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ganzes Leben vorüber. Er erinnerte sich seiner Kindheit, die er mit^Zigeunern von Land zu Land wandernd verbracht, wie er als Jüng ling rastlos und ruhelos die halbe Welt durch irrt hatte! Von Eltern, von Heimat hatte er nie etwas empfunden. Der dunkle Wald vielleicht sah ihn geboren werden, die Sonne, die auf alle scheint, sie ließ ihn reifen und der Wind, der ruhelos die Welt umkreist, hatte ihm die Seele eingehaucht. Aber jetzt, jetzt empfand er doch die Be leidigung; seine wilde Natur, die nur in das enge Kleidchen der Sitte gezwängt war, kam zum Ausbruch' Mit einem Faustschlag streckte er den Be leidiger zu Bode--' Entsetzt stob die Gesell schaft auseinander, die Verlobte war einer Ohnmacht nahe. Nur eine- bewahrte eine zynische Ruhe — der alte Mühlingk. Lächeln den Antlitzes bat er die Gesellschaft, wieder Platz zu nehmen und als dies geschehen, ver ließ er den Saal. Ihm folgte auf dem Fuß. von einem Diener aufgefordert, Janos. In einem Nebenfaale standen sich die Beiden gegenüber. „Die Konsequenz für Sie liegt nahe. Ich bedauere, Ihre Bekanntschaft gemocht zu haben", mit diesen Worten war Janos empfangen und verabschiedet. Janos brummte noch etwas von „verfluchter Schwob", dann aber warf er die Türe zu und -ntfernt« sich. Unten angekommen, traf er auf den alten Gerhart, den Verwalter des Hauses, der, wie das ganze Personal, den Zigeuner ob seiner Güte und Freigebigkeit liebte. Tränenden Auges versicherte dieser Janos seiner fort dauernden Freundschaft und bat ihn, recht oft zu schreiben. Janos versprach's und ging! Monate sind seitdem vergangen. In einem Eisenbahnwagen sitzt zusammengekauert, im Dämmerlicht, das die schwach leuchtende Öl lampe verbreitet, eine Gestalt, deren glanzlose Augen ^n die schwarze Nacht Hinausstarren, es ist — Janos. Von rasendem Liebesschmerz gepackt, ist er im Begriffe in seine Heimat — die die Liebe ihm geschaffen —- zurückzukehren. „Kehren Sie zurück, sonst ist es zu spät! Er hat um Hedwigs Hand angehalten", so hatte ihm Gerhart geschrieben. Krampfhaft umklammern Janos Finger den Brief. Der Verfluchte, sein Beleidiger! Vielleicht ist es schon zu spät, vielleicht triumphiert er schon!? Eine surchtbare Angst packt Janos, er ver wünscht die Bahn, die ihm wie eine Schnecke zu kriechen dünkt, er flucht, er betet, er singt — er nimmt die Fidel zur Hand — umsonst, das grausame Spiel erneuert sich, verdoppelt sich — da ein Ruck, die Waggontüre wird aufgeriffen. „Station N., alles aussteigen." Janos ist am Ziele. Wie wenn Furien ihn trieben, so eilt Janos durch die bekannten« Straßen, schon sieht er in der Ferne den Park, das Haus der Mühlingks. Eben will er um eine Ecke biegen, da steht er dem alten Gerhart gegenüber. „Zu spät! Janos zu spät!" stammelt der Alte. „Zu spät!?" ruft Janos. Er ruft es? Nein, es ist, als ob die Wände es wieder holten, als ob der Wind pfeifend es zurück gab, als ob Hunderte von Teufeln es höhnisch heulten! Gerhart fängt Janos in seinen Armen auf — hilflos ist der Zigeuner umgesunken. Dann aber richtet sich seine Gestalt kraftvoll auf, seine Augen sprühen Feuer — im letzten Anlauf. „Um des Himmelswillen, Sie haben etwas Schlimmes vor", stammelte Gerhart. „Nein, Gerhart! Janos will spielen, spielen, ein Ständchen für die Braut." Gerhart verbirgt einen Tränenstrom, stumm reicht er dem Zigeuner die Hand. Sie gehen in den Park vor dem Hause der Mühlingks. Gerhart bleibt etwas zurück. Im oberen Stockwerk, dem Wohnsitz der Neuvermählten, brennt noch Licht. Vielleicht ruht das Brautpaar im trauten Gespräche von den Aufregungen des Tages aus? Da. was ist das? Leise, leise klingen schmelzende Akkorde durch die Nacht, leise, wie wenn Engelschöre den heiligen Abend begrüßten. Dann immer stärker, klagender. Die Liebe, die Lust, die Trauer, der Wahn sinn — sie alle, alle scheinen die Gestalt von Tönen angenommen zu haben. Ein Fenster im oberen Stockwerk wird leise geöffnet und ein Kopf erscheint in der Öffnung. „Hedwig, so komm doch und höre die göttliche Musik.' Aber Hedwig, was ist Dir denn?..... Da plötzlich ein schriller Ton, grauenhaft, wie der Aufschrei eines zu Tode getroffenen Löwen — die Musik schweigt. Einen Moment Ruhe, dann kracht ein Schuß durch die Nacht, daß die Fenster klirren, die Vögel erschreckt aus ihren Nestern fliegen, daß der Wind durch die Wipfel heult. „Dacht ich mir es doch gleich, daß cs der Bettelmusikant ist: schaffen Sie das Aas fort", sprach der alte Mühlingk zu Gerhart, der mit einem Schrei über der Leiche des Zigeuners zusammcnbrach. Tiere aks Artisten. Bon Rolf Crucius. (Nachdruck verboten.) Das Bestreben des Menschen, gewissen Tieren Geschicklichkeiten oder sogar Kunstfertig keiten beizubringen, die im Grunde die Grenze ihrer angeborenen Fähigkeit übersteigen, ist keineswegs neuen Datums. Das graue Altertum bereits erzählt von „springenden" und sogar von „singenden" Hunden. Ein solcher wirkte wie Plutarch berichtet, in einer Pantomime mit und war so vorzüglich dressiert, daß er stets an einer bestimmten Stelle laut bellte. Wahr scheinlich das erste sicher verbürgte Beispiel, daß ein Tier auf der Schaubühne als Artist seine Fertigkeiten sehen und bewundern läßt. Über haupt war der Hund schon frühzeitig — und vielleicht nur er allein — Geganstand der Dressur seitens des Menschen. Die berühmte „Oxforder Handschrift" aus dem zehnten Jahr hundert enthält das Bildnis eines Minnesängers, der von seinem auf den Hinterbeinen stol zierenden Hunde begleitet ist. Das gesamte Mittelalter hindurch hält der Hund die Mensch heit durch seine Kunststücke in Staunen, bis ihm das Pferd einen Teil der Beliebtheit streitig macht. Zumal eines, namens Mauraco, das ein Neapolitaner vbgerichtet hatte, brachte es zu hohem Ruhme. Das schmucke, nicht eben große Tier, kniete nieder, legte sich hin und machte soviel Bogensprünge, wie sein Herr ihm auftrug. Einen Handschuh oder waS man ihm sonst reichte, trug Mauraco unfehlbar zu irgend einer Person, die ihm bezeichnet worden. Er sprang über Stock oder eine Anzahl von Reifen, die ihm hingehalten worden, und gefiel sich mit sichtlichemBehagenin allerhand komischen Streichen. So trr»g er seinem Herrn, der mit ihm ganz Europa bereiste, ein schönes Stück Geld ein. Als Pietro im Jahre 1664 nach Arles kam, war man über die Leistungen seines Rosses so erstaunt, daß das Gerücht aufstieg, hier sei Teufelskunst im Spiele. Vergebens beteuerte Pietro seine Unschuld; umsonst erbo» er sich, das Geheimnis seiner Drcssurmethodr bloßzulegen. Man lud ihn vor Gericht unk machte ihm den Prmeß wegen Hexerei. Kurz« Zeit daraus durfte swh die Stadt Arles einer mit Spannung erwarteten Schauspiels erfreue» Auf einem ihrer öffentlichen Plätze war ein mächtiger Scheiterhaufen errichtet; hier fanden Pietro und sein kluges Roß Mauraco den Flammentod. In dem Maße, wie sich die Wissenschaft mit der Tierseele und ihren Fähigkeiten be schäftigte, wurde auch der Mechanismus bloß gelegt, dessen sich der Dresseur bedient, um seinen Pfleglingen Kunststücke beizubringen. Zumal waren es zuerst französische Gelehrte, die auf diesem Gebiete wichtige Errungen schaften verzeichnen durften. Hachet-Souplet, dieser große Kenner der Tierseele, der für Zar Alexander HI. Jahre hindurch als Dresseur tätig war und erstaunliche Proben seiner Tätigkeit ablegte, behauptet, daß vor allem die Stimme das Werkzeug sei, dessen sich der Mensch zu bedienen habe, wofern er andere mehr oder weniger mit Instinkt begabte Ge schöpfe sich gefügig machen wolle. Man ap pelliert gewissermaßen an ihre Intelligenz, man sucht sie zu überreden. Auch der Aus druck des Gesichts, bei dem ja die Augen den Busschlag geben, ist und bleibt ein sehr wichtiges und wirksames Werkzeug für den Dresseur — zumeist jedoch die Stimme und in ihr der richtig angewandte, also dem jedesmaligen Moment angepaßte Tonfall. „Sie sollte", sagte er, „während der ganzen Lektion in Tä tigkeit sein und je nach Notwendigkeit eine vollständige Skala durchlaufen von fröhlicher Aufmunterung bis zu energischer, sonor tönender Strafpredigt. Hier muß sie schmeicheln, dort zürnen; wer sie so zu behandeln weiß, macht aus ihr ein unvergleichliches Werkzeug der Dressur." Ein Beispiel ans der Praxis mag diese Behauptung erhärten. In einem zoologi schen Garten zeigte sich die auffällige Erschei nung, daß derjenige, der mit dem Warten und Füttern der noch ungezähmten wilden Tiere betraut war, nicht die Gunst dieser besaß. Das gab umsomehr zu denken, als dieser Mann , als durchaus pflichttreu bekannt war. Ja, noch mehr: die Tiere haßten ihn geradezu und ließen keine Gelegenheit vorübsrgehen, dieser Gesinnung Ausdruck zu verleihen. Zu erst glaubte man, her Wärter reize die Tiere vielleicht insgeheim oder suche ihnen sonst Un gelegenheiten zu bereiten. Man beobachtete ihn also daraufhin; allein jeder Verdacht mußte schwinden gegenüber der geradezu pein lichen Sorgfalt und Pünktlichkeit, mit denen er seinem Amte nachkam. Endlich ward das Rätsel gelöst: der Betreffende, schweigsam von Natur und verschlossenen Charakters, sprach keine Silbe mit den Tieren. Das erzeugte einen solchen, stets Liefere Wurzeln schlagen den Groll bei den Bestien. Eine weitere Prsbt brachte den Beweis, daß man in dieser