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Allgemeiner Anzeiger : 04.10.1893
- Erscheinungsdatum
- 1893-10-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189310040
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18931004
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1893
-
Monat
1893-10
- Tag 1893-10-04
-
Monat
1893-10
-
Jahr
1893
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 04.10.1893
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politische Rundschau. Deutschland. *Jn Wiener Kreisen, die mit der dortigen deutschen Botschaft Fühlung besitzen, hat man, wie versichert wird, den Eindruck, daß die An gelegenheit der Aussöhnung zwischen Berlin und Friedrichsruh jetzt wirklich gut stehe und besonders, daß die Veröffentlichung des Telegrammwechsels ein sehr günstiges Zeichen sei. Natürlick sei man aber auch dort weit da von entfernt, überschwängliche Hoffnungen bezüg lich einer zukünftigen Wirksamkeit des Altkanzlers zu hegen. * Die diesjährigen Flottenmanöver hatten in weit größerem Umfange als in früheren Jahren die Aufgabe, sehr wichtige neue Ein richtungen in den verschiedensten Beziehungen zu erproben. Es verlautet, daß die Ergebnisse der angestellten Versuche nach allen Richtungen hin befriedigt hätten. Es ist die Erstattung von eingehenden Sonderberichten an den Kaiser be fohlen worden und zum Teil schon in der Aus führung begriffen. * Der Zollbeirat, dessen Verhandlung am Donnerstag abgeschlossen worden, hat einen Ausschuß eingesetzt, der während der Verhand lungen mit Rußland in Thätigkeit bleiben soll. *Die Reichsregierung beabsichtigt, die Ab gabe auf Lotterielose um 50 Prozent zu erhöhen. *Die geplante T a b a k f a b r i k a t steuer soll eine Wertsteuer nach den Fakturen sein. — Es wird ferner beabsichtigt, den Zoll von im Auslande gefertigten Zigarren zu erhöhen. * Die Tagung des Reichstags wird dem Vernehmen nach nicht vor dem letzten Drittel des November eröffnet werden können, da die Feststellung des ReichLhaushalts sich diesmal etwas weiter als sonst hinauszieht. Als frühester Termin der Einberufung kann der 20. November etwa angesehen werden. *Der allgemeine Buß-und Bettag in Deutschland findet am Mittwoch vor dem Toten fest, also in diesem Jahre am 22. November, statt. Der Tag wird in ganz Deutschland gleich zeitig gefeiert, mit Ausnahme von Mecklenburg und Reuß, wenn diese sich nicht inzwischen auch noch der allgemeinen Feier anschließen sollten. *Der,Reichsanz.' vom Donnerstag enthält die Mitteilung, daß der Preuß. Unlerrichtsminister sämtliche zur Zeit in jüdischen Schulen gebrauchten Unteirichtsbücher (im ganzen 551 ver schiedene) hat einfordern und durch einen theo logisch und pädagogisch hervorragend gebildeten Schulaufsichtsbeamten und einem des Hebräischen kundigen evangelischen Geistlichen hat prüsen lassen. Diese Prüfung hat ergeben, „daß keine der in der Presse gegen die jüdischen Religions bücher erhobenen Anklagen durch den Inhalt der vorgelegten Bücher begründet ist." — Die viel besprochene Schrift „Sckmlchan Aruch" (gedeckter Tisch) sei in keiner öffentlichen oder privaten Volksschule im preußischen Staat im Unterrichts- ccbrauch. *Der bayr. Landtag ist am Donners tag eröffnet worden. * Die Thronfolgefrage in Braun schweig scheint wieder auszuleben. In Braun schweig ist soeben eine Flugschrift unter dem Titel.Politische Briefe. Ein drängende Frage. Die Thronfolge in Braunschweig' erschienen. Der Verfasser erklärt den gegenwärtigen Zustand im Herzogtum Braunschweig für unhaltbar, da ein Regent sich der Regierung des Landes nie so ersprießlich anuehmen könne wie der Souverän. In fünf Jahren werde der Sohn des Herzogs von Cumberland volljährig und dann müsse die Thronfolgefrage erledigt sein. Fürst Bismarck habe einmal ein Reichsgesetz gewünscht, nach dem alle erbberechtigten Prinzen, wenn sie einen Thron in Deutschland einnehmen sollen, auch in Deutschland und in dem Staate ihrer künftigen Souveränität erzogen werden müßten. Dem gemäß müsse an Kaiser und Bundesrat das Ersuchen gestellt werden, den Herzog von Cumberland zu einer bestimmten Antwort aufzu fordern, ob er die Erklärung abgeben wolle, die seinem Sohne die Ausübung der Landeshoheit in Braunschweig ermögliche. Falle diese Er klärung befriedigend aus, so müsse die weitere Bedingung gestellt werden, daß Prinz Georg Wilhelm sich sogleich nach Braunschweig begebe, um dort seine Erziehung zu vollenden. Andern falls müsse die staatsrechtliche Stellung Braun schweigs eine gesetzliche, endgültige Regelung er fahren, dergestalt, daß die Ltändc des Herzog tums ein Mitglied eines deutschen Fürstenhauses zum Herzog wählen oder aber das Land nach dem Muster von Elsaß-Lothringen für reichsun mittelbar erklärt werde. Oesterreich-Ungarn. *Wie aus diplomatischen Kreisen in Wien verlautet, ließ die russische Regierung Deutschland, Oesterreich-Ungarn und Italien Mitteilungen zugehen, die darthun sollen, Ruß land erblicke in dem Toulon er Flotten besuche hauptsächlich eine Erwiderung des Kro städter Flottenbesnches und mißbillige alle Aenßerungen und Kundgebungen, die eine andere Auffassung zur Geltung bringen wollen. Diese Eröffnungen machten bei den Dreibundmächten einen guten Eindruck. *Das Stadtverordneten-Kollegium von Prag hat mit allen gegen die Stimmen der Jung tschechen den Antrag Storch abgelehnt, an die Abgeordneten eine Petition um Aufhebung des Ausnahmezustandes zu richten. Zwischen dem Bürgermeister Dr. Sole (sprich Scholz) und dem Jungtschechen Dr. Podlipny wird es wegen der heftigen Auftritte, die in der Staatsrats sitzuna vorkamen, zu einem Duell kommen. Dr. Podlipny beschuldigte den Bürgermeister, sowie die Alttschechen überhaupt, den Ausnahme zustand für Prag verlangt zu haben und nannte Sole einen „Büttel". Podlipny war nicht zu bewegen, die Anschuldigung zurückzunehmen. Frankreich. *Nach dem nunmehr von dem Ministerrate genehmigten Programm für die Festlichkeiten anläßlich der Anwesenheit der russischen Seeleute werden letztere sich in Lyon und Marseille anfhalten. Das Programm wird übrigens dem Minister des Auswärtigen, Develle, und dem russischen Botschafter, Baron v. Mohren heim, noch zur endgültigen Entscheidung unter breitet werden. England. *Jn Edinburg hat Gladstone am Mitt woch eine Programmrede gehalten, in der er aus führte, daß seine Bemühungen zu gunsten von Homerule nicht ohne Erfolg gewesen seien. Die Auflösung des Parlaments infolge der Ver werfung der Homerulevorlage wäre gegen das Prinzip der Verfassung und ein Verrat gegen die Nation, die das Recht besitzt, sich selbst zu regieren. Was nun die Frage bezüglich der Existenz des Oberhauses betreffe, so würde dieselbe den Wählern unterbreitet werden. Die Majorität werde die Pflicht haben, ein Mittel zu finden, zum Ziele zu ge langen. — Danach ist also Gladstone ent schlossen, die Oberhausfrage mit zur Wahlparole zu machen. Italien. *Der Schatzminister Grimaldi hat auf den offenen Brief CavallottiS in Sachen des Bankskandals geantwortet, er habe über alle von jenem erwähnten Punkte dem Siebener- Ausschuß Rede gestanden und könne daher nichts thun, als das Urteil des Ausschusses und der Kammer mit ruhigem Gewissen abwarten. Spanien. * Der Ministerpräsident Sagasta hat beim Aussteigen aus seinem Wagen einen Bein bruch erlitten. Die Aerzte sollen bereits kon statiert haben, daß die Verletzung nicht schwerer Natur ist. *Jn dem Befinden des Marschalls Mar tinez Campos ist eine leichte Verschlim merung eingetreten. *DieAnarchistenverhaftungen in Barcelona dauern fort. Es sind viele Bomben und Dynamitpatronen gefunden worden. Ballanstaaten. *Die Gerüchte von einem getrübten Ver hältnis zwischen dem Fürsten Ferdinand von Bulgarien und Stambulow er- - halten sich. Vor einiger Zeit wurde in einem Blatte darauf hingsdeutet, daß sib bei dieser eingetretenen Spannung weiblicher Einfluß be merklich mache, womit wohl auf die junge Ge mahlin des Prinzen Ferdinand hingewiesen wer den sollte, als ob deren Stolz StambulowL maßgebende Stellung nicht zu ertragen vermöchte. Zu verwundern wäre es nicht, wenn die junge Fürstin vom Hafer gestochen würde. Indessen für Experimente so gefährlicher Art, wie die Entlassung Stambulows wäre, sitzt Prinz Ferdi nand noch lange nicht fest genug auf dem bul garischen Thron, ja das bulgarische Staatswesen wäre kaum im stände, die schwere Probe zu be stehen. Man denke nur an die Krisis, die dem Sturze des Fürsten Alexa der folgte; allein da mals hatte eben Bulgarien seinen Stambulow; für jenes, im Obigen angedeutete Unterfangen und dessen Folgen aber müßte der entsprechende Mann erst noch gefunden werden. Amerika. * Die Insurgenten in Argentinien haben das alte Panzerschiff „Los Andes" in Beschlag genommen und sind stromaufwärts bis Rosario gefahren, wo sich das Zentrum des Aufstandes befindet. Die Regierung schickte einen Kreuzer und zwei Torpedoboote zur Verfolgung nach. Die Generale Revalle und Arredondo befinden sich auf dem Marsch gegen die Aufständischen in den Provinzen Cordoba, San Luis und Tucuman. Die Truppen von Entre Rios und Buenos-Ayres konzentrierten sich vor Rosario. Ueker Rente und Hypothek äußert die,Köln. Ztg.': „Bezeichnend für den Umschwung, der seit einem halben Menschenalter in der Rechts- und Staatswissenschaft beobachtet werden kann, ist die Stellungnahme des Juristen tages zu den Formen der Verschuldung des Grundbesitzes. Während lange Zeit die Hypothek oder Grundfchuld als die einzige Form der Be lastung des Grundbesitzes anerkannt wurde und die altgermanische Belastung in Form der Rente als eine abgestorbene Einrichtung galt, hat man heute eingesehen, daß dem Kreditbesitz deS länd lichen Grundbesitzes die Rentenform viel besser entspricht, als die Hypothekenform. Der länd liche Grundbesitzer gewinnt aus dem Ertrag seiner Wirtschaft meist nicht so viel, daß er ein auf genommenes Kapital zurückzuzahlen vermöchte; von besonderen Glückssällen abgesehen, muß das Kapital daher auf dem Gute stehen bleiben, und der Besitzer kann nur die Zinserträge erschwingen. Der Gedanke, auf dem die Einrichtung der ding lichen Rentenschuld beruht, Hilst diesem Mangel ab, und Ausgabe der deutschen Gesetzgebung ist es daher, für eine Regelung derselben zu sorgen. Indem der Juristentag die Form der dinglichen Rentenschuld als ein der kapitalistischen Liegen schaftsverschuldung durchaus ebenbürtiges Rechts- iustitut bezeichnete und von der Reichsgesetzgebuug seine Anerkennung und eingehende Regelung ins besondere durch Zulassung von Rentcnbriefen forderte, hat er auf eine sehr bedeutsame Lücke in den bisherigen Entwürfen des bürgerlichen Gesetzbuchs aufmerksam gemacht, an deren Aus füllung die deutsche Landwirtschaft das höchste Interesse besitzt. Wenn mit Recht die befrie digende Regelung der Kreditfrage als eine Lebens frage für die Landwirtschaft bezeichnet wird, so darf man wohl von der Kodifikation des Reichs- rechts erwarten, daß sie an derselben weder vor- übcrgeht, noch sich der Berücksichtigung der For derungen entzieht, über deren innere Berechtigung heute nicht nur die Volkswirte, sondern auch die Rechtsgelehrte i einig sind. Die Zulassung der dinglichen Rentenschuld und ihre Ausgestaltung in modernem, von der Rücksichtnahme auf die Eigenartigkeit des ländlichen Grundeigentums ge tragenem Sinne wird die DaseinSbedingungen des kleinen und mittleren Bauernstandes ganz wesentlich verbessern. Wenn heute in den Kreisen des Bauernstandes jene sozialistischen Pläne Ein gang finden, die aus Verstaatlichung des Grund kredits und Ablösung der Hypothekenschulden durch den Staat hinauslaufen, so ist dies nicht zuletzt auf den Zustand des geltenden Hypotheken rechts zurückzuführen, das eben den besonderen Bedürfnissen des ländlichen Grundbesitzers nicht die genügende Rechnung trägt. So sehr sich dis hypothekarische Verschuldungsform für städtisches Grundeigentum eignet, so wenig taugt sie für das ländliche schlechthin; diesem entspricht eben nur die dingliche Rentenschnld, was das deutsche Recht schon vor Jahrhunderten richtig erkannt hatte. Wie die neueste Gesetzgebung das Renten gut wieder zu einer lebendigen Rechtseinrichtung gemacht hat, so muß sie auch die Rentenschuld wieder zu einer Einrichtung des geltenden Rechts gestalten, und wir hoffen, daß die Reichsgesetz- gcbung sür die Bedeutung und Wichtigkeit dieser gesetzgeberischen Aufgabe das erforderliche Ver ständnis besitzen wird." Von Uah und Fern. Die Cholera. In Hamburg ist seit den letzten Tagen ein Nachlaß in der Zahl und der Schwere der Erkrankungen unverkennbar. Be merkenswert ist außerdem, daß die Fälle über verschiedene Teile der Stadt verstreut vorgckom- men sind und daß sich nirgends ein Herd ge bildet hat. Zwar sind in einigen Wohnungen mehrere Personen gleichzeitig erkrankt, aber in keinem einzigen Falle ist eine weitere Uebertragung vorgekommen. — In Altona, Stadtteil Ottensen, 2 Erkrankungen. — In Bodenwerder, Kreis Hameln, eine Neuerkrankung. — In Kirchborgum, Kreis Weener, Regierungsbezirk Aurich, ein tötlich verlaufener Krankheitsfall. — Bei den Heizern eines von See nach Kuxhafen zurückgekehrten Dampfers ist Cholera konstatiert worden. Beide Fälle sind tötlich verlaufen. Rektor a. D. Ahlwardt wird Anfang Oktober die in Sachen Löwe („Judenflinten") über ihn verhängte Gefängnisstrafe in Plötzensee antreten. Der Heilsarmee-Stellvertreter-General, G. S. Railton, hat für Deutschland nachstehen den Kriegsruf erlassen: „Nachdem wir drei Jahre lang unendliche Geduld sogar mit denen gehabt, die am meisten unsere Versammlungen störten, ist es nötig geworden, unser Verhalten ihnen gegenüber zu ändern. In manchen Fällen ver langen eS die Behörden, und in allen Fällen werden wir uns wahrscheinlich mehr Erfolg von dem kommenden Winter sichern, wenn alle zu dem Bewußtsein gebracht werden, daß jede Störung entweder in oder vor unseren Hallen eine ebenso sichere und sofortige Strafe nach sich ziehen wird, wie die Störung jeder anderen religiösen Versammlung. Seien Sie sicher, daß Sie die rechte Persönlichkeit getroffen haben, und dann sofort anklagen!" Ermittelt. Als Prinz Ludwig von Bayern während der Kaisermanöver um Metz jüngst i« Bazaine-Schlößchen bei Fran Generalin v. Giehrl Quartier genommen hatte, wurde ihm, wie die Illg. Ztg.' berichtet, eine Geldkassette mit über 3000 Mk. Barinhalt gestohlen. Der Dieb ist nunmehr ermittelt und zur Haft gebracht worden. Es ist der Dreijährig-Freiwillige Spät des 1. Feld-Artillerieregime'ts, der als Ordonnanz eines Offiziers kommandiert war. Weinlese. Im Rheingau haben am 26. Sep tember bereits einzelne Besitzer von jungen Wein bergen mit Oesterreicher Reben eine Vorlese vor nehmen lassen, weil hier das Auslaufen der Trauben bevorstand. Eine solche Vorlese ist jetzt wegen der allgemeinen Herbstordnung für den Rheingau mit viel mehr Umständen verknüpft als früher. Neu ist die Anmeldung aus dem Rat haus, die Besichtigung der zu lesenden Wein berge durch die Hecbstkommission, auf deren Urteil hin die Erlaubnis erteilt oder versagt wird und die öffentliche Nennung der Weinbergs eigentümer und des zu lesenden Weinbergs. Ende dieser Woche findet in vielen Gemarkungen des RheingaueS eine Auslese statt. Ob sich daran in der nächsten Woche die Hauptlese an schließen wird, hängt von der Witterung ab. Neuer Rekord für die Ozeaufahrt. Der Schnelldampfer „Fürst Bismarck" der Hamburg-Amerikanischen Paketfahrt-Aktien-Gesell» schäft, der am Donnerstag früh von New Jork in Southampton eintraf, hat die Reise in sechs Tagen 10 Stunden 35 Minuten zurückgelcg! und damit die schnellste Fahrt gemacht, die bisher zwischen New Jork und Southampton er zielt wurde. Briefmarkenschwindel. Eine ganz neue Art von Betrug entdeckte letzter Tage ein Zigarren- Am Ziel. 8f (Fortsetzung.» Ich sagte bereitwilligst zu und acht Tage später saßen wir denn auch alle beisammen in dem freundlichen Wohnzimmer des Pfarrhauses, die aufgeschlagenen Bücher vor uns, und lasen. Wir hatten kein klassisches Stück gewählt, son dern eines jener modernen Lustspiele, wie sie jetzt an der Tagesordnung sind, voll von prickelndem Humor, hie und da ein echter Geistesblitz, das Ganze nur berechnet zu blenden, zu verblüffen, ohne eine nachhaltige Wirkung zu hinterlassen. Die Hauptrollen hatten Charlotte und Herr von Wolkendorf inne; Charlotte las gut, wenn auch hie und da mit falscher Beto -ung, aber ein Blick in daS schöne, vor Lust und Erregung glühende Antlitz ließ alle Fehler vergessen. Wolkendorf war ein ihr vollkommen gleich stehender Partner; die beiden bildeten ein präch tiges Ensemble. Sabine und der Lehrer gaben ein schüchternes Liebespaar; das junge Mädchen sprach seinen Part zögernd und befangen, es schien als scheue sie davor, Worte einer Zärt lichkeit auszusprechen, die sie nicht empfand. Der Lehrer Arnold war von uns allen unstreitig der jenige, der am tadellosesten las; seine Aussprache klang rein und deutlich, die Betonung war stets richtig und sogar der Blick stiller Wehmut, den er zuweilen auf Sabine richtete, stimmte voll kommen mit seiner Rolle überein. Wilhelmine u d ich, wir hatten uns mit untergcorünetn Rollen beg- ügt und führten unsern Parr durch, so gut es eben ging. Der Pfarrer war ein aufmerksamer Zuhörer und amüsierte sich nicht wenig dabei. — Alles in allem war es ein ganz angenehm verbrachter Abend und was daS beste blieb, die Zeit war uns rasch dabei vergangen. Wir setzten nun jeden Mittwoch und Sonn tag abend für unsere Lektüre fest, bestimmten noch, welches Stück am nächsten Abe. de ge lesen weroeu solle, verteilten die Rollen und trennten uns dann mit einem fröhlichen „Auf Wiedersehen!" Der Winter verging mir auf die angenehmste Weise; bei Tage arbeitete ich fleißig, nm mich zu einem tüchtigen Landwirte auszubilden; Fräulein Göllern hatte mir einen tüchtigen Schaffner zur Seite gestellt, der mir mit Rat und That zur Hand ging, und so konnte ich hoffen, mir bis zum Frühjahr wenigstens die theoretischen Kenntnisse ziemlich angeeignet zu haben und das Bewußtsein, daß mein Streben zu einem günstigen Resultate führen würde, er füllte mich mit einer gewissen Befriedigung, die mich vollkommen so manche geopferte Annehmlichkeit ver gessen ließ. Nach Monbijou kam ich höchstens einmal in der Woche; das Schloß wimmelte von Gästen und Sidonie schien sich vortrefflich zu amüsieren; sie hatte wohl immer für mich ein freundliches Lächeln, einen warmen Händedruck bereit, aber zu einem längeren Gespräche kam es nie. Sidonie nahm ihre Haussrauenpflichten diesmal so ernst auf, daß sie sich nur allen, nie dem einzelnen widmete. Sie hatte von unseren Leseabenden im Pfarrhause geyört und beifällig nickend gesagt: „Nun, das ist schön, Sie werden sich also doch nicht zu Tode langwellen, wie ich schon ge fürchtet habe." Ich meinte einen spöttischen Klang aus ihren Worten heraus gehört zu haben, aber ich täuschte mich, sie ließ den Gegenstand des Gesprächs fallen und erwähnte seiner nicht wieder. Ueber- haupt schien sie die Bewohner des Pfaarhauses vergessen zu haben; sie kam nicht mehr dahin und fragte mich auch nie nach ihnen. Für mich waren die Besuche im Pfarrhause zum Bedürfnis geworden; daß ich an den Lese abenden niemals fehlte, war selbstverständlich, allein auch an anderen Abenden kam ich häufig hin und ich war, wie ich mir selbst sagen mußte, ein gern gesehener Gast. Selbst Wilhel mine legte nach und nacy ihre Zurückhaltung gegen mich ab und behandelte mich als den lieben Hausfreund, wie mich der Pfarrer stets nannte. So flossen die Tage in ungestörter Harmonie dahin. Als wir uns besser eingeübt batten, wagten wir uns nach und nach an die Klassiker und hier war es Wilhelmine, die sich durch reine, edle Sprache, gehoben durch den süßen Wohl klang ihrer Stimme, hervorthat. Das, was uns früher nur als angenehmer Zeitvertreib erschienen, wurde für uns nachgerade eine Aufgabe, deren ehrenvolle Lösung wir uns eifrig angelegen sein ließen. Wir alle waren mit einem wahren Feuer eifer bet der Sache, selbst Sabine verlor ihre Befangenheit und las mit einer Innigkeit und einer Wärme des Ausdrucks, wie ich dessen daS junge Mädchen gar nacht fähig gehalten hätte. Meine Entdeckung bezüglich des jungen Offi ziers hatte ich so ziemlich vergessen, möglich auch, - daß ich mich getäuscht, denn Sabine begegnete- dem jungen Mann mit derselben offenen Freunds lichkeit, wie sie es mir gegenüber that. Herr von Wolkendorf selbst schien nur für Charlotte zu leben, er überhäufte sie mit den zartesten Auf merksamkeiten, und verfehlte nie einen der lE- abende. , . - Zuweilen fuhr Frau Wildbach m " r Städtchen, um Bekannte aufzusuchen oder M käufe zu machen. Dann war Herr von Wolle- dorf ihr Begleiter. In der ganzen Umgcge> - betrachtete man die beiden schon so gut als > verlobt; der Pfarrer selbst schien nichts and r» zu erwarten, nur ich hegte einige lem - ob der flatterhafte junge Mann eS wirklich cr meine. Die wenigen Jahre, Vie Charlotte mu zählen mochte, brachte ich dabei nicht m . schlag; ihre wahrhaft bestrickende Schönheit die Ungleichheit des Alters übersehen, aber liebte er sie wirklich? l . , Die Weihnachtsfeiertage brachten eine raschung. Der Pfarrer hatte mi-) en g „ den Weihnachtsabend bei ihI „es wird ein Christbaum hergerMet, k-» bei, „meine Schwestern afrAen Nacht, um den Baum recht (schon herz . ich selbst freue mich stets kintM. E die Erinnerung der glücklichen? Kmom - als O glückliche Kinder zeit! pachte -"w ich in das Woh. gemach trat, Jo m A Wartete- im hellsten Lichterglanz strahlei >dc B"" Wörle" Der Pfarrer reichte mir mit, herzUM ein kleines Geschenk, Sabine hotte s
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