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Allgemeiner Anzeiger : 11.03.1893
- Erscheinungsdatum
- 1893-03-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189303119
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- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18930311
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18930311
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1893
-
Monat
1893-03
- Tag 1893-03-11
-
Monat
1893-03
-
Jahr
1893
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 11.03.1893
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Politische Rundschau. Deutschland. * Angesichts der französischen Bestrebungen, zwischen Italien und dem D eibunde bezw. Deutschland Mißtrauen zu säen und Verstimmung zu erwecken, gewinnt die Nawricht der italiensch- offiMen .Agenzia Stefani' politische Bedeutung, das; Kaiser Wilhelm und die Kaiserin Auguste Viktoria an den Festlichkeiten aus Anlatz der silbernen Hochzeit des Königs und der Königin von Italien am 22. April d. teil- nehmen werden. *Der Grotzherzog und die Großherzogin von M e ck l e n b u r g - S tr e l i tz feiern am 28. Juni das Fest ihrer goldenen Hoch zeit. Bindende Beschlüsse über die Feier dieses Tages sind an entscheidender Stelle noch nicht gefaßt worden; nur wünscht der Grotzherzog, von allen größeren Veranstaltungen abzmehen, um das Geld den Armen und Notleidenden zuwenden zu können. *Der russische Botschafter in Berlin, Graf Schuwalow, dem bekanntlich die deutsche Antwort note betreffs der dentsch-rnssischen Handels vertrags-Verhandlungen vor einigen Tagen übergeben worden, ist nach Petersburg abgereist. Seine Anwesenheit daselbst bezweckt auch seine Teilnahme an den Arbeiten der schon vor längerer Zeit cwgesrtzien Kommission, die die Beratung über die deutscherseits gemachten Vorschläge nicht allein vom finanziellen, sondern auch vom politischen Standpunkte zum Gegenstände haben werden. *Die internationale Sanitätskonfe renz wird voraussichtlich Ende dieser Wach' in Dresden zusammentreten. Auch die Türkei will der Konferenz beitretcn, will sich jedoch für die Verhängung der Quarantäne gegenüber dem Auslande volle Freiheit wahren. * Für die gegenwärtige Reichstagssession ist seitens des Kriegtzministeriums der Entwurf zu einem Gesetz betr. die Gleichstellung der Inva liden und Versorgungsberechtigten aus den Kriegen gegen Dänemark 1864 und gegen Oesterreich 1866 mit denen des Feldzuges gegen Frankreich 1870—71 ausgearbeitet wor den. Dieser Entwurf liegt augenblicklich dem Bundesrat zur verfassungsmäßigen Beratung vor. Es läßt sich mit Gewißheit annehmen, daß er die Genehmigung desselben erhalten und bal digst an den Reichstag gelangen wird. In diesem soll er dann, wie geplant ist, anschließend an die Militärpensionsgesetz-Novelle, zur Verhandlung kommen, sobald über das Schicksal der Militär vorlage Entscheidung getroffen ist. * Nach dem jetzt vollständig vorliegenden Er gebnis der Reichstagsstichwahl in Liegnitz- Ha y n a u - Go l d b er g hat der freisinnige Kandidat Jungfer ein Mehr von 4000 Stimmen gegenüber seinem antisemitischen Gegenkandidaten Hertwig erhalten. * Der Meserztg.' zufolge wären die Verhand lungen zwischen der Preuß. Staatsregieruug und dem Herzog von Cumberland zu einem Abschluß gekommen, der beide Teile befriedigt. Das Westeumuseum nebst der Bibliothek in Hannover werde dem Herzog überantwortet. Das Gestüt in Herre Hausen bleibe erhalten. Die dem Publikum zugänglichen Gärten nebst Palmen- haus bleiben in unveränderter Weise zugäng lich und werden vom Herzog in bisheriger Weise unterhalten. * Zur Verhütung von Ueber- schwemmungen hat der Provinziallnndtag in Posen eine Beihilfe von 350 000 Mk. für die Eindeichung der Warthe bewilligt. Ferner wurde beschlossen, den Kaiser zu bitten, zu ge nehmigen, daß die Provinz Posen für die Zwecke des Provinzial-HitfskassenfondS den Betrag von zwanzig Millionen Mark Anleihescheine im Be darfsfall ausgibt. *Wie mitgeteilt, hat bei der Eröffnung des anhal tischen Landtages der neue Minister v. Koseritz eine Rede gehalten, in der er der Befürchtung Ausdruck gab, daß „weitere der Landwirtschaft nachteilige Handelsverträge abgeschlossen werden." Nach einer offiziösen Korrespondenz hat die Reichsregieruug demgegen über der Auffassung Ausdruck gegeben, daß eine Polemik der Bundesregierungen in den Einzel landtagen im Interesse der Reichseinheit unstatt haft sei. (In dieser Form wenigstens ist die Meldung sicher unrichtig.) Frankreich. *Der Kummer der Franzosen darüber, daß die russische Flotte nicht nach Havre kommt, ist rührend. Eine offiziöse Mitteilung der .Liberty sucht das Fernbleiben der Freunde folgendermaßen zu begründen: „Nach Erkundi gungen, die wir an mehreren Stellen eingezogen haben, ist es dem russischen Geschwader ganz unmöglich, zur angegebenen Zeit Frankreich zu besuchen, weil das Eis seine Bewegungen hemmt. Die Zukunft wird jedoch beweisen, daß darin in keiner Weise ein Erkalten der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Rußland und Frankreich zu erblicken ist." *Die Deputiertenkammer hat den Gesetzent wurf betr. die Beleidigung von Souveränen und auswärtigen Gesandten mit 257 gegen 188 Stimmen angenommen, nachdem das Ministerium die Vertrauensfrage gestellt hatte. * Matin' versichert, in Bukarest seien wichtige Papiere Artons beschlagnahmt worden, aus denen der P a n a m a s k a n d al neue Nahrung erhalten werde. * Eine Depesche des General Dodds vom 4. d. bezeichnet die Lage in Dahomey wieder als befriedigend, obwohl in „gewissen Gegenden noch Unzufriedenheit herrscht." Die Garnison von Abomey wechselte Flintenschüsse mit Marodeuren. General Dodds schließt seinen Bericht mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit, seine Streitkräfte nicht zu vermindern. Aus dem letzteren Verlangen dürfte hervorgehen, daß die Lage in Dahomey in Wirklichkeit nicht allzu „befriedigend" ist. Schweiz. * Bei den Wahle n znm Großen Rat im Kanton Tes sin siegten ebenfalls die Liberalen. Das voraussichtliche Wahlergebnis wird sein: 51 Liberale und 45 Konservative. Spauien. * Bei den C o rte s w ahlen am Sonntag sind zwar an mehreren Orten kleinere republi kanische oder karlistische Demonstrationen vor- gckommen; das hat aber keine Bedeutung und ereignet sich bei allen Wahlen in Spanien. Be zeichnend für die Lage ist, daß in der Haupt stadt sechs republikanische und zwei konservative Abgeordnete gewählt wurden; auch der bekannte Verschwörer Zorilla ist gewählt. Das Mini sterium bekommt seine gewünschte Mehrheit. Von bemerkenswerten Wahlen sind bisher die folgenden bekannt: Gewählt sind in Barcelona zwei Repu blikaner, drei Ministerielle; in Sevilla ein Repu blikaner, zwei Ministerielle, ein Konservativer; in Saragossa zwei Republikaner, ein Konservativer, ein Ministerieller; in Valencia zwei Republikaner, ein Konservativer. Balkanstaaiett. * Anläßlich der Feier des Jahrestages der Erhebung Serbiens zum Königreich sa d am Montag in der Hauptkirche zu Belgrad ein feierliches Hochamt statt, dem der König Alexander, die Regenten und das diplomatische Korps beiwohnten. Hierauf war feierlicher Empfang im Palais; bei demselben erschienen der Metropolit, das diplomatische Korps, der Staatsrat und andere Würdenträger. Amerika. * Diejenigen amerikanischen Blätter, die für die Annexion Hawais sind, führen jetzt aus, die Sandwich-Jnseln werden jetzt in sechs Tagen von Sau Francisco aus erreicht. Schnell dampfer können die Fahrt in fünf Tagen machen. Die Inseln werden für Amerika von großer Wichtigkeit sein, da sie in der Bai von Honolulu einen guten Hafen besitzen. Sie haben vor Samoa und den südlicheren Inseln des Stillen Meeres den Vorteil voraus, daß ihr Klima derart ist, daß daselbst fast jede Art von Vege tation gedeiht. Eine amerikanische wissenschaft liche Zeitschrift weist darauf hin, daß dort ein botanischer Garten errichtet werden könnte, wie er in der Welt noch nicht existiert. Das wäre allerdings ein bisher noch nicht dagewesener Grund für die Annexion eines fremden Landes. NsZka. * Der Sultan vonSansibar, Sayid Ali ben Said, ist gestorben. Der in Sansibar residierende englische Generalkonsul hat sofort dm Neffen des Verstorbenen, Hamed be; Thwain, als „Sultan", d. h. als englische Drahtpuppe proklamiert. Dagegen lehnte sich der 18 jährige Sohn deS Verstorbenen, Kalid Bargasch, auf. Er drang durch eine Seitenthür in den Palast und wollte sämtliche Thore sperren lassen. In zwischen waren 250 englische Marinetruppen ge landet worden; Kalid gab nach und wurde in sein HauS znrückgeführt. Das entschiedene Auf treten der englischen Behörden hat augenscheinlich tiefen Eindruck auf die Eingeborenen gemacht, es ist alles ruhig. Uon Uoh und Fern. Fürst Bismarck hat, wie die,Post' erfährt, in letzter Zeit an einer Venenentzündung ge litten. Nachdem sich das Befinden des Fürsten wieder gebessert hat, wird sich Prof. Schweniuger in diesen Tagen bis Anfang April ins Ausland begeben. Wie sehr die vorjährige Cholera- Epidemie auf den Hamburger Hotelverkehr cingcwirkt hat, ist aus folgenden, von der Polizei behörde festgestellten Zahlen ersichtlich. Während die Zahl der im Jahre 1891 von den Hotels angemeldeten Fremden 354163 betrug, bezifferte sich dieselbe im Jahre 1892 nur auf 302 120, das sind rund 52 000 Fremde weniger. Während noch in der Mitte des Monats August täglich etwa 900 Fremde von den Hotels zur Anmel dung kamen, ging diese Zahl mit dem Steigen der Epidemie gegen Ende September bis auf — 18 Fremde hinunter und erst anfangs November konnten täglich 200 Hotelsremde wieder gezählt werden. Ganz hat Humburg mit bezug aus den Fremdenzustuß auch heute seinen früheren Stand noch nicht wieder erreicht. Ein nationaler Ehrenhandel. Der deutsche Kapitän Cietsch vom Dampfer „Ale mannia" hatte in einem überseeischen Hafen einen Konflikt mit dem französischen Kapitän Servan vom Dampfer „Canada"; es handelte sich um einen Platz zum Anlegen im Hafen. Servan ist inzwischen in Havre angclangt, wo er auf Cietsch, dessen Dampfer dort gleichfalls erwartet wurde, lauerte, um ihn zum Duell zu fordern. In zwischen ist Kapitän Cietsch in Havre einge troffen und hat am 5. d. an Bord der „Ale mannia" die Zeugen des Herrn Servan empfan gen; er erklärte denselben, daß er den beleidi genden Ausdruck „Schweine-Franzosen" nicht an Bord der „Canada" gebraucht, auch nicht von geringer französischer Intelligenz, sondern nur von geringer Höflichkeit der Franzosen gesprochen habe. Wenn Herr Servan u.it dieser Erklärung nicht zusxieden sei, so sei er bereit, nachdem er seine „Aiemannia" nach Hamburg geführt haben werde, im Satisfaktion zu geben. Erschossen hat sich in Bromberg ein Ge freiter vom 34. Infanterieregiment. Das Motiv zur That soll Zurücksetzung im Avancement ge wesen sein. Eine Zigeunerbande, die dieser Tage Iller tissen passierte, verlangte in einer Brauerei in Altenstadt Nachtquartier, mußte jedoch wegen Mangel an Raum abgewiesen werden. Fluchend und unter Verwünschungen zogen die Zigeuner fort. Nachts kehrte einer zurück und warf zahl reiche Seifenstücke durch die geöffneten Fenster des Brauhauses in den in der Kühlpfanne stehenden Biersud, der hierdurch gänzlich ver dorben wurde, was dem Brauereibesitzer erheb lichen Schaden verursachte. Mordversuch im Zuchthaus. Im Zucht hause in der Au bei München wurde seitens eines Gefangenen ein Mordversuch an einem Auf seher verübt. Der wegen Totschlags zu fünf zehn Jahren Zuchthaus verurteilte Sträfling Zettl war wegen Ucbertretung der Hausordnung krumm geschlossen worden und sollte nach Ver büßung dieser Disziplinarstrafe von den Sprin gern befreit werden. Zu diesem Zweck begab sich der Aufseher Ludwig mit einem anderen Auf seher und einem zur Hilfeleistung herbeigezogenen Sträfling in die Zelle des Zettl. Kaum waren die Springer gefallen, als Zettl blitzschnell dem Ludwig an die Kehle fuhr. Ludwig warf den Zettl auf die Pritsche, aber dieser zog ihm ein Messer aus der Tasche und schlitzte ihm damit den Bauch auf. Der Mörder wurde sofort wieder in Fesseln gelegt und in eine Isolierzelle gebracht. Der Zustand deS verwundeten Auf sehers soll hoffnungslos sein. Das Volapük ist tot, wenigstens für oder in Frankreich. Unter „Volapük" versteht man bekanntlich eine Weltsprache, beziehungsweise den seltsamen Versuch, eine willkürlich gebildete Sprache als Umgangssprache für alle Völker dieser Erde einzuführen. Man hat nicht bedacht, daß, wenn auch diese willkürliche Sprache auf gekommen wäre, sic bald in den verschiedenen Völkerschaften gewissermaßen hätte entarten müssen. Man würde bald ein deutsches, ein englisches, ein indisches, ein französisches rc. Volapük gehabt haben. In dieser Erwägung hat die französische Volapük-Gesellschaft in ihrer letzten Sitzung beschlossen, sich aufzulösen. Der einst viel gefeierte Sportsman Graf Bröcourt ist als Karthäuser Mönch in der Grande Chartreuse gestorben. Nach einem ent setzlichen Jagdunglück — Graf Brocourt erschoß sein eigenes vierjähriges Töchterchen, das hinter einer Hecke spielte — zog sich der Verstorbene in das genannte Kloster zurück, dessen Prior bis zum Jahre 1891 der ehemalige General von Nicolai gewesen ist. Durch plötzliche Erdsenkungen sind in Sandgate bei Folkestone in der Nacht znm Sonntag in der Länge einer englischen Bieile 500 Häuser zerstört oder beschädigt und Hunderte von Familien obdachlos gemacht worden; glück licherweise ist kein Verlust an Menschenleben ent standen. Die Wasser- und Gasröhren wurden zerbrochen, die Stadt lag am Abend in voller Finsternis. Die Senkungen sind durch die häufigen Regen der letzten Tage verursacht worden. Eiu neues Monte Carlo. Luxemburg soll mit einer Spielhölle, einem Ableger Monacos, beglückt werden. Es wird von dort gemeldet, daß Agenten aus Monaco in Luxemburg weilen, um wegen Ankaufs deS Bades Mondorf bei der Regierung Schritte zu thun und dort eine Spiel hölle zu errichten. Sie erbieten sich zur Deckung der Staatskosten und wollen außerdem 6 Mil lionen Frank Pacht zahlen. Das alte Lied vom „Grafen von Luxemburg, der all' sein Geld ver juxt, verjuxt", kann also zur Wahrheit werden und manchem in Luxemburg die Gelegenheit bequem gemacht werden, sein Geld zu verjuxen, wenn in Mondorf erst der Spielteufel seine Resi denz ausgeschlagen hat. Ein sonderbarer UnglücksfaN hat sich in Rumbeke (Belgien) ereignet. Ein dortiger Kaninchenzüchter hatte in seinem Stalle gegen nächtliche Diebe eine kleine geladene Kanone angebracht mit der Mündung nach der Thür; mittels einer Verbindung, die jeden Abend her gestellt wurde, ging sie los, wenn ein Unbe rufener die Thür öffnete. Die Frau des Bauern, die jeden Morgen die Kaninchen fütterte, vergaß nun dieser Tage vor ihrem Eintritt die verbindende Schnur zu lösen; als sie die Thür öffnete, ging ihr die Kanonenladung in den Leib und sie starb unter den schrecklichsten Schmerzen. Ein furchtbarer Schneestiirm ist am Freitag über Schweden niedergegangen, wie er in solcher Heftigkeit in diesem Winter keinen Vorgänger aufzuweisen hat. In Stockholm hat er große Verkehrsstörungen hervorgerufen, ein Teil der Straßen ist vollständig nnfahrbar ge worden. Der Malmöer Schnellzug sitzt bei Kathriueholm, einem Knotenpunkt etwas nördlich von Norrköping, fest. Aus Norwegen wird gleichfalls Schneesturm und Schneetreiben ge meldet, und auch das dortige Unwetter wird als das heftigste des gegenwärtigen Winters be zeichnet. In den Straßen Christianas ist so viel Schnee gefallen, daß der Verkehr nur unter Schwierigkeiten von statten geht. — In Hammer fest sind in dem Schneesturm 15 Fischer um- gekommen, meist Familienväter. Die Not und das Elend der zahlreichen Hinterbliebenen ;oll sehr groß sein. Eine ungeheure Summe hat das italienisch« Lotto anläßlich des Papstjubiläums auszahlek KerzenswanöMngen. >lj (Fortsetzung.! Reginald saß stumm und regungslos, bis der graue Schimmer des anbrechenden TageS durch die grünen Vorhänge schien und sein bleiches, ver störtes Gesicht beleuchtete. Dann ergriff er die Feder und begann zu schreiben. Es war Heller Tag, als er endlich den Brief faltete und versiegelte. Mit fester, leserlicher Hand schrieb er die Adresse und legte ihn so auf seinen Schreibtisch, daß er beim ersten Blick ins Auge fallen mußte. Dann verließ er das Zimmer, ging leise die Treppe hinab und trat auf die Straße hinaus. 18. „Madame, es ist bereits 1V Uhr. Wollen Madame nicht aufstchen?" Ida stützte den Kopf auf den Arm und sah sich um. Sie hatte von dem alten Pfarrhause in Deepdale geträumt, wie sie mit Angie am Ab hange des sonnigen Hügels Schlüsselblumen pflückte und im Mondschein saß, den Kopf in Eleanors Schoß, und es war eben keine angenehme Em pfindung, sich wieder in Paris in dem großen Himmelbett zu finden und Mathildens klanglose Stimme zu hören. , „Ach, Mathilde, weshalb weckten Sie mich? fragte sie ungeduldig. „Ich hatte gerade einen so scbönen Traum." „Es ist spät und Madame liebt es, Ihre Schokolade zu nehmen, ehe die Morgenpost ein läuft." „Nun ja," seufzte Ida, „dann werde ich wohl aufstehen müssen." Es war beinahe 11 Uhr, als Ida das Wohn zimmer betrat, wo sie gewöhnlich ihre Morgen- schokolade trank. Es war hell und sonnig und voll Blumen, wie immer, aber Reginalds Stuhl war leer. „Ist mein Mann noch nicht aufgestanden?" fragte sie nachlässig, indem sie die Tasse nieder- setztc. „Ich habe Achille heute morgen noch nicht gesehen, Madame. Soll ich klingeln und nach fragen ?" „Nein, das ist nicht nötig." Wenige Minuten später trat Achille ein. „Madame kann mir vielleicht sagen, wohin Monsieur heute morgen gegangen ist?" „Ist er ausgegangen?" fragte Ida scheinbar gleichgültig. „Er ist nicht in seinem Zimmer, Madame. Möglich, daß er einen Spaziergang macht, aber das ist sonst nicht Monsieurs Gewohnheit." „Er wird hoffentlich bald zurückkommen," sagte Ida. Achille, der in seines Herrn Zimmer gegangen war, kehrte mit ernstem Gesicht wieder zurück. „Ein Bries, Madame." „Ein Brief?" rief Ida, lebhaft aufspringend. „Ist die Morgenpost schon eingetroffen?" „Nein, erwiderte Achille, „es ist ein Brief an Madame, den ich auf Monsieurs Schreibtisch ge funden habe." Ein Brief? Warum schrieb ihr Reginald, wo mündliche Unterhandlungen doch bei weitem leichter waren? Etwas überrascht erbrach sie das Schreiben und las: „Mein liebes Weibl So wirst du mir wenigstens erlauben, dich zum letzten Male zu nennen. Du bist mein innig geliebtes Weib, und wirst es immer bleiben, wenn ich Dich auch nie Wiedersehen werde. Ida, es wäre völlig nutzlos, Dir jetzt zu sagen, wie grenzenlos ich Dich liebe, wie teuer du mir ge wesen, selbst dann, wenn du die Zärtlichkeiten zurückwiesest, mit denen ich Dich hätte über schütten mögen. Ich habe nicht das Herz dazu, Dir Vorwürfe zu machen, aber ich wünsche, daß Du Dich stets daran erinnern mögest, wie ich Dich über alles geliebt habe, Dich bis zuletzt geliebt habe, obgleich ich nur zu deutlich sah, daß Du Dich immer weiter und weiter von mir entferntest. Ich will nicht wissen, warum; ich nehme an, daß Du, als wir unsere Ehe schlossen, noch zu ;ung warst, um Dein Herz zu verstehen. Ich gebe gern zu, daß meine Uebereilung die Schuld an meinem Unglücke ist, aber die That- sache läßt sich nicht hinwegläugnen, daß Du auf gehört hast, mich zu lieben, wie ein Weib den Gatten lieben soll. Ich verlange nicht von Dir, Ida, daß Du meiner gedenkst. Ich bitte Dich nur, daß, wenn Du Dich meiner erinnerst, Du mir das Zeugnis gibst, daß ich Dich treu und innig geliebt habe. Ist eS nicht ein Beweis dafür, wenn mit einem Herzen voll Liebe und Anhänglichkeit für Dich, ich Dich dennoch um Deines Glückes willen auf geben kann? Lebe wohl, Ida, mein verlorenes, heißge liebtes Weib! Ich werde Deinen Lebensweg nie wieder durchkreuzen. Aber meine Gebete und meine Segenswünsche werden Dir überallhin folgen. Sei glücklich und suche zu vergessen, daß Du jemals mit mir verbunden wärest. Von meinem Rechtsanwalt wirst Da weiteres er fahren. R. D." Ida saß noch lange, nachdem sie das Schrei ben gelesen und die ernste Wichtigkeit seines Inhaltes begriffen, und starrte mit leerem Blick auf das Papier, das sie in den Händen hielt. Das Ganze schien ihr so unmöglich, wie eii2 Ausgeburt ihrer Phantasie. Aber da stanken die Worte klar und deutlich, in ihres Gatten eigener Handschrift, mit seinem Namen unter schrieben. Ihr Gatte! Sie hatte jetzt keinen Gatten mehr. AlS Mathilde sich auf ihr Geheiß entfernt hatte, las sie nochmals den Brief Ja, sie hatte nicht geirrt. Sie hatte kein Wort mißverstanden. Reginald war für immer gegangen. Sie kannte ihn nur zu gut, sein Ent schluß war unabänderlich. Was er einmal nach ruhiger Ueberlegung beschlossen, führte er auch bis zu Ende durch. Sie hatte jetzt sein wach sames Ange, seine eifersüchtigen Fragen nicht mehr zu fürchten. War sie froh, oder betrübt? Sie wußte es kaum. Es hatte ihr Herz schmerzlich zusammen- gezogcn, als sie zuerst begriffen, daß sie ihn nie Wiedersehen sollte, den jungen Gatten, der sie so geliebt und verhätschelt hatte während der ersten glücklichen Wochen ihres ehelichen Lebens, und doch fühlte sie sich instinktiv erleichtert. Wenig stens würde er jetzt nie das Geheimnis von
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