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Allgemeiner Anzeiger : 30.10.1912
- Erscheinungsdatum
- 1912-10-30
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1912
-
Monat
1912-10
- Tag 1912-10-30
-
Monat
1912-10
-
Jahr
1912
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 30.10.1912
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Der Krieg auf äem Kalkan. Sin entscheidender Sieg der Bulgare«. — Einschließung der türkischen Streitkräfte. Am 24. Oktober hat die bulgarische Armee einen Sieg errungen, der für die weitere Ent» Wicklung der Kämpfe um Adrianopel und auch für die weitere Entwicklung des ganzen Krieges entscheidend werden kann. Sie hat in an dauerndem Ansturm und unter gewaltigen Opfern die Nebenfestung Kirkkilifse eingenommen, die, ungefähr 30 Kilometer östlich von Adrianopel, die verhältnismäßig schwache Ostseite schützen sollte. Schon am 21. Oktober war gemeldet worden, daß die Bulgaren den Sturm auf Kirkkilifse begonnen hätten. Dann war in den türkischen und bulgarischen Meldungen weniger von Kirkkilifse, als von Kämpfen im Westen , ükd Nordwesten Adrianopels die Rede. Dort wollte jede der beiden Parteien siegreich ge- , blieben sein, und der Stand der Dinge erschien zweifelhaft. » Jetzt aber kann nicht mehr gezweifelt werden, daß die Bulgaren einen großen Erfolg errungen haben, wenngleich sie selber zugeben, daß sie an Zahl den Truppen der Türken bedeutend über legen waren. In Kirkkilisie befehligte Mahmud Mukhtar-Pascha, der Sohn Mukhtar-Paschas, des Großwesirs. Mahmud Mukhtar ist ein Schüler des Generalfeldmarschalls v. d. Goltz. In den deutschen Militärkreisen gilt er als ein sehr befähigter und bis zur Rücksichtslosigkeit unerschrockener Mann. Offenbar hatte man ihm, als man ihn nach Kirkkilisse schickte, eine be sonders schwierige Aufgabe anvertraut. Kirkkilisse ist gefallen, nach einem ununter brochenen, wütenden Kampf von zwei Tagen und Nächten. Den Ausschlag beim Sturm auf die verzweifelt verteidigten Schanzen gaben die aus dem Balkangebirge stammenden Regimenter, die, obwohl sie 28 Stunden unaufhörlich im Feuer gestanden, sich mit unwiderstehlichem Anprall auf die Türken warfen. In Sofia r führt man den raschen Fall Kirkkiliffes darauf Mück, daß zwar der türkische Soldat tapfer, ausdauernd und opferwillig ist, daß aber das Offizierkorps nicht die erforderlichen Eigen schaften besitze, die die Bedingungen für den Sieg sind. Ein Offizierkorps, das, innerlich durch VarteihaiEr zerfressen, durch politische Gegensätze in verschiedene feindliche Lager ge teilt ist, kann seine Soldaten unmöglich zum Siege führen. Ferner sei in Betracht zu ziehen, daß unter den Reservisten vielfach noch Leute vorhanden sind, die nicht richtig gelernt haben, mit der Waffe umzugehen. i... Wie dem aber auch sei: So wenig sich nach diesem unbestreitbar bedeutenden Erfolge der bulgarischen Waffen sagen läßt, daß der Wider stand der Türken bei Adrianopel und damit am Orte der Entscheidung gebrochen sei, so sicher ist doch auch, daß der Eindruck dieser ersten großen Niederlage, dieses Geschlagenwerdens an einem Punkte, den man zu halten fest ent schlossen war, sehr niederdrückend auf den Geist in der türkischen Armee wirken muß. Es kann ferner nicht verschwiegen werden, daß die Türken bisher — trotz aller kleinen Teilerfolge, die ihnen nicht bestritten werden sollen — überall auf dem gesamten Kriegsschau platz zurückgewiesen sind. Dis Stützpunkte ihrer Stellungen gegen die vier Balkan-Armeen sind bedroht: üslüb von den Serben, Skutari von den Montenegrinern, Saloniki von den siegreich vordxingenden Griechen und Adrianopel von den . Bulgaren. Können hier nicht alle Streitkräfte zu erfolgreichem Widerstand angesetzt werden, so ist der Weg nach Konstantinopel offen. Was aber dann? Das ist die Frage, die jetzt aufs lebhafteste die Kabinette beschäftigt, denen an der Erhaltung der Türkei gelegen ist. Es sind wohl mit Rücksicht auf diese Sach lage und auf Veranlassung Frankreichs (dessen Finanzwelt in erster Linie den völligen Zu sammenbruch des Türkenreiches in Europa fürchten muß) Besprechungen zwischen den ver schiedenen Regierungen eingeleitet worden, zu dem Zweck, eine neue und kraftvollere Vermitt lung der Großmächte vorzubereiten, die in Szene zu setzen wäre, sobald auf dem Kriegs schauplatz ein entscheidender Schlag gefallen sein wird. So sehr indessen von allen Seiten das Wünschenswerte eines neuen und baldigen Eingreifens der Mächte anerkannt wurde, hat bisher eine Einigung über die Art des neuerlichen Eingreifens nicht stattgefunden. Die Beratungen werden im engeren Kreise der beiden großen Mächte - Gruppierungen fortgesetzt. Hoffentlich zerschlagen sich diese Verhandlungen nicht; denn soviel ist sicher: Wenn auch die Türken geschlagen wer den, wenn auch ihre Heeresorganisation infolge der inneren Parteikämpfe geschwächt zu sein scheint, sie werden nicht ohne zähe Verteidigung die Plätze räumen, auf denen ihre Vorfahren eine vielhundertjährige ruhmvolle Geschichte durchlebten. Ll. * * * Vom Kriegsschauplatz. Der Fall von Kirkkilifse. Bei der Eroberung von Kirkkilisse wurden eine Batterie erobert und viele Gefangene gemacht. Auch wurden Munition und Lebensmittel er beutet. Die Türken zogen ffch nach bulgarischen Berichten in Unordnung südöstlich in der Richtung auf Bonar-Nissar zurück. Sofioter Blätter melden ergänzend: Die Bulgaren haben bei der Einnahme von Kirkkilisse fünfzigtausend Mann (?) mit zwei Paschas zu Gefangenen gemacht. — Die amtliche türkische Meldung über den Fall von Kirkkilisse lautet nur kurz: Kirkkilisse ist nach längerem Kampfe von den Türken ge räumt worden. Adrianopel im Süden eingeschlofsen. Die Bulgaren haben auf der Südfront die Arda überschritten und nach Einnahme der vorderen Befestigungslinie bei Maras Adrianopel von Süden eingeschlossen. Zwei türkische Bataillone machten einen Ausfall, die Bulgaren machten einen Gegenangriff, erbeuteten drei Schnell feuerbatterien und nahmen 1200 Soldaten ge fangen. Politiseks Kuncilckau. Deutschland. *Die Meldung französischer Blätter, Kaiser Wilhelm werde sich demnächst zum Besuch nach London begeben, entspricht nicht den Tatsachen. Bei der augenblicklichen inter nationalen Lage ist ein solcher Besuch völlig unmöglich. *Das bayrische Königshaus und mit ihm das ganze Volk Bayerns sind in tiefe Trauer versetzt worden: die Gemahlin des Thronfolgers, Prinzessin Rupprecht von Bayern, geborene Herzogin Marie Gabriele in Bayern, ist im Alter von 34 Jahren gestorben. Die Prinzessin ist die Tochter des verstorbenen Herzogs Karl Theodor und Schwester des un längst verstorbenen Herzogs Franz Joseph. Sie befand sich auf einer Erholungsreise in Sorrent. * Der BundeSrat hat drr Vorlage betr. die Inkraftsetzung von Vorschriften des Ver sicherungsgesetzes für Angestellte und der Vor lage betr. die Errichtung eines Schiedsgerichtes für die Angestelltenversicherung zugestimmt. * Der Bedarf an Negierungsärzten für die Kol o nien ist noch nicht gedeckt; denn, Wie halbamtlich verlautet, sind die für Neu kamerun und für die Bekämpfung der Schlaf krankheit in Kamerun vorgesehenen Regierungs arztstellen noch nicht voll besetzt. Auch sonst haben gegenwärtig jüngere, unverheiratete Arzte gute Aussicht, als Regierungsärzte im Kolonial dienst bald Verwendung zu finden. * Die Reichsbankhat ihren Diskont von 4V- auf 5 Prozent und den Lombardsatz von 5Vr auf 6 Prozent erhöht. * Der preußische Landtaqsabgeordnete Fetisch (kons.) ist in Berlin im 74. Lebensjahre gestorben. Er vertrat seit siebzehn Jahren den Wahlkreis Potsdam 9 (Teltow) im Abge ordnetenhaus. Frankreich. *Der französische Marineminister Delcassö hat noch immer Pulvernöte. Er hat infolge verschiedener Zwischenfälle, die sich jüngst bei Schießübungen des Kanonenbootes „Obusier" ereigneten, den KriegShaien von Toulon ver ständigt, daß eine Sorte der aus dem Jahre 1906 Lammenden Kartuschen als un- braMbar ausgeschieden werde. Ferner richtete der Marineminister an sämtliche Kriegs schiffe ein Rundschreiben, in dem er anordnet, daß einige aus verschiedenen staatlichen Fabriken stammende Pulversorten als verdächtig überwacht werden müßten. England. * Die zur Organisation der deutsch - englischen Verständigungs-Konfe renz vereinigten deutschen und englischen Komitees unter dem Vorsitz des früheren eng lischen Botschafters in Berlin Sir Frank Lascelles und des kaiserlichen Gesandten Graf Leyden haben den Gedanken, die Konferenz mit Rücksicht auf die Balkanwirren zu vertagen, zurückgewiesen, so daß die Verhandlungen in London programmäßig vom 30. Oktober bis 1. November stattfinden werden. Die Verhand lungen über die Förderung einer besseren gegenseitigen Kenntnis der beiden Länder und ihrer kulturellen Annäherung aus äußeren Gründen sind auf den letzten Tag verlegt. *Bei der Beratung des Gesetzentwurfes betr. die Selb st Verwaltung Irlands wurde eine Klausel angenommen, die der künfti gen irischen Gesetzgebung untersagt, sich mit religiösen Dingen zu beschäftigen. Reichskanzler v. Bethmann Holl weg über die Mschnot. Im preußischen Abgeordnetenhause hatten die Nationalüberalen und die Fortschrittler An fragen betr. die Fleischnot eingebracht, die Herr v. Bethmann Hollweg am 25. d. Mts. be antwortete. In etwa einstündiger Rede legte der Reichskanzler die Maßnahmen der Re gierung noch einmal klar. Von einer Abände rung unsrer Wirtschaftspolitik kann nicht die Rede sein, auch nichts von einer Änderung des 8 12 des Fleischbeschaugesetzes. Herr v. Beth mann Hollweg erkannte einen Notstand durch aus an, aber er will ihm mit andern Mitteln zu Leibe gehen als die Anfragenden in Vor schlag bringen. Von ausländischem Gefrierfleisch verspricht er sich nichts, es würde nur eine augenblickliche Hilfe sein, die aber auf die Ent wicklung unsrer Zukunft einen verderblichen Ein fluß ausüben würde. Dringend müsse vor jeder Maßnahme gewarnt werden, die unsre Unab hängigkeit in Frage stellt. Herr v. Bethmann- Hollweg wandte sich dann den Angriffen zu, die von rechts und links gegen die Maßnahmen der Regierung gerichtet wurden. Er lehnte es entschieden ab, etwa unsre Zollpolitik durch brochen zu haben. Dankbar erkannte er an, daß die Städte sich bereit erklärt haben, die Fleischversorgung in eigene Hand zu nehmen. Bis auf Berlin sind nirgends Un Zuträglichkeiten dabei entstanden, über die Preisgestaltung und die Spannung zwischen Vieh- und Fleischvreisen wird eine Sachverständigenkommission im ReichS- amte des Innern beraten. Der Frage der inneren Kolonisation hinsichtlich der Fleisch versorgung legt auch der Ministerpräsident er hebliche Bedeutung bei. Er kündigte an, daß 12 Millionen Mark zur Urbarmachung ost- iriesischer Hochmoore ausgeworfen werden sollen, und daß auch mehr Domänenland verteilt werden solle. Das Stammkapital der Siede- lungs-Gesellschaften soll vermehrt, der Zwischen kredit erleichtert werden. Für Schlesien ist eine neue Kolonisationsgesellschaft in Aussicht. Der Kanzler schloß wirksam mit dem Hinweis darauf, daß der Staat nur stark und gesund erhalten werden könne, wenn immer zahlreichere Menschen mit ihrem ganzen Dasein auf den einheimischen Boden verankert werden. Vie fleilckkrawatte in Kerim. Nachdem bereits am 23. d. Mts., als das erste russische Fleisch in Berlin ankam, sich förm liche Kämpfe in den Markthallen abgespielt haben, weil sich die Schlächter plötzlich weigerten, auch A Ans lUckt gekrackt 14 j Roman von H. Köhler. (Fortsetzung.) „Hoßburg." „Ah, in der Tat,* rief Berthus, mit seinem trockensten Lächeln, .freut mich in der Tat, Ihre Bekanntschaft zu machen, Herr Justizrat, in der Tat — und der Fräulein Tochter, wie ich ver- muie?* „Meine Tochter,* sagte der Iustizrat, an dem jetzt die Reihe war, verlegen zu werden, denn alles Blut stieg in diesem Augenblick in Elisabeths Antlitz und drohte ihr die Adern zu sprengen. „Sehr angenehm, mein gnädiges Fräulein,* erwiderte aber Berthus mit einer tiefen Ver beugung, „und sehr ehrenvoll, Sie werden das morgende Fest verherrlichen. Aber wo ist Ihr Schwiegerpapa, Berger? Er wird uns wieder mit dem Essen warten lassen.' Der Assessor fühlte, daß er Elisabeth Luft geben mußte, wenn sie sich nicht verraten sollte, und hatte damit das richtige Kapitel getroffen. „Dein Papa läßt uns wirklich wieder warten, liebe Klara,' sagte Berger, „er hat den Kopf so voll von abstrakten Dingen, daß er uns arme Sterbliche immer darüber vergißt.* „Er wird gewiß gleich kommen, Ferdinand,* bat Klara mit einem ängstlichen Blick auf ihren „Dann erlauben Sie, daß ich Ihnen auch zugleich einen Freund unsres Hauses, Herrn Professor Berthus, vorstelle — lieber Professor, Herr Justizrat von Hochweiler aus — wie hieß doch gleich die Stadt, bester Justizrat?* Bräutigam, „er bekam heute morgen noch so viel zu tun.* „Hat auch noch-gar nichts versäumt,* sagte die Frau Professorin, „sie sind doch noch nicht mit der Suppe fertig, und ehe angerichtet wird, kommt er schon.* Das Geipräch wurde jetzt allgemein. Berthus unterhielt sich besonders mit dem Professor über den letzten politischen Leitartikel in der Kölni schen Zeüung, und Berger war mit Klara in eine Fensternische getreten und das junge Mädchen flüsterte leise und bittend ihm zu. Endlich kam der Medizinalrat, Rosa hatte schon auf der Wvrte gestanden, um ihn gleich an zumelden, und in dem Augenblick zeigte auch die Frau Professorin an, daß die Suppe serviert sei. Jetzt begannen die gewöhnlichen Höflichkeits formeln. Berthus bot artig der Frau Pro fessorin den Arm. Berger führte Elisabeth, der Professor Klara, und der Medizinalrat kam eben zu spät, um Fräulein Rosa noch zur Tafel zu geleiten. Die Frau Professorin hatte übrigens die Plätze bestimmt, und so kam Klara nicht neben ihren Bräutigam, sondern zwischen Berthus und und den Justizrat zu sitzen, Berger dagegen zwischen Rosa und Elisabeth, sie selber aber zwischen den Justiz- und Medizinalrat, und das Gespräch wollte im Anfang nicht recht fließen. Berger, sonst die Seele einer solchen Gesell schaft, war einsilbig, — hatte ihn der so plötzliche und unerwartete Besuch aus Hoßburg be unruhigt? Er unterhielt sich nur wenig mit seinen Nachbarinnen, und gab selbst auf einzelne von Rosas Fragen zerstreute Antworten, Berthus dagegen brachte alles wieder in das alte Ge leise und mit einem ganz unerschöpflichen Humor nicht allein seine beiden Nachbarinnen zum Lachen, sondern bald auch Leben in den ganzen kleinen Kreis. Der Justizrat konnte am wenigsten von allen in Gang kommen, denn der verzweifelte Assessor hatte ihm jede nähere Auskunft verweigert, und er befand sich in einer etwa der ähnlichen an genehmen Aufregung, wie jemand, der auf einer mit einer angezündeten Lunte versehenen Pulvertonne sitzt und nun nicht genau weiß, wann die Geschichte platzt. Das machte ihn auch entsetzlich einsilbig gegen die an seiner Rechten sitzende Braut, denn er wußte nicht nur nicht, über was in aller Welt er sich mit ihr unterhalten sollte, sondem fürchtete auch noch außerdem jeden Augenblick, daß er sich verraten und sie vor der Zeit alarmieren würde. Berger war das nicht entgangen; sein Blick flog wenigstens — wenn auch im Gespräch mit einer seiner Nachbarinnen oder den Scherzen des „kleinen Professors" lauschend, immer dann und wann zu Elisabeths Vater hinüber, und ein paarmal wandte er seinen Blick unwillkür lich der Tür zu, als er sah, wie dessen Auge unruhig dort hinüberflog, als ob er noch jemand erwarte. Berthus hatte das ebenfalls bemerkt, da aber Klara zwischen ihm und dem Justizrat saß, sah er sich nicht imstande, diesem ein Zeichen zu geben, und mußte der Sache eben ihren das russische Fleisch zu verkaufen, kam es im Verlauf des Donnerstag zu weiteren ernsten Krawallen. Die Nachfrage war weitaus größer als das Angebot, und es kam infolgedessen wieder zu allerhand Unzuträglichkeiten. In der Zentral-Markthalle am Alexanderplatz lag die Ware nur an einem einzigen Stande aus — viel zu wenig für die nach Hunderten zählenden Frauen, die zu kaufen beabsichtigten. Schon nach kurzer Zeit war das vorhandene russische Fleisch ausverkauft, und nur dem gütlichen Zu spruch der Polizeibeamten gelang es, die murrenden Frauen zum ruhigen Verlassen der Markthalle zu bewegen. Die erste Folge der russischen Fleischeinfuhr in Berlin ist ein Preisrückgang für alle Fleischsorten aus dem Inland in der Zentralmarkthalle. In den Geschäften, die sich in der Nähe der Halle befinden, sah man rote Plakate mit folgender Ankündigung: „Infolge der ausländischen Fleischzufuhren sind die Preise für unsre hiesigen, erprobt guten Sorten bedeutend herabgesetzt, wovon sich das geehrte Publikum an den Fensterauslagen überzeugen kann. Wir werden auch fernerhin unsre besten Qualitäten weiter führen und hoffen auf einen noch größeren Preisrückgang." — Von diesem Preisrückgang sind alle Sorten betroffen, Kalbskeule und -filet, Schweinefleisch, Hammelkeule, Kasseler usw. Die Ermäßigung beträgt bis zu 20 Pf. das Pfund. Alle diese Geschäfte, in denen der Preisrückgang angekündigt ist, waren dicht gefüllt und hatten großen Absatz. Fleischrevolte an» Wedding. Um in der Markthalle am Wedding Szenen wie am ersten Tage, wo die Fleischerstände ge stürmt wurden, zu vermeiden, waren zahlreiche Schutzleute unter Führung eines Leutnants auf geboten worden. Als dem Publikum bedeutet wurde, daß russisches Fleisch nicht zum Verkauf gelange, machte es seinem Unwillen durch er regte Worte Luft, verließ aber angesichts der zahlreichen Polizeibeamten anscheinend ruhig die Halle. Draußen rotteten sich dann nach und nach etwa 400 Personen, meistens Frauen, zu sammen, bis plötzlich eine laute Stimme ertönte: „Alle Mann zu Morgenstern!" Vor diesem Ge schäft rottete sich bald eine große Menge zu sammen. Männer, Frauen und halbwüchsige Burschen zertrümmerten die großen Ladenicheiben des Morgensternschen Schlächterladens, entwen deten für mehrere tausend Mark Fleisch und gingen tätlich gegen den Geschäftsführer sowie die Gesellen vor. Der Geschäftsführer erlitt schwere Verletzungen im Gesicht, mehrere Ge sellen wurden an Händen und Armen verwundet. Ein großes Polizeiaufgebot mußte mit der Waffe die Menge vertreiben, und über den Wedding wurde wieder einmal, wie vor zwei Jahren, der polizeiliche Belagerungszustand verhängt. Weitere Angriffe auf Schlächterläden. Nachmittags rottete sich in der Müllerstraße eine große Anzahl Personen zusammen. Meistens waren es -Frauen, Kinder und halbwüchsige Burschen. Bor dem Schlächterladen Müüer- straße 73 kam die Menge inS Stocken, und im nächsten Augenblick prasselte auch schon eine Anzahl Steine in die Fenster des Schlächter ladens. Als die Menge eben, ähnlich wie bei dem Morgensternschen Geschäft, die Ware «ms dem Fenster rauben wollte, erschienen Schutz leute, die die Menge mit blanker Waffe vor sich hertrieben. Wenige Minuten später mutzte dis Polizeimannschaft nach der Kösliner Straße beordert werden. Auch dort hatte die Menge einen Angriff auf einen Schlächterladen verübt, die Fensterscheiben eingeschlagen und die im Ausbau liegenden Waren geraubt. Derartige Auftritte wiederholten sich bis in die wüten Abendstunden in den verschiedensten Gegenden der Stadt. Wiederholt wurden Schlächterläden angegriffen, die Scheiben demoliert und an verschiedenen Stellen auch Fleisch geraubt. Ein großes Polizeiaufgebot hielt die in Betracht kommenden Straßen bis in die Nachtstunden hinein besetzt und verhinderte, daß es zu größeren Ausschreitungen kam. Die Schuldigen, die sich an dem Zerstörungswerk und der Be raubung der Läden beteiligt hatten, sind in allen Fällen entkommen. Lauf lassen. — ES lag überhaupt der „Schatten nahender Ereignisse* aus der ganzen kleinen Gesellschaft, denn auch Professor Perler und seine Fra» fühlten sich gedrückt, und Elisabeth mußte sich Gewalt antun, um nur ihre Aus- regung zu verbergen. Berthus allein schien von alledem nichts zu empfinden und wußte mit einer Gewandtheit die übrigen Tischgenossen bald an der, bald an jener Seite der Tafel in das Gespräch mit hineinzuziehen, die nichts zu wünschen übrig ließ. Klaras Bräutigam, überdies schon durch den vorher genossenen Wein aufgeregt, hatte auch bald jedes vielleicht unbehagliche Gefühl ab geschüttelt. Was den Justizrat von Hoßburg noch einmal hierhergeführt? er war doch jeden falls nur seiner Tochter zur Begleitung mit gekommen, und wie Klara und Elisabeth an einander hängen, wußte er ja gut genug, und freute sich nicht darüber. — Aber auch das war bald überstanden und er selber morgen um diese Zeit schon frei von all' den gesellschaft lichen Banden, die ihn hier fesselten, heute konnte er sie deshalb noch recht gut einmal über sich ergehen lassen. Er wurde auch selber wieder heiterer, indem er auf Berthus' Scherze und Anekdoten einging, und das Diner wuroe ohne weiteren Zwischenfall beendet. Als man die Früchte austrug, brachte der Professor noch eine besondere Sorte feinen Rauenthaler Ausbruch, von wirklich vorzüglicher Güte, und Berthus besonders, der Kdenilich ein wenig ausgelassen war,, als ob ihm der starke Wein in den Kopf stieg, machte schon einen Versuch zu singen, hieli aber wie erschreckt
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