Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 25.11.1893
- Erscheinungsdatum
- 1893-11-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189311255
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18931125
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18931125
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1893
-
Monat
1893-11
- Tag 1893-11-25
-
Monat
1893-11
-
Jahr
1893
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 25.11.1893
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Politische Rundschau. Deutschland. *Am 24. d. wird der Kaiser von Berlin mit Getolge nach Jagdschloß Göhrde kommen, um an diesem und dem folgenden Tage Jagden abzuhalten, und zwar sowohl auf Sauen wie auf Hochwild. An Gästen sind dazu der Ober präsident von Bennigsen aus Hannover und an dere hohe Staatsbeamte eingeladen. *Kaiserin Friedrich, die Mutter des Kaisers, feierte am Dienstag in Berlin im Kreise ihrer Kinder, die von nah und fern helbeigekom men waren, ihren 53. Geburtstag. Nur die Kronprinzessin von Griechenland, die noch leidend ist, blieb dem Familienfeste fern. *Der Kaiser will, nach einer kürzlich an das Reichs-Marine-Amt erlassenen Ordre, zur Hebung des Interesses für gutes Schießen an Bord hervorragende Leistungen in der Ausbildung der Mannschaften im Schießen be sonders anerkennen und hat bestimmt, daß ihm das Oberkommando der Marine alljährlich zum 1. November bezw. bei Vorlage der Schießberichte der Marine diejenigen Offiziere der Schiffe nam haft macht, die sich durch außcrgewöh liche Leistungen in der Ausbildung der Mannschaften im Schieben ausgezeichnet haben. * Die d e ut s ch - ru s s i s ch en V er trags- verhandlungen werden von einem undurch dringlichen Schleier des Geheimnisses umhüllt. Die ,Kreuz-Ztg.' ist in der Lage, folgendes mit teilen zu können: „In einzelnen Preßorganen tauchen immer wieder Nachrichten über den an geblichen Stand der deutsch-russischen Handes vertrags-Verhandlungen auf. Auf wie wenig Glaubwürdigkeit dieselben Anspruch haben, geht aus der Thatsache hervor, daß auf russische An regung beide Teile vorläufig volle Ver schwiegenheit zugesichert haben. * In seiner Montags-Sitzung hat der Bundes rat den Anträgen der Ausschüsse zu dem Ent wurf des Tabak st euergesetzes und zu dem Entwurf des Gesetzes wegen Abänderung des Gesetzes betr. die Erhebung von Reichs stempelabgaben zugestimmt. Ebenso er teilte der Bundesrat seine Zustimmung zu den mündlichen Berichten der Ausschüsse über den E twurf des Wein steu erges etzes und über den Entwurf des Gesetzes betr. die ander weitige Regelung des Finanzwesens des Reiches * Der Reichskanzler wird dem Reichstag eine Denkschrift über die Entwickelung von Deuts ch- Ostafrika und S ü d w e st a fr i k a zur Be- gründui g der Mehrforderungen zustellen. *Dem Reichstage ist eine Denkschrift über die Ausführung der seit dem Jahre 1875 er lassenen Anleihegesetze zugegangen. Die deut schen Reichsanleihen beziffern sich danach zur Zeit im ganzen auf 1 956 289 218 Mk., von denen bis Ende Oktober 1893 insgesamt 1 803 543 392 Mk. untergebracht sind. Die zweite Milliarde dürfte danach im Laufe des nächsten Jahres voll werden. *Dem ,Leipz. Tagebl.' wird berichtet, daß die 23 sächsischeu Abgeordneten sich, wie aus verläßlicher Quelle verlaute, gegenseitig verpflichtet haben, gegen die Tabak steuer-Vorlage zu stimmen; der Bericht erstatter glaubt, daß dadurch die Bildung einer Mehrheit für die Vorlage ausgeschlossen sei. * Die s. Z. in Kiel verhafteten franzö sischen Spione wurden in das Gerichts gefängnis in Leipzig eingeliefcrt. Die Verhand lung vor dem Reichsgericht wird jedenfalls schon in nächster Zeit anberaumt werden. * Am Sonntag nachmittag ist auf Bankau im Kreise Kreuzburg (Schlesien) Eduard Gras Bethusy-Huc gestorben. Die Reichs- und sreikonservative Partei verliert in dem Ver blichenen einen ihrer Begründer und ihren lang jährigen Führer. Oesterreich-Ungar». * Die Leichenfeier für den Grafen Har- tenau fand am Montag in Graz statt. Hinter dem Sarge schritten der vom Kaiser Franz Joseph entsandte Flügeladjutant Lonyay, Prinz Heinrich von Battenberg, der von der Königin von England entsandte englische Botschafter Manson, der Herzog Wilhelm von Württemberg, Prinz Franz Joseph von Battenberg, Graf von Erbach, die bulgarischen Deputationen, der Statt halter von Kübeck, der kommandierende General mit der Generalität und dem Offizierkorps, sowie zahlreiche andere Leidtragende. Unter militärischen Ehren begab sich der Trauerzug nach dem Fried hof, woselbst die provisorische Beisetzung statt fand. An der Gruft hielt der bulgarische Minister Grekow eine Gedächtnisrede. * Unter der großen Anzahl von Kränzen, die am Sarge des Grafen Hartenau nieder gelegt worden sind, befindet sich auch ein von dem Prinzen Friedrich Leopold von Preußen im Namen des Regiments Garde du Korps gesandter Kranz. Frankreich. *Die von der Pariser Münzkon ferenz abgeschlossene Konvention wird vom ,Temps' veröffentlicht. Italien hat sich verpflichtet, während der ersten 4 Monate nach der Ratifikation des Vertrages einen Betrag von mindestens 45 Millionen Frank, während jeder weiteren vier Monate von mindestens 35 Millionen seiner Silber scheidemünze zu übernehmen und zu be zahlen. Mit Rücksicht auf die speziellen Ver hältnisse kann die Schweiz während der ersten 4 Monate an Italien 15 Millionen abliefern, die einen Teil der erwähnten 45 Millionen bilden. England. * Von einer gänzlichen Besiegung derMata- bele kann noch nicht die Rede sein. Der eng lische Heerführer Goold meldet, daß noch acht tausend Matabele sich bei Buluyawo befinden; der König Lobengula sei vermutlich bei ihnen. Die Matabele hätten bisher keine Friede seröff- nungen gemacht. Sollten sie in der gegenwärtigen Stellung verbleiben, so werde ein Vorrücken zur Sprengung des Feindes notwendig sein. Spanien. * Einer Pariser Meldung zufolge schweben gegenwärtig von Spanien angeregte Ver handlungen zwischen den Kabinetten wegen Erzielung eines gemeinsamen Vorgehens gegenüber den Anarchisten. Es handle sich hierbei ausschließlich um Polizeimaßregeln, nämlich um die Ausforschung, ge aue Listeiiführung und strenge Ueberwachung solcher Persönlichkeiten, die als Anarchisten bekannt sind, und gegebenenfalls um deren zwangsweise Abschiebung in ihr Heimat land. * Eigentümlicherweise liegen aus Melilla seit dem 17. d. keine belangreiche Nachrichten vor. Am genannten Tage fand ein lebhaftes Scharmützel statt, bei dem die Kabylen zurück getrieben und vier spanische Soldaten verwundet wurden. Rußland« *Die russischen Blätter beschäftigen sich mit der Möglichkeit eines russischen Flotten besuches in Konstantinopel. Das Mittelmeergeschwader unter dem Oberbefehl des Admirals Avelane soll dazu ausersehen sein; am Goldenen Horn würde hierüber von den russischen und türkischen Diplomaten verhandelt. In der »Moskauer Ztg.' wird aurgeführt, der Sultan sei kein Gegner des beabsichtigten Flottenbesuches. * Unter dem Verdacht, einer nihilistischen Verschwörung anzugchören, wurden am Sonntag und Montag in Warschau gegen achtzig Personen verhaftet und in die Zitadelle gebracht. Die Verhafteten gehören fast ausschließ lich litterarischen und studentischen Kreisen an. In der Stadt herrscht große Aufregung. Balkaustaaten. *Wie dringend not eine „Sanierung" der serbischen Finanzen thut, zeigt eine Schilderung des Belgrader Korrespondenten der .Köln. Ztg.'. Er behauptet, daß die Sol daten seit Monaten keine Löhnung be kommen. Die Brotlieferanten für die Armee stellten ihre Lieferungen ein. Die Offiziere und Beamte» in Belgrad erhielten seit zwei, die im Innern des Landes seit vier Monaten kein Gehalt. Die Ausrüstung und Bewaffnung des stehenden Heeres befinden sich in mitleiderregeudem Zustande. Amerika. * Wie dem ,Reuterschen Büreau' aus Buenos Aires gemeldet wird, liegt daselbst keine neuere Nachricht vor, die die Ausrufung des Sohnes des Grasen d'Eu zum Kaiser von Brasilien bestätigt. — Die ,Kölm Ztg.' be richtet über einen Besuch beim Grasen von En, in dem cs heißt: „Er (der Graf) vertritt nach wie vor den edlen Wahlspruw des Kaiserhauses: „Nichts gegen, alles für das Volk." So lange Brasilien glaubt, mit seiner republikanischen Ver fassung besser zu fahren, als mit der Rio archie, wird das Haus Braganza keinen Versuch machen, sich aufzudrängen; sollte die Mehrheit des Volkes aber das Kaiserhaus zurückrufen, so wird die Familie Braganza - Orleans dem Rufe Folge leisten." Ausländische Wertpapiere. Nicht gar zu viele unserer Leser werden in der angenehmen Lage sein, ihr Geld „in Papieren" anzulegcn. Zu Nutz und Frommen aller aber, die es angeht, geben wir in folgendem ein paar Beispiele, was es mit der „Anlage in ausländischen Werten" auf sich hat. Als vortreffliche Sicherheit betrachtete man auch hier die vicrprozentige Stuhlweißenburg- Raab- Gratzcr - Eisenbahn - Prämien - Anleihe (kurz Raab-Grazer Lose genannt.) Für diese Lose waren als Unterpfand 5prozentige Westbahn- Prioritüten deponiert. Die letzteren Papiere wandelte man, ohne lange zu fragen, in 4pro- zentige Ungarische Kronen-Rente um, den Ausfall von 1 Prozent haben die Inhaber der Raab- Grazer recht reichlich zu tragen, indeui man die Zinsen derselben von 4 auf 2'/- Prozent redu zierte. Man erhält also anstatt eines Koupons über 3 Gulden nur noch eine» über 1'/s Gulden. Diesen wandelt man neuerdings in 3'/« Kronen um und hätte man, da dies die neue österreichische Goldwährung bedeutet, die pro Kro e auf 85 Pfg. festgestellt wurde, 3 Mk. 19 Pfg. zu erhalten, allein nochmals tritt eine Vermin dernng ein, indem man den Silberkurs in Anwendung bringt und dadurch zu etwa 160 Pfg. pro Gulden die obigen 3 Mk. 19 Pfg. auf 3 Mk. herabsetzt. So erhält man allmählich anstatt Sines öster reichischen Gulden eine deutsche Mark oder anstatt 4 Prozent nur 2'/, Prozent Zinsen pro Jahr. Ferner sind nach großer Anpreisung seitens deutscher Bankhäuser die vom Staat garantierten süditalienischen Eisenbahnpapiere viel gekauft worden. Heute streiten sich Sachverständige schon öffentlich darüber, ob diese Bahnen selbst in erster Linie als Unterpfand dienen oder nicht und zweitens werden für Zinsen anstatt 80 Pfg. für den Frank nach heutigem Kurs 70 Pfg. gezahlt. Neuerdings machte sich auch ein Gerücht be treffs der Reduktion der Zinsen auf mexikanische Papiere geltend und sieht man auch daraus wieder, daß mit dem Besitz ausländischer Wert papiere fast immer eine gewisse Unsicherheit ver- .Kunden ist. Daher immer wieder die Mahnung: „Bleibe im Lande!" Die Beendigung des englischen Kohlenstreiks. Die Konferenz im Auswärtigen Amte zu London hatte, wie gemeldet, einen vollständigen Erfolg. Nach sechzehnwöchigem Feiern werden die großen Zechen in Iorkshire, Lancashire, Cannock Chase und überall sonst den Betrieb am Montag aufnehmen. Die Ausgleichsbedingungeu sind die folgenden: 1) Es ist sofort wenigstens für ein Jahr ein Schiedsgericht zu konstituieren, aus je 14 .Ver tretern der Meister und der Arbeiter bestehend. Sie haben beim ersten Zusammentreten einen un abhängigen Vorsitzenden zu erwählen und, im Falle des Mißlingens, den Sprecher des Hauses der Gemeinen zu ersuche», einen zu ernennen. Der Vorsitzende hat die entscheidende Stimme. Diese Behörde soll die Vollmacht haben, von Zeit zu Zeit am und vom 1. Februar 1894 ab den Lohnsatz zu bestimmen. Die erste Konferenz soll am Mittwoch, den 13. Dezember 1893, im Westminster Palace Hotel abgehalten werden. 2) Die Leute nehmen sofort bis zum 1. Februar 1894 die Arbeit zum alten Lohnsatz wieder auf. Einverstanden, daß alle Zechen, soweit mög lich, sofort wieder in Betrieb gesetzt, und den Leuten keine Hindernisse bei Wiederaufnahme der Arbeit in den Weg gelegt werden. Die Konferenz dauerte mit kurzer Unter brechung von 11 Uhr morgens bis 5 Uhr nach mittags. Lord Roseberys Erfolg findet allseitig die größte Anerkennung, besonders überreichlich wird sie ihm von feiten liberaler Blätter zu teil. So ist nach der .Daily News' Roseberys jüngste Leistung ein Verdienst um das Laud, wie es hervorragender und segensreicher nicht gedacht werden kann. Aber auch die Regierung geht dabei nicht leer aus. Die strengsten Kritiker I. M. Regierung, fügt das zitierte Blatt hinzu, werden zugeben müsse', daß sie in dieser feierlich großen Krise das rechte Ding auf die rechte Weise gcthan habe. Die Bestimmung, daß bei Meinungsverschie denheiten unter den Mitgliedern des Schieds gerichts der Sprecher des Hauses der Gemeinen den Vorsitz desselben wird zu ernennen haben, wird nach dem »Standard' von den Arbeitern als besonders wertvoll a ffgenommen, da dadurch zum ersten Mal das Haus der Gemeinen in direkte Berührung mit den Organisationen der Arbeit gebracht wird. Dasselbe Blatt berichtet, daß ohne den Takt Lord Roseberys die Konferenz mehr als einmal im Begriff war zu scheitern. Von Nah und Fern. Einweihung des neuen Reichstags gebäudes. Der .Köln. Volksztg.' wird aus Abgeordnetenkreisen in Berlin geschrieben, der Kaiser habe den dringenden Wunsch geäußert, daß das neue Reichstagsgebäude schon am 1. Mai künftigen Jahres eingeweiht und bezogen werde. Bisher sei hierfür der künftige Herbst, also die Eröffnung des Reichstags im November in Aus sicht genommen worden. Voraussichtlich werde die Reichstagsbaukommission sich in den nächsten Tagen mit den einschlagenden Beratungen zu be schäftige» haben. Dazu bemerkt die,Freis. Ztg^ Aus dem neuen Reichshaushaltsetat ergibt sich, daß erst im Etatsjahr April 1894/95 für die innere bildnerische Ausstattung gesorgt werden soll. Schon dies schließt die Annahme einer Einweihung des Reichstagsgebäudes im Mai nächsten Jahres vollständig aus. Am wenigstes ist es möglich, innerhalb einer Session den Uo>- zug zu bewerkstelligen. Die gute Stadt Mittenwalde läßt der That nicht locker. Bei dem Berliner Magills ist nunmehr eine beglaubigte Abschrift der dasM vorgefundenen, im Jahre 1562 von dem Rat del Städte Berlin und Köln ausgestellten Sch»j^ urkunde über 400 Gulden nebst 6 Prozent Zinst" eingclaufen und das Ersuchen daran geknüpst- die Schuldurkunde zu prüfen und sich demnach" zu erklären. Bei dem Leichenbegängnisse in war Oberst v. Rabe, Kommandeur des Magkb Dragoner-Rcgts. zugegen. Oberst v. Rabe die»» mit dem verstorbenen Fürsten Alexander i"' samme» im Regiment der Gardes-du-CorpS, eine Zeitlang, so lange Prinz Alexander i» dieses diente, dessen Schmadronschef und erbat sich »»? Kaiser die Erlaubnis, sich zur Leichenfeier sir den früheren Kameraden nach Graz begeben dürfen. Ein Wucher-Prozeß. Die Staatsanwalt' schäft in Pleß führt gegenwärtig gegen zwei Kellner eine Untersuchung, der ein ganz cige»' artiger Fall von Wucher zu Grunde liegt. Die Landlehrer erhalten ihr Gehalt bekanntlich post' uumerando, was mancherlei Unzuträglichkeite» zuk Folge hat. Die beiden erwähnten Kellier habe" nun ein Geschäft daraus gemacht, solchen Lehrer» das Gehalt pränumerando auszuzahlen und cS dann hinterher für sich einzukassiercn; da sie aber für diese Gefälligkeit bis 10 Mk. voi» Hundert und für daS Vierteljahr Provision gs' nomme», so beschäftigt sich jetzt das Gericht »"' dem Falle. Sin Scheusal m Menschengestalt. Del in der Nachbarschaft von Freiburg i. B. pra'- tizierende Arzt Dr. Schelldorf hat in trunkene»' Zustande seine ihm erst vor kurzem angctrautt Kötze Kol'd. lFortietzung.» War denn dieKrone der Schöpfung, dermit allen GeisteSgaben so reich bedachte Mensch wirklich nicht im stände, seinem geliebten Leben nur eine Spanne Dauer htnzuzusetzen, war ein von Anbeginn an sorgfältig und liebreich behütetes Me schendasein denn nichts anderes als ein schnell verblühendes Frühlingsblümchen? War das recht und billig, daß eine frevelnde Hand so viel Jugendliebe und Unschuld zerstören durfte? Kraft von Flessingen fühlte tief und innig für das verratene Mädchen, es war ihm, als sei sie ein Teil seines Lebens geworden. Seine Empfindungen waren ohne Egoismus, ohne Lei denschaft, aber andauernd, zart und erwärmend. Das Haupt in die Hand stützend, saß er in dem dämmrigen Raum und blickte sinnnend vor sich hin, Wiebke kauerte schluchzend in einer Ecke am Boden. Das Fräulein that ihr so unsäglich leid, und wenn sie starb? Jens war ja auch verraten worden wie sie, wenn auch er nun — doch nein, nein, nur das, nur das nicht! Wiebke faltete die Hände, sie wollte beten, aber es fiel ihr kein Vers «in, das machte, weil daS Klagen und Aechzen verstummt war, und plötzlich tiefe Stille herrschte. Sie erhob sich furchtsam und schlich an Erd muthes Seite. Das schöne Gesicht sah wie durch sichtig aus, die Hände strichen langsam über die Decke. Plötzlich seufzte die Kranke tief auf, hob einen Moment die große», dunklen Augen zu Flessin- gens herabgeneigtem Antlitz empor und neigte daS Haupt auf die Seite. Oberst v. Flessingen zitterte, er nahm die ab gemagerte Hand des Mädchens mit einem unbe schreiblichen Ausdruck in seinen Zügen in die seine und hielt sie fest, lange, lange, regungslos; dann sagte er, indem ein freundliches Lächeln wie Sonnenschein über sein edles Antlitz flog: „Sie schläft! Sie wird gesund!" Wiebke faltete wieder ihre Hände, und nun konnte sie plötzlich beten; neben dem Lager nieder- knieend, lehnte sie den Kopf auf den Bettrand und schluchzte laut, diesmal vor Freude. Dann wurde ihr Weinen leiser und leiser, bis ihre tiefen, gleichmäßigen Atemzüge verkündeten, daß sie schlief. Sie hatte auch lange genug treu gewacht, um jetzt die Ruhe zu verdienen. — Im „Goldenen Dorsch" waltete Telse seit Wochen als Hausfrau. Lecke Barben hatte richtig gerechnet, die schöne, starrköpfige, blonde Friesin war ein mächtiger Magnet, sein Wirts haus glich mehr denn je einem-Bienenstock. Telse saß in der heißen Stube hinter dem Schenktisch; jetzt trug sie die Ketten am Mieder und ein seidenes Flügeltuch auf dem Blondhaar, aber auch eine Falte des Unwillens zwischen den Brauen. „He, Wirtin," rief einer der Gäste, ihr das geleerte Seidel hinhaltend, „einen frischen Trunk und dann thut mir Bescheid!" Telse trug das Bier zum Tisch, dann trat sie zurück. „Nichts für ungut," sagte sie ernst; „trinken Sie Ihr Bier nur selbst; ich bin die Wirtin hier und kein Scheukmädchen, daß Sie es wissen." Der Gast lachte. „Verteufelt stolz," sagte er spöttisch, „aber hübsch genug, deshalb soll es verziehen sein, Wirtin! Wir werden noch Freunde werden, nicht wahr?" „Fragt sich," war die kühle Entgegnung; „lassen Sie mich ruhig meines Weges gehen, vielleicht." „Na nu, Telse, schon wieder Streit?" fragte Leeke herantretend. „Thn' nicht so spröde, die Herren meinen eS freundlich." Den hübschen Kopf in den Nacken werfend, ging Telse wortlos an ihrem Mann vorüber, welcher sie umfassen wollte; ihre Lippen zuckten spöttisch, die Falte zwischen den Branen vertiefte sich. Wie war Leeke Barben doch im Familien leben so ganz anders als auf der Insel, wo nur die feinere Außenseite sichtbar wurde; mit Uhr und modischem Rock schien er jede Spur von Erziehung abzulegen. Im tollen Schwarm der Zecher war er einer der wildesten, unmäßigsten, sein Benehmen brutaler als das der Gäste. Da her stammte die Linie auf Telses Stirn, in dieser Gesellschaft hatte sie das Heimweh er griffen, mit seinen haarscharfen, verwundenden Geierkralle» hielt es ihr Herz umspannt. An fangs hatte sie verzweiflungsvoll zornige Reden geführt und bittere Thränen geweint; aber Barsten verlachte sie und gebot ihr Schweige». Und nun schwieg sie und wehrte sich. Und Telse war kein zartes, zerbrechliches Stadt dämchen, in ihren Armen wohnte gesunde Kraft, daS hatte sie schon manchem bewiesen, der ihr zu nahe kam. Dann funkelten ihre blauen Augen in wildem Feuer, ihre Lippen schlossen sich fest, ihre groß Gestalt schien zu wachsen, kampfesmutig sah st' aus und war so ein seltener Anblick für d» wilde Schar. Und das bitterste war, daß bei»' Hinschauen in das bunte Getümmel immer u»° immer wieder das frische, fröhliche Gesicht »o» Jens Petters vor Tclscs Geistesauge erschien, s"' sah sein Ange leuchten, seinen Mund lächeln, der sie so gekübt. . Die holde, süße Erinnerung ließ sich do<* nicht wie ein flüchtiger Traum abschütteln, da» Herz wollte dem Kopf nicht gehorchen, der dar Vergessen befahl. , Drinnen in ihrem Wohnstübchen riß Tel» dann wohl mit großen Thränen in den Auge»! Kopftuch und Korallenschnur vom Halse und tra sie mit Füße», und Leeke Barbe» hatte sM' eine böse Zeit. Die große, schöne Frau bli»' > mit einem verächtlichen Blick auf den erhitzte»- trunkenen Leeke und stieß ihn zurück, wenn e sich ihr nähern wollte. Der schalt und sprudeu allerlei unverständliches Zeng hervor, um da»» auf sein Lager zu sinken und in tiefen Schlat Z verfallen. .... Am Himmel zeigten sich die ersten Streit deS Frührots, Tautropfen sammelten fiw Blumen und Blättern. An dem weügeoffnc. Fenster ihres ZimmcrS saß Telse, starr vor i. I niederblickend. Nichts war mehr von Stolz » Abwehr in Haltung und Zügen zu deine der Kopf mit de» dicken, blonden Flechte» ' auf die Brust geneigt, die Hände ruhten schlungen im Schoß. - dei» Auf den Schwingen des Nachtwindes, Duft der Rosen und Nelken zog leise, lest- '
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)