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Allgemeiner Anzeiger : 14.12.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-12-14
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190412144
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19041214
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-12
- Tag 1904-12-14
-
Monat
1904-12
-
Jahr
1904
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 14.12.1904
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politische Kunälckau. Der russisch-japanische Krieg. * AmSchahe scheint man noch lange kein entscheidendes Ereignis zu erwarten. Nach den neueren Meldungen ist eine japanische Offensive vorderhand kaum zu gewärtigen. Es gewinne den Anschein, so heißt es, als beabsichtigten die Japaner in ihren gegenwärtigen Stellungen zu überwintern. Ob Kuropatkin geneigt ist, dies seinerzeit zuzulassen, weiß man freilich noch nicht. Augenblicklich scheinen beide Armeen ihre Front nach Osten zu verlängern, doch wohl um eine Flankenbewegung zu versuchen bezw. zu verhindern. * Durch die Annäherung des baltischen russischen Geschwaders — das Gros davon befindet sich zur Zeit schon im indi - schen Meere — steigt zwar die Nervosität in Japan; indessen haben die Japaner keine Ursache zur Furcht vor den russischen Schiffen, denn Wladiwostoks Hafen, der den ein zigen Stützpunkt geben könnte, ist bei der eventuellen Ankunft der Russen schon zugesroren und eins kampffähige russische Flotte gibt es nicht mehr. Demgegenüber will es sogar wenig besagen, daß die Japaner nunmehr darauf rechnen, bis zum 20. d. Port Arthur einge nommen zu haben. *Die volle Vernichtung der russi schen Port Arthur-Flotte macht die japanische Flotte gegen das baltische Geschwader frei. In PetersblM soll man deshalb auf die Entsendung eines^r itten Geschwaders nach Ostasien bedacht sein. In einer be sonderen Sitzung des russischen Kriegsrars am Mittwoch befahl der Zar die Entsendung eines solchen. . * Die Mitteilungen des russischen Marine agenten Günsburg über die Kohlenver sorgung von Port Arthur werden von japanischer Seite als unrichtig bezeichnet, so weit sie „einen Bruder des Ministerpräsidenten Katsura" betreffen. Der japanische Minister präsident hat gar keinen Bruder. Daß man nach Port Arthur auch japanische Kohlen ver schifft habe, sei wohl möglich. Aber dies sei kaum durch japanische, sondern durch ausländische Kaufleute geschehen. * * Deutschland. *Die deutsch-österreichischen Handels vertragsverhandlungen sollen noch vor Weihnachten in Berlin fortgesetzt werden. *Der Bundesrat wird frühestens Ende Januar in der Lage sein, sich mit dem Gesetz entwurf über den Versicherungsvertrag zu beschäftigen. Zur Zeit unterliegt derselbe der Begutachtung der Einzelregierungen. Da sich die vorgenommenen Änderungen auf über hundert Punkte erstrecken, ist die notwendige Nachprüfung einigermaßen zeitraubend. * Wegen der Aufstellung des vom Staats sekretär des Innern Grafen Posadowsky dem Reichstage namens der verbündeten Regierungen versprochenen Gesetzentwurfs über die Rechts fähigkeit der Berufs vereine finden zurzeit Konferenzen zwischen Vertretern des Reichsamts des Innern und der andern in Betracht kommenden Ressorts und Instanzen statt. Wann dieselben zum Abschluß gebracht werden können, ist augenblicklich noch nicht zu sagen. * In der am Dienstag (13. d.) beginnenden Beratung der Reichsjustizkommission sollen die Verhandlungen über die Ausgestaltung des Vorverfahrens fortgesetzt und zu Ende geführt werden. Als weitere Gegenstände der Tagesordnung find angesetzt: die Vor schriften über die Hauptverhandlung und die BeschWerde, über die Frage der bedingten Verurteilung, über das Verfahren in zweiter und in der Revisions instanz und über die Verteidigung. *Die Statistik der. Reichspost- und Telegraphenverwaltung für das Kalender jahr 1903 ist jetzt fertiggestellt. Die Post hat allein nahezu 6 Milliarden Sendungen befördert. Zur Frankierung dieser Sendungen waren säst 4 Mil ¬ liarden Brifmarken erforderlich. Das im vMgen Jahre eingetretene Vorherrschen dsr^Marke zu 5 Pfz ist noch weiter gewachsen: es wurden davon 960 Millionen Siück gegen 908 zu 10 Pfg. ab gesetzt, während früher das Verhältnis umgekehrt war. Die Zahl der Postanstalten beträgt jetzt 32 788 gegen 32 542 im Vorjahr. Telegraphen anstalten gibt es 23596, Fernsprechanstalten 17 944, Außerhalb des ReichspostgebietS gibt eS jetzt 121 Postanstalten, davon 87 in den Schutzgebieten, 34 im Ausland. Die Reichspost benutzt täglich 12 551 Eisenbahnzüge. Die Gesamteinnahme betrug im Rechnungsjahr 1903 465 Mill., die Ausgabe 401, sodaß ein Überschuß von 64 Mill, verbleibt, ein schließlich der einmaligen Ausgabe mit fast 12 Mill. Der Überschuß ist fast dreimal so groß wie vor 11 und vor 20 Jahren. Die Einnahmen haben sich seit 20 Jahren verdreifacht, seit 10 Jahren nicht ganz verdoppelt. Der französische nationalistische Abgeordnete Syveton -ß. * Nach der Übersicht über die Ergebnisse des Heeres-Ergänzungsgeschäftes sind am 1. Oktober 1903 für die Marine aus der seemännischen Bevölkerung 2804 Mann, aus der Landbevölkerung 4337 eingestellt worden. Die meisten Matrosen stammen naturgemäß aus den Küstenprovinzen, die meisten lieferte Schleswig- Holstein 1396 (darunter 410 ländliche), Pommern mit 692 (158 ländliche), weiter Hannover-Oft- friesland - Bremen - Hamburg (10 Armeekorps) 541, Ostpreußen mit 538, Westpreußen mit 486. Von den Nichtküstenprovinzen lieferte am meisten Westfalen (647), dann Rheinprovinz (370), weiter Sachsen (284), Brandenburg (248), am wenigsten Hessen-Nassau (129) und Loth ringen (102). Bayern sandte 563, Sachsen 112, Hessen 62, Württemberg 229 Matrosen. * Hundert Witbois, die von Swakop- mund fortgebracht waren, weil man verhindern wollte, daß sie sich dem Ausstande anschlössen, find in Togo eingetroffen. Es verlautet, fie sollen beim Wegebau im Innern der Kolonie verwendet werden. Frankreich. *Der nationalistische Abg. Syveton, der wegen seines tätlichen Angriffs auf den früheren Kriegsminister Andro für 30 Sitzungen von der Deputiertenkammer ausgeschlossen war und der am Freitag wieder in der Kammer er scheinen sollte, ist am Donnerstag während eines Nachmittagsschlüfchens an Leuchtgas- Vergiftung gestorben. Ein Gummischlauch, der einem kleinen Ofen Gas zusührte, war undicht geworden. *Der ehemalige Ministerpräsident Ribot, seit längerer Zeit einer der Feinde des Kabinetts Combes, hielt am Mittwoch in der Generalversammlung des republikanischen Verbandes eine Rede, in der er die Regierung in der schärfsten Weise angriff und im Hinblick auf die im Jahre 1906 stattfindenden Wahlen zur Kammer für die Ver einigung sämtlicher oppositioneller Parteien eintrat. Die Parole für die Wahlen f müsse lauten: Achtung vor allen religiösen An- . schauungen, Ehrenhaftigkeit und Redlichkeit der Re gierung, Schmach allen, die durch ein unwürdiges Vorgehen die alte französische Ehre befleckt haben, Versöhnung aller moralischen Kräfte des Landes durch Freiheit, Toleranz und Verherrlichung des patriotischen Gefühls. Italien. *Jn Rom erschien am Donnerstag zur fünfzigsten Wiederkehr des Tages der Prokla mation des Dogmas von der unbefleckten Empfängnis Mariä der Papst in der Peterskirche. Der Papst zelebrierte die Messe mit starker, klarer Stimme und erteilte den Segen. Ruhland. * Zur Reformbewegung in Rußland wird berichtet, daß 400 der angesehensten russi schen Advokaten im Petersburger Stadthaus eine Adresse an den Zaren unterzeichneten, die die Notwendigkeit von Reformen in Ge setzgebung und Verwaltung sachlich darlegt. Balkanstaaten. *Jm neuen Heeresbudget Bulgariens sollen Grundlagen zur Organisation einer Seewehr gelegt werden. Beim-Kriegs ministerium soll eine spezielle Flottenabteilung geschaffen, in Varna und Burgas sollen Strand batterien errichtet werden. In Frankreich find zahlreiche schwimmende Torpedos zur Verteidi gung beider Häfen bestellt worden. Deutscher Reichstag. Am 9. d. gibt vor Eintritt in die Tagesordnung Reichskanzler Graf Bülow namens der ver- dündeten Regierungen die Erklärung ab, daß die für die nächsten Tage tn Aussicht genommene Vorleguug der neuen Handelsverträge nicht erfolgen werde, da gegründete Aussicht vorhanden sei, auch mit dem Verbündeten Nachbarstaat Österreich - Ungarn zu einem Einverständnis zu gelangen. Die Verbündeten Regierungen halten daran fest, nur einem solchen Handelsvertrags zustimmen und die Genehmigung des Reichstages nur für einen Handelsvertrag nachsuchen zu können, der eine ausreichende Garantie für den Schutz des deutschen Viehbestandes durch Seuchengefahr gewährt. Auch im Interesse der deutschen Ausfuhrindustrie muß an gewissen Forde rungen unbedingt festgehalten werden, wenn es zu einem Handelsverträge kommen soll. Die neuen Handelsverträge werden dem Reichstage nunmehr unmittelbar nach den Weihnachtsferien zugehen. Nunmehr wird die erste Beratung des Etats und der Militärgesetze fortgesetzt. Reichsschatzsekretär Frh. v. Stengel erörtert die Finanzreform. Derselbe, bezeichnet die Ein führung von direkten Steuern für das Reich als unmöglich. Die Einzelstaaten haben die Steuerkraft ihrer Bürger schon genug angespannt. Mit Spar samkeit allein kommen wir nicht aus, auch nicht allein mit ungedeckten Matrikularbeiträgen. Abg. Graf zuL- tolberg - Wernigerode (kons.): Ich habe im Namen meiner politischen Freunde unsre Zustimmung zu der Militärvorlage zu erklären. Mit Unrecht will man der Kavallerie eine minderwertige Rolle zuweisen. Sie hat in den Schlachten von 66 und 70/71 große Dienste geleistet. Den Japanern fehlt Kavallerie, deshalb können sie ihre Siege nicht ausnutzen. Die Mehrforderungen für Vermehrung des Ausbildungspersonals werden wir freudig be willigen. Ich hoffe, daß die Militärvorlage mit großer Mehrheit angenommen wird. Abg. v. Vollmar (soz.) bedauert den jetzigen Reichsschatzsekretär. Wir glauben nicht an das Versprechen, die wirtschaftlich Schwachen zu schonen. Die Mehrerträge des Zolltarifs sind ja schon fest- gestellt für Witwen und Waisen, aber auch dies Schönheitspflaster wird abgerissen, sobald die neue große Marinevorlage kommt. Wir werden die Matrikularbeiträge erhöhen müssen. Die Militär vorlage ist gänzlich unbegründet. Man will den Krieg nur verhindern, weil allein die Sozialdemo kratie davon Vorteil hat. Damit gibt man den Einfluß unsrer Partei auf die Menschheit und die internationalen Beziehungen zu. Der Reichskanzler hat auf die Rede Bebels in einer Weise geant wortet, als ob er nur die Aufgabe hat, die größte Partei des Hauses zu brüskieren. Einer gewissen Partei ist mit Wortgefechten nicht gedient, sie ver langt den starken Mann mit wenig Hirn und starken Nerven, der die Sozialdemokratie an die Gurgel faßt und mit gepanzerter Faust niederschlägt. Das sind nicht Sie, Herr Reichskanzler I Wir wollen unser Vaterland nicht in einen Krieg verwickeln, am wenigsten in einen unglücklichen! Wir ver langen strenge Neutralität und hallen sie durch eine russische Anleihe bei uns verletzt. Wir wollen in Rußland den Umsturz und haben dabei das ganze gebildete Europa und Rußland zu Komplicen. Wir hoffen, daß auch wir bald einer größeren Freiheit entgegengehen. Reichskanzler Graf Bülow: Ich habe in meiner Antwort auf die Rede des Abg. Bebel nicht, wie der Vorredner meinte, in verärgenem Tone ge sprochen. So leicht ärgere ich mich nicht. Auch bin nicht ich eS, der die Sozialdemokratie heraus fordert und zum Widerstand reizt. Vielmehr ist es die Sozialdemokratie, die beständig die heftigsten An griffe gegen Staat, Minister, Gott und alle Welt richtet. Sie selbst aber will die Rolle des Pflänz chens „Rühr' mich nicht an!" für sich in Anspruch nehmen. Demgegenüber muß der staatserhaltende Teil des Volkes, muß jeder Minister nachdrücklichst Verwahrung einlegen. Der Reichskanzler geißelt sodann die völlige Niederlage, die der Revisionismus innerhalb der sozialdemokratischen Partei erlitten bat und konstatiert, daß alle versöhnlicher klingenden Äußerungen, auch diejenigen bezüglich des nationalen Empfindens, in der Sozialdemokratie nur akademi schen Wert haben, solange ein Wille üffder Partei herrschend ist, und dieser Wille von durchaus anti nationalen Grundsätzen beherrscht wird. Was das Verhältnis des Reiches zu Rußland angeht, so wird die Regierung, gemäß den traditionellen Beziehungen zu diesem Staate, unbeirrt an der wohlwollenden Neutralität festzuhalten, ohne dadurch irgend einer Macht Grund zu irgendwelcher berechtigten Be schwerde zu geben. Wenn im Auslande die Deutschen gehaßt oder wenigstens nicht gern gesehen werden, so trägt einen erheblichen Teil der Schuld daran die deutsche Witzpresse, die leider nur allzu oft in maßlosen Ausfällen, bösartigen Illustrationen, rohen Witzen usw. gegen ausländische Zustände sich ergeht und besonders von Rußlands Rolle im gegen wärtigen Kriege mit einem Hohne spricht, der in keinem Verhältnis steht zu der Tapferkeit, die das russische Heer bewiesen hat. Schließlich muß die Nation die Fenster ersetzen, die ihre Presse einwirft. Deshalb wird die Regierung, je mehr die Sozial demokratie gegen Rußland ihren Haß und ihren Angriff richtet, desto mehr bemüht sein, die Be ziehungen des Reiches zu Rußland in friedlichen und freundlichen Bahnen zu erhalten. Der Reichskanzler stellt sodann fest, daß an den Andeutungen des Abg. v. Vollmar, betreffend den Abschluß eines deutsch-russischen Geheim-Äer- träges, nicht weniger als alles unwahr sei. Zum Schluffe betont Graf Bülow, auch er hoffe imd wünsche, daß die Fricdensversicherungen, die von allen Mächten abgegeben wurden, ehrlich gemeint seien. Es gebe aber Unterströmungen in Europa, mit deren Gefahren der Leiter eines großen Reiches rechnen müsse. An vielen Stellen sei Zündstoff vor handen, und es fehlt nicht an Leuten, die diesen Zündstoff entfachen wollen. Das Deutsche Reich habe dank seiner Stärke seine freundlichen Be ziehungen erhalten können. Ein schwaches Deutsch land werde sofort kriegerische Vorgänge groß werden lassen, und so sei nur ein starkes Deutschland eine zuverlässige Garantie für den Bestand des europäi schen Friedens. Abg. Spahn (Zir.) glaubt nicht daran, daß die neuen Zollverträge die Lebenshaltung des deutschen Arbeiters verteuern werden. Die Ge währung von Diäten hält er für notwendig. Die Revisionisten in der Sozialdemokratie seien nur deshalb zur Ohnmacht verurteilt, weil sie die Parteidiäten nicht entbehren könnten und deshalb von der Partei abhängig seien. Abg. Stöcker (christl.-soz.) polemisiert gegen die Sozialdemokratie. Zur Deckung der Mehraus gaben im Etat scheine ihm die Reichserbschafisstcuer geeignet. Wir müssen ein Volk in Waffen haben, aber beim AusbildungSpersonal muß die Nervosität schwinden, deshalb müssen die Unteroffiziere besser gestellt werden. Abg. v. Gerlach (fr. Vgg.) bespricht den Königsberger Prozeß und erklärt, daß fast alle Kreise deS Volkes auf Japans Seite stehen, denn sie lachen über die Redensart von der gelben Gefahr. Hier erscheint nur die Kultur ausschlaggebend. Darauf vertagt sich das Haus. Von Mak unä fern. Keine „Verbindung" mehr. Mit der Begründung, keine „sichtbare Verbindung" mehr mit dem Heilbronner Rathaus haben zu wollen, hatte der frühere Oberbürgermeister Hegelmaier an den Gemeinderat von Heilbronn das Er suchen gerichtet, daß sein Familienwappen, das sich in einem Fenster des Rathauses befindet, herausgenommen werde. Der Gemeinderat hat jedoch dieses Gesuch in nichtöffentlicher Sitzung abgelehnt. Herr Hegelmaier muß also wohl oder übel für alle Zeiten mit dem Heilbronnec Rathaus verbunden bleiben. Übrigens bezieht er noch seine Pension von dort, und ans diese Verbindung will er gewiß auch nicht verzichten. Oi Qnter äer Maske. Roman von Lady Georgina Robertso n *) Autorisierte Übersetzung aus dem Englischen 1) von Anna Krüger. Die Fenster eines reich ausgestatteten Zimmers waren weit geöffnet und die Abend sonne warf ihre letzten Strahlen herein. Sie glitten über das Lager eines jungen Mädchens, welches mit sehnsuchtsvollen Blicken ins Weite schaute. „Mathilde," flüsterte die matte Stimme der Kranken, „ich möchte dir etwas sagen." „Du darfst nicht sprechen, mein Herz, der Doktor hat es verboten." „Aber ich muß doch sterben, was kommt darauf an, ob ich eine Stunde länger lebe oder nicht. Ach, Mathilde, ist es wirklich wahr? Ich kann es nicht glauben. Ich fürchte mich gar nicht und dachte doch, daß es so schwer sei, zu sterben." „Du hast auch nichts zu fürchten, für dich wird es ein sanftes Einschlafen sein." „Aber welch ein Schlaf! Hier in diesem Zimmer werde ich meine Augen schließen und erst in einer andern Welt wieder erwachen. Als ich in der vorigen Nacht das Rauschen des Windes in den Bäumen hörte, erfaßte mich plötzlich eine wunderbare Idee; glaubst du, Mathilde, daß Sterbende eigentümliche Visionen haben können?" „Ich habe oft davon gehört. Was sähest du?" *) Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt. „Ich wag' es dir nicht zu sagen und doch verfolgt es mich so, daß ich leichter sterben würde, wenn mein Wunsch in Erfüllung ginge." „Sprich ihn aus," bat Mathilde, aber Ellen zögerte zu antworten. „Ihr werdet mich für kindisch und töricht halten, ich scheue mich, davon zu sprechen, aber das Verlangen wächst in mir und ich weiß, daß ich nicht ruhig und glücklich sterben kann, wenn mir mein letzter Wunsch versagt wird." „Ist dir in deinem ganzen Leben wohl ein Wunsch abeschlagen worden, Ellen? Du brauchst nicht zu sürchten, daß es mit diesem letzten der Fall sein wird." Ein glückliches Lächeln glitt über das Ant litz der Kranken. „Ja, du hast recht", sagte sie. „Das Leben hat mir nur Gutes, nur Glück gebracht. Ich bin immer mit Liebe über schüttet worden, kein Wunsch ist mir unerfüllt geblieben. Dafür muß ich nun so jung sterben, kaum achtzehn Jahre alt. Aber die Erfüllung meines größten Wunsches soll der Schluß meines glücklichen Lebens sein. Ach, Mathilde, wirst du mich verstehen? Ich sah im Geiste ein weißes Marmorkreuz auf meinem Grabe, und weißt du, welche Inschrift es hatte?" Erschöpft schwieg die Kranke. Mathilde strich sanft mit der Hand über die blaffe Stirn. Nach einer Pause fuhr Ellen leise fort: „Ich möchte, daß die gleiche Inschrift auf meinem Grabe stände und jeder lese: „In treuem Ge denken an Ellen, die geliebte Gattin Sir Artur Chesleighs." — Nun kennst du meinen letzten Wunsch: Ich möchte mit Artur Chesleigh ge traut werden, ehe ich sterbe." Als das Geheimnis endlich heraus war, sank Ellen in die Kiffen zurück und schloß die Augen. Einige Minuten herrschte tiefes Schweigen. Aus Mathildens Antlitz war jede Farbe ge wichen und fie kämpfte einen schweren, bitteren Kampf mit ihrem Herzen. Endlich sagte fie leise: „Hast du ihn so sehr lieb, Ellen?" Die Kranke schlug die Augen auf. „Ja", erwiderte sie. „Ich liebe ihn mehr als alles auf der Welt, mehr als meine Eltem, mehr als dich und tausendmal mehr als mich selbst. Ich liebe ihn so sehr, daß ich, ehe ich sterbe, sein Weib heißen möchte. Ist das ein Unrecht?" Wie konnte Mathilde ihre Cousine ver urteilen, da sie selbst Artur Chesleigh in der selben Weise liebte? Sie küßte die Kranke zärtlich. „Und er, Ellen, hat er dich auch lieb?" fragte fie. „Ja, davon bin ich überzeugt. Ihr sagt doch alle, daß jedermann mich lieb hat." „Das ist wahr, aber dies ist eine andre Liebe, ganz anders wie die der Eltern und Freunde. Ein Schatten zog über Ellens Gesicht. „Was liegt daran, Mathilde, welcher Art seine Liebe ist. Du weißt, daß morgen um diese Zeit alles Irdische hinter mir liegt." „Und warum beunruhigt dich diese Sache denn überhaupt noch?" „Du verstehst mich eben nicht," erwiderte Ellen traurig. „Ich habe von Tag zu Tag gelernt, ihn mehr zu lieben, und ich sterbe leichter, wenn er in der Nähe ist. Ich möchte in der letzten Stunde seine Hand halten, mein Blick soll auf ihm ruhen, und in seinen Armen will ich hinüberschlummern. O, Mathilde, be denke, mach' mein Ende leicht und hilf mir. Ich weiß, du kannst es!" „Was soll ich tun?" fragte diese mit klang loser Stimme. „Ich Weitz, daß er hier im Hause ist, ich höre seinen Schritt, und mein Herz schlägt höher, wenn er vorbeigeht." „Er ist hier," gab Mathilde zu. „Dann suche ihn auf und sprich mit ihm- Erzähle ihm von dem Wunsche und der Bitte einer Sterbenden, die ihn über alles liebt. Er wird nicht „nein" sagen. Sage ihm, daß er mir meinen Tod versüßt. Geh', beeile dich. Be denke, wie kurz die mir gegebene Frist ist. Und bitte meinen Vater, daß er zu mir komme, ich weiß, daß er mich verstehen wird." Mit ungeahnter Kraft richtete sich die Kranke im Bette auf, und der Ausdruck ihres Gesichtes verfolgte Mathilde noch lange. „Sollte er meine Bitte abschlagen," sagte fie, „meinen Wunsch nicht erfüllen, dann laß niemand zu mir, denn ich will ganz allein und einsam sterben. Aber er wird kommen, ich weiß es, ich werde noch im Tode seinen Namen tragen. Beeile dich, eile, Mathilde!" Verwirrt und betäubt erhob Mathilde Burton sich und verließ ohne ein weiteres Wort das Zimmer, um ihren Onkel aufzusuchen. »Ellen war das einzige Kind von Sir John
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