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Allgemeiner Anzeiger : 20.09.1893
- Erscheinungsdatum
- 1893-09-20
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189309208
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18930920
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1893
-
Monat
1893-09
- Tag 1893-09-20
-
Monat
1893-09
-
Jahr
1893
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 20.09.1893
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Politische Rundschau. Deutschland. *Der Kaiser ist am Donnerstag nach mittag von Lauterburg i. Els. nach Stuttgart abgereist; er hat sich nach beendigtem Manöver zum Chef des badischen Grenadier- Regiments Kaiser Wilhelm I. Nr. 110 ernannt. — Zu Ehren des italienischen Kronprinzen hatte der Kaiser während der ganzen Dauer seines Aufenthaltes in Elsaß- Lothri gen die Kette und den Stern des Anun- ciaten-Ordens, sowie den italienischen Militär- Verdienstorden angelegt. *Zum Schutz der deutschen Inter essen in Brasilien anläßlich der dort aus gebrochenen Revolution sind die Kreuzerkorvetten „Arcona" und „Alexandrine", die sich bisher in Buenos-Ayres befanden, am Mittwoch nach Rio de Janeiro in See gegangen. *Nach einer Entscheidung des Preuß. Kriegs ministeriums für die durch Einführung der zweijährigen Dienstzeit entstandene Uebergangszeit sollen diejenigen Mann schaften der Fußtruppen, der fahrenden Feld artillerie- und des Trains, die sich im dritten Dienstjahre befinden und wegen einer erlittenen Freiheitsstrafe gemäß § 7, 3 der Wehrordnung eine bestimmte Zeit nachzudienen haben, erst nach Ablauf der nachzudienenden Zeit entlassen werden, ohne daß ihnen diese Dienstzeit als Uebung an zurechnen ist. Diejenigen Mannschaften, die jetzt im zweiten Dienstjahre stehen, eine Freiheitsstrafe über 6 Wochen erlitten und deshalb uachzudienen haben, sollen in der Regel das dritte Dienstjahr im Dienst behalten werden; diese Zurückbehaltung ist ihnen aber nur dann als Uebung anzurechnen, wenn die nicht anzurechnende Zeit der Freiheits strafe von kürzerer Dauer als das dritte Dienst jahr ist. * Es heißt, der Zeitpunkt der Einberu fung des Reichstags sei unabhängig von der Fertigstellung der Steuerentwürfe. Dem Reichstag würde zunächst der Etat und eine andere Reihe von Entwürfen vorgelegt, die ihn vollauf beschäftigen würden, so daß es ein tretendenfalls nicht von Belang wäre, wenn die Steuervorlagen zu einem späteren Zeitpunkt im Reichstag erschienen. * In betreff der Abzahlungsgeschäfte ist die Novelle in der vorletzten Reichstagssession bekanntlich unerledigt geblieben. Die Beratung war bis zur Auflösung nicht über die zweite Lesung hiuausgegangen. Wie die ,Saale-Ztg/ erfährt, ist in der neuen Form des Gesetzent wurfs, der in der nächsten Session eingebracht werden soll, der Paragraph, der die Verfallklausel beseitigt, wieder entfernt. * In Altona soll ein umfangreicher Frei hafenbezirk hart an der Elbe angelegt wer den. Wie dem ,B. T.' von dort geschrieben wird, hat die Regierung soeben die Genehmigung dazu erteilt. Oesterreich-Ungar«. *Jn Verfolg des über Prag verhängten kleinen Belagerungszustandes unter sagt eine Bekanntmachung des Statthalters alle Ansammlungen auf den Plätzen und Straßen, das truppweise Herumziehen von Menschen, das demonstrative Tragen von Abzeichen, das Führen und Aushängen von Fahnen, ausgenommen von solchen in den Reichs- und Landesfarben. — Mittwoch abend hat eine Beratung alttschechischer Vertrauensmänner stattgefunden. Wie verlautet, wollen die alttschechischen Abgeordneten sich vom politischen Leben zurückziehen. Die Lemberger ,Gazet!a Narodowa' erklärt, der Polenklub werde den Ausnahmsverordnungen, die dem Reichsrat bei seinem Zusammentritt zur Genehmigung vorzulegen sind, unzweifelhaft seine Zustimmung geben. Die Regierung verdiene Anerkennung für ihr energisches Vorgehen gegen die anarchi stische jungtschechische Politik. Frankreich. * Das .Journal oficiel' veröffentlicht einen Tagesbefehl des Kriegsministers, in dem es heißt, die ganze Armee nehme teil an dem Tode des General Miribel, der so ganz wirk sam zur Entwickelung der militärischen Streit kräfte beigetragen habe. — Die Papiere des ver ¬ storbenen Generals sind auf Anordnung des Ministeriums versiegelt worden. * In einem Vergleich des deutschen mit dem französischen Heere schreibt der Pariser Berichterstatter des ,Siöcle', der den Kaisermanövern beiwohnte: „Es ist überflüssig zu sagen, daß das deutsche Heer vorzüglich ist. Um einen Vergleich anzustellen, müßte der fran zösische Soldat ebenso gut gekleidet sein wie der deutsche. Alsdann würde er diesem überlegen erscheinen, wie er es wirklich ist. Jedenfalls steht der französische Soldat in der Infanterie und Artillerie dem deutschen nicht nach. Aber bei der Reiterei ist es nicht dasselbe. ... Im ganzen haben wir bedeutende Fortschritte gemacht und das deutsche Heer in mancher Hinsicht erreicht, wo nicht übertroffen." Der Anblick unserer Soldaten hat die Franzosen recht be scheiden gemacht. *Die Maßregelungenfremdländi scher Arbeiter in Frankreich nehmen ihren Fortgang. Das neueste auf diesem Gebiete ist eine Verfügung des Pariser Polizeipräfekten, der allen ausländischen Professtonisten, die in Paris in Arbeit stehen, oder Arbeit suchen, die Ver pflichtung auferlegt, sich mit ihren Ausweis papieren auf der Polizei zu melden und eine Aufenthaltsbescheinigung in Empfang zu nehmen, wofür 2,10 bis 2,55 Frank an Gebühren zu erlegen sind. Zuwiderhandlungen gegen diese Vorschrift ziehen eine Geldstrafe von 50 bis 200 Frank und außerdem Gefängnisstrafe bezw. Aus weisung nach sich. * Wie Pariser Blätter melden, dürfte ein Streik in den Kohlenbecken der Departe ments Pas de Calais und Nord bevorstehen. Die meisten Gesellschaften hätten nur geringe Vorräte und es werde befürchtet, daß die Fabriken in dem Nordgebiete ihre Thätigkeit ein stellen müßten. England-. *Ju liberalen Kreisen scheint man der Meinung zu sein, daß die Verwerfung der Homerule-Bill keinen genügenden Anhalt zu einem Angriff auf das Oberhaus bildet. Man will erst abwarten, ob die Pairs noch andere Maßregeln der liberalen Regierung verwerfen werden. Im Unterhause wird folgende hübsche Anfrage gestellt werden: „Ist es wahr, daß einer der Pairs, der bei Gelegenheit der zweiten Lesung der Homerule-Bill seine Stimme abgab, zu diesem Zweck aus einer Irrenanstalt gebracht worden ist, und beab sichtigt die Regierung, die nötigen Schritte in dieser Angelegenheit zu thun? Der edle Lord wurde, wie es heißt, nach der Abstimmung wieder nach seinem Aufenthaltsort zurückgeführt." * Vom Bergarbeiter streik wird ge meldet, daß der Kohlenpreis im Becken von Leeds um einen weiteren Schilling pro Tonne erhöht werden wird. Das nunmehr bekannt gemachte Resultat der Abstimmung der Bergarbeiter von Lancashire und Chcssire ergibt eine große Majo rität zu Gunsten der Fortsetzung des Streiks. Dänemark. *Der Graf von Paris wird, wie die ,Nat. Tid/ vernimmt, in den nächsten Tagen auf Schloß Frede nsborg zum Besuch eintreffen. Das halbamtliche dänische Blatt beeilt sich zu versichern, daß der Besuch nur einen familiären Charakter trage, eine politische Bedeutung ihm nicht beizulegeu sei. König Christian würde nie mals dulden, daß Fredensborg zum Tummel platz der Großpolitik würde. Schweiz. *Der Schweizer Bundesrat Louis Ruchon- net von St. Saphorin (Kantou Waadt), Departements-Chef der eidgenössischen Justiz und Polizei, einer der hervorragendsten Politiker der Schweiz, der seit 1881 die Stellung eines Bundesrats inne hat, wurde in der Donnerstags- Sitzung des eidgenössischen Ksnkursrates von einem Schlaganfall getroffen und verschied un mittelbar darauf. Balkaustasten. * Die angekündigte Rückkehr der Königin von Rumänien nach Bukarest erhält durch die Thatsache, daß demnächst die Frau Prinzessin Ferdinand von Rumänien, die Gemahlin des Thronfolgers, ihre Entbindung erwartet, eine erhöhte Bedeutung. Man neigt, der,Kreuz-Ztg.' zufolge, in Hofkreisen der Ansicht zu, daß Königin Elisabeth mit der Rückkehr ihre Aussöhnung mit dem jungen fürstlichen Paare vor allen Rumänen bekundet, in deren Mitte sie nicht fehlen will, wenn das erhoffte freudige Ereignis eintritt. Asien. * Den dänischen Marineoffizieren in siamesischen Diensten ist von der dänischen Regierung die Teilnahme an einem eventuellen abermaligen Kampf gegen die Fran zosen strengstens untersagt worden. Der Rustenlautnel in Frankreich. Das Festfieber in Frankreich wird immer toller: Die bekannte Juliette Adam erläßt in den Blättern einen Aufruf, in dem sie die Frauen Frankreichs auffordert, den Müttern, Töchtern, Schwestern und Gattinnen der russischen See leute ein Andenken zu widmen. Dasselbe soll in einer aus zwei Vergißmeinnicht-Zweigen ge formten Brosche mit der Aufschrift Kronstadt- Toulon bestehen. Madame Adam bittet, daß sich zu diesem Zweck überall Komitees bilden, und wendet sich hierbei namentlich an die weib liche Schuljugend; die Mitglieder der Komitees sollen bis zur Abreise der russischen Seeleute Vergißmeinnicht-Sträußchen am Busen tragen. Der ursprünglich als Witzblatt-Idee belachte Vor schlag, den Boulevard des Italiens in „Boule vard des Russes" umzutaufen, scheint auf frucht baren Boden gefallen zu sein. Ein Mitglied des Gemeinderats hat allen Ernstes die Absicht, den Antrag einzubringen, daß der Boulevard Sebastopol in „Boulevard Kronstadt", die Avenue Malakow in „Avenue de l'Admiral Avelane" und die Avenue Alma in „Avenue du 13. Octobre" umgetauft werden sollen. Das sozialistisch-radi kale Wahlkomitee des Pantheon-Viertels hat die Organisierung eines Riesenpunsches beschlossen, der den kühnen Titel „Punsch der Pariser Be völkerung für die Vertreter der russischen Flotte" führen wird, und überdies noch eine öffentliche Kollekte, aus deren Erträgnis den russischen See leuten ein Andenken an daS friedliche Bruderfest in Gestalt eines Kunstwerks geboten werden soll. Von anderer Seite wird der Gedanke angeregt, eine von allen Franzosen unterzeichnete Adresse an Alexander III. zu senden. Jeder Unter zeichner würde 10 Centimes beisteuern und dann könnte aus dem Erträgnis ein russisches Hospital oder eine andere russische Wohlthätigkeitsanstalt in Frankreich gegründet werden. Der Bürger meister von Toulon hat dem Redakteur des ,Petit Provensal' gegenüber erklärt, daß der Stadtrat „zu allen" Opfern bereit sei und kein Geld scheuen werde. Um ferner den Festlich keiten in Toulon einen größeren Glanz zu ver leihen, soll ein neues französisches Kriegsschiff, der „Jaursguiberry", der auf den Wersten, der Mittelländischen Schiffsbaugesellschast gebaut wird, vom Stapel gelassen werden. Diese Fest lichkeit dürfte am 18. Oktober in Gegenwart der russischen Offiziere stattfinden. Die russischen Seeleute werden auch nach Marseille zu einem feierlichen Empfang eingeladen werden. Den Generalräten der Departements Bar und Bouches du Rhone, die Kredite ausgesetzt haben, hat sich nun auch das Departement Nieder-Alpen ange schlossen. In Nancy haben sämtliche Vereins präsidenten über die Beteiligung der Lothringer an den französisch-russischen Festlichkeiten beraten. Der Gemeinderat von Perpignan hat beschlossen, das russische Geschwader zu ersuchen, auch den Hafen von Port-Vendres anzulaufen. Für die daselbst geplanten Festlichkeiten ist ein unbe grenzter Kredit bewilligt worden, falls die Ein ladung angenommen werden sollte. Aon Anh und Fern. Soziale Kränzchen. Von der wachsenden Erkenntnis der Bedeutung der sozialen Probleme für den Beruf des Geistlichen, Lehrers und Er ziehers zeugt die Thatsache, daß eine noch junge Einrichtung des akademischen Lebens, das „soziale Kränzchen" an der Universität in Berlin für das kommende Semester bereits ein großes Audi torium sich hat sichern dürfen. Die Teilnehmer des unter Leitung des Lizentiaten Titius stehen den Zirkels gehören zumeist der theologischen Fakultät an. Nach eingehenden Vorträgen über Sozialwissenschaft und Wirtschaftslehre werden als Demonstrationsobjekte weltliche und kirchliche Wohlthätigkeitsanstalten, Asyle, Kranken- und Arbeitshäuser, Fabriken und Arbeiterwohnungen besucht und sachgemäß erörtert, was dort beob achtet worden. Aehnliche Bereinigungen wie in der Hauptstadt bestehen übrigens in Göttingen und Greifswalde, doch haben sie mehr einen religiös-ethischen Charakter. Die Berliner Teil nehmer dehnen ihre Untersuchungen sogar auf auswärtige Anstalten aus: so wurde in diesen Ferien ein Ausflug nach Hamburg und dem Rheinland und- Westfalen unternommen; die Frucht dieser Reisen soll aus den im nächsten Semester zu lösenden schriftlichen Aufgaben sich ergeben. Der Preuß. Kultusminister steht dem Unternehmen sympathisch gegenüber und hat bereits eine Unterstützung bewilligt, die im nächsten EtatSjahre wahrscheinlich noch reichlicher ausfällt. Ueber einen Unglücksfall im Manöver berichtet das ,Weißend. Wochenbl.' das Folgende: Am Mittwoch vormittag wurde auf den hiesigen Bahnhof Hauptmann Lothmar vom 31. Feld artillerie-Regiment gebracht, dem durch Unglücks- fall die Augen ausgeschossen wurden. In einem Augenblick der Ruhe ritt er vor die Feuerlinie, als anscheinend von der nebenstehenden Batterie ein Schuß fiel. Mit dem Ausruf: „Meine Augen!" sank der Verunglückte zusammen. Der selbe wurde mit dem Straßburger Schnellzug von dem ihn begleitenden Oberstabsarzt in die dortige Klinik geschafft. Gin schwerer Unfall hat sich, nach der .Neisser Presse', am Montag vormittag um 11 Uhr in Kamenz ereignet. Das Viergespann des Prinzen Albrecht wurde, wie das häufig ge schieht, von dem Leibkutscher des Prinzen durch die Straßen bewegt, um die Pferde einzufahren. Plötzlich scheuten die Tiere und rasten in wilder, tollster Flucht davon. Der Leibkutscher, ein alter treuer Diener des Prinzen, wurde dabei vom Bocke herabgeschleudcrt und erlitt einen Ge nickbruch, der seinen sofortigen Tod herbeiführte; ein neben ihm auf dem Wagen placierter Prinz- sicher Lakai trug beim Sturz vom Wagen einen Schenkelbruch an beiden Beinen davon. Die Tiere rasten bis zur Neissebrücke, wo sie mit ihrem Sattelzeug an dem Geländer hängen blieben, so daß sie zum Stehen gebracht wurden. Der Stand der Schulden des Königs Ludwig. Der unglückliche Ludwig II. von Bayern ist mit Hinterlassung einer Schuldenlast von mehr als acht Millionen Mark gestorben, und zu diesem Betrage sind nach seinem Tode weitere fünf Millionen zur Deckung von ihm ein- gegangener Verpflichtungen hinzugekommen. Ins' gesamt waren es also über 13 Millionen Mark, für die, nachdem aus dem Privatvermögen des Königs Otto einige der dringendsten Bedürfnisse gedeckt waren, die königliche Zivilliste haftbar blieb. Nach dem gegenwärtigen Stand ist von der gesamten Schuldenlast die größere Hälfte mit sieben Millionen zurückgezahlt, weitere sechs Millionen harren der Tilgung während des nächsten Jahrzehnts. Von der nach dem Tode des Königs als Anleihe aufgenommenen Schulden last wird der letzte Rest in weniger als Jahres frist, nämlich im Juli 1894, getilgt sei", während die Rückzahlung der älteren Verpflichtung programmmäßig erst 1903 zum Abschluß gelangt. Die Festlegung der Wanderdünen auf der Kurischen Nehrung hat in diesem Jahre infolge der günstigen Witterung ganz besonders gefördert werden können. Auf der FestlegungS- strecke Nidden - Pillkopen sind die ersten drei Stationen fast vollendet. Die letzte Station von 5100 Meter Länge hofft man in den nächsten drei Jahren festzulegen, sodaß dann die Arbeiten auf dem gefährlichsten Teil der Nehrung, von Nidden bis Pillkopen, vollendet sein werden. Die anderen Strecken der Nehrung bieten nicht so viele Schwierigkeiten, da die Dünen dort ruhiger und gleichmäßiger, an einigen Stellen auch be waldet sind. Zwischen Rositten und Sarkau sind Wanderdünen nur auf einigen kürzeren Strecken anzutreffen. Immerhin wird die vollständige Festlegung der Kurischen Nehrung bei ihrer Arn Zier. 4s iFortietzuug.; Ein hellgraues Seidenkleid hob den schönen Wuchs der mittelgroßen Gestalt, das sonst so schlicht frisierte Haar legte sich in dichten Wellen auf die Stirn, in den künstlich verschlungenen Flechten barg sich eine Granatblüte. Der ganze Ge- fichtsausdruck Wilhelminens schien mir verän dert, sie bewegte sich in dieser glänzenden Um gebung mit einer Leichtigkeit und Anmut, als sei zwischen all' dieser Pracht aufgewachsen. Sie errötete leicht unter meinen forschenden Blicken; ich setzte eben an, um ihr ein Kompliment zu sagen, als die Gäste der Schloßherrin in die Halle traten. Sidonie begann uns gegenseitig vorzustcllen, dann nahm sie rasch meinen Arm und trat in den Speisesaal. Während des Speisens gewann ich erst Zeit, mir die Gäste des Fräuleins genauer anzusehen. Da war ein pensionierter Oberst, der leidenschaftlich die Jagd liebte und deshalb seine meiste Zeit auf Monbijou zubrachte, denn daS Gut besaß einen ausgiebigen Wildstand. Neben der Schloßherrin saß ein alter Hofrat mit einem listigen Fuchsge- sichte und boshaft blinzelnden Aeuglein, er schien ein Glas guten Weines sehr zu sieben. Dann kam ein Baron, ein feister behäbiger Mann von einigen vierzig Jahren, dieser lebte in der That nur fürs Essen und Trinken, denn nachdem er einmal Messer und Gabel ergriffen, existierte die Gesellschaft nicht mehr für ihn. An diese drei schlossen sich einige Herren mit nichtssagenden Gesichtern, die wohl nur die Langeweile oder der Wunsch hierher getrieben hatte, die reiche Schloßherrin für sich zu kapern. Mir stieg es glühend heiß in das Gesicht, wenn ich daran dachte, daß ich vor einer halben Stunde im Begriffe gewesen, auch mich in die Zahl dieser HeiratZkandidaten einznreihen, ich begriff nur nicht, wie die geistvolle Sidonie Ge fallen an dem Treiben um sie her finden konnte. Sidonie saß da mit der ganzen Nonchalance der reichen, sich ihrer Macht wohl bewußten Erbin; um die feinen Mundwinkel hatte ein spöttisches Lächeln seinen Sitz aufgeschlagen und sie sparte auch die Bos heit in den Worten nicht. Im ganzen war es ein unerquickliches Zusammensein und ich war herzlich froh, als die Tafel zu Ende war. Der Hofrat mit den, Fuchsgesicht schlug eine Prome nade in den Park vor; er beehrte mich durch ein längeres Gespräch, das mir den schwarzen Kaffee, den wir auf einer reizenden Veranda einnahmen, gründlich verbitterte. Er hätte gar zu gern ge wußt, ob ich auch in der Eigenschaft als Freier hier sei, was ich in der Residenz treibe, ob ich ein genügendes Einkommen hätte, wie weit der Stammbaum meiner Väter ins graue Altertum znlückreiche und dergleichen mehr. Ich antwortete höflich, aber äußerst reserviert, ein Umstand, der den guten Mann schließlich bewog, vvn mir ab zulassen und seine Aufmerksamkeit Wtlhelminen zuzuwenden, vielleicht in der Hoffnung, von ihr etwas Näheres über meine Verhältnisse zu er fahren. Wilhelmine hielt ihm nicht lange Stand; sie flüchtete sich zu Sidonie, die jedem Gespräche dadurch ein Ende machte, daß sie plötzlich das Zeichen zum Aufbruche gab. „Erfüllen wir den Wunsch deS Herrn Hof rats und gehen wir in den Park," sagte sie laut, „darf ich um Ihren Arm bitten?" Der arme Hosrat war gefangen, denn Sidonie ließ ihn nicht mehr von ihrer Seite; der Baron versicherte, nach einem so köstlichen Diner sei es ihm unmöglich, einen Spaziergang zu machen, er blieb mit dem Oberst zurück, um eine Partie Pikett zu spielen, die andern Herren gingen mit, sich redlich bemühend, dem Hofrat das Terrain streitig zu machen. Wilhelmine hatte meinen Arm genommen und leise plaudernd schritten wir hinter den anderen her. Es war ein wundervoller Herbsttag, der Himmel tief blau, die Lust so rein, so klar; ein köstlich erfrischendes Gefühl durchströmte meine Adern, ich fühlte mich so jung, so übermütig wie ich gewesen, da mir der erste Flaum auf der Lippe keimte; all' die bösen Erfahrungen, die mir die späteren Jahre gebracht, lagen weit hinter mir, es war mir, als träte ich jetzt erst ins Leben ein mit all' den Hoffnungen und Wünschen der unerfahrenen Jugend. Unwillkürlich drückte ich den Arm meiner Be gleiterin fester an mich, o wenn es doch Charlotte gewesen wäre. Wilhelmine machte eine leise Bewegung, als wolle sie ihren Arm aus dem meinigen ziehen; ich sah sie bittend an. Einen Moment lang sahen wir uns prüfend in die Augen, in den ihren lag ein stiller Vor wurf, weiß der Himmel, was aus den meinen sprach, denn sie senkte plötzlich errötend den Blick. Jetzt hatte ich Zeit, mein Kompliment anzu bringen. „Sie sehen heute reizend aus," begann ich, aber ich kam nicht weiter, denn Wilhelmine unter brach mich rasch in einem etwas pikierten Tone: „Sie meinen, weil die Nonne aus der Kutte gesprungen ist und heute ein anderes Kleid trägt; beruhigen Sie sich, es ist mein einzige» Seidenkleid und nur für Monbijou bestimmt, daheim brauche ich kein besseres Kleid, aber hier — sehen Sie sich doch die Gesellschaft an, wo» würden die alle für Augen machen, wenn ich w meinem einfachen Kattunkleidchen zur Tafel kämet Wer hierher kommt, schätzt die Leute nur nach den Kleidern, nicht nach ihrem Betragen." Das war eine Zurückweisung in bester Form, wo nahm die sa ffte, bescheidene WiM' mine nur die herben Worte her? Freilich ha»- ich dergleichen verdient, denn ich hatte mich zwei mal kurz hintereinander sehr ungeschickt oe^ nommcn; dennoch konnte ich die mir erteilte Rüg nicht so leicht verwinden, oder mich scherzen darüber hinwcgsetzcn. „Sie mißverstehen mich vollkommen, Fräulein," versetzte ich kalt, „der Gedacke, zu verletzen, lag mir entfernt, ich schätze Sic u Ihre ganze Familie sehr hoch, ich wurde . glücklich sein, wenn ich Ihr Mißfallen durch n> Benehmen erregt hätte." M Ich wollte sie nicht direkt um Verzeihung bitten und sie schien dies auch g"n u^t laugen zu wollen, denn sie antwortete m y gewohnten, ruhigen Tone: „Ab bi» ebe" an Komplimente gewöhnt gleich wen er Koustue, und das Ihrige war doch ganz ve>» an die unrichtige Adresse gerichtet.
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