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lieber den Einfluß des Studiums der Zeichnungs kunst auf die Bildung überhaupt und besonders auf Ausbildung des Gestchtsiunes. Unsere Sinne bedürfen, wie unsere geistigen Kräfte, der Ausbildung und Hebung; wie vollkommen in der An lage ne aus der Hand der Natur gekommen seyn mögen, die Erziehung muß die letzte Hand anlegen. Die Musik, besonders wenn man auf Harmonie sieht, bringt nur leere Töne hervor für diejenigen, deren Ohr nicht durch Studium gebildet ist; die köstlichsten Speisen haben we nig Rei; für einen Gaumen, der gewöhnlich nur grobe Nahrungsmittel genießt; die lieblichsten Wohlgcrüche sind nur ein wahrer Genuß für denjenigen, der an sanfte Gerüche gewöhnt ist, und eben so wird durch schwere Arbeiten, welche die Haut rauh und schwielig machen, oer Sinn des Gefühls abgestumpft. Könnte man nicht aus dcmselbigen Grunde sagen, daß Menschen, die gar keine Kenntniß von Zeichnungskunst besitzen, einen Schleier über den Augen haben? - Der Gesichtsinn hat große Vorzüge vor den meisten andern; die Genüsse, die er verschafft, schaden der Ge sundheit nicht, sie sind unabhängig von Alter, Schwäch- uchkeit und Vermögenszustand. Der Verlust des Or gans allein und Einsperrung in ein dunkles Gefängniß können unS diese Genüsse rauben. Man hat die Be merkung gemacht, daß Kunstfreunde, die im Allgemei nen nur sanfte Regungen haben und frei von den hcf-, tigen Leidenschaften sind, welche die Lebenskraft aufrei ben, über daS gewöhnliche Lebensziel hinaus kommen, Zuerst von dem Nutzen, den Jeder insbesondre von der durch das Studium der Zeichnungskunst bewirkten Ausbildung des Gesichtsinnes ziehen kann, und dann et was über den Nutzen, den dieses Studium für daS All gemeine hat. Die Zeichnungskunst ist für das Auge, was die Mathematik für die Denkkraft; sie berichtigt das Augenmaß, wie jene die Begriffe. Sie lehrt auf den ersten Blick Größen und Entfernungen richtig beurthei- len und befestigt für immer die Gestalt der Gegenstände, die einmal unsre Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, in unsrer Einbildungskraft. Sie sind, so zu sagen, die Logik des Auges. Wer diesen Sinn nicht durch Aeich- nungskunst ausgebildet hat, kann gewissermaßen mit dem Kinde verglichen werden, das alles, was es sieht, mit der Hand erreichen zu können glaubt. Das Studium der Zcichnungskunst ist nicht nur für alle Klassen der Gesellschaft angenehm, sondern fast für alle Stände un, umgänglich nöthig. Der obrigkeitliche Beamte setzt sich durch dieses Studium in Stand, über den Plan oder die Beschreibung von einer örtlichen Lage richtig zu ur- Ihcilen, wodurch in peinlichen und bürgerlichen Rechts sachen oft ein aufhellendes Licht aufgehen kann. Der Kriegsmann kann es gar nicht entbehren; der Erfolg ei ner Schlacht, sein Leben selbst hängt oft von richtigem Augenmaße ab. Der Gutsbesitzer kann eben so wenig ohne alle Kenntniß von Zeichnungskunst seyn, wenn er seine Felder messend übersehen, seine Pflanzungen gehö^ rig einrichtcn, seine Plane den Arbeitern deutlich ma chen , oder die Entwürfe des Baumeisters beurtheilen und würdigen will. Eben so nützlich sind diese Kennt nisse dem Reisenden, um auf seinem Wege die Richtung, die er ;u nehmen hat, nicht zu verfehlen und die Lang-