Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 21.11.1917
- Erscheinungsdatum
- 1917-11-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191711213
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19171121
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19171121
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1917
-
Monat
1917-11
- Tag 1917-11-21
-
Monat
1917-11
-
Jahr
1917
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 21.11.1917
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Vas Zuge cler Lcklacbt. Wer ist daZ Auge der Schlacht? Noch nicht lang ist's her, da war es der Feldherr. König und Heerführer mit glänzendem Stab hielten auf scharrenden Rossen auf der Höhe, sahen zu ihren Füßen das gewaltige Schau spiel sich abrollen. Als Feldmarschall Graf Schlieffen im ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts den modernen Feldherrn als einen Rechner und Denker am Kartentisch in irgendeinem, dem Feuer meilenweit entiernten Schloß skizzierte, als ein abgeschieden hausendes Gehirn, das von tausend Telegraphendrähten und im Auto heraneilenden Generalstabsoifizieren gespeist wird, da glaubte man selbst in militäri schen Kreisen lächeln zu dürfen. Und heute? Der Feldherr ist unsichtbar geworden, nur zu feierlichen Anlässen begeht er die Truppen. Am Schreibtisch sitzt er, statt des Feldstechers, das Telephon in der Hand, und trotzt dem Ansturm der aus der Leidenschaftlichkeit des Kampfes geborenen Meldungen, die in wechselnder Ge stalt, bald als atemloser Läufer, bald als galoppierender Reiter, als flatternde Brieftaube, als feuerdurchirrender Meldehund, als Film aus der Dunkelkammer, als Blinkwelle, als sausender Flieger, als ratternder Motorfahrer, als elek trischer Strom durch Drähte und durch die freie Luft, ihn, den Mittelpunkt erreichen. — Wer ist das Auge der Schlacht? Der Infanterist? Ach, ihm ist die Welt ein Trichter, ein zerhackter Baumstumpf, ein Beet von zerfetztem Drahtverhau, bevölkert von zwei Wesen, das ist er selbst und der Tod. Viel leicht der Scharsschütze dort in der Höhen stellung? Frage ihn nach dem nächsten Dorf, er wirb antworten, das ist das mit dem abge brannten Schulhaus. Er weiß nur, daß er^in Flandern und vor einem schottischen Negunent liegt. Aber in dem siebenhundert Meter brcncu Streifen, den sein Maschinengewehr zu ' streichen hat, sieht er jedes Mäuschen laute Der Artilleriebeobachter, dessen Scheren cui- rohr am Rand der hochgelegenen Straße empor- ragt, er sieht doch die Schlacht? Gewiß. Er zeigt dir ein graues, dunstiges Etwas, murmelt von den Trümmern der Tuchhalle in Ipern, deutet auf einen meilenfern glitzernden Kiesel — und behauptet, das sei der Zillebeker See. Fragst du ihn, was unsere Infanterie macht, zuckt er mit den Achseln und brummt etwas von „Schweinerei,- Rauch und Feuer; Leuchtkugeln, Gewehrseuer!" Wie groß aber ist erst deine Verblüffung, wenn du den gelandeten Flieger ansprichst und von ihm Offenbarungen erwartest. „Enormer Verkehr im Planquadrat, 4224 b 2", schimpft der Flieger, „weiße Tücher in der Winter stellung vor Poelkapelle ausgelegt, Engländer ist also nicht weit vorgekommen, unsere braven Infanteristen haben mir zugewinkt." Natürlich, er hat seinen Gefechtsaustlag erfüllt, im übrigen brauchte er beide Augen, um sich durch die Flakwolken, die himmlischen Regenwolken und die feindlichen Jagdflugzeuge durchzuschlängeln. — Wo ist das Auge der Schlacht ? Das allsehende, allübersehende Auge? Dort hinter dem Walde schwankt, von einem Dutzend Soldatensäusten gehalten, der Fessel ballon. Du kletterst in den Korb, schlingst mit befremdlichen Gefühlen den Fallschirm rings um dis Brust und fährst hoch. Wütende Anfälle von Seekrankheit werden mutig unterdrückt. 1000 Meier zeigt der Höhenmesser. Zaghaft lugst du über den Korbrand, Gott sei gelobt, die Erde ist noch da. Nun wirf den Blick weit hinaus über das Schlachtfeld. Silberne Straßen schimmern zwischen Apern, Meenen, Nousselare und Langemark. Der Troß zweier Heere, Kampswerkzeug und Proviant für Hundert- tausende kriecht wie Ameisenkarawanen heran. Lokomotiven, winzig wie Kinderspiel zeuge, schnaufen durch das bräunliche Land. Dein Blick durchbohrt den zarten Dunst, der, den flandrischen Sümpfen entquollen, die Kampf zone überschleiert. Die Artillerien, das Werk aus Tausenden von Fabriken der reichsten Länder, sind in voller Arbeit. Wie ein Streußelkuchen schaut die Kampsstütte aus, oder wie ein Wagen schlag, der sich auf der regnerischen Landstraße mit Kot bespritzt. Du guckst dem Engländer in den Kochtopf. Da ein Batterienest, aus dem Feuerschlangen zucken. Da ein Lastkraftwagen. Da eine schwarze Kolonne marschierender Sol daten. Die ganze engliiche Angriffsarmee wimmelt dir zu Füßen. ' Wahrlich, der Fessel ballon ist das Auge der Schlacht. Das Auge aber hat Brauen, buschige finstere Brauen, die sich in Gestalt himmlischer Wolken über deinen Häupten zusammenziehcn. Aus passen! schreit der Beobachter. Du hörst ganz dicht wütendes Gebell von Maschinengewehren und siehst einen deutschen Flieger, von drei Engländern, die sich hinter der Wolke ange schlichen haben, verfolgt, abstreichen. Der Beob achter zerrt am Telephon, ruft etwas von „Ein holen, Fliegergesahr" hinein und winkt dir heftig zu, du sollst dich wie er, auf den Korb rand setzen. Unter dir, auf der Erde, geht ein wildes Knattern los. Die Bedeckungsgewehre feuern auf den einen Engländer, der den Ballon, mit Brandgeichossen spritzend, umkreist. Jetzt schießt auch unser Flak mit weißschimmernden Kugeln nach dem Feind. Ist der Fesselballon wirklich daS Auge der Schlacht? Nein. Er sieht ins Große, doch er übersieht das Kleine. Ungesehen bleibt das heldenmütige Häuflein, das zum letztenmal um den letzten Betonunterstand gegen die wütenden Australier sich schart, ungesehen der lichte Schützenschleier, der über Trichter und Leichen dem Bedrohten zu Hilse springt. Wer ist es dann? Jeder deutsche Soldat mit zwei offenen Augen und tapferen Herzens, der seinem Führer Mel dung macht, all die Hundert tau send,die das tun in den schreck lichsten Augenblicken zwischen Leben und Tod, die bilden das Auge der Schlacht. Der russische Mdensvorschlag. Aufruf an alle Kriegführenden. Unmittelbar nach dem Bekanntwerden des neuen Umsturzes in Petersburg tauchten allent halben Gerüchte auf von einem Friedens- und Waffenstillstandsangebot, das Rußland an Deutschland gerichtet hat. Nunmehr gibt die neue Petersburger — nicht russische — Re gierung das Programm, das sich an alle Krieg führenden wendet, bekannt. Es heißt darin u. a.: Der Kongreß der Arbeiter- und Soldaten räte hat die Bedingungen sür einen Friedens- Vorschlag angenommen. Er erklärt: Die durch die Revolution vom 6. und 7. November ge schaffene Regierung der Arbeiter und Bauern, die sich auf den A.» und S.-Rat stützt, schlägt allen Regierungen der Kriegführenden vor, als bald Besprechungen über einen gerechten demo kratischen Frieden zu beginnen. Die Regierung ist der Ansicht, daß ein gerechter demokratischer Frieden, der von der Mehrheit der Arbeiter klassen aller kriegführenden Länder erstrebt wird, die durch den Krieg erschöpft und ruiniert sind, ein Frieden, den die russischen Arbeiter und Bauern nach dem Sturze der Monarchie forderten, ein sofortiger Frieden ohne Annexionen, d. h. ohne widerrechtliche Aneignung fremden Gebietes und ohne gewaltsame Eroberung fremder Nationalitäten, und ein Frieden ohne Kontri butionen sein muß. Die russische Regierung schlägt allen Kriegführenden vor, sogleich einen solchen Frieden zu schließen und sich bereit zu erklären, unverzüglich alle energischen Schritte zur endgültigen Billigung aller Bedingungen dieses Friedens durch die Bevollmächtigten aller Länder und aller Nationen zu tun. Gleichzeitig erklärt die Regierung, daß die erwähnten Bedingungen nicht als endgültig be trachtet werden sollen, das heißt, die Regierung ist damit einverstanden, alle anderen Friedens bedingungen zu prüfen, wobei sie nur darauf besteht, daß diese Bedingungen so bald wie möglich von jedem Kriegführenden vorgelegt werden, und daß diese Bedingungen durchaus klar ohne die geringste Zweideutigkeit und ohne jeden geheimen Charakter seien. Indem die Regierung alle Völker einlädt, sogleich Friedensvorverhandlungen zu beginnen, erklärt sie sich ihrerseits bereit, diese Vorver handlungen durch ichriNliche oder tclearaphi'ch- Mitteilungen sowie durch Besprechungen zwischen Vertretern der verschiedenen Länder oder durch Konferenzen aus den genannten Vertretern zu verwirklichen. ^Um diese Vorverhandlungen zu erleichtern, wnd die Negierung Bevollmächtigte in den neutralen Ländern ernennen. Die Regierung schlägt den Regierungen aller kriegführenden Länder vor, sogleich einen Waffenstillstand zu schließen; sie glaubt ihrer seits, daß dieser Waffenstillstand für drei Monate geschlossen werden muß, welche Zeit genügen würde, um die Verhandlungen zu einem guten Ende zu führen. Sie schlägt ferner vor, daß Vertreter aller Nationalitäten oder Nationen, dis in den.Krieg hineingezogen sind, oder ihn über sich ergehen lassen mußten, an den Friedensbesprechungen teilnehmen und daß eine Konferenz aus Vertretern aller Nationen der Welt zur endgültigen Billigung der aus gearbeiteten Friedensbedingungen zusammen berufen werde. Indem die vorläufige Regierung der russischen Arbeiter und Bauern diese Friedensvorschläge den Regierungen aller kriegführenden Länder macht, wendet sie sich insbesondere an die Arbeiter der drei zivilisiertesten und am tätigsten am gegenwärtigen Kriege teilnehmenden Nationen, nämlich Englands, Frankreichs und Deutsch lands. Die Arbeiter dieser drei Länder haben t der Sache des Fortschritts und des Sozialismus ! die größten Dienste erwiesen, nämlich durch Ein- s richtung der Charten in England, die großen i Revolutionen des französischen Proletariats und den heldenhaften Kampf der deutschen Arbeiter für ihre Organisation. Alle diese Beispiele geben die Gewähr, daß die Arbeiter dieser Länder die Probleme begreifen, die sich vor! ihnen erheben, Probleme der Befreiung der Menschheit von den Schrecken des Krieges, und daß diese Arbeiter durch ihre mächtige Tatkraft voller Selbstverleugnung uns helfen werden, das Werk des Friedens zu Ende zu bringen und alle Arbeiterklassen von Ausbeutung zu befreien. Zu diesem Friedensvorschlag sind vorläufig nur ein paar allgemeine Bemerkungen zu machen. Die Negierung der Maximalisten mag von den höchsten Idealen und vom besten Willen beseelt sein; aber es ist doch zurzeit noch fraglich, ob sie genügend Macht hat, und ob sie ihre tat sächliche Macht behält. Es muß betont werden, daß Rußland — in wirtschaftlicher, sozialer und politischer Auslösung begriffen — zurzeit eigent lich keine verhandlungsfähige Regierung hat. Bei unseren Feinden hat der Friedensvor schlag der gegenwärtigen Petersburger Machthaber Helle Wutausbrüche hervorgerufen. Insbesondere verlangt die Pariser Presse, daß die Entente die russischen Friedensbestrebungen mit allen Mitteln verhindern solle. Und der Pariser .Temps' schreibt sogar, daß die „Maximalistenbande" im Bunde mit Osterreich-Ungarn und Deutschland handele. Man tut also gut, an das zeitgeschicht liche Dokument nicht allzu große Erwartungen zu knüpfen. potitil'cke kun^kkau. Deutschland. * Die halbamtliche .Norddeutsche Allgemeine Zeitung' knüpft an die Mitteilung der Er nennung v. Payers zum Vizekanzler folgende Betrachtungen: Durch die mit dem Eintritt der Herren Dr. Friedberg und v. Payer in die ihnen verliehenen Ämter vollendete Neu besetzung der höchsten Regierungsstellen ist nun mehr die enge Verbindung zwischen Regierung und Volksvertretung im Reich und in Preußen sinnfällig in die Er scheinung getreten. Die Bedeuiung dieses Zieles war es, die in erster Reihe die beiden Parteiführer veranlaßte, die schwere Verant wortung auf sich zu nehmen, die mit ihren neuen Stellungen verknüpft ist. Sie trugen damit das Ihre dazu bei, daß der Weg, den der Deutsche Kaiser am 4. August 1914 eingeschlagen hat und in all seinen späteren Kundgebungen zielbewußt verfolgte, weiter beschritten wird. Indem so die Einheit des deutschen Volkes nicht bloß tatsäch lich gewährleistet, sondern auch der ganzen Welt vor Augen geführt wird, ist die Grundlage ge sichert, auf der die siegreiche Beendigung des Krieges erfolgen muß. Unser Volk wird die dadurch bewirkte innere Stärkung der Lage sicherlich mit Dank gegen den Kaiser begrüßen und in seiner Haltung den festen Willen be tätigen, unter Zurückstellung alles Trennenden in gemeinsamer Hingebung den Kampf um die Zukunft von Kaiser und Reich durchzusühren. *Wie von sozialdemokratischer Seite ver lautet, ist die Berufung des neuen bayeri schen Ministerpräsidenten v. Dandl erst erfolgt, nachdem die Parteien des Landtags davon verständigt und darüber befragt worden sind. Die Berufung hat bei keiner Partei Widerstand gefunden. Frankreich. * Für den großen Kriegs rat der Entente, der am 19. d. Mts. in Versailles stattfindet, sind umfassende Vorbereitungen ge troffen worben. Es werden Vertreter der fran zösischen, englischen, italienischen und ameri kanischen Admiralität daran teilnehmen. Auch maßgebende Politiker sollen im Rate Sitz und Stimme haben. Alle Parteien halten Sitzungen ab, die sich mit der Konferenz befassen. *Der Matin' bespricht einen vom Erzbischof von Lyon an die Geistlichkeit gerichteten Hirtenbrief, worin der Erzbischof erklärt, daß die Friedensnote des Papstes für Frank reich sehr günstig gewesen sei. Der ,Matin' bringt diese erzbischöfliche Kundgebung in Zu sammenhang mit der vom Papst ergangenen Einladung au die französischen Bischöfe, nach Rom zu kommen und glaubt, daß eine neue Friedensaktion des Papstes bevor stehe. Holland. * Wie die englische, so wird auch die hol ländische Regierung ein Weißbuch über die Sand- und Kiesdurchfuhrfrage ein Weißbuch veröffentlichen. Ferner wird sie ein Orangebuch über die Zulassung von be waffneten Handelssahrzeugen in den niederlän dischen Territorialgewässern veröffentlichen. * Da es in der letzten Zeit vorgekommen ist, daß Privatpersonen sür das Herunter schießen zu einer der kriegführenden Mächte gehörenden Flugzeugen oder Luft schiffen, die sich über niederländisches Gebiet bewegten, den Soldaten Belohnungen gaben, hat der Kriegsminister die Armee aufgesordert, derartige Belohnungen nicht anzunehmen, da sie einen feindseligen Charakter gegenüber der Macht, deren Flugzeug oder Luftschiff herunter- geschossen wurde, trügen. Er hat gleichzeitig den Kommandanten befohlen, ihre Vermittlung bei der Überreichung derartiger Belohnungen zu ver weigern. Rußland. * Aus den widerspruchsvollen Nachrichten, die auS Rußland kommen, läßt sich kein klares Bild der Lage gewinnen. Es erscheint nun sicher, daß die Anhänger Lenins und Kerenskis in den großen Städten im er bitterten Kampfe stehen. Es dürste verfrüht sein, den Meldungen der Maximalisten, daß sie alle Macht in Händen haben, Glauben zn schenken, wie es voreilig wäre, den französischen wie englischen Meldungen aus dem Lager Kerenskis zu glauben, wonach der maximalistifche Aufstand niedergeschlagen sei. Amerika. *Die amerikanische Gesandtschaft im Haag erklärt, die Der. Staaten werden an der Pariser Konferenz teilnehmen, um den Beratungen beizuwohnen über die Anstrengungen zu möglichst ersolreicher Kriegführung und zwar nicht nur zu Lande und zu Wasser, sondern auch in finanziellen, kommerziellen, wirtschaft lichen und sonstigen wichtigen Fragen. Hoffent lich werden sich Zusammenstöße der Interessen der Teilnehmer vermeiden lassen, und davon wird die Folge eine viel kräftigere und wirk samere Fortsetzung des Krieges sein. Amerika möchte seine Hilfsquellen an Menschen und Material möglichst nützlich gegen Deutschland gebrauchen. Wie das geschieht, ist nicht leicht festzusetzen. Amerikas Hilfsquellen sind groß, aber nicht unerschöpflich. Oas Rätsel feiner 6ke. 17s Ramon von Ludwig Hasse. (Fortfehungv „Eine Spielratte war er eigentlich nicht," sagte Rittmeister Leggien, „solange ich ihn kenne; über der Teufel kann auch einmal in die un schuldigste Seele fahren und dann ist es um so schlimmer. Seine heimlichen Reisen nach Berlin deuten darauf hin, daß ec dort heimliche Ge schäfte trieb. — Entweder ist er in Wucherhände geraten, oder eine Ehrenschuld drückt ihn, die er nun bezahlen muß." Mit diesem Schluß gab man sich zu frieden. Akan ließ Alexander, der vorher ja schon nicht beliebt gewesen war, vollständig fallen. Man munkelte auch von einem un- staudssgemäßen LiebeShaudel, und als Frau von Leggien die Geschichte von der Dame in Meran erzählte, die man nachher in der Gesell schaft des Fürsten Kolowitz wieder gesehen, da war das Urteil fertig. Graf Gollenberg hatte sich in die Netze einer Hochstaplerin verstrickt, er hatte sich „verplempert" und konnte nun nicht mehr los kommen. Er war sür die Gesellschaft, sür die Welt verloren. * Es kamen verschiedene Kauflustige nach Ein- kdt, oder vielleicht auch nur wiche, die die Neugierde dorthin trieb. Es hatte sich ein förmlicher Sagenkreis um diesen seltsamen Ver kauf gebildet, welcher die Neugierde reizte, das Besitztum zu seben, welches in der ganzen Um hegend al» Musterwirtschaft geschildert wurde. Inspektor Petersen führte die Kauflustigen umher, mürrisch und einsilbig, er tat nicht mehr, als seine Pflicht ihm gebot, und wenn einer der Kauflustigen an dem Kaufpreis oder der Anzahlung von 200 000 Mark mäkelte, dann wurde er grob und unterhandelte überhaupt nicht weiter. Am verdrießlichsten war «Z, wenn er die Kauflustigen in dem Schloß herum führen mußte. Wie sie dann alles mit kritischen und neugierigen Augen betrachteten! Die große Jagdhalle und den alten Rittersaal; die Salons und das Arbeitszimmer des Grafen, die Schlaf zimmer und die vielen Fremdenzimmer, die Waffen, Bilder und Jagdtrophäen, die alten Truhen und geschnitzten Schränke! Oft fragte man auch, ob dis Sachen nicht einzeln verkauft würden. Dieser hätte gern eine Truhe aus dem 15. Jahrhundert erstanden, jener einen schönen Schrank, ein anderer wieder alte Waffen oder Bilder. Es war wie auf einer Auktion, und als ob der Graf verkaufen mußte. Dann ärgerte sich der alle Petersen und fuhr die Leute an, ob sie glaubten, sie befänden sich hier in einem Trödlerladen, wo man sich die Sachen nach Belieben aussuchen könne. Alles oder nichts. Und wer das Geld nicht hätte, um alles zu kaufen, möge sonstwo hingehen. Die Leute knurrten über den alten Grobian und fuhren unverrichteter Sache wieder ab, um nicht wieder zu kommen. Auch der Königsberger Kornhändlcr, der vor zwei Jahren den Grafen beinah zum Verkauf aerwunaen halte, erschien wieder, aber Petersen war so kurz angebunden mit ihm, daß er schleunigst wieder davon fuhr. Einige wollten sich an den Grasen selbst wenden, aber niemand wußte seine Adresse und Petersen hütete sich wohl, diese zu verraten. Er hatte noch immer die geheime Hoffnung, daß sich der Graf anders besinnen würde. Eines Tages — man befand sich schon im Monat Mai und der Park prangte in herr lichstem, frischestem Grün — fuhr ein eleganter Mietwagen auf den Hof. Der Diener, der neben dem Kutscher auf dem Bock saß, sprang herunter und öffnete die Wagentür. Ein alter, weißbärtiger, aristokratisch ausschauender Herr und ein jüngerer Herr stiegen aus. Der letztere bezeigte dem alten Herrn großen Respekt; er schien ein Untergebener des alten Herrn zu sein. Inspektor Petersen, der gerade vom Felde kam, stieg von seinem Pferde und näherte sich langsam den Fremden. „Mein Name ist Petersen, Inspektor," stellte er sich vor. „Was wünschen die Herren?" Der alte Herr betrachtete ihn mit lächelnder Miene. „Also Sir sind Inspektor Petersen?" fragte er. „Allerdings . . ." „Und sind schon lange auf Einödt?" „Uber 30 Jahre, mein Herr." „Man hat mir von Ihnen erzählt, daß Sie sehr kurz angebunden sein sollen." „Das kommt drauf an, wie man mir be gegnet," brummte Petersen, der den alten Herrn von der Seite awah. „Aber mit wem habe ich da» Vergnügen?" Er war höflicher als gewöhnlich. Dieser alte Herr imponierte ihm,; er erkannte in ihm den geborenen Herrn. „Auf meinen Namen kommt nichts an." ent gegnete der Fremde. „Wenn ich mich ent schließe, Einödt zu kaufen, wird der Kauf hier durch diesen Herrn — Direktor Preßler — ab geschlossen." „Also Sie wollen Einödt kaufen? Die Be dingungen ..." „Kenne ich und bin damit einverstanden, wenn mir das Schloß gefällt. Zeigen Sie mir das Schloß und den Park, nachher können Sie mit Direktor Preßler die Wirtschaftsgebäude und die Felder besichtigen." Der alte Herr hatte eine Art und Weise zu bestimmen, daß Pesersen keine Widerrede wagte. Er führte die Fremden durch den Park und das Schloß. „Der Park ist sehr schön, müßte aber besser s gehalten sein," sagte der alte Herr kurz. „Der Herr Graf legte in den letzten Jahren keinen Wert darauf." „Wohl der Ersparnis halber?" Petersen errötete. Er fühlte sich geniert diesem Herrn gegenüber, der so kühl und vor nehm sprach und alles mit gleichgültigem Blick betrachtete, was andere Käufer in Erstaunen gesetzt hatte. Uber die Einrichtung de? Schlosses verlor er kein Wort. Nur im Rittersaal blieb ec länger stehen und betrachtete die dunklen Ahnen bilder. „Sind das alle» Vorfahren des Grasen?" fragt» er dann.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)