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Allgemeiner Anzeiger : 07.04.1894
- Erscheinungsdatum
- 1894-04-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189404078
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18940407
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
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- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1894
-
Monat
1894-04
- Tag 1894-04-07
-
Monat
1894-04
-
Jahr
1894
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 07.04.1894
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V-litischr Rundschau. Deutschland. * Der Kaiser wird nach nunmehriger Fest setzung am 13. April vormittags in Wien eintreffen und, wenn Kaiser Franz Joseph bereits nach Schloß Schönbrunn übergesiedelt ist, eben dort Wohnung nehmen. Am 14. April vor mittags erfolgt die Abreise nach Karlsruhe. * DieKaiserinmit den kaiserlichen Prinzen wird von Abbazia direkt nach dem Neuen Palais übersiedeln. Von einem kurzen Aufenthalt auf Schloß Wilhelmshöhe bei Kassel ist vorläufig Abstand genommen. * Anläßlich des Abschlusses des deutsch russischen Handelsvertrages hat der Kaiser von Rußland dem Reichskanzler Grafen v. Caprivi die Brillanten zum St. Andreas-Orden, dem Staatssekretär Frhrn. v. Marschall den St. Alexander Newsky-Orden und dem Preuß. Gesandten in Hamburg Frhrn. v. Thielmann den Weißen Adler-Orden verliehen. * Fürst Bismarck hat auf die telegraphische Gratulation des Kaisers, der sich als Geschenk ein vom Flügeladjutanten Grafen Moltke überbrachter Küraß anschloß, folgendes Danktelegramm nach Abbazia gesandt: „Eurer Majestät sage ich meinen ehrfurchtsvollen Dank für den gnädigen Glückwunsch und für die huld reichen Worte, in denen Eurer Majestät Gnade für mich Ausdruck findet. Den neuen Waffen schmuck werde ich als ein Symbol dieser Gnade anlegcn und meinen Kindern als dauerndes An denken an dieselbe vererben. v. Bismarck." * Dr. Kayser, der Dirigent der Kolo- nial abteil ung, ist, wie jetzt offiziös be stätigt wird, zum Direktor im Auswärtigen Amt ernannt worden. * Ueber die Herb st Manöver der Flotte verlautet bis jetzt, daß an ihnen nicht weniger als fünf Geschwaderdivisionen teilnehmeu werden, denen noch zwei Torpedobootsflottillen beigegeben sind. Die Zahl der beteiligten Schiffe wird somit die der Vorjahre um ein bedeutendes über treffen. Die einzelnen Hauptverbände werden bestehen: 1) aus den beiden Panzerdivisionen des ständigen Manövergeschwaders; 2) aus der vom 1. August ab zu formierenden Panzerfahr- zeugflottille; 3) aus dem Schulgeschwader, und 4) aus einem sogenannten gemischten Geschwader. Sämtliche Geschwadcrverbände werden von Flagg- Offizieren — Admiralen — befehligt werden. * Dem Reichskanzler ist der vom preußischen Staatsministerium in den leitenden Grundsätzen (System der Personalkonzession mit 25 jähriger Ucbergangszeit) gebilligte Entwurf eines Reich s- Apothekengesetzes vorgelegt. Man ist bemüht, die in einigen Punkten dabei hervor- getretencnMeinungsverschiedenheiten durch Schrift wechsel mit den Abteilungen der preußischen Ressorts auszugleichen. Da es sich dabei nicht um Punkte von besonderer Bedeutung handelt, dürfte diese Absicht sich unschwer verwirklichen lassen. Alsdann soll der Gesetzentwurf zunächst den Landesregierungen zur Aeußerung zugehen. Man darf annehmen, daß die Landesregierungen zur Prüfung der Vorlage Sachverständige hören werden, so daß auch die beteiligten Kreise in der Lage sein werden, ihre Auffassung zur Geltung zu bringen. * Das an der Berliner Börse verbreitet ge wesene Gerücht, der Deutschen Reichs- bank sei die Erlaubnis erteilt, die russi schen Papiere wieder wie früher zu be leihen, wird in einem Telegramm des ,W. T. BZ mit dem Hinzufügen widerrufen, daß dieses Gerücht nirgends Bestätigung gefunden habe. * Ueber die Heranziehung des Reichs fiskus zu den Kommunalabgaben ist man, wie offiziös geschrieben wird, jetzt endlich im Rcichsschatzamt mit der Aufstellung eines Gesetzentwurfs beschäftigt. Nach Beendigung der Beratung zwischen den beteiligten Ressorts sollen Verhandlungen mit den verbündeten Regierungen flattfinden, um zu einer für alle Bundesregie rungen annehmbaren Art der Besteuerung zu ge langen. *Die Alters- und Invaliditäts- Versicherung umfaßte 1893 11200 000 versicherte Personen. Alters- und Jnvaliden- Renten bezogen 1893 rund 240 500 Personen zusammen 27,9 Mill. Mk. Die seit dem ersten Januar 1891 festgesetzten Renten repräsentieren ein Deckungskapital von rund 114,2 Mill. Mk. und mit Einschluß der Einlagen in den Reserve fonds ein Kapital von rund 137 Mill. Mk. Die Einnahmen ergaben nach Abzug der Vcrwal- tungskosten 1891 — 93 254,0 Mill. Mk. Ohne Berücksichtigung der Zinsen ist demnach zur Mckung der bereits im Jahre 1895 wirksam werdenden Beitragserstattungen und der allmäh lich höher werdenden Invaliden - Renten ein Kapital von rund 117 Mill. Mk. verblieben. *Jn parlamentarischen Kreisen beschäftigt man sich lebhaft mit dem weiteren Verlauf der Steuerfragen im Reichstag. Ein Tag für den Wiederbeginn der Beratungen der Steuerkommission ist noch nicht angesctzt und es ist neuerdings auch wieder zweifelhaft geworden, ob zuerst die Tabak- oder die Weinsteuer-Vor lage zur Verhandlung kommt. Ueber den weiteren Gang und die Dauer der Beratung läßt sich noch keine einigermaßen gesicherte Ver mutung aufstellen. Das Zentrum und die Parteien der Linken scheinen auf eine beschleunigte definitive Entscheidung (im Sinne der Ablehnung) zu drängen. Anderseits verlautet von abgc- änderten Vorschlägen der Regierung, und es wäre vielleicht nicht ausgeschlossen, daß nur eine Ver tagung, kein Schluß der Session, bis zum Herbst stattfindet. * Bei der Reichstagsstichwahl inMeseritz- Bomst wurde v. Dzicmbowski (freikons.) gegen v. Szymenski (Pole gewählt. * Die Thronrede des Herzogs von Ko bürg und Gotha zur Eröffnung des gemeinschaft lichen Landtags der Herzogtümer Sachsen-Koburg und Gotha bezeichnet als dringend notwendig die engere Verbindung der beiden Landesteile, die Ausdehnung des Kreises der gemeinsamen Angelegenheiten und die Ver einfachung der Verwaltung. Ferner wird eine Vorlage betr. die einheitliche Regelung des Ge bührenwesens bei der freiwilligen Gerichtsbarkeit und in der inneren Verwaltung angekündigt. * An der o st afrikanischen Küste sollen wieder Unruhen entstanden sein. Unmittelbar nach dem Aufbruch des Gouverneurs v. Scheie und des Hauptmanns Ramsay zur Unterwerfung der Wahehe habe, so meldet die Köln. Ztgä der aus dem Araberaufstand berühmte und berüchtigte Bana H eri die unruhigen Elemente um sich gesammelt und bereits verschiedentlich Karawanen auf den Hauptstraßen überfallen. Es sei infolge dessen eine gewisse Panik entstanden und die letzten verfügbaren Kräfte, etwa zwei Kompanien Polizeimannschaft, an der Küste zusammen- gezogen^ und gegen Bana Heri aufgebrochen. Eine amtliche Bestätigung liegt noch nicht vor. Oesterreich-Ungarn. * In Budapest ist ein Streik der Jour nalisten gegen das Parlament ausge brochen. Die Presse fühlt sich beleidigt durch eine Verfügung des Präsidenten des Abgeord netenhauses, Baron Banffy, durch die den Par laments-Berichterstattern der Aufenthalt in den Wandelgängen, den Leseräumcn und dem Buffett des Abgeordnetenhauses untersagt wird und sie angewiesen werden, die für sie bestimmte Tribüne durch einen Kellergang und eine gefährliche Wendeltreppe aufzusuchen. Infolgedessen haben die Herausgeber der Budapester Zeitungen und die dortigen Korrespondenten auswärtiger Blätter einstimmig beschlossen, die Berichterstattung über das Parlament einzustellen, bis jene Verfügung zurückgenommen ist. England. *Der Matabcle-Krieg kann nunmehr in der That als völlig beendet gelten. Von Buluwayo kommt die Nachricht, daß sich die letzten Matabele-Jndunas nebst dem Häuptling Gambo dem Dr. Jameson ergeben haben. Dänemark. *Beim Schluffe der Haushaltsdebatte im dänischen Landsthing sprach der Minister präsident Estrup im Namen des Kabinetts seine Freude aus über die gute Aussicht für das Zustandekommen eines regelmäßigen Finanz gesetzes durch gegenseitige Zugeständnisse beider Kammern und der Regierung. Ihm persönlich > wäre es eine Freude, wenn die Verein- ! barung zu stände käme, weil er dadurch von ' den Beschwerden seiner Stellung befreit werden könne. Dabei kündigte der Ministerpräsident an, daß er seine Entlassung zu geben beab sichtige. Das Finanzgesetz wurde sodann' von beiden Kammern angenommen. In der darauf folgenden Sitzung des Staatsrates unterzeichnete der König von Dänemark das erste nicht provi sorische Finanzgesetz seit 1885. Dasselbe weist einen Ueberschuß von 2 830 000 Kronen auf. Italien. * Die Deputiertenkammer trat Montag wie der zu einer Sitzung zusammen. Der Präsident widmete Kossuth einen Nachruf und er hielt die Ermächtigung, dessen .Hinterbliebenen das Beileid der Kammer auszusprechen. Minister präsident Crispi legte einen Gesetzentwurf be treffend mehrfache Abänderungen der Gesetze über die politischen und kommunalen Wahlen, sowie einen Gesetzentwurf über Spreng stoffe vor. Rustland. * Meldungen ans Petersburg besagen, daß der Znstand des leitenden Ministers v. Giers wieder zu ernsten Besorgnissen Anlaß gebe. Amerika. *Bermudez, der Präsident von Peru, ist, wie nunmehr bestätigt wird, in der That am Vorabend seiner Wiederwahl plötzlich gestorben oder gestorben worden. Denn es hat ihm an Konkurrenten um den Präsidentschastsposten nicht gefehlt und man ist in Peru in der Wahl der Mittel nicht allzu gewissenhaft, wenn es sich um die Erringung der obersten Biacht im Staate handelt. Preußischer Landtug. Das Abgeordnetenhails nahin am Dienstag in der ersten Sitzung nach den Osterferien den Gesetz entwurf betr. die Aufhebung der in der Rheiuprovinz bestehenden Vorschriften über die standesamtlich zu lässigen Vornamen, in erster und zweiter Lesung an. Bei der Beratung des Antrages Eckels (nat.-lib.) betr. die dauernde Belegung von Mündelgeldern bei den kommunalen Sparkassen, erklärte der Justiz minister sich mit der Tendenz des Antrages einver standen, während Finanzminister Miquel mit Rück sicht auf die bei gewissen Sparkassen bestehenden Ver hältnisse eine allgemeine Regelung der Frage im Sinne des Antragstellers für bedenklich erachtete. Um diesen Bedenken Rechnung zu tragen, wurde der Antrag Eckels der Regierung nur zur Erwägung überwiesen. Es wurden dann noch Petitionen er ledigt. Uon Uah und Fer«. Berlin steht mit seiner Fernsprech einrichtung an der Spitze aller Länder der Erde. Es besitzt gegenwärtig 20 949 Sprech stellen, 450 Kilometer Linie und 4? 449 Kilo meter Drahtleitung. Wie weit Berlin in dieser Beziehung selbst die größten Städte Amerikas überflügelt hat, beweist die Thatsache, daß New Dort nur 9066 und Chicago nur 9684 Sprcch- stellen besitzt. Auf Berlin entfallen im Jahr 101791376 Verbindungen, am Tage also durch schnittlich 326376 und an einem Tag auf eine Sprechstelle 15,9. Der deutsche Historikertag wird nächste Ostern in Marburg zusammentrctcn. Der ungewöhnlich starke Schneefall am 16. und 17. März hat in den Kiefern wäldern des Belgardcr und Neustetiiner Kreises mehr Schaden angerichtet, als der Sturm am 12. Februar. Der dichtfallende Schnee bildete rasch eine Decke auf den Baumkronen und Zweigen; die Stämme konnten das Gewicht nicht aushalten und brachen oben, in der Blüte und unten ab Die 15- bis 30jährigen Schonun gen gewähren einen Anblick, als wenn sie unter heftiges Artilleriefeuer gekommen wären, oder >vie ein stark verhageltes Getreidefeld. Es gibt ganze Flächen, auf denen ein Drittel geknickt und gebrochen sind. Die Waldwege sind für Fußgänger unpassierbar nnd müssen schleunigst aufgeräumt werden. Der Schaden ist unbe rechenbar, denn die Zukunft vieler Schonungen ist in Frage gestellt. Das Testament August des Starken. Ein für die sächsische Geschichte sehr interessantes und wichtiges Schriftstück, das Testament August des Starken, ist dieser Tage im Hauptstaats archiv in Dresden wieder aufgcfunden worden. Das Testament hatte man bisher für verloren gehalten. In dem Schriftstück empfiehlt August der Starke u. a. seinem Sohne, die von ihm gefaßten großartigen Baupläne zu gelegener Zeit wieder aufzunehmen. Lortzing-Haus. Das Haus, das Albeft Lortzing während seines Aufenthalts in Leipzig mehrere Jahre bewohnte und in dem u. a. auch seine Oper „Zar und Zimmermann" entstanden ist, soll demnächst zum Abbruch gelangen. Gefundenes Skelett. In einem Garten eines Grundstückes zu Giebichenstein bei Halle fand man das Skelett eines Mannes vergraben. In eingeweihten Kreisen erinnert man sich der Thatsache, daß in einem Nachbarhause vor etwa 10 Jahren ein Mann plötzlich vermißt wurde und nicht wieder auftauchte. Er lebte in ehe lichem Zwist mit der Frau, die bald nach Amerika auswanderte. Die Untersuchung seitens der königlichen Staatsanwaltschaft ist sofort ein geleitet worden. Zu den diesmaligen Abiturienten der Landesschule Pforta gehörte auch Martin Bart hold, der einzige Sohn des seit kurzem nach langjähriger Amtsführung in den Ruhestand übergctretenen Pastors in Kösen. Nach Ausweis des Pförtnerstammbuches ist der Ururgroßvater dieses Abiturienten, der spätere Pastor Barthold, am 3. Mai 1718 in die Schule zu Pforta ausgenommen worden. In ununterbrochener Folge ist von da an jedesmal der älteste Sohn der Familie Berthold Pförtner gewesen, als Abiturient von Pforta abgegangen und später Pfarrer geworden. Auch der diesmalige Abiturient Martin Barthold studiert Theologie. Einen entsetzlichen Tod fand in Nord hausen der 11jährige Sohn des Postbeamten Lier, der abends in dem Garten seiner Eltern an dem dort befindlichen schwebenden Turnreck erhängt vorgefunden wurde. Wahrscheinlich hat der Knabe an dem Reck Uebungen ausgeführt, die durch einen unvorhergesehenen Zufall einen schlimmen Ausgang nahmen. Ein Falschmünzer Lettko aus Ostpreußen ist am 31. v. in Eckernförde verhaftet worden. Der 60 jährige Fälscher ist bereits mit zwölf Jahren Zuchthaus wegen Falschmünzerei vor bestraft. Zahlreiche Falsifikate, Doppelkronen und Thalerstücke, wurden in Beschlag genommen. Schenkung für ein Arbeiterheim. Der Mitbegründer und Vorsitzende des Aufsichtsrats der Höchster Farbwerke, Dr. Lucius, hat aus Privatmitteln 100 000 Mk. zur Vergrößerung des „Arbeiterheims", das von Herrn Wilhelm Meister mit etwa 20 prächtigen Häuschen ge gründet wurde, gespendet. Dem Schnelldampfer „Ems" des Nord deutschen Lloyd ist ein Unglück zugestoßen. Doch scheinen Menschenleben nicht verloren gegangen zu sein. Beim Lloyd ist folgendes Telegramm eingelaufen: Horta (Azoren) „Ems" von Dampfern hier eingcschleppt worden. Wird an- gcordnet, daß Passagiere mit „Kaiser Wil helm II.", der von Genua abgeht, weiter be fördert werden. — Die „Ems" war bereits am Montag sieben Tage überfällig. In Mainz wurde eine ganze Schiffsmann schaft verhaftet. Derselben wird zur Last ge legt, von der Ladung eines vor Anker liegenden Schiffes, die aus Zucker, Kaffee nnd anderen Kolonialwaren bestand, bedeutende Mengen ent wendet und mit Nachen fortgeschafft zu haben. Die Ueberreste eines römischen Wart turms sind in der Nähe von Crumstadt unweit des Staigkirchhofs, im Ackerland gefunden wor den. Dieselben stellen sich als die Grundmauern eines an den Außenseiten 5 bezw. 4 Meter messenden rechteckigen Turmes dar und sind in einer Dicke von 1,15 und einer Höhe von 1,30 Meter erhalten. Aus dem Tübinger Oberamtsgefängnis brachen in der Nacht vor Ostern zwei Gefangene aus und machten in dem Keller eines Nachbar hauses Station, wo sic andern Morgens betrunken aufgefnnden wurden. Die berühmten „Weissenburger Linien," der einstige Schauplatz zahlreicher Kämpfe zwischen Wer liebte ihn mehr? 20j «Fortjeyung.« „Viktor", begann die Gräfin, „was siehst du dort? Es ist doch zu dunkel, um die Aussichten zu bewundern." „Nichts Besonderes, Mutter," erwiderte er, indem er herantrat und sich neben sie setzte. „Viktor ist oft in Gedanken versunken," warf Lady Klara ein, „war das schon früher seine Gewohnheit?" „Dessen entsinne ich mich nicht," sagte die Gräfin, „er war eigentlich mehr lebhaft alS träumerisch." Ach, nur eine wußte, was er litt und wie tapfer er den Schmerz bekämpfte! Er halte Carmen noch nicht angesehen, aber er wurde wieder Herr seiner Gefühle und fing an, seiner Mutter von der Reise zu erzählen. Die Unterhaltung wurde allgemein und lebhaft, und Lady Klara bemühte sich, Carmen mit hinein zu ziehen. „Wie hübsch Ihr Name ist," sagte sie, „ich höre ihn so gern." „Mir war er auch gleich so sympathisch, daß ich Miß Ercell nie anders nenne," versetzte die Gräfin. „Gefällt er dir nicht auch, Viktor?" fragte Lady Klara. „Er ist sehr hübsch," erwiderte Lord Ryeburn, und eine Flut von Erinnerungen kam über ihn, erst au das roseuumrankte Fenster, an dfe sonnige Straße, den Weinberg, die kleine Kirche, den Blumenmarkt, wo sie sich getrennt hatten, und daun an den Park, wo sie sich für ewig Lebewohl sagten. Dies alles lag für ihn in dem einen Wort — Carmen. Er wagte jetzt, sie anzuschen. Wie schön sie war und doch wie verändert! Die Spuren des Kampfes und des Sieges lagen auf ihrem durch geistigten Gesicht; sie sah zu ihm hinüber, und als ihre Blicke sich trafen, gab ihr ruhiger Aus druck ihm Mut und Kraft. „Ich hoffe, daß Sie mit dem Aussehen Ihrer Frau Mutter zufrieden sind," sagte sie, in dem Wunsche, das Eis zu brechen nnd ihn zu ver anlassen, unbefangen mit ihm zu verkehren. Er gab eine unverständliche Antwort und stand auf, um sich zum Essen umzukletden. Spät am Abend, als die übrigen Gäste sich zurückgezogen hatten, saßen Lord und Lady Rye- burn noch ein Weilchen bei der Gräfin. Carmen kniete vor dem Kamin und wärmte einen Schlaf trunk, ihr schönes Gesicht wurde vom Schein des Feuers beleuchtet, in das sie gedankenvoll schaute. „Nun habe ich eS!" rief Lady Klara plötz lich aus. „Den ganzen Abend habe ich nach gedacht, wem Miß Ercell ähnlich sieht. Er innerst du dich des Bildes, Viktor, welches wir in Verona kauften, ich bewunderte das Gesicht so sehr!" „Ja," sagte er tonlos. „Miß Ercell hätte Biodell dazu sein können, so groß ist die Aehnlichkeit." „Ich entsinne mich auch," warf die Gräfin ein, „es gefiel mir so sehr, daß ich es in dein Boudoir hängen ließ." „Dann muß dir doch die Aehnlichkeit auf fallen ?" „Ja, ich sehe sie, aber der Ausdruck ist doch ein ganz anderer; das Mädchen auf dem Bilde ist zu trostlos und vernichtet." Lady Klara sah zu Carmen hinüber. „Wenn Sie traurig anssähen, würde die Aehnlichkeit unverkennbar sein, Miß Ercell, aber ich hoffe, Sie werden nie Grund dazu haben." Wenige Minuten später standen Carmen und Lady Klara nebeneinander in eifriger Unter haltung. Lord Ryeburn sah sie an und staunte, wie es zwei so schöne und doch so ganz ver schiedene Wesen geben konnte, die eine lebhaft und graziös, die andere gemessen und ernsthaft, die eine blond, die andere dunkel, die eine eine Lilie, die andere eine Rose. Und beide liebten ihn über alles. Als er noch einige Minuten mit seiner Mutter allein war, sagte sie: „Wie gut Klara aussteht! Ich bin so froh, euch glücklich zusammen zu sehen, Viktor." Warum sollte er ihr erzählen, daß das, was sie für Glück hielt, nur die Ergebung war, zu der ein Mann, der alles verloren Hal, sich auf rafft? Sie hatte so viel gelitten, sie sollte nicht ahnen, wie schwer ihm das Leben war. „Auch ich freue mich, dich zufrieden und glücklich zu sehen, Matter," erwiderte er, „wer ist diese junge Dame, die du um dich hast?" „Lady Long empwhl sie mir, sie hat sie mit aus Lissabon gebracht. Ihre Lebensgeschichte ist sehr ei fach, ihr Vater war Engländer, aus guter Familie, ihre Mutter Spanierin, von der hat sie ihre Schönheit geerbt." „Und du hast sie lieb, sie ist dir sympathisch ?" „Ja, wenn sie meine eigene Tochter wäre, so könnte sie nicht liebevoller für mich sorgen. Das einzige, was mich beunruhigt, ist, daß sie nie vergnügt ist; wenn ich nicht ihren ganzen Lebens lauf kennte, würde ich fürchten, sie hätte schon schwere Schicksale erlebt!" Diese Unterredung tröstete ihn sehr. Er hatte gefürchtet, daß noch vielleicht irgend ein Argwohn im Herzen seiner Mutter wach geworden wäre, aber ihre Worte beruhigten ihn ganz, und er begab sich zur Ruhe mit dem Gebet um Kraft, daß kein unwürdiger Gedanke und Wunsch in W aufsteigen möchte, und in dem Gefühl, daß einet der schwersten Tage seines Lebens hinter ihn> liege. 23. Am Morgen nach ihrer Ankunft kam Lady Klara in das Gartenzimmer, eins der behag lichsten des Hauses, das den Blick in den um gebenden Park bot und stets von allen ausge sucht wurde, die nichts Besonderes Vorhalten- Sie sand Mistreß Drayton in einem bequemen Sessel am Fenster sitzend, zu dem die Früh' liugssonne freundlich hereinschien. „Wie schön, daß Sie kommen, Lady IW burn!" sagte die Dame. „Um diese Zeit ha" ich selten Gesellschaft hier." „Wo sind Lord und Lady Murray?" . „Sie gehen jeden Morgen nach dem FE stück eine Stunde zusammen spazieren und maäift sich gegenseitig den Hof. Sie haben sich."", Liebe geheiratet und meinen nun, die FW^' Wochen ins Unendliche ausdehnen zu müsse"-
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