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Allgemeiner Anzeiger : 14.01.1893
- Erscheinungsdatum
- 1893-01-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-189301144
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-18930114
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-18930114
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1893
-
Monat
1893-01
- Tag 1893-01-14
-
Monat
1893-01
-
Jahr
1893
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 14.01.1893
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Volttische Rundschau. Deutschland. *Am Dienstag fand in Sigmaringen die Vermählung des rumänischen Thron folgers Prinzen Feidinand von Hohenzollern mit der englischen Prinzessin Maria von Edin- burg statt. Die gesamte fürstlich hohenzollernsche Familie, daS Elternpaar der Braut, Kaiser Wilhelm und die Könige von Württemberg und Rumänien wohnten der Feier bei. *Am Dienstag ist sowohl der Reichs tag als auch der Preuß. Landtag wieder zusammengetreten. Bereits für Mittwoch war die erste Sitzung der Militärkommission angcseöt, die die Absicht hat, ihren Bericht noch in diesem Monat an die Vollversammlung zu erstatten. *Auch der Bundesrat nimmt seine Arbeiten in dieser Woche wieder auf; ihm ist der Entwurf eines Gesetzes betr. die Abänderung der Maß- und Gewichts-Ordnung nebst er läuternder Denkschrift zur Beschlußfassung zuge gangen. * Dem Reichstage ist die im Reichs-Versiche rungsamt ausgestellte Nachweisung der Geschäfts- und Recknuigsergebnisse der Jnvaliditäts- und Altersversicherungs - Anstalten für das erste Rechnungsjahr 189l zugegangen; sie umfaßt die sämtlichen 31 Versicherungs-Anstalten. Die Zahl der bewilligten Altersrenten betrug 130 774, die der Invalidenrenten 27. Die Gesamteinnahme aus Beiträgen belief sich mit Einschluß von 371 744 Mk. Beiträgen für Seeleute auf 88 886 971 Mk. Die Zahl der verkauften Beitragsmarken beträgt rund 108 Mill, in der 1. Lohnklasse, 164 Millionen in der 2. Lohnklasse, 92 Millionen in der 3. Lohnklasse und 62 Millionen in der 4. Lohnklasse; an Doppelmarken werden rund 230 000 als ver kauft nachgewiesen. Der Verm.gensbestand der Versicherungs-Anstalten belief sich bei Ablauf des Jahres 189l auf 76 748 278 Mk, wovon bis dahin 3428 409 Mk. dem Reservefonds überwiesen worden sind. Die durchschnittliche Verzinsung der Kapital - Anlagen erfolgt mit 3'/, Prozent. *Die Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des deutschen Bürgerlichen Ge setzbuches ist am Montag im Reichsjustizamt zum ersten Male im neuen Jahre zu einer Ge- famtsitzung zusammengetreten. * Die Gründung der neuen „National- Partei" wird, wie man mitteilt, in den näch sten Tagen in Berlin stattfinden. Alle zunächst in Frage kommenden Teile Deutschlands seien von Vertrauensmännern bereist worden, und überall sei sogleich eine lebhafte Zustimmung hervorgetreten. Auch der von mancher Seite vorausgesagte Widerspruch der bestehenden Par teien sei bereits durch vertrauliche Besprechungen mit den maßgebenden Parteiführern beseitigt worden (?). * Der Meichsanz.' hat durch Veröffentlichung des im April v. zwischen dem Reichsschatzamt und der deutschen Gesandtschaft in Bern ge pflogenen Schriftwechsels wegen der Welfen- fonds-Quitt ungen die Unechtheit jener angeblichen Quittungen dargethan. Zur Sache schreiben die,Hamb. Nachr.' noch: „Zahlungen aus amtlichen Fonds, geheimen oder öffentlichen, können ja manche Leute erhalten haben, ohne das sie sich deshalb zn unehrlichen Diensten ver mietet hätten. Durch allgemein gehaltene Ver dächtigungen kann man aber jede Quittung, die ohne Forderungsgrund ausgestellt wird, von Hause aus zu einem belastenden Aktenstück für den Beteiligten machen. Wir halten den ganzen .Vorwärts'-Artikel für eine plumpe Erfindung von Leuten, die von den wirklichen Vorgängen bei der Verausgabung von geheimen oder auch öffentlichen Fonds gar keine Vorstellung haben, und sind in dec Beurteilung des Vorganges ebenso betrübt über das Ungeschick und die Un wissenheit der Blacher, wie über die Unehrlich keit der Absichten der Verbreiter dieser auf Skandal berechneten Veröffentlichung. Sie ist absolut und ohne auch nur theoretische Sach kunde aus der Luft gegriffen. *Die Verhandlungen zwischen Preußen und Lübeck betreffend den Elbe-Trave-Kanal sind abgeschlossen; Lübeck trägt 18 Millionen, Preußen 6 Millionen bei. * Gegen die Beschränkung des Hausierhandels hat der Zentralverband deutscher Händler, Markt- und Meßreisender an den Reichstag und sämtliche deutsche Ministerien eine Agitation gerichtet. Oesterreich-Ungarn. * Bisher hat Graf Taaffe sein neues Programm geheim gehalten, nur bekanntlich vom Kaiser Franz Joseph „genehmigen" lassen. Jetzt verlautet, daß dieses „Programm" fast kein einziges Zugeständnis an die Linke enthält. Der böhmische Ausgleich wird nicht gewünscht, nur das Festhalten an der zweiteiligen Gestaltung der Monarchie betont. Das Programm enthält ferner die Aufrechterhaltung des Volksschulgesetzes, die Förderung größerer Pflege der Religion und einen Hinweis auf die wirtschaftlichen Fragen, Sozialreform, Strafgesetz, Steuergesetz. Frankreich. *Am Dienstag ist in Paris die Depu tiertenkammer wieder zusammengetreten; jetzt können die Skandalszenen von neuem be ginnen. * Der ehemalige Minister der öffentlichen Ar beiten Baihaut ist am Mittwoch abend beim Heraustreten aus dem Zimmer des Untersuchungs richters verhaftet und nach dem Gefängnis Mazas abgeiührt worden. Baihaut soll während seiner Ministerzeit 1 Mill. Frank dmür erhalten haben, daß er die ungünstigen amtlichen Berichte über das Panama-Unternehmen unterdrückte. * Marquis Moros veröffentlicht einen Brief an den Polizeipräfekten, wonach die Anti semiten zukünftig eine Intervention der Polizei bei ihren Versammlungen, sowie Mani festationen nicht dulden würden. Die Polizei sei dafür verantwortlich, falls durch Polizeimaß nahmen Blutvergießen hcrbeigeführt würde. * Der .Figaro' erzählt seinen Lesern, daß die Verlobung des Großfürsten-Thronfol- gers von Rußland mit der Prinzessin Mar garethe von Orleans, Tochter des Herzogs von Chartres, bevorstehe. Der Papst habe den Uebcrtritt der Prinzessin zur griechisch- orthodoxen Kirche genehmigt. — Selbstverständ lich glaubt der .Figaro' selbst kein Wort von dem, was er erzählt, rechnet er auch in unter richteten Kreisen nicht auf Glauben für seine Nachricht. Der Zweck seiner falschen Meldung ist auch nicht, in bezug auf die zukünftige Ehe schließung des russischen Großfürsten-Thronfolgers irre zu führen, sondern — die Orleans volks tümlich zu machen. England. *Jn Bodyk in der irischen Grafschaft Limerick haben sich die Pächter erhoben und be waffnet die Landstraßen besetzt; sie verhinderten die Gerichtsvollzieher, Pächter-Ausweisungen vor zunehmen. Herbeigeholtes Militär war unfähig (?), den Widerstand zu brechen. Italien. * Der Papst eröffnete am Montag die Reihe der Festlichkeiten zu Ehren seines bischöflichen Jubiläums mit dem Empfang von mehr als 500 Kindern aus dem Adel und der Bürger schaft. Rustland. * Infolge neuester Entschließung wird nun mehr der Großfür st-Thronfolger dennoch der an ihn ergangenen Einladung Folge leistend, sich zur Teilnahme an der Feier der Vermählung der Prinzeß Margarete nach Berlin begeben. * Die angekündigte Vermehrung der russi schen Konsularvertretungen bezw. die Erhöhung von Konsulaten zu General-Kon sulaten und von Vizekonsulaten zu Konsulaten wird sich auf Frankreich, Deutschland, Spanien, Schweden und Norwegen erstrecken. Balkanstaaten. *Nach einer Meldung aus Cetinje brach in neun Gemeinden eine gegen den Fürsten von Montenegro gerichtete Revolution aus. Zwischen Volk und Militär enspann sich ein blutiger Kampf; auf beiden Seiten gab cs Tote und viele Verwundete. Das Militär stellte mit größter Anstrengung die Ruhe wieder her. Viele Popen und Bürger wurden verhaftet. Amerika. * Hinsichtlich des brasilianisch-chile nischen Schutz- und Trutzbündnisses, das am 15. Dezember 1892 in Rio unterzeichnet sein sollte, erhält das Büreau Meuter' vom brasiliani schen Minister des Auswärtigen die Meldung, daß kein Vertrag irgend welcher Art zwischen beiden Ländern abgeschlossen worden sei. Asien. * Neue Unruhen gegen die Ausländer sind in Nanking (China) ansgebrochen. Die Missionare hatten einen chinesischen Knaben mit einem Glasauge versehen, und das reichte hin, die Fanatiker anfzubringen. Sie wurden jedoch von den Beamten im Zaum gehalten, und die Ankunft eines amerikanischen Kriegsschiffes trug ebenfalls zur Aufrechterhaltung der Ordnung bei. Don Uah und Fern. Betreffs der Zollerleichterungen für die Bewohner der Grenzbezirke hat das Reichsgericht jetzt eine endgültige Entscheidung zu gunsten der Grenzbewohner getroffen. Der Entscheidung lag der Einzelfall vor, daß eine Mutter mit ihren drei Söhnen, darunter einen noch nicht straf- müudigen, je 2'/, Kilogramm Mehl über die holländische Grenze gebracht. Die Zollbehörde und mit ihr die Staatsanwaltschaft faßte dies so auf, als hätte die Ehefrau ihre Söhne als Mitthäter oder als Werkzeug benutzt, so daß die verschiedenen Gewichtsmcugen, die auf einmal eingeiührt worden, zusammengerechnet werden und die Angeklagten wegen der hiernach sich ergebenden Steuerhinterziehung bestraft werden müßten. Das Schöffengericht sprach sie jedoch frei; das Landgericht Aurich bestätigte dies, und nunmehr hat das Reichsgericht die vom Staats anwalt eingelegte Revision verworfen. Der im Ahlwardt-Prozest nicht aufge- fundcne Entlastungszeuge Krähan ist dieser Tage aus Amerika in Altona augekommen, wo er sich gerichtlich vernehmen ließ. Ein sensationeller Diebstahl erregt in BreSlau großes Aufsehen. Am 7. d. abends wurde von einem Rollwagen ein Ballen, ent haltend die Akten der Ober-Nechnuugskammer an die schlesische Provinzial-Steuerdirektion ge stohlen. Ein Feldwebel als Defraudant ver haftet. In Posen ist ein Feldwebel der dortigen Garnison verhaftet worden. Derselbe hat 800 Mark unterschlagen, die an Soldaten adressiert waren, indem er die an Soldaten ge richteten Pakete, hauptsächlich die Weihnachts- Pakete, geöffnet und die Geldbeträge herauSge- uommen halt. Scherzweise. Dem fünfjährigen Sohn einer Arbeiterin in einem Dorfe des Kreises Deutsch- Krone wurde dieser Tage „scherzweise" so viel Branntwein zu trinken gegeben, daß das Kind an de i Folgen des übermäßigen Spiritusgenusses verstarb. Eine nachahmenswerte Handlung ist aus der Gemeinde Lunden bei Tönning, zu verzeichnen. 45 Einwohner haben sich zunächst auf fünf Jahre verpflichtet, der Witwe ihres verstorbenen Rektors jährlich je 10 Mk. zu zahlen, bis die Familie im stände sein wird, mit der staatlichen Pension auszukommen. Es dürfte wenigen bekannt sein, daß die Kaiserin Katharina von Rußland die Stifterin der „Großfürstlichen Witwen- un Waisenkasse" in Kiel ist, aus der die Witwen un Waisen derjenigen Lehrer Nordcrdithmarschens, die den Titel „Rektor" führen, ihre Pensionen rc. beziehen. Katharina stammte aus dem Hause Holstein-Gottorp, wozu auch das Land Norder dithmarschen gehörte. Aus Schleswig-Holstein. Vor einigen Wochen ging die Meldung durch verschiedene Blätter, daß ein in Kiel für Rechnung der türki schen Regierung erbautes stattliches Torpedoschiff, das im Dezember mit voller Besatzung vom Kieler Hafen nach Pera in See gegangen war, unterwegs in einem schweren Wetter mit Mann und Maus untergegaugen sei. Das Schiff hatte, wie sich später herausstcllte, in der Gegend des Kattegat und Skagerak furchtbare Stürme zu be ¬ stehen ; dank der vorzüglichen Bauart konnte das Fahrzeug dem Orkan widerstehen und seine Führt ortsetzen, nachdem eS einen Nothafen angelaufen mite. Wie jetzt eine aus beteiligten Kreisen Lammende Notiz mitteilt, ist das Torpedoboot glücklich in Malta cingetroffen. Die Fahrt des neuen Schiffes hat wiederum bewiesen, daß die auf deutschen Schiffswerften erbauten KriegS- ahrzeuge von anerkennenswerter Leistungsfähigkeit rnd Die hohe Pforte besitzt nunmehr zehn in Deutschland fertiggestellte Torpedoboote, die sich alle vorzüglich bewähren. Verbot des Hazardspiels im Wiener Jokeiklub. Schon wiederholt erregte im Wiener Jokeiklub das übliche Hazardspiel die Aufmerk- ämkcit der maßgebenden Behörden, insbesondere wenn Nachrichten über hohe Verluste in die Oeffentlichkeit drangen. Als vor einigen Jahren ein Kavalier im Klub beträchtliche Spielverluste erlitten hatte, wurde eine Zeitlang das Spiel eingestellt; in der letzten Zeit ereignete es sich, daß mehrere Kavaliere Beträge von 70 000 bis 100 000 Gulden in einer Nacht in den Klub räumen verspielten. Diese Fälle gelangten zur Kenntnis der Behörde, die sich veranlaßt sah, einen Einspruch gegen das Hazardspiel zu erheben. Der Statthalter richtete an den Präsidenten des Aubs ein Schreiben, in dem er auf die Unstatt haftigkeit des Hazardspiels hiuwieS und die Da zwischenkunft der Polizei in Aussicht stellte, wenn der llebelstand im Klub nicht sofort abgestellt würde. Daraufhin verfügten sich Gras Colloredo und Fürst Alfred Montenuovo zum Statthalter und gaben die Erklärung ab, daß sie alles ver anlassen würden, um das Hazardspiel im Jokei klub abzustellcn. In einer Sitzung des Direktions rates wurde nun beschlossen, ein offizielles Ver bot des Hazardspiels an die Mitglieder zu er lassen. Erfroren. Ein 17 jähriges, hübsches Mäd chen, die Magd Franziska Towarek, wurde in einem Weingarten aus dem Nußberg bei Wien unter der Schneedecke erfroren aufgefunden Das Mädchen schien zu schlafen, eS lag aus dem Rücken, den Kops in die linke Hand gestützt. Das Gesicht war blaß, aber unverändert; an den Augenwimpern der Toten hingen zu Eis erstarrte Thränen An der Leiche des Mädchens wurden keine Spuren einer erlittenen Gcwaltthätigkeit bemerkt, nichtsdestoweniger wurde die Obduktion verfügt. Es ist allerdings noch ganz unaufgeklärt, wie das Mädchen, das als anständig und brav geschildert wird und mit niemand außer dem Hause verkehrte, in den Weingarten kam, in dem eS seinen Tod durch Erfrieren fand. Blüchers Koch. In Paris ist im Alter von 95 Jahren der ehemalige Küchenchef Andrä Cazeneuve gestorben, der seine Laufbahn als Küchengehilfe und dann als der Koch Blüchers, des Marschall „Vorwärts", begonnen hat. DaS Ende des Aetna-Ausbruchs. Am 29. Dezember ist der Aetna wieder erloschen, nachdem er seit dem 8. Juli, also 173 Tage hindurch, eine gewaltige vulkanische Thätigkeit entfaltet hatte. Am 23. Dezember waren noch mals reichlichere Lavaergüffe und starkes unter irdisches Brüllen zu verspüren gewesen, und man fürchtete schon, die Schrecknisse vom Juli und August würden sich wiederholen, aber am 29. Dezember, vormittags gegen 10 Uhr, blieb das vulkanische Getriebe wie mit einem Schlage stehen, die Lava hörte auf zu fließen, und die Rauchwolken der Krater verschwanden. Jetzt liegt auf den Kratern und den erkalteten Lavaströmen eine hohe Schneedecke. Der nunmehr beendete AüSbruch des Aetna ist der Dauer nach der zweitgrößte, der beobachtet wurde. Den Schaden, den die Lavastcöme anrichteten, schätzt man aut 1 Million Lira. Eine von Wölfen belagerte Stadt ist bei der strengen Kälte zur Zeit die russische Stadt Tikhrin im Gouvernement Nowgorod. Die hungrigen Bestien umkreisen die Stadt in großen Trupps und dringen nicht selten bis ins Innere derselben vor, alles kleine Getier, Hunde und selbst Kinder mit sich nehmend. Die Bewohner Tikhrins wagen nicht anders als bis an die Zähne bewaffnet vor die Thür zu treten. Der Gouverneur der Provinz hat ein Bataillon In fanterie, eine Sotnie Kosaken und 300 Jäger KerzenswanöMngen. 5s «Fortsetzung.) „Gütiger Himmel!" rief der Geistliche, der sich jetzt erst klar zu werden begann, in welche Vernickelung er ohne sein Zuthun hineingcraten war. „Ida, Ida, hast du gehört, was dieser Herr sagte? Aber es wäre mir höchst unan genehm, meine Reise aufschieben zu müssen. Ist denn daS Zeugnis dieses Kindes unumgänglich nötig?" „Es ist jedenfalls bester, wenn sie bleibt," sagte der Herr, der, wie GreSham später erfuhr, einer der Eigentümer des Hotels war. „Sie können ja leicht Ihren Angehörigen telegraphie ren. Die Beamten werden um elf Uhr hier sein, und hoffentlich wird Ihre Abreise nur eine Ver zögerung von wenigen Stunden erleiden." Gresham mußte sich, wohl oder übel, fügen. Er war ein Mann, der sein ganzes Leben lang daran gewöhnt gewesen, seinen Willen den Wün schen anderer unterzuordnen, und Ida Chaloner war entzückt, noch einige Stunden mehr in New Kork bleiben zu können. Um sein erregtes Gemüt etwas zu beruhigen, begab sich der Geistliche in das Lesezimmer und studieste die Zeitungen, während Ida, sich selbst überlassen, in der Vorhalle auf die Fensterbank stieg und, ihre Nase gegen die Scheiben drückend, träumerisch aus das Gewühl in der Straße hinab- schaure. Endlich erschien der Untersuchungsrichter, um die Rekognoszierung der Leiche vorzunehmen und den Thatdestand festzustellen. Das Verhör war kurz und führte zu einem keineswegs befriedigen den Resultate. Als erster Zeug« wurde Giuseppe Antonaroli, der Diener des Ermordeten, vernommen. Der Schmerz des Mannes war geradezu überwältigend. Oftmals erstickte lautes Schluchzen seine Stimme. Es lag etwas Erschütterndes in scier treuen Anhänglichkeit, die nach amerikani schen Begriffen von den Verhältnissen des Die ners zum Herrn so ganz verschieden war. Seine Aussagen, die zu Protokoll genommen wurden, waren einfach genug. Er hatte seinen Herrn um zehn Uhr im besten Wohlsein ver lassen. Aber eine unbestimmte Ahnung hatte ihn bewogen, an der Thür zu lauschen. Sein Herr hatte ihn deshalb gescholten, wodurch er (Giuseppe) sich indessen nicht verletzt gefühlt, denn der Tote war der beste Herr von der Welt gewesen, und dabei brach der arme Mensch von neuem in ! Thränen auS. Um zwölf Uhr, so wie der Herr i angeordnet, war er wieder in daS Zimmer ge- - kommen, um demselben beim Auskleiden zu hel fen ; der Kellner wisse das übrige, er könne nichts weiter sagen. „Wie hieß Ihr Herr?" „Pierre Antoine L'Echelle." „Welchem Lande gehörte er an?" „Er war in Burgund, in Frankreich gebo ren," wenigstens hatte er daS zu Giuseppe gesagt. „Wie alt?" Ueber diesen Punkt konnte der Diener keine genaue Auskunft geben, glaubte aber, daß er nicht gar viel über dreißig Jahre gezählt haben könne. „Wie lange standen Sie in seinen Diensten?" „Vor neun Jahren trat ich in Florenz in Herrn L'Echelles Dienste." „War er ein gütiger Herr?" Giuseppe faltete die Hände und ferne Lippen bebten. „Ter beste der Herren. Heiliger Sankt Giuseppe! freigibig und großmütig. O, meine Herren, ich werde niemals wieder eine solche Stelle finden." Gresham putzte seine Brille, ganz gerührt von dem ausricht,gen Kummer des treuen Dieners. Wer die That begangen haben könnte, davon hatte Giuseppe nicht die leiseste Ahnung. Feinde hatte der Tote nicht, er war gut und edel ge wesen — er kannte kaum die Bedeutung des Wortes „Feind". Andere Ursachen des Mordes konnte Giuseppe auch nicht annehmen. Sein Herr war, so viel ihm bekannt, kein reicher Mann. Seine Uhr war wertvoll, auch trug er in der Tasche ein Portefeuille mit Gold und Juwelen, Familienandenken, aber außerdem nichts, was zu einem Verbrechen hätte reizen können. Die weitere Untersuchung ergab, daß die Uhr nebst Kette von gediegenem Golde fehlte, ebenso die Brieftasche. Der Kriminal-Beamte machte ein ernstes Gesicht. „Glauben Sie, daß das Taschenbuch Geld genug enthielt, um einen Dieb in Versuchung zu sichren, dessentwillen den Besitzer zu er morden ?" „Ich weiß es nicht. Herr L'Echelle zahlte immer fürstlich, für reich habe ich ihn aber nie gehalten. Möglich ist es indessen, denn mein Herr war ein Mann, der nicht mit seinen Schätzen prahlte." Ueber die Familie und die freundschaftlichen Beziehungen seines Herrn wußte Giuseppe nur wenig auSzusagen. Seit er sich in besten Diensten befunden, sei er beständig auf Reisen gewesen, habe aber mit niemand in Briefwechsel gestanden. Schließlich wurde der Zeuge entlassen, und nahm weinend seinen Platz neben der Leiche seines Herrn wieder ein. Hierauf wurde Ida Chaloner vernommen. Sie leistete den vorgeschriebenen Eid und sah sich ruhig im Kreise um. „Wie heißen Sie?" fragte der Untersuchungs richter. „Ida Chaloner." „Wie alt find Sie?" „Ich wurde zehn Jahr« im verflossenen 3utt „Wo ist Ihr Domizil?" „Ueberall, augenblicklich in HoliSforde Hotel vor einem Monat in Paris." „Kannten Sie den Verstorbenen? Ida nickte, indem ste einen Blick des AbscheaeS nach dem Sofa warf. „Wie heißt er?" „Ich weiß es nicht 3ch nannte ihn Monstemc Pierre." „Wie lange haben Sie ihn gekannt?" „O, sehr lange," sagte das Kind, die Hand gegen die Stirn pressend, als suche eS etwas in sein Gedächtnis zurückzurufen. „Ich habe ihn gekannt, so lange ich mich zu erinnern weiß." „Liebten Sie ihn?" „Nein," sagte Ida freimütig, und blickte de« Beamten voll in das Gesicht, „ich haßte ihn." „Die Signorina sollte so etwas nicht sagent" rief Giuseppe aufspringend. „Schweig, Giuseppe," sagte Ida verächtlich.
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