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Allgemeiner Anzeiger : 09.08.1893
- Erscheinungsdatum
- 1893-08-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189308096
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18930809
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- Bemerkung
- Vorlagebedingter Textverlust
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1893
-
Monat
1893-08
- Tag 1893-08-09
-
Monat
1893-08
-
Jahr
1893
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 09.08.1893
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Blätter berichten wiederum von einer großen Erbschaft, die streitig ist. In Paris starb in diesem Jahr Ende Mai der reiche polnische Fürst Alexander Ljubomirski, der keine direkten Erben hinterließ. Er starb plötzlich, von einem Schlag anfall ereilt, der ihn in dem Pariser Bank institut „Societe Generale" dahinraffte, als er gerade einige Koupons einwechseln wollte. Fürst Ljubormirfli hatte ein Testament hinterlassen, worin er seine ganze Hinterlassenschaft von 8000 000 Rubel seinen Verwandten, „den Söhnen des Fürsten Eugen Ljubomirski" vermachte. Nun ist aber die Sache die, daß in der Fürsten familie der Ljubomirski der Name. Eugen recht zahlreich vertreten ist. So hieß der leibliche Onkel des Testators, Eugen Ljubomirski, und seine Söhne, die Kousins des Verstorbenen, heißen: Eugen, Iwan und Stephan. Der älteste dieser drei Brüder, der im Gouvernement Pietrokow auf seinem Gut „Kruschina" (Kreis Czenstochow) lebt, hat mehrere Söhne. Es fragt sich nun, wen der Testator gemeint hat: die drei Kousins oder die Söhne des ältesten Kousins Eugen. Jedenfalls ist den Fürsten Ljubomirski wenigstens der Trost geblieben, daß das Geld in der Familie bleibt. Entsprungener Tiger. Im russischen Gouvernement Orel haust, wie schon kurz be richtet wurde, seit einiger Zeit ein aus einer Menagerie emsprungener Tiger und richtet großen Schaden an, ohne daß es gelingt, ihn cinzufangen oder zu töten. Die Bauernschaft des Kreises, woselbst die Bestie sich aufhält, erstattete Bericht hierüber an das örtliche Militär-Jäger-Kommando, das auch 20 Mann absandte, die gemeinsam mit den Bauern eine Treibjagd auf das gefährliche Raubtier veranstalteten. Die Jagd verlief indes ganz erfolglos, obwohl zahllose Schüsse auf den Tiger abgefeuert wurden. Darauf ist aus der Stadt Orel ein Ergänzungskommando von 40 Mann mit 2 Offizieren in den bedrohten Kreis aufgebrochen, hat aber bisher auch nichts auszurichten vermocht, der Tiger zerfleischt nach wie vor Menschen und Tiere. Alles elektrisch. In Nebraska, einem Staat Nordamerikas, der erst vor 30 Jahren in das Sternenbanner ausgenommen wurde und damit sich eben von der großen amerikanischen Wüste abtrennte, ist ein neues Städtchen namens Gothenburg entstanden, das augenblicklich, was die Anwendung der Elektrizität betrifft, an der Spitze der Zivilisation marschiert. Dadurch, daß seine Bürger den Nordplatteflnß durch einen meileulangen Kanal ableiteten, haben sie sich eine Triebkraft von 400 000 Pserdekräften geschaffen, die Elektrizität genug erzeugt, um das Städtchen zu Heizen, zu beleuchten, seine Fabrikmajchinen, Fahrstühle, seine Straßenbahnen zu treiben; hier tm wilden Westen kennt man weder Holz- noch Kohlcnfeuer, man bäckt und brät mit Elektrizität, locht und siedet, während in den alten Sitzen der Kultur höchstens einige Versuchseinrichtungen NAn, an denen man zu zeigen versucht, daß ^eltrizjtät sich auch für solche Zwecke dienstbar machen läßt. Ein feuerspeiender See. Ein eigen- Seiten stück zu den feuerspeienden Bergen bubet der feuerspeiende See Kilanea auf Hawai. A erstreckt sich drei englische Meilen in die und zwei englische Meilen in die Breite und bildet eine in die Umgebung scharf ein- fchneidende-Lenkung von 300 Meter Tiefe. Den Abhang entlang führt ein so vielfach gewundener Zickzactweg daß seine Gesamtlänge etwa eine Masche Meile beträgt. Der Boden dieser Senkung ist mit dicken Lagen erkalteter Lava be deckt. Hat man hier vom Rande aus einen Weg von Ist, Meilen zurückgelegt, so befindet man sich am Rande einer zweiten Senkung von unge- mhr 200 Fuß Tiefe und '/, Meile englischen Meile Durchmesser. Die Mitte des Bodens dieser Senkung nun nimmt in der Ausdehnung von etwa 1000 Fuß ein See aus geschmolzener Lava ein.. Auf der Oberfläche schwimmen zahl reiche Stücke einer grauschwarzen Schlacke, die häufig berstend in die Tiefe sinken; dann er scheint die feurig-flüssige Masse, glühende Blasen wogen auf, um prasselnd zu platzen, feurige Tropfen werden bis zur Höhe von 50 Fuß rings umher geschleudert. Nicht selten wird die '-urige Lohe in größeren Mengen hoch in die Luft geworfen, um dann in einem dicken, bis zu 50 Fuß breiten Strahl die Umgebung zu über fluten. Die auf diese Weise ausgestreuten Lava mengen füllen mit der Zeit die Senkung mehr und mehr aus; in wenigen Jahren hat sich ihr Boden hierdurch um mehr als 100 Fuß ge hoben. Die Futternot, die „gegenwärtig in aller Munde ist," wie eine Zeitung sich sehr geschmackvoll ausdrückt, scheint eher im Zunehmen, als im Abnehmen begriffen zu sein. Die Futternot, über die in früheren Jahren nur die Strohwitwer und Teilnehmer von sogenannten Privat-Mittagstischen jammerten, hat jetzt weitere Kreise erfaßt — auch die Vier füßigen seufzen unter dem Druck der Verhält nisse. Zugleich mit ihr ist als logische Begleit erscheinung eine neue Krankheit ausgetreten: das Surrogatfieber, d. h. die Sucht, Sagemehl als Wiesenheu zu verfüttern! Alles sucht nach Ersatz mitteln für die fast unerschwinglich teure Fourage. Eine Menge betrügerischer Attentate werden auf Gaumen und Magen der Masttiere unternommen, es gehört wirklich die ganze „Geschmacklosigkeit" eines Schweines dazu, um angeseuchtetes Säge mehl statt Kleie zu verdauen. Seitdem ein pfiffiger Landwirt dieses Surrogat als probat empfohlen, ist übrigens auch das Sägemehl im Preise gestiegen. Und als neulich eine Zeitung das Inserat brachte: „Alte Puppenbälge werden zu höchsten Preisen gekauft", ahnten die Schlau berger sofort, daß dahinter nur eine Spekulation in — Sägemehl stecke; die Puppenbälge werden bekanntlich damit gefüllt. Auch die verlockenden Angebote, wonach „Packheu" in jedem beliebigen Quantum gekauft wird, lassen tief blicken — das Packheu wird wohl meistens in die Krippen der notleidenden Landwirtschaft wandern. Den Spekulanten in Futtersurrogaten ist übrigens noch eine Bezugsquelle dringend zu empfehlen: warum kaufen sie die jetzt aus der Mode gekom menen Tournüren nicht auf! Die waren vielfach mit Heu förmlich gepolstert, mit dem Inhalt von 100 Tournüren könnte man der Futternot auf einem kleinen Bauerngute momentan abhelfen! Allerdings: an ihren Früchten sollt ihr sie er kennen! Das Fleisch der mit Sägemchl ge mästeten Schweine wird jedenfalls einen etwas holzigen und harzigen Beigeschmack haben und die Schinken wird man wohl mit der Säge zer schneiden müssen. Auch daß die mit Pack- und Tournürenheu gefütterten Gäule bedeutende Zug kräfte werden könnten, ist kaum anzunehmen. Das beste Geschäft bei der Futternot haben jeden falls die Berliner Tierärzte gemacht, sie haben gegenwärtig viel zu thun Als Surrogat für Hafer, der immer teurer wird, haben nämlich viele Berliner Pferdebesitzer die oft empfohlene Maisfütterung eingeführt. Dabei scheint nicht die nötige Vorsicht in der allmählichen Bei mischung von Mais zur Haferration inne ge halten zu sein; denn während die großen Pferde bestände hiesiger Verkehrsinstitute dieses mit Mais gemischte Futter sehr gut vertragen, werden die jenigen Pferdebesitzer, die die Fütterung kürzlich erst entführten, die Kolik unter ihren Pferden nicht los, obwohl auf den Pferdebahn-Depots die genauesten Auskünfte über die erste Art des allmählichen lleberganges von der reinen Hafer fütterung zur gemischten Fütterung erteilt werden. Die Inhaber größerer Pferdebestände fassen ihre bisher mit der gemischten Fütterung gemachten Erfahrungen dahin zusammen, daß der Mais nur für solche Pferde zur Fütterung zu empfehlen ist, die nur im mäßigen Tempo zu laufen haben (Schrittpferde), während Pferde, die andauernd schnell laufen müssen, infolge der Maisfütterung stark schwitzen und mit äußerster Vorsicht be handelt werden müssen, um vor den durch die Transpiration bedingten Krankheiten bewahrt zu bleiben, unter denen Rheuma und Kolik bei den Tieren die häufigsten sind. Man ersieht aus diesem Beispiel, daß selbst der Magen geborener Vegetarier nicht diejenige Widerstandskraft besitzt, die die Apostel der naturgemäßen Lebensweise ihrem Ernährungssystem zuschreiben. Uebrigens sind auch die Vegetarier von der allgemeinen Not arg betroffen, da bei ihnen das Grüufutter doch den Hauptbestandteil des täglichen Menü bildet! Verkehrswesen. Der Verkehr auf den subventionierten Dampferlinien hat im Jahre 1892 keine großen Fortschritte im Vergleich zum Vorjahre gemacht. Auf der ostasiatischen und australischen Linie be lief sich der Gesamtverkehr auf der Ausreise und Heimreise auf 69 532 Tonnen (zu je 1000 Kil.) im Werte von 94 430 000 Mk., gegen 71 242 Tonnen im Werte von 89 706 000 Mk. im Jahre 1891. Davon entfallen auf die ostasiatische Linie 38 102 Tonnen im Werte von 63153000 Mk. auf die australische Linie 31430 Tonnen im Werte von 31 277 000 Mk. Die hauptsächlichen Frachtgegenstände bildeten auf der Ausreise Manu faktur- und Woll-Waren, Farbwaren, Eisen- und Stahl - Waren, Zigarren, Bier; auf der Heim reise Wolle, Häute, Felle, Rohseide, Edelmetalle, Zinn, Blei, Kupfer, Tabak, Galläpfel, Thee, Kaffee, Kuriositäten. Der Personenverkehr steigerte sich auf der ostasiatischen Linie von 6405 Per sonen im Jahre 1891 auf 6880 Personen im Jahre 1892. Der Personenverkehr auf der australischen Linie ist von 5877 Personen auf 4999 zurückgegangen. Auf der deutsch-ostafrika nischen Linie wurden befördert 23 657 Tonnen im Werte von 17 017 000 Mk. gegen 21 740 Tonnen im Werte von 12 897 000 Mk. im Jahre 1891. Die hauptsächlichsten Frachtgegen stände bildeten auf der Ausreise Manufaktur- Waren, Baumwollwaren, Verzehrungsgegenstände, insbesondere Bier und Wein, Eisen- und Stahl- Waren, Waffen und Munition, Baumaterial, Münzen; auf der Heimreise Kaffee, Kautschuk, Gewürznelken, Erdnüsse, Sesamsaat, Elfenbein, Wolle, Hanf, Häute und Felle. Der Personen verkehr betrug 2082 Personen gegen 1443 im Jahre 1891. Die Frage der Zentralisierung der Eisenbahnverwaltung ist anscheinend schon definitiv zu gunsten derjenigen Städte entschieden, die bisher Eisenbahndirektionen besaßen und durch den Zentralisierungsplan des Preuß. Eiseu bahnministers ihre Direktionssitze zu verlieren fürchten mußten. Es ist nämlich durch halbamt liche Mitteilungen bereits bekannt geworden, daß der Plan einer Schaffung von drei großen Generaldircktionen endgültig fallen gelassen wurde, und daß somit die Direktionen an ihren gegen wärtigen Sitzen verbleiben. Zum Futtermangel. In den letzten Wochen sind gewaltige Mengen Heu aus Ruß land über bie schlesische Grenze eingeführt worden. In Deutschland selbst ist die Beförderung von Stroh und Futterstoffen so bedeutend, daß die Eisenbahnen dadurch schon jetzt ungewöhnlich stark in Anspruch genommen sind und gegen den Herbst hin voraussichtlich besondere Anstrengungen machen müssen, um allen Ansprüchen zu genügen. Die beteiligten Kreise werden daher gut thun, ihre Bestellungen, auch auf Düngemittel, mög lichst bald zu machen, damit nicht die rechtzeitige Lieferung schon infolge eines Wagenmangels auf den Eisenbahnen vereitelt wird. Einfuhr von Berschnittw eine». Bekannt lich erfuhren in dem italienischen Handelsvertrag Verschnittweine eine besondere Rücksichtnahme in der Absicht, der Kunstweinfabrikation den Boden zu entziehen. Die Einfuhr von Verschnittweinen nach Deutschland unter Kontrolle war infolge dieser Begünstigung bereits 1892 recht bedeutend; sie betrug 11 443 200 Mo, wovon 10 321 600 Kilo auf Italien kamen. Für 1893 ist es neben Italien noch Spanien, das als Bezugsland von Verschnittwein für Deutschland in Frage kommt. In den ersten vier Monaten dieses Jahres betrug die Einfuhr von Verschnittwein in das deutfche Zollgebiet 3 915 000 Kilo; Italien nahm hieran mit 2 953 600, Frankreich mit 129 900, Oester reich-Ungarn mit 99 400 und Spanien mit 662 000 Kilo teil. Es steht hiernach zu erwar ten, daß diese Einfuhr 1893 mindestens die Höhe des Vorjahrs erreichen wird. Daß dadurch die die Gesundheit schädigenden Kunstweine mehr und mehr zurückgedrängt werden, ist anzunehmen. Aus den erhöhten Einfnhrmengen des Jahres 1892 gegen über denen von 1891 scheint auch hervorzugehen, daß die Kunstweinfabrikation bereits im Ab nehmen begriffen ist. Es betrug nämlich 1891 die Einfuhr an Wein und Most in Fässern, so wie rotem Wein zum Verschneiden im deutschen Zollgebiet 69 711500 Kilogramm, 81680 300 Kilogramm. Gemeinnütziges. Versichert die Ernte gegen Feuers gefahr! Erfahrungsgemäß steigert sich um die jetzige Jahreszeit die Anzahl der Brände. Nur zu ost werden sie durch Kinder verursacht. Wie oft greifen letztere zu den unverschlossenen Streich hölzern als Spielzeug, diese entzünden sich in der Hand der kleinen Ungeschickten — und eine Feuersbrunst ist die Folge. Aber nicht bloß die Ernte versichert — wie viele versäumen es, ihr Hab und Gut bei einer soliden Feuerversicherungs- Gesellschaft zu versichern! Auch an diese sei die Mahnung gerichtet, das Versäumte nachzuholen, um sich den Folgen einer Feuersbrunst gegen über schadlos zu halten. Wir denken, das Bei spiel der so vielen von Brandschäden betroffenen Familien, die das ihrige nicht versichert hatten, wäre lehrreich genug! Wascht das Obst! Durch vorherige Reinigung des Obstes spült man Feldstaub, fein verteilten Landstraßen- oder Gartenmist, Eier von Eingeweidwürmern, große und kleine Bacillen und sonstige wenig sichtbare, aber unserem Orga nismus nicht gut gesinnte Tierchen mit ab, nicht zu vergessen den Handschweiß derer, die die Früchte abpflücken oder verkaufen. Was geschieht mit dem jetzt einge tragene« Honig? Die vollen Honigwaben werden stets weggenommen und ausgeschleudert, der Frühjahrs- und Frühsommerhonig eignet sich nicht zu Winterfutter, da er bis im Herbst so kristallisiert ist; bleibt er aber im Stock längere Zeit und gebricht es der Königin am Platz zur Eierablage, so räumen die Bienen die Zellen, selbst der hintersten Waben, auS, wenigstens die untere Hälfte, und diese werden dann mit Brut bespickt und können nicht mehr geschleudert wer- den, deshalb nimmt man den frisch eingetragenen z Honig, sobald ihn die Bienen zu deckeln be ginnen, stets weg und gibt den Bienen die ent- lehrten Waben wieder zurück; das steigert dann den Fleiß der Bienen ungemein. Um sich gegen Mücken und Schnaken zu schützen, reibt man das Gesicht mit einem Papier, auf das man einen Tropfen Anisöl gießt. Ein solches Papier kann man wochenlang benützen, ehe es seine Wirksamkeit verliert. Kuntes Allerlei. Während der Uebungszeit steuerfrei sind Personen, die zu den militärischen Uebungen einberufen werden, sobald sie zu den Unter offizieren und Mannschaften des Beurlaubten standes gehören und mit einem Einkommen von weniger als 3000 Mk. veranlagt sind, bezw. ein Einkommen auS Gewerbebetrieb oder Grundbesitz nicht haben. Die Steuer wird von Amtswegen in Abgang gestellt, wenn sich diese Personen durch Vorlegung ihrer Militärpässe über ihre Ein berufung ausweisen. Goethes Briefe. Seitens einer Berliner Antiquariatshandlung werden gegenwärtig nm den enormen Preis von 105 000 Mk. Goethes sämtliche Briefe, 1748 Stück, an seine lang jährige Freundin Charlotte v. Stein, umfassend die Jahre 1776 bis 1826, also ein halbes Jahr hundert, ausgeboten. Es würde demnach jeder Brief auf etwa 60 Mk. kommen. Folgen des Sonntagsruhegesetzes. Frau Fabrikant L. bekam am Sonntag Besuch von zwei bekannten Damen. Um die Gäste mit irgend etwas zu traktieren, schickt sie ihre beiden Jüngsten nach der A.'schen Konditorei, um von dem fo beliebten Kirschkuchen holen zu lassen. Nach einer Zeit langen Wartens kehren die kleinen Sendboten zurück. Als jedoch die Frau Mama dem Korbe die leckere Speise entnehmen will, findet sie diesen vollständig leer. Auf ihre erstaunte Frage, ob denn die Kleinen keinen Kirschkuchen gekauft hätten, erfolgte die naive Antwort: „Ja, wir haben für das Geld Kuchen gekauft, aber der Herr Konditor hat ge fügt, wegen der Sonntagsruhe dürfen wir ihn nicht mit über die Straße nehmen, wir müßten ihn gleich bei ihm aufeffen und das haben wir auch gethan." hatte, dachte jetzt mit einer gewissen Erleichterung daran, sie auf gute Weise los zu werden, und Haugaard, der fühlte, daß für ihn kein Platz an der Seite seiner Gattin war, setzte sich ein wenig don den andern fort und suchte sich selbst zu dergessen und Freude in ihrem Glück zu finden. „Wie ich mich auf das norwegische Weih- »achtsfest freue! Papa hat da drüben in Amerika «st davon gcfprochen." „Wenn die Kälte nur etwas nachlassen wollte! Du kannst es mir glauben, Sillo, wir pflegen diele Weihnachtsgäste zu haben, wenn der starke Frost sie nicht verderben läßt. Die kleinen Vögel haben keinen Herd in ihren Nestern, und we m der Schnee die Erde bedeckt, fehlt das Futter. Aber in der Weihnachtszeit leiden sie keine Not. Da verwandelt sich selbst die Hütte des ärmsten Fischers in einen Kornfpeicher für sie, ja dann halten sie ihr Fest mit uns andern. Wenn dies Jahr die Kälte nur nicht allzu streng wird. Doch, Unser Herrgott sorgt auch für die kleinsten Vöge fein. Hast du wohl beachtet, welch' herrlichen, Mn Winterpelz die Sperlinge haben?" sagte »ranz. .„Gewiß habe ich das. Ich konnte meine "einen Freunde aus der Sommerzeit in ihrem winterlichen Kleide kaum wiedererkennen." ,. „Der Sperlinge wegen sollst du nicht bange M," sagw Eilert rücksichtslos. „Die faulen Unger mögen nicht hinausfliegen und sich um- Mn, sie begnügen sich mit der heimischen Kälte M dem heimischen Schnee. Vom Zweig zum m und nicht weiter, und doch liegt die Welt Mn vor ihnen. Den Vögeln geht es, wie den Aschen. Der größte Teil von ihnen sind die Sperlinge; der Platz, auf dem sie geboren und wo sie hingesetzt sind, genügt ihnen. Es ist kein Streben, kein Sehnen in ihnen, das sie in die Weite hinausführt. Die Welt ist für sie nicht größer, als ihr Nest. Nun, so laß sie da drinnen bleiben. Dann gibt es eine Schar Zugvögel. Sie fehnen sich immer nach etwas Besserem, und sie haben den Verstand und den Willen, es zu finden. Einen einzelnen Adler findet man dort auch, der sich noch in die Lust über die andern emporschwingen kann. Aber diese Art wird immer feltener und seltener." Marie hatte sich erhoben. Sie stand dicht neben ihm und sagte mit unterdrückter Stimme: „Und doch ruft es laut in der Brust jedes ver fänglichen Thoren: Ich bin der Adler, ich bin der Adler, ich bin geschaffen, um mich gegen die Sonne und das Licht zu erheben. Es ist das Schicksal, das meine Flügel beschnitten hat, und alle Ihre sogenannten Zugvögel, die in die Welt hinausziehen, sprechen weit und breit von ihrer Sehnsucht und dem Bedürfnis, das Hohe, Edle und Bessere kennen zu lernen, und niemand denkt daran, daß alles dies nur Kinderspiel gegen eine einzige große und mächtige Sehnsucht ist, die mit Macht in das Herz hinuntergezwnngen wird, bis die Brust zu zersprengen droht." Sie schwieg einen Augenblick und holte schwer Atem. Dann sagte sie ruhiger: „Und wenn dann die anderen mit ihrer Zugvogesnatnr prahlen, dann läßt man die Flügel sinken, um das Band zu verbergen, das uus an das alltägliche Leben fesselt." Haugaard starrte sie verwundert an. So hatte er seine Frau nie vorher gesehen. Wie oft hatte er nicht gewünscht, sie nur einmal er regt und zornig zu finden! Die eisige Kälte und Ruhe lag wie eine Last auf ihm, nun aber erweckten ihre Worte einen Sturm in seiner eigenen Brust. Er hatte geglaubt, daß ihre Natur kalt und ruhig sei. Jetzt wußte er, daß sie Feuer in dem Herzen barg, aber er fühlte auch gleichzeitig, daß es ihm nie gelingen würde, es an das Tageslicht zu ziehen. Er fühlte, daß sie noch weiter von ihm entfernt war, als er ge glaubt hatte. Eine wunderbare Müdigkeit und Schwäche kam über ihn. Er, der früher gern jede Sorge von ihr fern gehalten, fühlte beinahe das Be dürfnis, ihr einen richtigen Schmerz beizubringen. Er dachte, daß, wenn er in diesem Augenblick tot umfalle, sie doch vielleicht Reue über ihr ver fehltes Leben fühlen würde. Im nächsten Augen blick aber schämte er sich schon wieder über dies unmännliche Gefühl. „Aermste!" dachte er, „sie hat einen schweren Stand; ich habe fie, um zu ihr aufzuschauen. Was hat sie dagegen?" Und der Schmerz gab ihm neue Kraft. Er eilte schnell ans dem Zimmer, und während die Thür sich geräuschvoll hinter ihm schloß, erwachte Marie aus dem Schmerzensraufch, den ihre eigenen Worte ihr gebracht hatten. Sie sah sich im Zimmer um, als sei sie an einem fremden Ort. Sillo und Eilert saßen dicht neben einander und der Lichtschein fiel auf ihre Gesichter, die Spannung und Gram ansdrückten, aber Haugaard war nicht da. Sie schüttelte den Kopf, als wolle sie die schweren Gedanken verjagen. Dann ging sie selbst hinaus, um die Lampe anzuzünden, und Eilert verließ Sillo, um Franz aufzusuchen. Er saß in seinem Kontor; dort war weder Licht noch Wärme, doch brannte sein Kopf und der Puls schlug heftig. Alles um ihn her war dunkel und wild. Ein Gedanke nach dem andern stürmte auf ihn ein; und doch, durch diesen ganzen Wirrwarr stand eins mit fürchter licher Klarheit vor ihm; seine Frau fühlte sich unglücklich bei ihm „Nun ist die Hilfe zu spät. Jetzt muß es getragen werden," wiederholte er wieder und wieder. Aber der Schmerz blieb deswegen gleich groß und tief. > Da trat Eilert ein. Franz erhob sich schnell und warf sich ihm in die Arme. „Du hörst es, Eilert, es nützt nichts, es zu verbergen; es war ein Schmerzensschrei, der lange zurückgehalten war. Jetzt fand er seinen Weg gerade in mein Herz. Das Kaufmanns- Haus ist ihr zu eng. Und ich, ja das weißt du Vesser als irgend ein anderer, ich passe nicht für sie. Du erinnerst dich ja noch an die Flagge. Sie prophezeite Sorge, und Sorge haben wir beide bekommen. Wie konnte ich nur glauben, daß sie mit mir glücklich werden würde!" „Du bist gegen dich selbst ungerecht. Fand sie daS nicht, was sie erwartete, so trägt sie allein die Scvuld; warum sucht sie nicht aus die rechte Art. Du hast das edelste, das beste Herz, du bist ein ehrenwerier, rechtschaffener Mann. Jede Frau sollte sich glücklich schätzen, einen solchen Galten zu besitzen." K « (Fortsetzung folgt.)
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