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Allgemeiner Anzeiger : 21.09.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-09-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190409215
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19040921
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19040921
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-09
- Tag 1904-09-21
-
Monat
1904-09
-
Jahr
1904
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 21.09.1904
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polrlUcde kuncllcbau. Der russisch-japanische Krieg. * Nach achttägiger Pause haben die Japaner ihren Vormarsch wieder ausgenommen. Östlich von Mulden zeigten sich starke japanische Abteilungen, denen die Nüssen entsprechend starke Streitkräfte entgegen senden. "Die Japaner haben wieder ein Außen« fort von Port Arthur genommen und beginnen jtzt den Minenangriff. Petersburger Privatmeldungen zufolge find die jüngst errungenen Vorteile der Javaner vor Port Arthur weit bedeutender, als bisher zugestanden worden ist. Der Korrespondent des ,New Dock Herald' versichert, General Stössel habe die Vollmacht erhalten, die Festung im geeignet erscheinenden Augenblicke zu übergeben. "Ein englisches Segelschiff stieß bei Port Arthur auf eine Mine; es wurde nur eme Berson gerettet Man nimmt an, daß das Schiff die Blockade brechen wollte. * Eine Petersburger Meldung bestätigt die Nachricht von dem Abschiedsgesuch Alexejews insofern, als Alexejew tatsäch lich den Zaren gebeten habe, ihn seines Amtes als Befehlshaber der mandschurischen Truppen zu entheben, nicht aber seines Postens als Statthalter. Er werde beauftragt bleiben mit der diplomatischen und politischen Vertretung. Ec weide seine Residenz in Charbin ausschlagen. Der Zar habe den Wunsch Alexejews erfüllt. Kuropatkin würde also in Zukunft die einzige Verantwortlichkeit für alle Truppenbewegungen haben. *Das russische „Note Kreuz" beschwert sich darüber, daß die Japaner auf das Personal desRotenKreuzesschössen, auch wenn die Fahne des Roten Kreuzes an Orten auf- uepflanzt sei, wo das Personal des Roten Kreuzes Verwundete zusammenirage. Viele Mitglieder des russischen Sanitätspersonals seien io gelötet worden. Dies Vorgehen der Japaner erwecke um so mehr Erbitterung, als die Japaner selbst auf den Schlachtfeldern Briese zurüSließen mit der Bitte an die russischen Behörden, die unter den russischen Forts getöteten Japaner zu beerdigen. — Das „empörende Verfahren" der Japaner wird sicher wohl auch in diesem Falle, wie in andern, wo bald gegen sie, bald gegen die Nüssen ein solcher Vorwurf, laut wurde, durchaus unbeabsichtigt gewesen sein. * Mit der Ausfahrt der russischen Ost see f l o t t e nach Ostasien ist's eitel Wind. Sie ist im Hafen von Libau vor Anker ge gangen und „wird sich dort einige Zeit auf halten," wie der offiziöse Bericht sagt. * * * Deutschland. "Kaiser Wilhelm ist in Kadinen eingetroffen. "Bloß als Gerücht sei eine Meldung Krakauer Blätter verzeichnet, daß der Zar demnächst mit Kaiser Wilhelm in Skiernewire (Kongreßpolen) eine Zn- sammetikunft haben werde. Auch die Teil nahme Kaiser Franz Josephs sei geplant ge wesen, doch wurde dieser Plan fallen gelassen, um Kaiser Franz Joseph die Reisestrapazen zu ersparen. "Der Bezirksausschuß in Breslau ver handelte am Donnerstag über eine Klage des deutschen Kronprinzen gegen den KreiSaus schuß zuOels wegen Heran ziehung zu Kreisabgaben. Der Kronprinz soll für sein Oelser Lchnsgut bei einem ange nommenen Einkommen von 126 800 Mark 5000 Mark Steuern zahlen. Er hatte aber grund sätzlich in Abrede gestellt, zur Zahlung von Stenern verpflichtet zu sein, während der Kreis ausschuß behauptet, daß nur der Landesherr, nicht aber die Mitglieder des töwglichen Hauses Steuerfreiheit genießen. Derselben Ansicht war auch der Bezirksausschuß, der nach kurzer Be ratung zugunsten des Kreisausschusses entschied. * Der Reichstag wird, wie die ,Germ.' „zuverlässig" erfährt, zum 29. November einberufen weinen, also an dem Tage, der in der Kabineitsorder über die Vertagung des Reichstags als Endtermin vorgesehen ist. In der in der letz'en Sitzung am 16. Juni ver lesenen Kabineitsorder heißt es: „Der Reichs tag wird bis zum 29. November d. vertagt." "Einige Mitglieder des Preuß. Landtages haben in der vorigen Woche die Ems bereist. Es hieß damals, es sei auch die Strecke des projektierten Rhein-Ems-Kanals be sichtigt worden. Dieser Meldung tritt die .Köln. Volksztg/ entgegen: Das ist ein Irrtum. Allerdings wird der Rhcin-Ems-Kanal in Emden, von wo auch die Mitteilung stammt, sehr gewünscht; ein greifbares Projekt dieses Kanals besteht aber nicht. Zuzugeben ist, daß durch einen in größten Abmessungen ausge führten Kanal vom Rhein (etwa Wesel) zur Ems (Hannekensähr) und dann zur Nordsee der Rhein eine deutsche Mündung und Emden' direkte Verbindung mit den an ihm gelegenen Städten erhielte. Der Kanal würde aber ein schließlich der erforderlichen Rheinausbaggerun gen von Wesel bis Köln rund eine halbe Milliarde Mark kosten; an seine Aus führung ist also — zur Zeit wenigstens — nicht zu denken. Bei der Bereisung ist des halb auch diese Linienführung nicht besichtigt worden. von nun ab in den Lehrerseminaren polnisch unterrichM werde'. "Die Polizei m Wilna hat dort eine Ge sellschaft entdeck.', die geschäftsmäßig Vergehen gegen die militärischen Aushebungsgesctze in größtem Maßstabe betrieb. Für 8—1200 Rubel lieferte die Gesellschaft gefälschte Befrei nngsscheine, die echt 10 bis 15 000 Rubel gekostet haben würden. Sie stellte ferner den zum Dienst Unberufenen untüchtige Ersatzpersonen. Die Gesellschaft betrieb ihr Geschäft so offen, daß man ihre Adresse in jedem Hotel erfahren konnte. (Für den, der russische Verhältnisse kennt, klingt die Sache nicht unglaublich, nicht einmal unwahrscheinlich.) Amerika. "Indianer verschiedener Stämme haben bei der amerikanischen Regierung dagegen Pro - test erhoben, daß es den Kindern der Neger gestattet ist, die Schulen der Indianer zu besuchen. (Von der Idee der allgemeinen Menschheitsverbrüderung scheinen die Äothäute noch nicht eingenommen zu sein; offenbar halten sie sich den Negern gegenüber für höherstehende Wesen.) Frankreich. * Präsident Loubet hat am Mittwoch zum erstenmal auf das kommende Ende seiner Amtsführung hingewiesen. Er sagte nämlich in einer Rede zu La Begude, er werde alle Hingebung, deren er fähig sei, dem Lande widmen in der Erwartung, daß er in 16 Monaten sich der Ruhe werde hingeben können, auf die er Anspruch habe. * Das Ministerium des Handels und der Industrie veröffentlicht endlich die Statistik über die ArbeitSeinstellungeninFrankreichim Jahre 1903. Gegenüber dem Jahre 1902 hat sich ihre Zahl zwar vermehrt, aber ihr Umfang und ihre Dauer vermindert. Die 567 Arbeitseinstellungen von 1903 verursachten einen Verlust von 2 441944 Arbeitstagen, während in 512 Streiks des Jahres 1902 die Arbeiter 4472 477 Arbeitstage verloren hatten. Was den Erfolg anbetrifft, so haben die Arbeiter in 122 Fällen ihre Absichten durchgesetzt, in 223 Fällen unterlagen sie, und in 222 Fällen wurden die Wünsche der Arbeiter teilweise be friedigt. In 416 Fällen waren alle oder die meisten Arbeiter in Vereinen organistert, nur in 218 Fällen waren eS auch die Arbeitgeber. Durch den Streik oder nach dem Streik entstanden zehn Arbeitervereine und zwei Vereine der Arbeitgeber. In drei Fällen verschwanden dagegen die Arbeiter vereine infolge des Streits. Nur in 60 Fällen war es den Arbeitervereinen möglich, ihren Mitgliedern regelmäßige Unterstützung zu gewähren. Italien. * Nun hat auch Italien seinen direkten Thron erben. Königin Elena hat in der Nacht zum Frei tag einem Knaben das Leben gegeben, der als „Humbert, Prinz von Piemont" in das Geburtsregister eingetragen wurde. Der bisher achtjährigen Ehe des Königspaares waren nur die Prinzessin Jolanda urd Mafalda entsprossen. In vatikanischen Kreisen macht es einen guten Eindruck, daß der Neugeborene nicht den Titel eines „Prinzen von Rom" er hielt. Im allgemeinen ist die Freude im Lande über die Geburt eines Thronerben groß. Ruhland. * Bestimmt auftretende Meldungen versichern, daß der wirkli ch e M örd er Pleh w e s in dem großen Wirrwal, den das Attentat ver ursachte, leicht verwundet entkommen sei. Aber auch Sassonow, den die Behörden bisher für den Mörder hielten, istentflohen. Er befand sich bisher im Hospital und wurde auf Grund amtlicher Ausweise an zwei Offi ziere ausgeliefert, die ihn ins Gefängnis über führen sollten. Jetzt stellt sich heraus, daß das Dokument gefälscht war und daß die Leute in den Osfiziersunisormen Genossen Sassonows gewesen seien. Sassonow und seine Befreier find spurlos verschwunden. * Das Unterrichtsministerium ordnete an, daß in denV o l k s s ch u l e n Russ i.s ch-Polens der Unterricht in polnischer Sprache obligatorisch zu erteilen sei. Ebenso durse bin Kajonett Kampf. In den .Russkija Wjedomosti' schildert ein russischer Offizier, der an dem Bajonettkampf, den das 3. Bataillon des Regiments Woronesh am 31. Juli bei Tschuliaputfi zu bestehen hatte, teilnahm, die Vorgänge in diesem Kampfe wie folgt: Das Geknatter dreier Salven wird ver nommen. Ihre Bedeutung kennen wir nicht. Auf dem linken Flügel unsrer Position wird ein Flaggensignal gegeben. Das ganze Bataillon befindet sich im Zustande höchster Spannung. Wieder ein Signal. Kein Zweifel: vorwärts! heißt es. Das Bataillon erhebt sich, noch wenige Augenblicke, und es stürmt im Lauf schritt vor. Wir stürmen einen Berg hinauf. Schon hören wir Kugeln summen, das seltsame Geräusch wird mit jedem Moment stärker. Stumm und lautlos gehen wir vorwärts. Plö,- lich ertönt ein Schrei: ein Gefreiter der zweiten Kompanie ist verwundet — das erst Opfer. Wir steigen immer höher und höher, wie ein Alpdruck legt es sich auf die Seelen, enger drängen sich Mannschaften und Offiziere anein ander. Kurz vor dem Erreichen des Berggipfels machen wir auf einige Minuten Halt. Ein Kommando — und wieder geht es in wilder Hast vorwärts. Nun erreichen wir die Gipfel und sehen auf 30 bis 40 Schritt den Feind vor uns. Ein fürchterliches Feuer empfängt unS, das wir 5 bis 10 Sekunden erwidern. Jetzt wieder ein Kommando, und wie ein Mann wälzt sich das ganze Bataillon vorwärts. Noch wenige Sekunden, und in das Gestöhne der Ver undeten mengen sich laute Hurrarufe. Es ist unmöglich, die Schrecknisse eines BajonetlkampfeS zu be schreiben. Hier verteidigt sich ein überraschter japanischer Offizier verzweifelt mit dem Säbel. Nun dringt das scharfe Bajonett in seine Brust, und röchelnd fällt er leblos zu Boden. Rings umher herzzerreißende Weherufe. Doch niemand kümmert sich um das in Strömen fließende Blut, um die Klagelaute der Sterbenden. Ein Teil der überrumpelten Japaner sucht in der Flucht Rettung und stürzt, bald fallend und dann wieder sich erhebend, den Berg hinab. Aber auch in der Flucht ist keine Rettung. Wir holen den ermatteten Feind ein und stechen und schlagen wie dis Wahnsinnigen auf ihn los. Von einer grimmen, tierischen Wut ist alles er faßt, tief dringen die Bajonette in die Leiber, schwer sausen die Kolbenschläge auf den Kopf. Oft wird in blinder Wut noch auf die Toten eingehauen, mechanisch sticht und schlägt man weiter, ohne Berechnung, ohne Überlegung, nur )er augenblicklichen wilden Mordgier die Zügel chießen lassend. Zuweilen fährt das Bajonett uirch den ganzen Körper und stößt knirschend an das Felsgeröll. Die Bajonette verbiegen ich. Zuweilen steht man, wie der Kämpfe- verzweifelte Anstrengungen macht, das Bajonett aus dem Körper herauszuziehen. Ohne sich lange zu besinnen, laßt er die Waffe im Leibe stecken und ergreift das Gewehr des nächsten Toten und stürmt wieder vorwärts. Immer höher und böher türmen sich die Leichen — und schon glaubt man den Sieg errungen zu haben, fich etwas ausruhen zu können. Doch was ist das? Etwas Neues — ein Regen von Kartätschen, Granaten und Kugeln erfüllt plötzlich zischend, summend, pfeifend die Luft. Man glaubt die nächste Sekunde nicht mehr zu erleben. Die Reihen lichten fich immer mehr und mehr, bald hier, bald dort schlägt eine explodierende Granate klaffende Lücken. Hier fällt ein Offizier mit abgerissenem Kopfe lautlos zu Boden, dort wälzen fich in fürchterlich schwerem Todeskampf mehrere entsetzlich verstümmelte Soldaten, etwas weiter sieht man einen Offizier, wie er plötzlich hoch in die Luft springt und unmittelbar darauf mit einem geradezu tierischen Schmerzensschrei zusammenbricht. Das Gestöhn der Sterbenden und Verwundeten ist schon nicht mehr hörbar, es wird von dem Gewehrgeknatter und den Kommandorusen übertönt. Wohin das Auge auch blicken möge — überall Ströme von Blut, Todeszuckungen Verwundeter . . . Leider war der Kampf, ein ungleicher, daS Bataillon schmilzt mehr und mehr zusammen, und todestraurig oder von dumpfer Gleichgültigkeit erfaßt, ermattet bis zum äußersten, tritt das kleine Häuflein der überlebenden den Rückzug an, verfolgt von den Schrapnells und Granaten des Feindes. Und auf dem Rückwege stoßen wir auf die friedlich nebeneinander liegenden Leichen von Freund und Feind. Nur die Lage derselben verrät, daß etwas Entsetzliches vorgegangen ist. Manche halten noch im Tode die Waffen umklammert, und dazwischen das Gewimmer der Verwundeten, die herzzerreißenden Bitten um Hilfe, um einen Schluck Wasser, um einen Bissen Brot, um einen Fetzen Zeug — das entströmende Blut zu stillen. Dumpf, gleichgültig geht man an dem fremden Leid vorüber, so namenlos groß es ist; weiter, schnell weiter — der Feind und in seinem Gefolge der Tod ist ja auf den Fersen. . . Von s^ak uns fern. Zur Flacht der Prinzessin. Aus belgi schen Hofkreisen wird versichert, daß Prinzessin Luise von ihrem Gemahl nichts Wetter verlangt als Gewährung einer mäßigen Apanage, welche sie in den Stand setzt, in stiller Zurückgezogen heit ein bescheidenes Leben zu führen. Sie strebt weder eine Ehetrennung, noch eine Heirat mit Mattasttsch an, will aber das Recht haben, zu leben, wo es ihr paßt. Ebensowenig denkt sie daran, „Erinnerungen" zu veröffentlichen, die ihren Gemahl oder gar den König Leopold bloßstellen würden. Letzterer bleibt seiner Tochter gegenüber unerschütterlich und entzieht ihr die bisherige Jahresrente von 50 000 Frank, so daß die Prinzessin derzeit auf fremde Unter stützung angewiesen ist. - Eine Begegnung mit seiner Tochter lehnte der König rundweg ab. Der Schleuseneinsturz in Meppen hat, wie der ,Wes.-Ztg.' geschrieben wird, auf Monate den Durchgangsverkehr von den Ems- Häfen bezw. von der See nach Westfalen gestört und den Betrieb von über 160 Schiffen und 66 Schleppdampfern, die am Kanalverkehr be teiligt sind, unterbunden. Ein Kapital von über 3 Millionen Mark ist lahmgelegt. Tot aufgefunden. In der Gemeinde Haan bei Düsseldorf wurde der 73 jährige Weber Holke mit erheblichen Verletzungen am Kopfe tot aufgefunden. Anscheinend ist der alte Mann von einem Automobil überfahren worden. Der Naturmensch Gustav Nagel hat jetzt seine Reise nach den Ver. Siaaten von Nord-Amerika angeireten und sich in seiner Heimat mit folgender Bekanntmachung verab schiedet: „ich bin fon heute ab ferreist, her schüzenwirt schünemann, welcher die ferwaltung meines Heimes übernommen hat, befriedigt gerne nach intüchtung des üblichen eintrittsgeldes daS erlangen nach befichtigung meines sonnenbades; obgleich ich gegen feuer und einbruch fersichert bin, so hoffe ich doch, das ich mein heim bei meiner rückkunft unfersert widerfinde, got be fohlen, guftaf nagel. Arendsee i. altm." Ji 6m fLrmUen-6ekeimms. Sj Kriminalroman von Eberhard Woldenberg. iFortletzung.) 6. ES war am Vormittag deS andern Tages gegen neun Uhr, als der Bankier Wechsler sein Arbeits zimmer betrat. Sein Gesicht zeigte nicht mehr den glücklichen Ausdruck vom gestrigen Abend, sondern es war bleich und sorgenvoll. Er setzte fich in seinen Fauteuil vor dem Schreibtisch und ließ seine Augen im Kreise nmherschweifen. Durch die halbgeöffnete GlaStür blickte er in das Kontor nach den Pulten, hinter denen gebückte Gestalten rechneten und schrieben, Folianten auf- und zuklappten, dann glitt sein Blick über die Papiere und Zeitungen auf dem Tische vor ihm, er griff nach den Blättern und überflog mechanisch, ohne Interesse die Spalten. Er machte ganz den Eindruck, als warte er gespannt auf etwas, daS jeden Augenblick kommen müsse. O, eS stand durchaus nicht so glänzend mit dem Bankhause Wechsler, wie die Welt, die doch nur nach dem Scheine urteilt, zu glauben geneigt war. Schon seit langer Zeit war die Bilanz eine ungünstige gewesen, und die Ver luste waren Schlag auf Schlag gefolgt. Um diese auszugleichen, hatte fich der sonst so vor sichtige Geschäftsmann in gewagte Spekulationen gestürzt, er hatte sein Privatvermögen eingesetzt und binnen wenigen Monaten alles verloren. Sein Kredit war stark erschüttert, und seine letzte Hoffnung beruhte nur auf dem glücklichen Verlauf eines Unternehmens, das er mit einer ausländischen Firma eingegangen war. Schlug auch diese Spekulation fehl, so sah er keine Rettung mehr vor dem drohenden Bankrott. Und noch heute vormittag sollte er Gewißheit darüber erhalten, in jeder Minute konnte die Depesche eines Freundes vom dortigen Platze eintrcffen. Es war ihm möglich gewesen, die mißliche Geschäftslage geheim zu halten, pünktlich allen Verbindlichkeiten bis heute nachzukommen und seine Soraen vor seiner Familie zu verbergen. Er hatte Frau und Tochter in dem Wahn ge lassen, daß sein Reichttim ein geradezu uner schöpflicher sei. Wenn dieses neue Unternehmen ihm glückte, so stand ihm ein kolossaler Gewinn bevor, war er aller Sorgen überboben und konnte die Verluste binnen Jahresfrist reichlich decken, mißglückte es, so war er ein Bettler. Er schauderte, wenn er an diese Möglichkeit dachte, in diesem Falle war auch die Heirat seiner Tochter mit dem Referendar unmöglich, denn derselbe würde sein« Hand gewiß nicht dem Kinde des Bankrottierers reichen. Der Eintritt deS Kontordieners unterbrach seinen Gedankengang. Er riß dem Boten fast die Depesche aus der Hand und erbrach das Kuvert. Nur einen Blick warf er mif die wenigen inhaltsschweren Worte, die über sein Schicksal entschieden, dann wußte er genug. „Verloren l" murmelte er und er ächzte förmlich aus unter der erdrückenden Last dieses Be weises. In der herabhängenden Linken die Depesche haltend, stützte ör fich mit dem rechten Arm auf den Tisch und vergrub die brennende Stirn in die Hand. So saß er minutenlang mit stierem Blick, mit zusammengepreßten Lippen regungslos da, nur seine Brust arbeitete mächtig unter der inneren Bewegung. Dann war's, als ob ihm plötzlich ein glück licher Gedanke gekommen sei, dmn er richtete fich lebhaft auf, steckte die Depesche in die Tasche und ging mit den Händen auf dem Rücken, den Kopf gesenkt, sinnend eine Weile auf und ab. Ein Entschluß reifte in ihm, und binnen wenigen Minuten wurde aus ihm ein andrer. Er hob wieder zuversichtlich den Kopf empor, und seine Züge verloren den starren Ausdruck. Noch gab eS eine Möglichkeit zur Rettung. DaS Vermögen seiner Frau, daS sie ihm nie anvertraut hatte, wäre vollkommen genügend gewesen, ihn auS aller Verlegenheit zu be freien. ES galt nur, diese? Geld so schnell als möglich zur Disposition zu erhalten. Daß er seiner Frau die ungeschminkte Wahrheit ge stehen, sie aus ihrer bisherigen Sorgfalt reißen mußte, war ihm äußerst peinlich, und eS ver- ursachte ihm ein gelindes Entsetzen, wenn er an den Sturm dachte, den seine Enthüllungen Her vorrufen würden; aber eS gab keinen andem Ausweg mehr auS dieser entsetzlichen Bedrängnis, wie sehr er auch sein Gehirn anstrengte, einen solchen zu finden. AlS er bei seiner Frau etntrat, fand er sie noch mit Hilda am Frühstückstlsch. Die Gegen wart seiner Tochter war ihm in diesem Augen blick durchaus nicht erwünscht, fie sollte nicht Zeugin deS Gesprächs sein, und er sagte darum mit einer Handbewegung die angebotene Tasse Schokolade zurückweisend: „Laß uns allein, Hilda, ich habe mit Mama zu reden." Hilda, die fich schon glücklich geschätzt hatte, ihm hier unter dem Schutze der Mutter ihre Rechnungen vorlegen und somit einer -Straf predigt" vielleicht ganz entgehen zu können, erhob fich betroffen mit der Frage: „Aber, Papa, störe ich denn dabei?" Ein Blick auf die Züge ihres Vaters ließ fie jedoch schnell verstummen und geräuschlos daS Zimmer verlaffen. Wie ein Mensch, der durch eine furLibare Entdeckung plötzlich in seinem ganzen Aussehen, in seinen ganzen Bewegungen fich verändert hat, trat Wechsler seiner Gattin gegenüber. Sie hatte ihn schon von seinem Eintreten an er staunt betrachtet und fühlte fich jetzt zu der Frage gedrängt: „Bist du krank, Heinrich, oder ist ein Unglück geschehen?" „Setz dich und höre mich aufmerksam an," entgegnete ihr Gatte, indem er vor fie hintrat. Mit kurzen gedrängten Worten erzählte er die Geschichte seines Unglücks, schilderte die Ge- fschäftSlage und schloß mit den Worten: „Ich habe dir nichts verschwiegen, mein Tun durch nichts beschönigt, nur das eine will ich dir noch zu bedenken geben, ehe du mich verurteilst: oaß ich stets nach bestem Wissen bestrebt war, sür dein und unsres Kindes Wahl zu sorgen, daß ich alles getan habe, was möglich war, um das Unheil abzuwendeu. Wenn eS mir nicht gelungen ist, so schreibe daS nicht meiner Unfähigkeit oder meinem Leichtsinn zu, sondern den unglücklichen Umständen, dem unerbittlichen Schicksal. Wie schwer eS mir geworden ist,
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