Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 07.12.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-12-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190412078
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19041207
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19041207
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-12
- Tag 1904-12-07
-
Monat
1904-12
-
Jahr
1904
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 07.12.1904
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
politische Kunäsebau. Der russisch-japanische Krieg. *Aus Tokio gemeldete ausführliche Be schreibungen der Schlacht um den 203 Meter- Hügel zeugen von der Furchtbarkeit des Kampfes. Von den Japanern wurden bei den wiederholten vergeblichen Angriffen ganze Kompanien niedergemacht. Die Russen, die mit Löwenmut standhielten, ließen Hunderte vonLeichen und Verwundeten zurück. * Die bisherigen Gesamtverluste der Japaner an Toten während der Belagerung von Port Arthur werden im japanischen Hauptauartier auf 25 000 Mann angegeben. 38 632 zählen und zwar 1762 Decko'^ziere, 8461 Unteroffiziere, 27 309 Gemeine und 1100 Schiffsjungen. * Uber die Schulbildung der im Ersatzjahre 1903 bei dem Landheere und bei der Marine eingestellten preußischen Mannschaften liegt jetzt eine Übersicht vor. Danach belief sich die Zahl der Analphabeten auf 0,05 Prozent, während es im Jahre 1883/84, also vor 20 Jahren, noch 2,3 Prozent gewesen waren. Den größten Prozentsatz von Analpha beten weist beim Landheere die Provinz West preußen mit 0,25 Prozent auf, ihr folgt Ost preußen mit 0,16 Prozent, während für Posen und Brandenburg je 0,03 Prozent, für Pommern 0,01 Prozent festzustellen waren. Die Gesamt- * In der Mandschurei kann es bei dem langsamen Vordringen der Russen und dem ruhigen Zurückgehen der Japaner nicht ganz ohne Kämpfe abgegangen sein, wenn auch Kuroki augenscheinlich eine Schlacht noch zu vermeiden sucht. Ob und welcher Hinter gedanke diesem eigentümlichen Verhalten der Japaner zugrunde liegt, werden ja die nächsten Stunden lehren. Jedenfalls ist es das erste Mal, daß größere japanische Abteilungen fast kampflos ein ausgedehnteres Gelände räumen. Nicht unmöglich ist es, daß dieses Zurückweichen nur die Bestätigung der aus chinesischer Quelle stammenden früheren Nachricht ist, daß die Er gänzung des japanischen Heeres aus wenig tauglichem Menschenmaterial bestehe, mit dem eine Schlacht zu wagen, allerdings nicht ohne Bedenken wäre. Da aber augenblicklich gar keine Meldungen vom Kriegsschauplatz in der Nordmandschurei vorliegen, so ist man rein auf Vermutungen angewiesen. * Aus Wladiwostok wirb gemeldet: In der letzten Zeit gestaltet sich das Leben hier normaler: die Industrie lebt wieder auf, der Handel bessert sich. Viele Einwohner kehren in die Stadt zurück. — Aus Sachalin wird ge meldet, daß viele Bewohner, die zu Beginn des Krieges nach dem Innern des Landes gegangen waren, in ihre Wohnsitze an der Küste zurück kehren. — Die Tschungtschusen beunruhigen nach wie vor die Bevölkerung. Kürzlich suchten acht bewaffnete Tschungtschusen einen Laden zu plündern; ein Tschungtschuse wurde verhaftet. — Fast gleichzeitig wurde eine aus fünf Per sonen bestehende russische Familie von Tschung tschusen ermordet. * * * Deutschland. * Prinz Friedrich von Hohen- zollern, der zweitjüngere Bruder des Fürsten Leopold, ist am Freitag mittag gestorben. Er war General der Kavallerie und wurde am 25. Juni 1843 geboren, hat also nur ein Alter von 61 Jahren erreicht. *Ein Reichs-Futtermittelgesetz soll von der bayrischen bei der Reichs- Regierung angestrebt werden. Die landwirt schaftlichen Untersuchungsstationen haben nämlich die Tatsache festgestellt, daß der steigende Ver brauch an künstlichen Futtermitteln ein immer größeres Umsichgreifen der Verfälschung und Verschlechterung der künstlichen Futtermittel mit sich gebracht hat. Diesen Mißständen gegenüber sollen die gesetzlichen Bestimmungen betont werden, nach welchen der Handel mit Heilmitteln auch für tierische Krankheiten nur den Apothekern zusteht, der Haufier-Handel mit Futtermitteln aber nach der Reichsgewerbe- ordnung überhaupt unzulässig ist. Tie bayrische Staatsregierung hat nun einstweilen die Poli zeiorgane nnd die Justizbehörden angewiesen, diesen Mißständen mit allen Mitteln nach zugehen. * Die Etatsstärke der Marine wird sich nach der Erhöhung um insgesamt 2703 Mann auf insgesamt 40 672 Militärpersonen stellen. Das Offizierkorps wird insgesamt 2040 Personen umfassen und zwar 1409 See offiziere, 243 Marine-Ingenieure, 50 Offiziere der Marine-Infanterie, 208 Sanitätsoffiziere, 69 Offiziere der Artillerieverwaltung, 43 des Torpedowesens (technisches und Verwaltungs- Personal) und 18 des Minenwesens. Mann schaften wird die Marine nach der Erhöhung Die Westfront von Port Arthur. Nach langem, hartnäckigen, äußerst verlustreichen Kampfe ist es den Japanern gelungen, den 203 Meter- Hügel vor Port Arthur zu besetzen. Wie auf unsrer heutigen Karte zu ersehen ist, ist dieser Hügel einer der wichtigsten Punkte der Festung, da man von dem Fort desselben imstande ist, den Jnnen- raum der Festung sowie den Hafen direkt zu be schießen. Die Erstürmung dieses Hügels ist demnach ein bedeutender Erfolg der Japaner, der unter Um ständen den Fall der Festung nach sich ziehen kann. In Tokio ist denn auch die Aufregung groß, da man jetzt bestimmt mit dem Fall der Festung rechnet. zahl aller Analphabeten im Landheere belief sich auf 82, bei der Marine auf 3 Mannschaften. * Bei den Verhandlungen in der lippischen Streitsache vor dem Reichsgericht werden, wie verlautet, die Rechtsanwälte Justizrat Erythropel und Justizrat Putzler die Parteien vertreten. Ersterer vertritt die Biesterfelder Linie wie seinerzeit bei dem unter dem Vorsttz des Königs Albert von Sachsen erlassenen Schiedsspruch. England. *Die englische Regierung hat auf eine Anfrage der japanischen eine genaue Unter suchung eingeleitet über die Verschiffung von Kohlen für die baltische Flotte in englischen Fahrzeugen. Der ganze Regierungs apparat sei in Tätigkeit geatzt worden; außer dem seien besondere Maßregeln getroffen worden, daß in bezug auf die Kohlenliefeiungen an eine der kriegführenden Parteien alle Tat sachen geprüft werden, um die Wiederholung einer Handlungsweise zu verhindern, die als Neutralitätsbruch aufgefaßt werden könnte. Rußland. * Ein neu es russischesGeschwader soll, nach einer Meldung aus Petersburg, im April in Dienst gestellt werden. Es werde die Bezeichnung „Europäisches" erhalten. *Die Stadtverwaltung von Petersburg hat beschlossen, 100 000 Rubel zum Besten der Verteidiger von Port Arthur und ihrer Familien zu stiften und um die Erlaubnis nach ¬ zusuchen, ganz Rußland zu solchen Spenden auszurufen. * Der Mörder des MinistersPlehwe ist schon Ende August aus der Schlüsselburg, wo er seiner Aburteilung entgegenfah, ent flohen. Er befindet sich dem ,Daily Expreß' zufolge jetzt in völliger Sicherheit in Genf, Paris oder London. Seine Flucht erklärt, wie das Blatt bemerkt, die auffallende Tatsache, daß bisher keine Nachricht über die Strafe in die Öffentlichkeit drang, womit das Bombenattentat, dem Plehwe zum Opfer fiel, gesühnt wurde. Balkanstaaten. *Auf Bekehl des Sultans wurde ein Dampfer der Marseiller Paketgesellschaft in den Dardanellen festgehalten, weil «Explosiv- stoffe an Bord führte. Der Kommandant erklärte, die Explosivstoffe seien nach Batum bestimmt. Der Sultan ließ der französischen Botschaft mitteilen, daß der Dampfer bis zur Ausladung der Explosivstoffe festgehalten werde, da der Durchgang derselben durch die Meerenge verboten sei. Amerika. *Die zweite Friedenskonferenz wird verschoben. Die Tatsache, daß Ruß land die Einladung zur zweiten Friedens konferenz mit der bekannten Einschränkung an genommen hat, wurde vom Staatsdepartement der Presse mit folgendem Zusatz mitgeteilt: Da Rußland nur unter solchen Einschränkungen an der Konferenz teilnimmt, und in anbetracht der Tatsache, daß verschiedene andre Mächte ihre Zusage zur Einladung des Präsidenten Roose velt zurückziehen würden, falls Rußland nicht vertreten wäre, so muß der Vorschlag, den die russische Regierung machte, daß die Konferenz bis zum Schluß des Krieges verschoben werden müsse, notgedrungen die Ver. Staaten daran verhindern, augenblicklich weitere Schritte in dieser Angelegenheit zu tun. Afrika. *Jn Südwestafrika wurde am 29. v. die Kompanie Grüner bei Lidsontein von 250 Hottentotten angegriffen. Nach dreistündigem Kampfe flohen die Aufständischen nach Süden. Sein Verlust ist auffällig gering; acht Hotten totten wurden getötet. Erbeutet wurden sieben Pferde und sechs Gewehre. * Im Kongo st aate sind, wie aus Leopoldville gemeldet wird, große Neger aufstände ausgebrochen. Ein Kapitän wurde mit seinem Sergeanten und 14 Jägern von den Eingeborenen niedergemetzelt. Eine Straf expedition ist abgesandt worden. Deutscher Keickstag. Am 2. d. wird die Beratung der drei Reso lutionen betr. Abänderung des Gesetzes zur Be kämpfung des unlauteren Wettbewerbes und Maßnahmen gegen Mißstände im Ausverkaufs- Wesen usw. fortgesetzt. Abg. Potthoff (frs. Vgg.) wendet sich gegen das Schmiershstem, das Bestechen der Angestellten durch die Fabrikanten, und verlangt eine Enquete über die Verbreitung dieses Mißbrauchs. Abg. Nißler (bahr. Bauernb.) begrüßt die Ab kehr von der zügellosen Gewerbefreiheit mit Freuden. Die Warenhäuser müssen durch eine hohe Steuer tot gemacht werden. Der Hauptgegncr ist das inter nationale Großkapital. Die Selbsthilfe durch die Konsumvereine ist nur den notleidenden Ständen erlaubt. Beamte und Offiziere gehören nicht dazu, denn sie werden ausreichend besoldet. In Bayern Würde ein von Offizieren und Beamten gegründetes Warenhaus sofort verboten werden. Abg. Peus (soz.): Die Anschauung, daß wir den Mittelstand bekämpfen, ist falsch. Wir glauben nur nicht, daß ihm durch künstliche Mittel cmf- gcholfen werden kann. Inserate können nicht vom Zensor verboten werden, mit Ausnahme der unsitt lichen Inserate, die sich nur in der bürgerlichen Presse finden, in der antisemitischen ebenso wie in der Judenpresse. In den Warenhäusern kauft vor zugsweise der Mittelstand und die reichen Leute. (Abg. Nißler ruft: Leider!) Ja leider find die Ar beiter fast durchweg auf die kleinen Kaufleute an gewiesen. Adg. Erzberger (Zentr.): Wir wünschen keine schikanöse Gesetzgebung; gegen manchen Aus wuchs könnte schon auf Grund des Bürgerlichen Gesetzbuchs eingeschrittcn werden. Die absolute Ge werbefreiheit ist der Grund des Übels. Aus Bosheit haben die Sozialdemokraten, wie Äußerungen ihrer Führer Schweitzer und Lassalle beweisen, s. Zt. dafür gestimmt, um den Mittelstand zu vernichten. Die natürliche Entwicklungstendenz, von der die Sozial demokraten sprechen, muß man sich im Zoologischen Garten ansehen. Wenn dort nicht Eisengitter wären, würden nur die Löwenschwanzspitzen übrig bleiben. So muß auch die wirtschaftliche Entwicklungstendenz durch Eisengitter gehemmt werden. Abg. Raab (wirlsch. Vgg.): Die Sozial demokraten bestreiten die Absicht, den Mittelstand zu ruinieren, sie haben nur die Ansicht, daß er zu Grunde gehen müsse. Ein Mann mit einer Ansicht ohne Absicht ist ein altes Waschweib. Erst haben die Sozialdemo kraten die Revolution gepredigt, jetzt warten sic auf die Evolution, die Expropriation der Expropriateure, sie sind also nicht konsequent, sondern gehen um die Frage herum, wie die Katze um den heißen Brei. Redner verliest zum Schluß eine Anzahl markt schreierischer Annoncen aus dem ,Hamburger Echo' und aus dem .Konfektionär' von 1892, Grund sätze für den Betrieb von Warenhäusern, die darauf hinauslaufen, die Dummheit des Publikums auSzu- beuten. Abg. Frohme (soz.) bestreitet die Mittelstands feindlichkeit seiner Partei. Abg. Pachnicke (frs. Vgg.) stellt fest, daß seine Partei seinerzeit auS innerer Überzeugung für das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb ge stimmt hat. Abg. Raab: Das ,Hamb. Echo' hat 1892 ehr lich zugestanden, daß der Mittelstand vernichtet werden muß. Solche Ehrlichkeit findet man bei den Parlamentariern selten. Die Sozialdemokraten wollen dem Mittelstand den Schwanz stückweise ab hauen. Wir sträuben uns gegen die Entfernung dieses Ziergegenstandes. Wir wollen uns unsrer Haut wehren. Nach kurzer Erwiderung des Abg. Frohmr (soz.) werden die Resolutionen der Konservativen und des Zentrums angenommen, die national- liberale Resolution wird dem Reichskanzler als Material überwiesen. Es folgt die Beratung der Resolution über daS Bergrecht. Eine Resolution Stötzel (Ztr.) u. Gen. ver langt eine der Gewerbeordnung entsprechende Aus gestaltung des Bergrechts und Bekämpfung der Wurmkrankheit. Eine Resolution Auer (soz.) u. Gen. fordert die achtstündige und in heißen Gruben sechsstündige Schicht, Verbot der Frauenarbeit, einheitliche Rege lung des Knappschaftswssens und Überwachung der Betriebe durch gewählte Vertreter der Arbeiter. — Außerdem liegt nock ein Antrag Spahn (Ztr.), die sozialdemokratische Resolution als Material zu über weisen, vor. Abg. Spahn begründet die Resolution seiner Partei. Abg. Sachse (soz.) schildert ausführlich die Lage der Bergarbeiter. Hierauf erfolgt Vertagung. Von >>lab unci fern. Das Urteil in dem Prozesse wegen Be leidigung des oldenburgischen Ministers Ruhstrat lautete gegen den angeklagten Redakteur Schwey- nert auf ein Jahr Gefängnis. Gin böser Bräutigam. Recht empfindlich geschädigt wurde in Frankfurt a. Di. eine ältere Dame, die auf dem Wege der Zeitungsannonce einen Bräutigam gefunden hatte, der sich als Straßenbahninspektor bezeichnete und sich Emil Reiche aus Fulda nannte. Als die Verlobung zustande gekommen war, überredete der Bräuti gam die Braut, gemeinschaftlich ein Haus zu kaufen. Ec trat auch tatsächlich mit einem Hausbesitzer in Verbindung, und gab eines Tages der Braut an, der Kauf sei perfekt, es müsse eine Anzahlung geleistet werden. Beide begaben sich zur Bank, in der die Braut von ihrem Guthaben 12 000 Mk. abhob. Auf dem Heimweg erbot sich der Bräutigam, den Geld betrag zu tragen, damit er ja nicht verloren gehe. Kaum war er in den Besitz desselben gelangt, als er eine ihm günstige Gelegenheit benutzte, auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden. Er hatte angegeben, in Bad Wildungen statio niert zu sein. Selbstmord eines Defraudanten. Der Schuhwarenfabrikant Heusser aus O.terberg be ging in Kaiserslautern Selbstmord. Er hat zum Nachteil der Spar- und Darlehnskafle Otterberg 72 000 Mark unterschlagen und diese Unterschlagungen durch jahrelang fortgesetzte Bücherfälschungen verdeckt. K 6m famüien-Geheimnis. 81) Kriminalroman von Eberhard Woldenberg. sForttevung.) Willi starrte seine Mutter verstört an. Er hatte das Gefühl, als drücke eine kalte Hand sein Heq zusammen. „Aber du bist ihr — wir sind ihr das schuldig l" brachte er mühsam endlich heraus. Seine Lippen zuckten. „Du mußt die Unmöglichkeit deiner Forde rung eiusehen," sagte der Oberst, an Willi her antretend und ihm die Hand auf die Schultern legend. Willi machte sich heftig los und lachte bitter auf. Er wollte etwas Zorniges erwiedern, aber die Worte erstarken in unverständlichem Ge murmel. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt, der Atem kam fast keuchend aus seiner heftig arbeitenden Brust, und plötzlich schlug er die Hände vor das Gesicht und die furchtbare Er schütterung löste sich in einem herzbrechenden Schluchzen. Beatrice und der Oberst hatten sich vereinigt in dem Bemühen, Hartung so lange wie mög lich in glücklich« Unwissenheit zu erhalten. Willi war es trotz wiederholter Bitten Md Vor stellungen nicht gelungen, seine Mutt« in ihrem Entschluß wankend zu machen. So ging er in trotziger Erbitterung schließlich seinen eigenen Weg, dabei doch i« stillen hoffend, daß sich noch die Gelegenheit bieten werde, seinem Bat« alles anzuvertrauen und seine Entscheidung an- rufen. Hedwig konnte er schon am nächsten Tage in die Arme ihrer Mutter zurückiühren und die ersten Stürken eines reinen, hohen Glückes wieder in ihrer Gegenwart genießen. Hier wich auch der beklemmende Druck von seinem verdüsterten Gemüte, und an seine Stelle trat ein schönes Bild künftigen häuslichen Friedens vor seine Seele. An demselben Tage hatte Oberst Rodenberg die Absicht, seinen Freund Lenz aufzusuchen und diesen über den Gang des wiederaufgenom menen Prozesses zu befragen. Anfänglich hatte er eine Droschke benutzt, dann aber, von dem schönen Wetter verlockt, seinen Weg zu Fuß fortgesetzt. Derselbe führte ihn durch die Behrenstraße, und als er an dem Wechslerschen Hause vorüberschritt, kam ihm der Gedanke, hier den pflichtschuldigen Gegenbesuch abzustatten. Ein Blick aus die Uhr belehrte ihn, daß er eine volle Stunde Zeit habe, er kehrte also wieder um und stieg die Granitstufen zu der Eingangs tür hinauf. Im Vestibül kam ihm der alte ergraute Diener entgegen in einer unbeschreiblichen Er regung. Er konnte anfangs nicht sprechen, er machte nur eine drastische Gebärde. Der Oberst blieb erschrocken stehen und rief ihn an, aber der Alte war zu fassungslos, um ein Wort hervorzubungen. „Mann, reden Sie! Was ist hier geschehen?" fragte der Oberst und rüttelte den Diener ener gisch an der Schulter. -Herr Oberst!" keuchte derselbe. „Ein Un glück — es ist zu entsetzlich — der Herr! — Ich weiß nicht, ob schon alles aus ist, — der Arzt —" „Sprechen Sie doch im Zusammenhang, Mensch! Lassen Sie die Umschweife! — Was ist mit Ihrem Herrn?" „Ich glaube, er ist tot! — Verzeih' mir's Gott, es muß heraus, ich glaube, es hat ihm da oben gefehlt!" D« Diener schlug sich auf die kahle Stirn. „Er ging verstört umher — den ganzen Morgen, dann hat er sich eingeschlosseu in sein Arbeitszimmer. Dort hörte ich ihn so gräßlich auflachen, daß mir's durch Mark und Bein ging; dann ein Schluchzen — da könnt' ich mir nicht anders helfen — « gab ja keine Antwort auf mein Bitten, Rufen und Beschwören — mir wurde todesangft, ich rannte hinauf zur gnädigen Frau. Sie war mit dem Fcäulein ausgefahren, alle waren sie fort. Niemand im Hause — und ich wagte es 'nicht, Hilfe zu holen — mir Mute es, ihn allein zu lassen. Freilich, waS konnte ich tun? Er hatte sich ja eingeschlossen — ich hätte die Tür sprengen müssen — und w« weiß, ob ich dann noch imstande gewesen wäre, überhaupt — Gott steh' mir bei! — Ich glaube, er hätte mich umgebracht l So stand ich und horchte, da hört« ich ihn wieder lachen, so gräßlich auflachen, so grauenhaft — da lief ich in d« Augst zu unserm Hausarzt — « ist jetzt bei ihm. Und Frau und Tockter sind so eben gekommen — es ist herzzerreißend!" „Was — er hat doch nicht. . ." D«« Oberst erstarb das Wort auf den Lippen. „Ja — eine Kugel hat er sich — ach, mein Gott!" Als -der Oberst den Greis so vor sich stehen sah, mit erhobenen Händen, Angst und Schrecken auf dem farblosen, faltigen Gesicht, zweifelte er nicht mehr an dem Ungeheuerlichen, das er so eben gehört. Wechsler, der geachtete Bankier, d« ruhige, charakterfeste Mrnsch, der glücklich» Familienvater, hatte — Hand an sich selbst gelegt! Warum? — Aber hier galt kein müßiges Reflektieren, kein Zaudern. Mit rascher Hand schob d« Oberst den Alten zur Selle und begab sich eilig nach dem Arbeils- kabinett im Mgeschoß. Kaltes Entsetzen durch rieselte ihn, als er bei« Eintreten den Bankier mit einer blutenden Wunde an der SchlLsv auf dem Diwan liegen sah. Frau Wechsler stand neben dem Arzte vor dem Toten uick kehrte dem Oberst den Rücken zu. Als er näher trat, wandte fi« hastig den Kopf und stierte den allen Herrn wie geistesabwesend an. Eine fahle Blässe bedeckte ihr ganzes Gesicht bis tief in den Nacken. Ihre von einem We»- krampf befallene Tochter hatte Bruno vor wenigen Minuten erst aus dem Zimmer geführt. Ms der Oberst herantrat, hatte der Arzt seine Untersuchung beendet. Er richtete sich anL, packte seine Instrumente zusammen, sagte leip einige Worte zu der Frau und ging. „Gnädige Frau," begann der Oberst e»- schüttelt, „wie konnte das geschehen, was trieb ihn —" er warf einen entsetzten Blick nach de« Toten — .zum . . . ." er brach ab. „Zum Selbstmord, wollten Sie sagen," er gänzte sie bitter. „Hier," fuhr sie fort, ei» zerknittertes Blatt aus der Tasche ziehend und es dem Oberst hinreichend, — „das — les« Sie das!" Und dann, während der alle Herr betroffen das Billett eutgegennahm, sank die uw>
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)