Volltext Seite (XML)
Belehrung und Unterhaltung. Nr Dresden, den 4. November 1312. 85. Skizzen wcibl. Charaktere ans der Mittelzeit. (Schluß.) ^bare Martha im Punkte der Religion etwas aufge klärter gewesen und hatte ihres Beichtvaters Befehl weniger alS einen Befehl des Himmels verehrt, oder mit andern Worten: Hatte sie späterhin und unter an dern Verhältnissen gelebt, sie wäre höchst wahrscheinlich, bei ihren nicht gemeinen Geistesanlagen/ einS der gröss ten/ berühmtesten Weiber geworden- So aber wurde sie minder gekannt und minder berühmt, als sie es zu scyn verdiente. Denn leider! war Santolini einer von den Menschen, die sich alle Augenblicke widersprechen und selbst nicht wissen, was sie eigentlich wollen- Hierzu kam noch, dass den Greis daS Alter mürrisch und grillenhaft machte, und dass er auch immer auf sei nen Grillen bestand. Unter andern fiel cs ihm ein, der Aufenthalt in Rom sey Matthen nachtherlig- Er be fahl ihr daher, sogleich Rem zu verlassen, nach St- Sophia, seiner GeburtSstadt/ zu gehen und dort eine lateinische Schule anzulegcn. Die folgsame Martha ge-* horchte und reifete mit ihrem lungern Bruder, und zwar zu Fusse, dem bestimmten Orte zu- Unterwegs wurde ihr Bruder, dessen schwächlichen Körper die Beschwerlichkeiten der Wanderschaft zu sehr ongrissen, krank und blieb in Fulgina liegen. Martha sähe sich nun gcnöthigt, als Wärterin bei ihm zu ver weilen- Da aber die Krankheit sich in die Lange zog, und Matthen die Erreichung des ihr vorgesteckten ZiclS sehr am Herzen lag, vertraute sie, gezwungen, die Pflege 'hrcS kranken Bruders einem Andern an, und setzte ihre Anse einsam weiter fort. Allein in Lauretum erhielt sie einen Brief von dem lieben Pater, worin ihr angcdeu- tct wurde, nach Rom zurückzukehren. Auch Sic ge horchte abermals, und wir treffen sie wieder in der welt berühmten Stadt, wo sic sich bis an ihr Ende aufhielt. Um jene Zelt, in welcher unsre Martha ihre Aprit- reift gemacht halte, wülhete beinahe in ganz Italien, vorzüglich aber in Bologna, die Pest fürchterlich. Hier befand sich damals der Cardinal Bernardin Spada als päpstlicher Legat. Dieser verfasste einst, zu seiner Erhei terung, ein auf die traurigen Zeitumstände sich beziehen des Gedicht und überschickte dicß in einem ebenfalls la teinischen Briefe seinem Bruder Virginias Spada, ei nem Geistlichen des Klosters, in welchem der Beichtva ter der Marchini sich aufhielt. Virginius stand, wie er selbst sagte, bei den Musen eben nicht in großer Gunst, mochte auch wohl mit der lateinischen Sprache sich nie sehr viel zu schaffen gemacht haben. Daher bat er sei nen College» Santolini, Brief und Gedicht durch seine talentvolle Bcichttochter beantworten zu lassen. Sie Lhat cs, und zwar in einer Manier, die sich von ihren Fähigkeiten erwarten ließ. Dicß machte den Cardinal auf die Dichterin aufmerksam, und als er ihre Umstände erfuhr, schrieb er seinem Bruder, cs scy höchst unge recht, dass in einer Stadt, wo ganz gemeine Sängerin nen und Harfcnmädchcn die glänzendsten Belohnungen erhielten, eine Person von Martha s Geiste unbekannt und ununterstützt darbe- Er scy deswegen gesonnen, ihr, wenn sie dieß anders annchmcn wolle, so lange, bis irgend ein mächtiger Fürst sie würdiger belohnte, we nigstens den Gehalt auszahlen zu lassen, den seine HauS- yfficianten genössen.