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Allgemeiner Anzeiger : 04.11.1893
- Erscheinungsdatum
- 1893-11-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189311043
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18931104
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1893
-
Monat
1893-11
- Tag 1893-11-04
-
Monat
1893-11
-
Jahr
1893
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 04.11.1893
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VoMische Rundschau. Deutschland. *Eine kaiserliche Verfügung beruft den Reichstag zum 16. November ein. *Das Gerücht, wonach das Militärkabiuett auf Befehl des Kaisers nach Beendigung des Hannoverschen Spielerprozesses die Uebersendung dec Akten bei dem Justizminister beantragte, trifft zu. Es ist beabsichtigt, die Einführung strengerer Kontrolle über die Führung der Offiziere. Der Kaiser verfolgt den Gang des Prozesses mit lebhaftem Interesse. * König Albert von Sachsen hat einen öffentlichen Dank für die zu seinem Militär jubiläum veraustalteten Anteilskundgebungen aus gesprochen, der im ,Dresd. Journal' veröffent licht wird. *Die Verhandlungen der deutsch-russischen Zollkonferenz stehen sehr schlecht. Die russischen Anerbietungen waren so geringwertig, daß sie zurückgewiesen werden mußten, der Beirat war dabei in völliger Uebereinstimmung mit der Regierung. Die ,Köln. Ztg.' schlägt jetzt fol genden wenig freundlichen Ton an: „Der russische Finanzminister Witte hält schon jetzt die Zeit für gekommen, in seinem Petersburger Leibblatt schwere Beleidigungen gegen die deutsche Reichs regierung und die Monarchen des Dreibundes zu häufen. Es ist das ein für uns sehr er wünschter und unsere bisherigen Nachrichten be stätigender Beweis, daß die Verhandlungen der Berliner Zollkonferenz den einseitigen Forde rungen des Herrn Witte nicht genügend ent sprechen. Wenn Herr Witte aber dec Meinung ist, er könne dadurch ein besseres Ergebnis er zielen, daß er mit Deutschland wie mit einem Tschinowniks spricht, so wird er bald die Wahr nehmung machen, daß er sich hierin täuscht. Wir glauben das Endergebnis der Verhandlungen mit aller Ruhe abwarten zu können." * Bei der vom Bundesrat jüngst angenomme nen und dem Reichstag in der ersten Zeit nach seinem Wiederzusammentritt zuzustellenden No velle zum Viehseuche ngesetz handelt es sich um denselben Entwurf, der bereits in der vorletzten Tagung dem Reichstag, allerdings so kurz vor seiner Auflösung vorgelcgt wurde, daß er auch nicht einmal zur ersten Lesung im Plenum gelangt ist. *Man schreibt dem ,Hannov. Kour.': Die in Aussicht stehende Vorlage betr. die Erweite rung des Reichsstempelabgabewesens, sieht, analog dem im letzten Reichstage gemachten Vorschläge, eine Verdoppelung der Börsen-Umsatz- steuer vor. Eine Ausnahme soll zu gnnsten dec Reportgeschäfte („Ultimo-Regulierungen") ge macht werden, die schon jetzt doppelt besteuert werden. Für diese soll es bei dec jetzigen Höhe der Steuer sein Bewenden haben. Daß eine Quittungssteuer beantragt werden wird, ist zutreffend. Auch will man eine Fracht- briefsteuer in Vorschlag bringen. Den Zweck, den eine Emissionssteuer verfolgen würde, will man durch die Konstruktion der Börsen- Umsatzsteuer wenigstens einigermaßen zu erreichen suchen. Daß eine höhere L o t t e r i e - und eine Totalisator steuer geplant sind, ist bekannt. * Die umlaufende Nachricht, daß die sil bernen Zwanzigpfennigstücke und die Zwanzigpfennig st ücke in Nickel gegenwärtig zur Einziehung gelangen, um durch neue, aus anderer Legierung hergestellte, am Rande gerippte Zwanzigpfennigstücke ersetzt zu werden, mit deren Ausgabe bereits begonnen worden sei, entbehrt, wie der Meichsanz.'schreibt, jeder Begründung. *Es verdient hervorgehoben zu werden, daß der bayrische I u st i z m i n i st e r in dem neuen, dem Landtag vorgelegten Etat wiederum 2500 Mark als Jahresbeitrag für die Ent- schädigungunschuldigVerurteilter eingestellt hat. Weiter sind in dem Justizetat als Jahresbetrag für Vergütung der Auslagen Freigesprochener 5000 Mk. eingestellt, da die seither etatisierten 2900 Mk. in den letzten Jahren nicht ausreichten. Oesterreich-Ungar«. *Die Wirren in Oesterreich werden immer größer. GrafTaaffes Entlassungs ¬ gesuch ist vom Kaiser noch nicht entschieden worden und dürfte auch erst entschieden werden, wenn der Kaiser in nächster Woche aus Gödöllö (Ungarn), wohin er sich von Wien aus begab, zurückgekehrt sein wird. Der ReichSrat ist ver tagt, die Abgeordneten weilen aber saft sämtlich in Wien. Ob Graf Taaffe nochmals vom Kaiser zur Kabinettsbildung berufen wird, er scheint zweifelhaft. Sein Schaukelsystem scheint völlig abgewirtschaftet zu sein. Frankreich. *Dem Besuche der russischen Marine in Toulon ist der Besuch zweier russischer Großfürsten gefolgt. Am Sonntag empfing Präsident Carnot den Besuch des Großfürsten Wladimir und erwiderte ihn alsbald. Großfürst Alexis ist über Toulouse und Marseille nach Cannes ab- gcreist. * Eine Uniform für den Präsidenten! Dieser Notschrei hallt aus Paris in die Welt. Präsident Carnot soll in seinem einfachen Frack unter den Generalen erbärmlich ausge sehen haben. Darum muß Carnot eine Uniform haben! Allerdings ist es noch nicht ausgemacht, daß er in der Uniform nicht noch erbärmlicher aussehen würde; da aber Leute, die sich Republi kaner nennen, behaupten, daß eine Präsiden ten- Uniform nötig sei, so wird Carnot die Maskerade mitmachen müssen. * Eine vom General Dodds in Paris ein gegangene Depesche, aus Zaganado am Mme, dem ehemaligen verschanzten Lager Behanzins, meldet den Vormarsch aui das gegenwärtige Lager Behanzins. Zwei andere Kolonnen werden in derselben Richtung vorrücken. Der Gesundheitszustand sei besriedigend. Die Ueber- schwemmung sei im Abnehmen. England, * Der Sekretär der Admiralität Sir Schuttreworth teilte in einer Versammlungsrede mit, für den Bau von neuen Schiffen im Finanzjahre 1893/94 seien 2 394 000 Pfund ausgeworfen, 81000 mehr als im Jahre 1892/93 Das Programm umfasse zwei der mächtigsten Schlachtschiffe, die jemals gebaut seien, und einen mächtigen Kreuzer. *ES verdient Beachtung, daß der Versuch des englischen Ministers des Innern, 15 Arbeiter zu Fabrikinspektoren zu ernennen, sich durchaus bewährt hat. Diese haben dazu bei getragen, während ihrer sechsmonatigen Amtszeit wesentliche Uebelstäude im Fabrikwesen abzu stellen, die sonst unentdeckt geblieben wären. Der Minister hat im Hinblick auf diese Erfolge in sei er letzten Rede die Ernennung von weiteren Fabrikinspektoren in Aussicht gestellt, die ihre Erfahrungen als regelrechte Fabrikarbeiter ge sammelt haben. Auch die weiblichen Fabrik inspektoren, die früher Arbeiterinnen gewesen, sollen vermehrt werden. Schweiz. * Die Erneuerungswahlen zum schweizerischen Nationalrat, die am Sonntag stattfandeu, haben das Verhältnis der Parteien in demselben nicht wesentlich verändert. Nach den bisher vorliegenden Resultaten ist die bernische konservative Volkspartei unterlegen; in Tessin war der Wahlausfall für die Radikalen günstig, während die Klerikalen dort etwa 20 Sitze eiubüßen und die Sozialdemokraten keinen Gewinn zu verzeichnen haben. In Grau bünden verlieren die Klerikalen einen Sitz. Die Resultate von Genf sind noch nicht bekannt, doch ist der Sieg der Konservativen wahrscheinlich und auch das Zentrum wird mehrere Sitze ge winnen. — Eine Anzahl Stichwahlen ist nötig. Spanien. * Dem Vernehmen nach wird sich der spanische Kriegsmini st er demnächst nach Melilla begeben. General Macias hat dort den Oberbefehl über die Truppen, deren Stärke 8000 Mann beträgt, übernommen. Infolge des Ausbleibens näherer Nachrichten macht sich übrigens in der Bevölkerung von Madrid eine gewisse Beunruhigung geltend. Balkanstaaten, *Der am Sonntag auf Schloß Pelesch voll zogenen Taufe des Prinzen Karl von Ru mänien, des einstigen Erben der Königskcone, wohnten die früheren und jetzigen Minister, die Präsidenten der Kammern, die fremden Gesandten und die sonstigen Staatswürdenträger bei. An läßlich der Taufe fand in allen Städten des Landes ein Tedeum statt. In Bukarest wurden 101 Kanonenschüsse abgegeben, Musikkorps spielten auf den öffentlichen Plätzen. Die Stadt war festlich beflaggt und abends beleuchtet. Aegypten. *Die französische Regierung hat Tigrane Pascha, den Minister des Auswärtigen in Aegypten, zum Großoffizier der Ehrenlegion ernannt. Ob die Dekoration für geleistete oder noch zu leistende Dienste er folgte, steht dahin; wahrscheinlich für beides. Jedenfalls sieht der Vorgang nicht danach aus, als gedenke Frankreich nach den Verbrüderm gS- festen mit Rußland den Engländern in Aegypten weniger Schwierigkeiten als früher zu bereiten. Amerika. *Es gewinnt den Anschein, als ob sich die Ver. Staaten von Nordamerika in die brasilianischen Wirren einmischen wollten. Die ,New Jork Tribuna' meldet „aus den maßgebenden Kreisen", die brasilianische Revolution bedrohe die Interessen der Ver. Staaten mehr, als andere Aufstände in Süd amerika. Besonders schmerzlich wird empfunden, daß Desterro, der Sitz der (aufständischen) provi sorischen Regierung, zum Freihafen erklärt wor den ist. Die Entsendung des Unionkreuzers „New Jork" nach Rio de Janeiro erachtet man für bedeutungsvoll. Das Schachtverbot in Sachsen. Das königlich sächsische Ministerium des Innern hat die Vorstellung einer Anzahl zur Blesse in Leipzig sich aufhaltender jüdischer Borstenhändler wegen Aufhebung des sogenannten Schächteverbots in Sachsen — welche Vor stellung von der Leipziger Handelskammer an das königliche Ministerium zur Kenntnisnahme übersendet worden war — bereits unterm 7. Oktober beantwortet. Das betreffende Schreiben des königlichen Ministeriums, gez. v. Metzsch, das am 11. Oktober bei der Handelskammer eingegangen und darauf den Beteiligten mitge teilt worden ist, lautet nach dem .Leipziger Tage blatt', wie folgt: Das Ministerium des Innern hat von der durch den Bericht der Handelskammer zu Leipzig vom 3./6. Oktober abschriftlich anher gelangten Eingabe einer Mehrzahl von zur Blesse weilenden jüdischen Borsten- und Produktenhändlcrn Kennt nis genommen. Zur Berücksichtigung ist zunächst zu bemerken, daß ein Verbot des sogenannten Schachtens in Sachsen überhaupt nicht besteht; cs ist vielmehr nur die vorherige Betäubung der Schlachttiere vor dem Schlachten durch Ver ordnung vom 21. März 1892 vorgeschrieben worden, allerdings ohne daß dabei bezüglich der jüdischen Schlachtung eine Ausnahme gemacht worden wäre. Sollte es daher gelingen, für das Schächten ein Verfahren ausfindig zu machen, das geeignet wäre, die dem Schächten ohne vor herige Betäubung entgegenstehenden Bedenken zu erledigen, so würde dann auch nicht weiter auf der vorherigen Betäubung bestanden zu werden brauchen. Die gedachte Verordnung ist nach reiflicher Erwägung und nach wiederholter Ein forderung sachverständiger Gutachten, sowie mit fast einstimmiger Bewilligung der zunächst ge hörten zahlreichen Behörden (Kreishauptmann schaften, Amtshauptmaunschaften mit ihren Be zirksausschüssen und Stadträten) erlassen worden, wobei insbesondere bemerkt werden mag, daß auch die mit dem bezüglichen Berichte des Stadt rates zu Leipzig überreichte Auslassung der dortigen Schlachthofsverwaltung sich in sehr ener gischer Weise gegen die Ausdehnung der Ver ordnung auf jüdische Schlachtungen ausgesprochen hat. Ein triftiger Grund, von der in Frage stehenden, mit der Religion an sich gar nicht zu sammenhängenden, vielmehr lediglich auf Er wägung der auch den Tierschutz umfassenden Moral beruhenden Vorschrift eine von jüdischer Seite verlangte Ausnahme zu machen, ist nicht vorhanden. Denn es liegt auf der Hand, daß auch ein, wenn gleich seit langem bestehender, doch aber aus wandelbaren Menschensatzungen hervorgegangener ritueller Gebrauch insoweit keinen Anspruch auf Beachtung machen kann, als er dazu angethan ist, in sittlicher Beziehung An stoß zu erregen, oder mit allgemein staatlichen Einrichtungen im Widerspruch steht. Das Ministerium deS Innern kann sich daher um so weniger entschließen, die verlangte ausnahms weise Behandlung der jüdischen Schlachtungen zuzugestchen, als sicherlich von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung jenes Verlangen als eine unberechtigte Forderung einer sich absondernden Minderheit betrachtet wird. Von Uah and Fern. Die Cholera. Das Reichs-Gesundheitsamt macht folgende Cholerafälle bekannt: In Stettin wurde bei einem am 26. v. erkrankten Kinde Cholera nachgewiesen. In Warsow, Kreis Ran dow, und in Swinemünde je ein tötlich ver laufener Krankheitsfall. In Stepenitz, Kreis Kammin, zwei Erkrankungen (davon eine Mich). In Kratzwieck, Kreis Randow, und in Wollin je eine Erkrankung. In Neusalz a. O. verstarb auf einem Flußfahrzeug eine aus Stettin ge kommene Schiffersfrau. Aus Havelberg sind seit der Mitteilung vom 26. v. weitere vier Fälle gemeldet worden. In Neuenzell bei Hohensaathen, Kreis Königsberg i. d. N., ein tötlicher Krank heitsfall. Unwillkommene Begnadigung. In der Strafanstalt in Graudenz war ein wegen Doppel mordes zum Tode verurteilter, jedoch von König Friedrich Wilhelm IV. zu lebenslänglicher Zucht hausstrafe begnadigter russischer Unterthan v. B. seit dem Jahre 1850 in Hast. Der Verurteilte war 20 Jahre alt, als seine Aufnahme erfolgte. Nachdem er 43 Jahre lang in der Anstalt ver blieben, ist er in anbetracht seiner guten Führung vom Kaiser gänzlich begnadigt und in seine Heimat nach Rußland entlassen worden. Der jetzt 63 Jahre alte Mann vergoß Thränen, als er die Anstalt verlassen mußte, weil er einer un gewissen sorgenvollen Zukunst entgegenging. Er sprach den Wunsch aus, im Zuchthause verbleiben zu dürfen, ein Wunsch, der ihm jedoch nicht ge währt werden konnte. Kindesmord wegen gestörter Nacht ruhe. In Oberoderwitz bei Zittau hat dieser Tage die bei einem Gutsbesitzer in Diensten stehende Kinderfrau ihren 8 Monate alten Pfleg ling in der Nacht ermordet. Die Mörderin, ei e 60jährtge Witwe, hat die That in der Wut darüber vollbracht, daß das Kind mit seine« Geschrei sie in ihrer Nachtruhe störte. Ein Selbstmord durch Absturz kam in Arnstadt (Thüringen) vor. Im nahen Jonas thale befindet sich der Jungernsprung, ein unge fähr 15 Meter hoher und jäh abfallender Felsen, der oben mit einem Eisenspalier versehen ist Eine 60 jährige Witwe, die bereits längere Zeit tiefsinnig ist, begab sich mit ihrer drei Jahtt alten Enkelin auf den Felsen, trat hart an den Abgrund und befahl dem Kinde, sie durch einen Stoß hinabzustürzen. Als dies die Enkel!» nicht that, sprang sie hinab und kam zerschmettert unten an. Das Kind lief eilends davon, uni das Vorgefallene weiter zu erzählen. Eint Kommission befand sich bald an Ort und Stelle, um den Thatbestand festzustellen. Es sind aus diesem Felsen durch Absturz bereits mehrere Selbstmorde vorgekommen, erst im Frühjahr d. sprang ein junger Mensch hinab und nahm sich so das Leben. Seine Treibjagden hielt dieser Tage der Fürst von Leiningen ab. Dabei hatte, wie der ,Bad. Landesbote' aus Waldstetten crsährt, einer der eingcladenen Gäste das Unglück, mit eine« Schuß statt eines Hasen vier Treiber zu Falle zu bringen. Der benachbarte Arzt wurde als bald zur Hilfeleistung gerufen. Glücklicherweise sollen die Verletzten außer Gefahr fein. Der älteste Pastagier, der wohl jemals von Bremen aus auf einem Norddeutschen Lloyd- dampfer eine Ozeanfahrt nach Nordamerika an getreten hat, ist der 93jährige Gärtner Konrad Viereck aus Großenrittcr bei Kassel, der a« 25. Dezember geboren ist. Viereck trat am Diens tag seine vierte Ozeanrcise an. Im Mai M' fuhr er zum ersten Male nach New Jork. Seit dem lebte er in San Francisco und die letzte ' 20 Jahre in Pittsburg. Er hatte einen S Götze Kotö. Lj i^ortietzuna.! Erwin ergriff kühn Erdmuthes Hand und drückte sie feurig. Aber das Mädchen entzog ihm ihre Finger und wich weit von dem kecken Mann zu rück. Ihre Lippen zuckten. Was fiel ihm ein, sie so anzublicken, so zu ihr zu sprechen, was gab ihm ein Recht dazu? Verstand er ihre Freundlichkeit, die dem Gast galt, so? „Der Fischadler erjagt die Möwe," tönte da eine schrille, laute Stimme, und Mutter Anke fuhr mit wildem Lacke: vom Sande auf, den einen Arm nach dem Meer ausstreckend, wo aus blauer Höhe ein Fischadler, von seinen mächtigen, starken Schwingen getragen, auf eine ängstlich flatternde Möwe herabstieß, um im nächsten Augen blick mit seiner Beute zu verschwinden. Erdmuthe blieb erbleichend, unbeweglich, während Erwin die seltsame Frau aufmerksam musterte. Diese blickte ihn unter gefalteten Brauen mit den ruhelosen Augen feindselig an und raunte, sich wieder setzend: „Der Schwache weicht dem Starken, der Mensch dem Meer, Möwen dem Adler; hahaha, wer weiß es besser zu sagen als ich?" „Guten Tag, Mutter Anke," sagte daS Mädchen jetzt sanft, neben der Alten nieder gleitend; „ich war so lange nicht bei dir. Wie geht es dir?" Die Alte antwortete nicht; mit ihrer großen Hand jedoch strich sie liebkosend über des Mäd chens weiche Wange, worauf sie vor sich hin starrte. Erdmuthe blickte zu dem Manne an ihrer Seite empor und gerade hinein in seine leuchtenden, blauen Augen, welche bewundernd auf ihr ruhten; dann fuhr sie mit ihrer lieb lichen, schmeichelnden Stimme fort: „Deine Füße werden naß werden, komm' auf die Dünen, Mutter Anke!" „Still," sagte die Alte warnend, „still, Kind. Hörst du nicht den Todesschrei der weißen Möwe? Der Adler! Habe ich eS dir nicht gesagt? Der Adler, hüte dich!" Erdmuthe erblaßte jäh und warf einen furcht samen Blick auf Erwin, welcher beruhigend flüsterte: „Fürchten Sie nichts, ich bin bei Ihnen." Aber ihn fürchtete sie gerade in diesem Augen blick; wie ein Stich waren ihr Ankes Worte durchs Herz gegangen, die Thränen traten ihr heiß ins A. ge, sie wußte selbst nicht, weshalb. Sie mußte daran denken, wie keck er vor kurzem zu ihr gesprochen hatte, ohne ein Recht dazu zu haben, und auch jetzt stand er so stegesgewiß neben ihr. Plötzlich zog ihr Anke den Hut herab und strich sanft und zärtlich über das braune Haar, während sie mit leiser Stimme sprach: „Weshalb kommst du zu mir, da mich alle fürchten? Sie laufen davon, wenn ich komme, nur du und der Jens nicht! Wie weiche Hände du hast, wie das Meerweiblein, das meinen Dirck und meine Jungen bewacht da unten, weißt du? — Da unten!" „Denke nicht daran, Mutter Anke," bat Erd muthe herzlich; „ihre Leiber freilich schlafen drunten; aber ihre Seelen sind bei Gott im Himmel." Anke stieß ein heiseres, böses Lachen aus und nickte mehrmals mit dem Kopf. „Darüber laß uns nicht streiten," sagte sie laut, „du hast einen harten Sinn in solchen Sachen. Ich halte es mit dem Meer, dem Meer!" Teste saß an dem weißgescheuerten Tisch im Hause ihrer Mutter, den blonden Kopf in beide Hände stützend und mit großen, glänzenden Augen Jens Petters ins Antlitz schauend. Es war ein ärmliches, aber sauberes Stübchen: denn die Witwe Hemers mit ihren Töchtern mußte sich kümmerlich mit Spinnen und Weben ernähren, seit ihr Diann, gleich so vielen Friesen, im Wasser seinen Tod gefunden hatte. Basilikum und Reseda dufteten vom Fenster her, auf der langen Bank hinter dem Tisch schnurrte eine zimtfarbene Katze, auf dem Sims glänzten einige Zinnteller und bunte Muscheln, die das Meer ans Land geworfen hatte. Frau Hemers saß neben ihrer jüngeren Tochter Wiebke hinter ihrem Spinnrad und lauschte gern den seltsamen Geschichten, die Jens ihnen erzählte. Der verstand es aber auch wunderbar, Wahrheit und Dichtung, Schauerliches und Spaßhaftes zu vermischen. Ordentlich fror die Frauen, wenn er ihnen das Auftauchen der Seeschla ge und den Kamps mit chinesischen Seeräubern beschrieb. Wiebke Hemers war kleiner und schmächtiger als Telse, ihr ganzes Aeußere verlor neben der auffallend hübschen Schwester, obgleich sie kein häßliches Mädchen war. Sie spann, als hinge ihr Leben an dem Gewebe, und erhob die Augen niemals zu Jens, so seltsame Dinge er auch vortrug. Sie hatte ihm kaum die Hand gereicht, so heiß war es ihr ins Antlitz geschlagen, als er unter die niedere Thür trat und sie mit froh" licher Stimme begrüßte: > „Grüß Gott, Wiebke! HerrjeS, so groß und hübsch geworden, fast wie die Teste!" , Fast wie die Telse! O, wie sie das schmerzte I j Um seinetwillen hätte sie noch schöner sein mögen j als die Schwester, und er hatte keinen Blick für sie. So machten es alle, alle; auch der reiche Leeke Barßen, der drübeu auf dem Festland das Gasthaus hatte, der Ringe und eine Uhrkctte trug wie ein Stadtherr und keine : regelrechten Stampfer mehr tanzen konnte, weil er sich das Hüpfen und Schleifen bei den Landratten aE wöhnt hatte. Nach dem freilich fragte sie u«': viel; aber um JenS that ihr das Herz weh. hatte all' die Zeit sich nach ihm gesehnt, währeno - Telse auch mit den anderen Burschen schön >0°^ und es gern litt, daß Leeke sie ein hümm^ s Mädchen nannte und sich, war gerade wahren seiner Anwesenheit Tanz in der Schenke, mtt w zum Takt eines HopserS drehte. . Freilich, nun saß sie und lachte den Matt I an mit all' ihren weißen Zähnen und den he - blauen Auge i und dachte garnicht daran, w zu verbergen, daß sie ihm gut sei; avn rechte Liebe, wie Wiebke sie empfand, die uu ' ihn dachte, nur ihn wollte, mochte es doch nicht sein. „UebrigenS," unterbrach Jens Vilich W Erzählung, „sah ich vorhin den Leeke Ist ja ein verwünscht feiner Herr geworoe., mich nicht wiedererkannte. Wie 'st ,d^ zugegangen, Mutter Hemers, hat er vi.ac.ch Schatz gefunden?"
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