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I' Dann drehte er sich noch einmal kurz nm: „Wer stiehlt, wird erschossen." Zwischen diesem Augenblick und dem, was gleich daraus folgte, lagen eigentlich nur Minuten. Erst später konnte ich mir die Sache zusammenreimen: Es waren nämlich nur zwei im Rauch erstickt. Zwei und nicht drei. Einer der Ge fangenen, schlauer als alle anderen, hatte das dumpfe,'monotone „Hier" nicht ausgesprochen. Als der Aufseher seinen Namen genannt, war er unbeweglich stehengeblieben, starrte wie eine Bildsäule, ohne sich zu regen. Niemand hatte die Möglichkeit einer solchen List gedacht und so war er in die Verlustliste ein getragen worden. Wieder klang die Stimme des Aufsehers. Die Unglücklichen wurden abgezä'hlt. Die, welche freigelassen wurden, traten links an, die andern, welche wegtransportiert werden sollten, rechts. Mit einer gewissen Hast wickelte sich alles ab. Man merkte: Man braucht Leute, Vir vor nichts zurück schrecken, um Hilse zu leisten. Im stillen aber wundere ich mich gleichwohl über das grenzen lose Vertrauen, über die eigentümlichen Psycho logischen Boraussetzungen des japanischen Ge nerals. Ein seltsames Volk! Immer leerer wird es ringsumher und plötzlich fällt mir einer auf, um den sich immer mehr die Schar seiner Kameraden lichtet. Die einen stehen rechts, die andern links. Noch drei scharen sich um den Aufseher, jetzt zwei, in diesem Augenblick schieben die Soldaten die schweren eisernen Tore auf, um die zu entlassen, welche bereits frei sind. Die letzten werden aufgerufen und der Gefängnis beamte dreht sich um: Den einen, der übrig- bleibt, übersieht er, und blitzschnell stiehlt sich dieser unter die, welche ent lassen werden. Ich habe es wohl bemerkt, aber mein innerstes Gefühl sträubt sich dagegen, ein Wort zn sprechen. Der Osfizicr an meiner Seite schlügt gegen den Säbel: ' „Halt!" Die Trompeten verschlingen sein Kommando. „Marsch vorwärts!" ruft jemand den Freigelassenen zu und wie eine Schar wilder Vögel fliehen sie hinaus zum Tor. Mit einer heftigen Geste wendet sich der Offizier jetzt um: „Kiusho ist entflohen! Habt ihr keine Augen? Kiusho, der dreifache Mi^ver, hat sich unter die Freigelassenen gestohlen!" Ein Signal und ein halbes Dutzend Soldaten stürzen da von, ihn zu verfolgen. Ich schließe mich ihnen an. Aber in dein Qualm und in dem Rauch, in der Verwirrung, in diesem Chaos von Schrecken, Alarm und unbeschreiblicher Panik werde ich von den Sol daten getrennt. Ich eile weiter, über halbvcrkohlte Trümmer, über Leichen, dem Zentrum der Stadt zu, die wie ein brennen der Ofen vor mir liegt. Vor mir rennt ein Mensch, den ich erst gar nicht beachtete. Zum Ädichun des Ms. Flugzeuges der Iagdslajscl Richthosru. Leutnant Wolff, der jetzige kühne Führer der Jagdstaffel Richtbofen, die bisher Flugzeuge abgefLysieu Hane, davon erbeutete sie!2I Flug' zeuge und 196 Msschinengewehlr. Jetzt füllt die Glut auf seinen karierten Anzug. Blitzschnell zuckt's mir durch den Kopf: „Das ist Kiusho!" Er war es! Ich hatte mir sein Gesicht genau gemerkt. Aber meine Aufmerksamkeit wurde schon wieder abgclenkt. Dorr vorne steht eine Gruppe von Mannern. „Obacht!" Das gilt meinem Vordermann. Dann: „Wir können nicht beikommen!" Sie stehen ratlos. Ein dritter meint: „Tie Mauer stürzt jeden Augenblick ein." Und nun höre ich einen irren Schrei, den eine kleine, schöne Frau mit pechschwarzem Haar ausstößt. „Mein Kind, mein Kind dort unten!" Und sie wirst sich auf die Knie nieder und preßt die Lippen in den Staub, dabei ruft sie un aufhörlich irgendeinen Namen, den ich nicht verstehen kann. Für einen Augenblick tritt atemlose Stille ein. Es ist, als habe selbst das Schicksal Erbarmen, denn auch unten in der Stadt wird es für einige Sekunden ruhig und man hörte deutlich ein schwaches Sümmchen aus der Tiefe. Die Frau springt aus wie eine Rasende. Vor mir liegt ein Trümmerhaufen, verkohlt, da und dort noch von Glut durchzogen. Aus der Tiefe steigt Qualm und Rauch. Die kleinen Japaner, welche umherstehen, springen ! zurück. Es steht noch eine einzige Mauer, ! aber die Steine bröckeln ab und jede Sekunde ! muß man gewärtig sein, daß sie einstürzt. Gerade unter der Stelle aber, wohin die schweren Steine fallen, ist dos Kind. Ich zische ein paar Worte zwischen den Zähnen hervor. Mitleidige Stimmen reden mir ab. „Es liegt zwei Stockwerke in der Tiefe!" „In der^Tat — alles Weitere wäre Wahn sinn! Die Mauer muß fallen! Ich wage kaum, diese unglückliche Mutter anzusehen, die die Sekunden zählen kann, da ihr Kind dem sichern Tod geweiht ist." Da lacht jemand neben mir. „Die Mauer!" brüllen die kleinen Japaner. Ich höre, wie ein Mann im kariertem Kleid — es ist Kiusho — sagt: „Vielleicht glückt es, beim Buddha! Schließ lich ist es ja ganz egal — aber so ein Kind, na ja, so ein Kind ..." Mit einem Sprung ist er im Kamin, der aus dem Schutthaufen heraussteht. Atemlos lauscht alles. Sein elastischer Körper ver schwindet. „Eine Schaufel!" schreit er aus der Tiefe. Einer springt hinzu und reicht ihm das Ver langte hinab. Und damit gräbt er sich weiter hinein in den dunklen Schacht. Nie habe ich schrecklichere Minuten verlebt. War es die Sorge um den Unglücklichen, um diesen dreifachen Mörder, der eines kleinen, schon verloren gegebenen Kindes wegen sein Leben beiseite schleuderte? Fünf Minuten vergehen . . . die Blicke der Männer haften wie fasziniert an der Mauer . . . noch hält sie . . . die Mutter ringt stumm die Hände ... endlich ... ein Köpfchen, schwarze Haare über den schmal geschlitzten Augen . . . braune Ännchen . . . Sie stürzt hin . . . reißt das Kind an sich, springt davon . . . Ich atme auf. Nein! Der Mann darf nicht gefaßt werden! Mag er ein dreifacher Mörder sein — in diesem Unglücklichen wohnt eine große, erbarmungsreicke Seele! „Die Mauer! Die Maner!" schreien die Männer neben mir. Instinktiv springe ich zurück, ein entsetzlicher Krach — Staub und rollendes Gestein zu meinen Füßen Erst sehe ich nichts als eine dicke Staubwolke. Dann kämpfte ich mich mit den andern durch Zur Einnahme von Riga. Dit Hauptstadt der russticken Souvernements Livland. Riga, eine Grogstabl von weil über einer Biertel- millirn Einwohnern (4S Prozent davon sind DenNÄei. ist in deutscher Hand. Riga ist infolge seiner Lage am Rigaischen Meerbusen, an der Mindang del Tuna und an einer ocr wichtigsten Sisenbahnlinien, miMLrijch und wirtschaftlich von ganz besonderer Bedeutung. Der Übergang unserer tapferen Truppen unter idrer vorzüglichen Führung über die Dtipa, erloigre bei NerNij! und war unter ollen Umstünden ein schwieriger technischer Unternehmen. Ls war nur von Südosten her möglich, da vom Westen her her weite Tirnliumpj die Stadt gegen jeden grcheren Angriff deckrc. Las untere Bild veranschaulicht eine Tetlansicht Riga» »om Kat aus gesehen.