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Allgemeiner Anzeiger : 08.10.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-10-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-190410086
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19041008
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19041008
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1904
-
Monat
1904-10
- Tag 1904-10-08
-
Monat
1904-10
-
Jahr
1904
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 08.10.1904
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potttilcke Kunälckau. Der russisch-japanische Krieg * Während über Port Arthur fast täg lich von erbitterten Kämpfen berichtet wird, ist in der Nordmandschurei einstweilen alles ruhig. Von Interesse ist aber, daß Kuro- patkin nunmehr doch von Alexejew befreit und zum wirklichen russischen Gene ralissimus befördert worden ist. Alexejew bleibt zwar in Charbin, hat aber als Militär nichts mehr zu sagen, er soll nur noch die diplomatischen Geschäfte und die Aufgaben der Zivilverwaltung erledigen. Beides hat nichts zu bedeuten in Kriegszeiten, so daß also der Statthalter zu einer Null degradiert worden ist. Vielleicht will man ihm auf diese Weise nähe legen, selber zu gehen, und man erspart ihm so in Peters burg die Bitterkeit einer offiziellen Abberufung. *Eine Depesche des ,Daily Telegraph' aus Schanghai berichtet, vor Port Arthur habe ein neues Seegefecht stattgefundsn. Die Russen hätten in Schanghai einen Schlepp dampfer gemietet, um ein vor Wusung an gekommenes russisches Kriegsschiff zu führen. — Die Nachricht ist darum nicht ganz unwahr scheinlich, weil man schon vorher immer wieder von der unhaltbaren Lage der russischen Flotte in Port Arthur und von einem bevor stehenden Ausfall gehört hatte. Erft tags zuvor war gemeldet worden, die Lage der russischen Flotte sei so bedenklich, daß die Schiffe entweder bald auslaufen müßten oder im Hafen zerstört werden würden. * Der erste japanische Eisenbahn- zug ist in Liaujang eingetroffen. In einigen Tagen wird ein regelmäßiger Dienst eingerichtet sein. Die ersten Züge führen Lebensmittel, Munition und Eisenbahnmaterial mit sich. * * Deutschland. *Der Kaiser stiftete ein Kapital von 28 000 Mk. für Witwen und Waisen von Bewohnern der Rominter Heide. "Die Besserung im Befinden des Königs Georg von Sachsen hat auch in den letzten Tagen angehalten. * Zugunsten derThronfolgedes Herzogs von Schleswig-Holstein-Sonderburg-G Iücks - bürg hat sich einstimmig der Verwaltungs ausschuß des oldenburgischen Land tags entschieden. Der Protest des Herzogs Ernst Günter von Schleswig-Holstein hat also die Entscheidung des oldenburgischen Landtages nicht ändern können. Nun hat noch der B u n- desrat darüber zu befinden, ob er sich mit der oldenburgischen Thronfolgefrage überhaupt befassen will. *Der Bundesrat wird sich voraussicht lich im nächsten Tagungsabschnitte auch mit der Änderung einiger Verordnungen über die Sonntagsruhe zu beschäftigen haben. Die Vorarbeiten für diese Umgestaltungen sind schon vor längerer Zeit im Neichsamte des Innern begonnen worden; sie hatten ihren Grund darin, daß verschiedene auf Grund der Gewerbeordnungsnovelle vom Jahre 1891 ge troffene Verwaltungsmaßnahmen nicht mehr den inzwischen abgeänderten tatsächlichen Verhält nissen entsprechen. — Ferner hat der Vorstand des Deutschen A p o th e k er v e r ei n s an den Bundesrat eine Eingabe mit der Bitte ge richtet, die unter 2000 Mk. Jahresverdienst be ziehenden Angehörigen des Apothekerstandes dem Jnvalidenversicherungszwangezu unterwerfen. Gleichzeitig ist an den Bundesrat eine Eingabe abgegangen, in der um Einführung der Krankenverstcherungspflicht der nicht selbst ständigen Apotheker gebeten wird. "In Deutsch-Südwestafrika wird sich jetzt mit dem Eintritt der Regen periode die Lage der deutschen Truppen leider verschlimmern. Schon meldet das Etappenkommando aus Okahandja, daß die Verbindung mit dem Oberkommando durch Gewitterregen seit vier Tagen unterbrochen ist. Frankreich. "Das französische Parlament ist auf den 18. Oktober einberufen worden. England. * An die Witwe Harcourt 8 hat König Eduard ein Beileidstelegramm gesandt, in welchem er sagt, er habe in dem Verstorbenen einen alten werten Freund verloren. Spanien. *Der Führer der spanischen Republi kaner, Salmeron, ist schwer erkrankt. Ruhland. "Wie Krakauer Blätter melden, wurde in der Station Barancwice eine Stunde vor der Ankunft des Zuges, in dem der Zar auf der Fahrt nach Odessa war, ein Mann festgenommen, der eine Bombe auf das Gleise legen wollte. Der Verhaftete weigert sich, seinen Namen zu nennen. Admiral Alexejew, der bisherige Statthalter im „f.rnen Osten". *Der Finanzminister läßt die Meldungen, daß der Krieg Rußlands 240 Millionen Mark monatlich koste, für unwahr er klären, und amtlich mitieilen, daß die Kosten des Krieges seit Februar nach oberflächlicher Berechnung 100 MilliouenMarkmonat- lich für Rußland betragen. Balkanstaaten. "In Mazedonien soll, nach offiziösen Berichten, eitel Freude und Sonnenschein herrschen. Verschiedenen tendenziös verbreiteten Alarmgerüchten über die Lage in Mazedonien gegenüber ist das Wiener amtliche Bureau so gütig, festzustellen, daß die Salonikier Handels kreise mit der Lage des Geschäfts im Innern des Landes vollkommen zufrieden find. Die Ziffern des Absatzes übersteigen nicht nur jene der früheren normalen Jahre um ein beträcht liches. Der auswärtige Kredit der mazedonischen Kaufleute ist wiederhergestellt. Diese Konsoli dierung der wirtschastlichen Verhältnisse bilde den besten Beweis sür den Erfolg der Reform aktion und die allmähliche Wiederkehr normaler Verhältnisse. — Wer das wohl glauben mag? *Die Pforte stellt der Rückkehr des Nestes der mazedonischen Flüchtlinge — beiläufig 5000 Personen — nach dem Wilajet Adrianopel, auf die die bulgarische Negierung in letzter Zeit sehr drängte, derartige Schwierig keiten entgegen, daß deswegen ein Konflikt zu befürchten sei. "In den Belgrader diplomatischen Kreisen ver lautet, daß die Bestimmung, wonach künftighin der Weitze Adlerorden, bisher der erste Orden Serbiens, an zweiter Stelle rangieren soll, während an erster Stelle der Stern Kara- georgs verliehen werden soll, zu Mißstimmung an den europäischen Höfen Anlaß gegeben habe. Nahezu sämtlichen Monarchen Europas, die das Groß kreuz des Weißen Adlerordens besitzen, werde auf diese Weise der erste Orden Serbiens genommen. Die Deklassierung des Weißen Adlerordens kam an läßlich der Krönung?feierlichkeiten zum Ausdruck dadurch, daß fämtUqm Gesandten am serbischen Hofe mit Ausnahme des amerikanischen das Groß- kceuz des Weißen Adlerordens oerliehen wurde, während bisher diese Dekoration Gesandte nicht er hielten; der Siern Karagcorgs erscheine jedoch zur Verleihung an Monarchen deshalb unmöglich, weil sämtliche Verschwörer, darunter mehrere blutjunge Offiziere, mit diesem Stern dekoriert wurden. Amerika. * Präsident Roosevelt empfing den Ober bürgermeister Wilms aus Posen und sagte, er werde nach der Wahl die Ausstellung in St. Louis besuchen, besonders diedeutsche Abteilung, deren Vorzüglichkeit ihm allge mein gelobt worden sei. "Karl Schurz tritt in einem ausführ lichen Schreiben für Parkers Kandidatur ein und bezeichnet Roosevelts Regierung als eine Gefahr sür die Republik. Afrika. "Wegen des englischen Protestes gegen die Beschlagnahme der Güter des Kriegs ministers El-Menebbi beabsichtigt Marokko das Haager Schiedsgericht anzurufen. *Der tolle Mullah läßt wieder ein mal von sich hören. Wie aus Aden gemeldet wird, hat der Mullah Ogaden geplündert, wo bei 600 Einwohner getötet und eine beträcht liche Menge von Kamelen und Schafen er beutet wurden; ferner heißt es, der Mullah habe kürzlich eine große Anzahl Gewehre er halten. Asten. "Berichte aus Peking behaupten, Ruß land reize die Tibetaner auf, bei China weiter gegen' den englisch-tibetanischen Vertrag zu protestieren. Das Ergebnis sei bereits, daß China seinen Vertreter in Lhassa, den Amban, angewiesen habe, auf der Revision des Vertrages zu bestehen. Vas lckweigenäe f)eer. Eine fesselnde Schilderung der Kampses- weise und des Charakters des japanischen Heeres, das schweigend und entschlossen vorgeht und darin einen merkwürdigen Gegensatz zu dem russischen bildet, gibt ein Berichterstatter, der Kurokis Heer begleitet, im .Daily Expreß'. Während die japanischen Generale die Schlacht dirigieren, halten die Russen an der alten, von Skobelew überkommenen Tradition fest, daß ein Kommandeur an der Spitze seine Mannschaft im Kampfe führen muß. Von den japanischen Linien aus sehen wir die russischen Offiziere in ihren weißen Röcken deutlich vor ihren Truppen reiten, während man auf der russischen Seite kaum die japanischen Offiziere entdecken kann, weil sich ihre Uniformen von denen der gewöhnlichen Soldaten nicht abheben, und weil General Kuroki und die übrigen Generale gewöhnlich etwas hinter den Gefechts linien find und die Schlacht durch Telegraph und Telephon leiten. Nie vorher hat die Elektrizität in der Kriegsführung eine so große Rolle gespielt wie jetzt bei den Japanern. Jeder Brigadegeneral im Felde befindet sich „am Ende eines Drahtes", der ihn mit seinem Divisionskommandeur verbindet, und die Divisionsgenerale stehen durch Telegraph oder Telephon mit den Korpskommandeuren in Ver bindung. Die Ingenieure ziehen mit wunder barer Schnelligkeit hinter den Kolonnen Drähte. Irgendwo an der Front hört man schießen. Sofort bricht aus dem Hauptquartier eine Jngenieurabteilung mit Pontes auf, die Bündel leichter Bambusstäbe tragen; Kulis und Wagen mit Rollen dünnen Kupferdrahtes folgen ihnen. Die spitzen Stäbe werden schnell in den Boden gesteckt, die Drähte rollen sich ab und werden befestigt, und das Feldtelephon ist fertig. Diese japanischen Generale „spielen nicht sür die Galerie". Ost dürfen die Korrespondenten die Namen der Führer in schweren und erfolg reichen Gefechten nicht erwähnen, weil die Namen dem Feinde einen Anhalt geben könnten sür die Stärke der gegenüberstehenden Ab teilungen. General Kuroki ist ein stiller, anspruchsloser Mann, nicht wie ein Theatergeneral, der vor feinen Truppen hergaloppiert, sondern mehr vom Typus eines Moltke, und dieser Typus ist vor herrschend bei den Japanern. Manchmal scheint es, als ob er seinen Schlachtplan vorher so vollkommen ausgearbeitei hat, daß er sich im Vertrauen auf die Ausführung hinsetzen kann und sich für den Vorgang nicht weiter zu inter essieren braucht. Als während der kritischen Stunden des 31. Juli seine Infanterie quer über das Tal vorrückte, um die russischen Ver schanzungen auf den Höhen anzugreifen, saß General Kuroki im Hofe eines chinesischen Tempels und plauderte mit den Mitgliedern seines Stabes. General Kurokis Streitmacht könnte man als das schwelgende Heer betrachten. Die Russen haben ihre Militärkapellen, die nach Sonnenuntergang, auf dem Marsch und während der Schlacht spielen, und ihre Soldaten rücken unter Trommelklang vor. Abends fingen sie beim Suppenkessel ihr Abendlied, manchmal klingen die Klänge eines patriotischen Liedes von den russischen Lagerfeuern herüber zu den japanischen Feldwachen. Aber obgleich die japanische Infanterie Hörner trägt, bei deren Klange sie in Friedenszeiten marschiert, hört man in der Front niemals den Ton einer Trompete. Kriegslieder werden nie gesungen, nur in Augenblicken des Sieges macht sich die Begeisterung in einem stolzen „Banzai" Luft. Auch findet man hier keine Restaurants, die Champagner und Wutki verschenken, oder Frauen irgend welcher Art, wie bei dem russischen Heere. Tee, Fächer und Zigaretten bilden den Luxus der Soldaten, Fischen, Briefeschreiben und Zeitunglesen sein einziges Vergnügen. Bei einem Ritt durch das Lager kann man die Soldaten zu Hunderten mit untergeschlagenen Beinen unter Bäumen sitzen sehen, wie sie mit Pinseln auf Rollen dünnen Papiers künstlerische Epistel an ihre Verwandten malen. Fächer er scheinen uns als etwas Sonderbares in der Hand eines Soldaten, und doch sieht man unter der fast tropischen Sonne jeden Mann mit einem Papierfächer marschieren. Eine andre Erinnerung an das heimatliche Leben ist die Angel, die jeder japanische Soldat im Tornister trägt. Vom General Kuroki abwärts bis zum einfachsten Kuli ist jeder ein Meister im Angeln. Eine Schilderung des japanischen Soldaten wäre aber unvollständig, wenn man nicht seine Höflichkeit und Ehrlichkeit erwähnte. Die Kor respondenten, die inmitten des Heeres leben und manchen Luxus entfalten, lassen ihre Sachen unbesorgt im Lager liegen. Nichts wird ge stohlen, selbst nicht Tabak oder Lebensmittel. Zu Beginn des Krieges, als die Fremden den Leuten noch unbekannt waren, kamen die Sol daten wohl zu Dutzenden, stellten sich im Kreise um die Zelte auf, so daß sie etwas störten; die Bauernjungen, die die Europäer- nicht kannten, starrten mit offenem Munde auf die klappernden Schreibmaschinen und die verzär telten Menschen, die Tische und Stühle im Felde mit sich führen mußten, und mit großer Neugier befühlten sie Sattel, Revolver und Kleidungsstücke. Aber nichts ging dabei ver loren, und das Benehmen der Soldaten blieb immer höflich. Anfangs boten die Fremden auch den japanischen Soldaten Geld sür kleine Dienste an; jetzt werden sie diesen Fehler nicht mehr begehen. Von unä fern. Im Zeitalter der Denkmäler. In Königsberg hat sich am Sonntag ein Ausschuß gebildet, der die Schaffung eines in Memel zu errichtenden Nationaldenkmals zum Gedächtnis des Jahres 1807 in die Wege leiten will. Das Denkmal soll zur Erinnerung an den mehr als einjährigen Aufenthalt des Königs Friedrich Wilhelm HI. und der Königin Luise in Memel, an die politische und militärische Wiederaufrichtung Preußens, die von Memel ausging und all den großen Männern gewidmet sein, die an dieser Wiederausrichtung mitgearbeitet haben. In den nächsten Tagen sollen die Auf forderungen zur Bildung eines großen, 200 bis 300 Mitglieder umfassenden Ausschusses er gehen und mit Sammlungen im ganzen preußischen Staat begonnen werden. Keine Spione. Aus Dorum ist nach Hannover die Meldung gelangt, das; die beiden wegen Verdachts der Spionage Mute Sep tember verhafteten Franzosen aus der Haft entlassen worden sind. O 6m famiUen-Geheimnis. 14j Kriminalroman von Eberhard Woldenberg. (Fortsetzung.) „Nun wohlan," versetzte der Arzt, „ich will eS Ihnen sagen, denn ich glaube jetzt zu wissen, welcher verhängnisvollen Leidenschaft er ver fallen ist." „Sie wollen doch damit nicht sagen, daß er ein Trinker sei?" warf der Oberst ein. „Ja und nein, Herr Oberst. Ja, weil er sich berauscht; nein, weil er nicht trinkt." „Aber wie berauscht er sich ?" fragte Beatrice. „Was ist es, das ihn bald entflammt zu Heller Begeisterung, zum freudigsten Schaffen, bald ihn zusammenbrechen läßt, ohnmächtig, wie ein Greis?" „Morphium!" sagte der Arzt. Die Frau schrie laut auf, ein Schauder packte sie und machte ihren Körper erzittern. Der Oberst sah einen Moment dem Doktor starr in das ernste Antlitz, dann, als das Furchtbare zu seinem Bewußtsein drang, wankte er nach einem Sessel und ließ sich schwer in denselben niederfinken. „Verzweifeln Sie nicht," fuhr der Arzt fort, „mit Ihrer Hilfe hoffe ich ihn noch zu retten." Frau Hartung trocknete ihre Tränen und rang nach Fassung. „Wie kam gerade er zu dieser entsetzlichen Leidenschaft?" forschte sie. Doktor Brenner zuckte die Achseln. „Sie kommt über viele andre auch. Sie ahnen nicht, wie dieses Laster sich verbreitet, in wie erschreckender Weise es um sich greift." „Aber warum tut er das, warum ergibt er sich demselben?" „Ich will es Ihnen erklären; es ist das Lebens- und Arbeitsfieber, das alles ergriffen hat. Es ist, als wirkte das hastende Schaffen der Maschinen, das Rasen der Eisenbahnräder, die Blitzesschnelle des elektrischen Funkens ansteckend auf die Menschen unsrer Zeit. In ruhelosem Vorwärtsdrängen stürmen sie dahin, in atem loser Schaffsnshast die einen, in zügelloser Genußsucht die andern. Diese treibt Über sättigung und Langeweile ins Verderben der künstlichen Nervenerregung, jene jagt der unge bändigte Schaffens- und Arbeitsdrang in das Elend der gewaltsamen Anspornung erschlaffter Lebensgeister." „Welch eil! entsetzliches Bild!" stöhnte Beatrice. Der Oberst hatte sich inzwischen gefaßt, und war den Ausführungen des Arztes mit Spannung gefolgt. Jetzt erhob er sich und trat heran. „Sie sind der Ansicht, Herr Doktor, daß mein Schwiegersohn das Morphium zur künst lichen Anreizung bei der Arbeit gebraucht?" fragte er. „Ja, ihm ward zwar ein großes starkes Talent, und er konnte bis zu einem gewissen Zeitpunkt künstliche Anregungsmittel entbehren; da, mochte es das zunehmende Alter sein, merkte er, daß es ihm nicht mehr recht gelingen wollte, wie sehr er auch die Kräfte auspannte. Und doch mußte er sich auf der Höhe behaupten, durfte er nicht von seiner ruhmreichen Stellung herabstürzen. Jüngere drohten ihn zu über ¬ flügeln, ihn in den Schatten zu stellen; ec kostete alle Qualen der Verzweiflung, des brennenden Ehrgeizes. Damals wird es eine Zeit gegeben haben, wo er aus der ver zweifelten Stimmung garnicht herauskam." „Ja, ich erinnere mich, das war ein ent setzliches Leben," fiel Beatrice ein. „Dann plötzlich war er wieder ein andrer, froh, zuver sichtlich und stark." „Das war der Anfang," sprach der Arzt, damals muß es ihm zugeflüstert sein, was von den Wundertaten dieses Giftes gerühmt wird, wie es den Mui belebt, die Kräfte steigert, die Begeisterung anfacht. Er griff danach und wurde ein noch größerer Meister als bisher." Der unglücklichen Frau traten wieder die Tränen in die Augen. „Was kann ich tun?" fragte sie. „Entziehen Sie ihm das Gift mit List oder Gewalt, überwachen Sie Ihren Gatten fort während, keine Sekunde dürfen Sie ihn aus den Augen lassen. Gegen Bitten um das Gift bleiben Sie taub." „Ich werde genau Ihre Vorschriften be folgen, aber wo mag er das Gift verborgen haben ?" „In seinem Schreibtisch," sagte der Oberst plötzlich, „komm, Beatrice, laß uns sofort nach suchen I" „Tun Sie das," sprach Doktor Brenner, „und wenn Sie Hilfe brauchen, lassen Sie mich rufen, übrigens werde ich morgen wieder kommen." Damit empfahl er sich, die unglückliche Frau und ihren Vater in der furchtbarsten Erregung zurücklassend. Der Oberst drängte zur Tat und beide begaben sich alsbald nach de« Arbeitszimmer Hartungs. In einen dunkelroten Schlafrock gehüllt, blaß und in sich zusammengesunken, lag dieser auf dem Diwan. Ein schüchterner Blick aus seinen matten, glanzlosen Augen streifte die Eintretenden. Beatrice griff nach ihrem Herzen, ihre leid erfüllten Augen blieben an der kraftlosen Ge stalt ihres Gatten hängen, nur mit Mühe bewahrte sie Fassung und Ruhe; sie trat an ihn heran und strich ihm sanft das Haar aus der Stirn. „Wie geht es dir?" fragte sie mit leiser, zitternder Stimme. Er sah nicht auf und antwortete auch nicht. Der Oberst war an der Tür stehen geblieben, der Anblick seines Schwiegersohnes, den er seit vierundzwanzig Stunden so erschrecklich ver ändert fand, erschütterte ihn auf das tiefste. Beatrice krampfte sich das Herz zusammen; ihr stolzer Mann, ihr Abgott, war zum Greise ge worden, und dann flammte es in ihr auf in Heller Empömng bei dem Gedanken an den furchtbaren Feind, der sein Lebensmark ver zehrt hatte. „Alfred!" rief sie ihm zu, „ich weiß es jetzt, welcher schimpflichen und tötenden Leidenschaft du dich hingibst, warum du dich hier ein schließest !" Er sah sie erstaunt an, seine Hände begannen leicht zu zittern. „Ja, ich weiß es," fuhr seine Gattin fort, du träufelst dir Morphium in dein reines Blut
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