonntag nachmittag fand unter überaus zahlreicher Be teiligung die Beerdigung von 16 bei der Gruben katastrophe Verunglückten auf dem Friedhöfe zu Karwin statt. Drei Verunglückte, die der evan- Das Arenz am Waldessaum. iz Erzählung von Wilhelm Appelt.*) 1. Am Saume des mächtigen Tannenwaldes stand auf mäßig hohem Berge ein Kreuz, vom Stifter desselben allgemein nur „Lindenbauers Kreuz" genannt. Drunten im Thale breitete sich Ellerwang aus, ein freundliches Dorf Nieder österreichs, dessen Häuser inmitten der Aecker und Mesen gleich wie in einem Garten lagen. Es war im Jahre 1873 und zwar an einem Sonntagnachmittage. In einem tiefen Blau wölbte sich der Himmel über der Landschaft und von weicher, linder Luft gefächelt wogten die heranreifenden Saaten gleich den Wellen des Meeres auf und nieder. Auf dem engge- wundenen Wege, der sich durch den Wald herabzog, kam ein junger, städtisch gekleideter Mann daher. Sein Haar war dunkel und ge lockt und sein edelgeschnittenes Gesicht von seltener Schönheit. Als er beim Kreuze angelangt war, hielt er seine Schritte an, indem er sein Haupt entblößte. Als er dann die auf dem Granit sockel des Kreuzes eingemeißelte und ihm wohl bekannte Inschrift überlas, schimmerte tiefe Weh mut aus seinen Augen; dieselbe lautete: „Er richtet von Willibald Bruckner zur Erinnerung an seine Plötzlich von dieser Erde geschiedene Ehe stau Margarete, geborene Steinwalderin, welcher der Herr gnädig sein möge." . Lange stand der Mann gedankenvoll vor *) Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt. dem Kreuze, war dasselbe doch dem An denken seiner verstorbenen Mutter errichtet wor den, deren reiche Liebe ihm die Kinderzeit zu einer überaus glücklichen gemacht und an der er in namenloser Zärtlichkeit gehangen. Die Nacht, in der dieselbe vor ungefähr zwölf Jahren ge storben, wenige Stunden nach der Geburt eines toten Kindes, war eine recht unheimliche ge wesen, da in derselben ein entsetzlicher Raubmord begangen wurde. Der Tod der Mutter wurde einem Streite mit ihrem Manne zugeschrieben. Ihr Sohn Heinrich, der des Lindenbauers ein ziges Kind war, konnte jedoch nichts Bestimmtes darüber erfahren, da sein Vater nie davon sprach und die Bewohner des Dorfes durch den in derselben Nacht begangenen Mord in zu gewal tige Aufregung versetzt worden waren, um sich viel um den raschen Todesfall auf dem Linden hofe zu kümmern, der in ruhigerer Zeit nicht verfehlt haben würde, einiges Aufsehen zu machen. Das Kreuz am Waldessaume, das Willibald Bruckner, gewöhnlich nur der „Lindenbauer" ge nannt, seiner verstorbenen Fran errichtet hatte, bezeichnete man allgemein als ein Sühnkreuz, da die Annahme, daß der Tod der Mutter die Folge eines Streites mit ihrem heftigen, in seinem Zorne sich nicht kennenden Manne ge wesen, überall Glauben fand. Nachdem die Mutter gestorben, war es vorüber mit Heinrichs sonniger, von zärtlichster Mutterliebe verschönerten Kinderzeit, wurde doch sein sonst so lebens lustiger Vater von dem Tage an vergrämt und verdüstert. Der rasche Todesfall war auch noch dazu bestimmt, den Knaben einem andern Berufe zuzuführen, als vorher als selbstverständlich an genommen wurde. Auf einmal hieß es: „Du darfst kein Bauer werden, du mußt studieren!" ohne daß der Vater danach gefragt hätte, ob der Knabe auch Neigung dazu verspüre. So mußte er nun beim Pfarrer seines Heimats ortes im Privatunterrichte den Gymnasialstudien obliegen und alljährlich an dem Staatsgymnasium der nächsten Stadt Prüfung ablegen, welche stets zur größten Zufriedenheit ausstel, da er nicht nur Fleiß und Talent besaß, sondern bald auch große Freude am Studium fand. Als endlich die Zeit gekommen, die Universität zu beziehen, hieß es wieder: „Du wirst entweder Geistlicher oder Advokat!" Die Znsammenstellung dieser beiden Stände konnte sich Heinrich nicht recht zu sammenreimen und weder den einen noch den andern wollte er sich als künftigen Lebenslauf wählen, da er mit inniger Neigung an den philosophischen Studien hing. Sem Vater blieb jedoch unerbittlich, ohne Gründe für seinen Willen anzugeben. Trotzdem Heinrich seiner weichen Gemütsart wegen weit mehr für den geistlichen Stand gepaßt haben würde, so entschloß er sich doch, Jurist zu werden, wozu er indes nicht die geringste Neigung empfand. Trotzdem hatte er nun nach vierjährigen Universitätsstudien seine Prüfungen auf das beste bestanden und sogar das Doktorat bereits gemacht. Vor einigen Tagen erst war er in das Vaterhaus zurück gekehrt, in welchem er einige Zeit verweilen wollte, um dann in irgend einer Provinzstadt die einjährige Gerichtspraxis durchzumachen, die vorausgehen mußte, ehe er sich der Advokatur zuwenden konnte. Seit zwei Jahren hatte er seine Heimat nicht mehr gesehen, da er die vergangenen Ferien auf einer längeren Reise verbrachte. Während Heinrich nun gedankenvoll am Kreuze stand, schien sein ganzes Leben nochmals an ihm vorüberzuziehen. Lange ließ er hierauf seine Blicke auf seinem Heimatsort Ellerwang ruhen und während er es that, wurde ihm recht weich ums Herz, war ihm doch ein jedes Plätz chen ringsumher lieb und traut. So recht in mitten prächtiger Aecker und Wiesen, umschattet von einer mächtigen, uralten Linde, stand sein Vaterhaus, der Lindenhof. Das väterliche Bauerngut war das stattlichste weit umher und glich fast einer Herrschaft. Auch jetzt war es Heinrich wieder unerklärlich, wie sein Vater bei solch einem Besitzstände sein einziges Kind einem anderen Berufe als dem Bauernstände zuführen konnte. Die Blicke des jungen Mannes schweiften in immer weitere Ferne, und wie die hohen Berge allmählich vor seinen Augen verschwammen, begann auch sein ganzes Denken und Emdfinden zu verschwimmen und nur einem Traum noch zu gleichen. Während er noch so wachend träumte, stieg plötzlich das Bild eines lieblichen Mädchens vor ihm empor mit so tiefen blauen Augen und einem holden Kindergesicht. Und als es geschah, da wandten sich seine Blicke einem am Saume Ellerwangs gelegenen ziemlich großen Gehöft zu, vom Volk nur der „Mörderhof" genannt. Dem Mädchen, das einsam darin wohnte, lenkten sich nun alle seine Gedanken zu. Sie war gleichsam eine Ausgeschlossene von den Freuden des Lebens, fett daS Bauernhaus den grausigen
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)