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„So werden wir Dich auf die Folter legen, bis Du ge stehest", sagte der Richter. , „Tut es!" entgegnete Eberhardt finster. „Warum hast Du getan, wessen Du beschuldiget bist," frug der Richter wieder. „Weil ich es für Recht hielt und für notwendig, zum Besten der Stadt," sagte Eberhardt. „Bereuest Du?" fuhr der Richter fort. „Nein, ich kann nichts bereuen und würde stets so han deln," sprach Eberhardt fest und entschlossen. Ein Murmeln des Unwillens ging durch die Versammlung. „Es ist gut!" rief der Richter. „Büttel führe sie fort!" Als beide das Zimmer verlassen, fuhr der Richter weiter: „Ihr habet gehöret, richtende Männer, wie alles stehet. Die Die Anklage ist klar, auch der Beweis ist erbracht, der Beklagte leugnet nicht. — Nun frage ich Euch, womit sollen wir das Der- gehen strafen?" „Mit dem Tode, wie er es verdient", sprach der Ober meister der Schuhmacherinnung. „Ja, das Volk verlangt seinen Tod", fuhr ein anderer fort „und die Innungen drohen, wenn er nicht verurteilt wird, das Rathaus zu stürmen und ihn sich selbst zu holen." „Sollen wir uns vor dem Drohen dieser aufgeregten Men schen fürchten? Wo sind die Innungen?" „Auf ihren Stuben!" antwortete der Obermeister der Schuster. „Geh', Büttel," sprach der Stadtrichter, „und sage ihnen, sie sollten sofort nach Hause gehen und die Waffen ablegen, sonst würde ich einen reitenden Boten zum Herrn Grafen um Beistand schicken. — Der Beklagte hat den Tod verdient", fuhr er fort, „aber in Anbetracht der Verdienste die er sonst um die Stadt sich erworben und in Ansehung, daß er genug jetzt ge- straft ist, da sein Sohn schwer krank darniederliegt, schlage ich vor: Wir vollstrecken nicht unser Recht an ihm, sondern wir be gnadigen ihn dahin, daß er unsere Stadt auf ewige Zeiten zu meiden hat und daß er sich nie wieder in den Mauern noch in der Landwehr blicken lasse bei Strafe des Kopfes." Ein Gemurmel des Beifalls ging durch die Reihen, denn den meisten, die einst mit Eberhardt befreundet oder gar ver- wandt waren, schien die Todesstrafe doch zu hart. Möller, Ur ban und Voigt atmeten erleichtert auf. „Auch habe ich zu verlesen, was unser gnädiger Herr schreibt: „Fürsichtige und ehrsame Herren vom Rat unserer Stadt Lößnitz! Wir haben vernommen, daß der Bürgermeister unserer guten Stadt Lößnitz sich auf allerlei Praktiken eingelassen und sich gerühmet habe, er werde unsere Zustimmung dazu erlan gen. Was das letztere angehet, so wisset Ihr alle wohl, daß, was ich versprochen, und meine Vorfahren der Stadt gegeben und verbriefet, nicht brechen noch vernichten werde. Es wäre der vorgenannte Bürgermeister schon deshalb wohl des Stranges wert, aber wir bitten Euch, Liebe und Ge treue in Ansehung, daß seine Pläne durch Gottes Hilfe ver- eitelt sind, und in Anbetracht, daß er sonst eifrig für das Wohl der Stadt gesorgt: Ihr wollet Gnade vor Recht gehen lassen und nicht Euer volles Recht an ihm nehmen." — „So schreibt der gnädige Herr", fuhr der Stadtrichter fort. „Ihm steht auch allein das Recht über Leben und Tod zu!" „Des Eberhardts Verbrechen ist aber offener Verrat", ent gegnete der Obermeister, „und das Volk verlangt seinen Tod. Er ist bei ihm wegen seines hochmütigen Wesens nicht beliebt und wenn er zu milde bestraft wird, kann es leicht zu bösem Aufruhr kommen." „Wir wollen nach bestem Wissen und Gewissen urteilen Meister," erwiderte der Stadtrichter, „keinem zu Lust und keinem zu Leidel" — Ich habe den Urteilsvorschlag gemacht, wer folgt mir?" Fast alle Hände erhoben sich. „So werde ich ihm sagen: daß er das Gebiet der Stadt zu verlassen habe und zwar die Mauern binnen scheinender Sonne und die Landwehr binnen sieben Wochen mit seinem Sohne. Solange müssen wir ihm Frist setzen zum Verkaufe seiner Habe und zur Pflege seines Sohnes." Man war damit einverstanden. „Dem Obermeister der Bäcker, der den ganzen Plan ans Licht gebracht, wollen wir unsern Dank sagen und ihn mit der Führung der Geschäfte betrauen, bis wir einen neuen Bürger meister gewählt haben." Auch dieses fand allgemeine Zustimmung. Der Stadtrichter ließ nun die beiden wieder hereinfuhren und teilte ihnen den Entscheid mit. Ruhig hörte Eberhardt das Urteil an, dann verneigte er sich leicht gegen den Richter und verließ das Zimmer. Als er aus den Rathause trat, empfing ihn das Geschrei und die Verwünschungen des Volkes. Er blieb einen Augen- llachd»«« verdotto 1 blick stehen, richtete sich hoch auf und ging festen Schrittes durch die tobende Menge nach seiner Wohnung. Unterdessen hatte der Bäckermeister vor Freude strahlend über das Lob und die Ehre, die ihm wiederfahren, sich auf einen Sessel gesetzt, den ihm ein dienstwilliges Mitglied eingeräumt hatte, und nahm die Glückwünsche der einzelnen entgegen. Als sich die Aufregung etwas gelegt, begann der Stadtrichter von neuem: „In Anbetracht dessen, daß die eigent liche Ursache zur Rettung der Stadt der Nickel Kommothauer gewesen, habe ich ihm jede Strafe und Buße, so auf seine Vor gehen gesetzet ist, erlassen." „Und ich beantrage," fuhr der Bäckermeister fort, „daß auch der Rat sich dankbar erweise, und ihm zu den Unkosten, so ihm das Weihen des Kirchhofs verursacht, einen Teil geben." „Ja, ja," hieß es von allen Seiten. „Wohlgesprochen, Herr Bürgermeister!", rief der Ober meister der Schuhmacherinnung, der glaubte, er müßte seinen Deisall recht deutlich zu erkennen geben, da ja Nike! Schuh macher war. „Wie viel werden wir ihm wohl geben können, Herr Stadtsckreiber?" frug der Richter. „Nicht viel, nicht viel, günstige Herren!" antwortete der, „das Jahr sind gar viele Ausgaben gewesen, auf die wir nicht vorbereitet. Denkt, was hat uns der Durchzug unseres gnä digen Herzog Georg gekostet, so ich nachrechne sind es: 1 Gulden Herzog Georgs Trompeter zu vertrinken gegeben, 3 Groschen dem Priester-Kapellan und Kirchner für das To voum bei unseres gnädigen Herrn Ankunft, 2 Groschen für ein Faß Pech, 34 Groschen für einen eisernen Hut und Panzer gegeben. So ich es recht erwäge, können wir dem Nikel ohne große Beschwer der Stadt nicht mehr, denn 2 Groschen geben. „Gut, geben wir ihm 2 Groschen zur Hilfe!" sagte der Richter, alle stimmten bei. Der Stadtschreiber aber schrieb unter die eben verlesene Rechnung: 2 Groschen dem Nikel Kommothauer zu Hilfe gegeben, da er die Kirche und den Friedhof hat weihen lassen. Dann erhob er sich und sagte: „Fürsichtiger, ehrsamer und weiser Bürgermeister und Rat, günstige, liebe Herren! Da wir alle versammelt sind, wollte ich noch etwas vor- bringen, das wohl an der Zeit wäre. Seit drei Jahren haben wir einen Jahrmarkt, aber wir ' entbehren immer noch einer Kirmes, — Da nun zur Weihe des Kirchhofs der Weihbischof herüberkommt und wir mit ihm und dem Bischof zu Naum burg darüber zu verhandeln haben, ist mein Vorschlag, wir bitten ihn, er wolle uns eine Kirmes bestätigen, damit wir auch eine haben, ebenso wie jede andere Stadt. Das wird auch am besten die Gemüter, so etwan noch erregt sind, beruhigen und sie werden mit den Beschlüssen eines wohllöblichen Rates sehr zufrieden sein, denn „Brot und Spiele" sagten schon die alten Römer. Diese Rede des Stadtschreibers wurde mit allgemeinem Beifall ausgenommen, alle waren das wohl zufrieden, und so schloß man di« Sitzung. Als der letzte Beschluß beim Volke bekannt wurde, erhob sich großer Jubel, und der Herr Stadtschreiber hatte sich nach Kräften zu wehren, daß man ihn nicht auf den Schultern nach Hause getragen. Er lehnte aber diese Ehre im Hinblick aus seine Leibeseigenschaft eifrig ab. XVN. Am Tage nach der letzten Ratssitzung wurde Kirche und Kirchhof neu geweiht. Der Weihbischof war mit Geschirr von Schneeberg geholt worden und vollzog nun die heilige Hand lung. In feierlichem Zugs, der Rat mit dem stellvertretenden Bürgermeister an der Spitze, marschierte man zum Kirchhof. Die Stelle, wo dos Blut geflossen, wurde mit geweihtem Was ser besprengt, dann der Kirchhof umzogen und endlich in der Kirche ein feierliches Hochamt gehalten. Dort verkündete auch der Geistliche, daß der Bischof auf Bitten des Nates und der Gemeine der Stadt Lößnitz das Kirchweihfest auf den nächsten Sonntag nach Allerheiligen be- stätigt habe. Darob war große Freude in der Stadt, jedermann war floh, daß sich der Handel, der sich erst so bös angelassen, so glücklich und friedlich gelöst hatte. Nikel war der Held des Tages. Der Priester hatte in seiner Rede mit einfließen lassen, daß der Bischof nur des- wegen so gnädig gewesen, weil Nikel einen so verbrecherischen Plan aufgedeckt habe, und er hatte des weiteren davon ge sprochen, wie wunderbar oft Gottes Wege wären. So. kam Nikel dem Volke fast als «in Werkzeug Gottes vor. Wenn Nikel selbst auch froh war, daß all«, so aut ab» gelaufen und wenn er sich auch in seinem Gewissen erleichteri fühlte, al» der Kirchhof nun geweiht und der Frevel gesühnt war, so könnt« doch kein freudiges Gefühl in ihm aufkommen, denn Anna lag noch immer im hitzigsten Fieber bewußtloi darnieder. Besser ging es mit Heinrichs Genesung, schneller al» der Bader erwartet, war er zur Besinnung gekommen, auch hatte sich das Wundfieber weniger stark eingestellt. Er wurde im Hause in der Stadt von der alten Dore gepflegt, während der Vater auf dem Hofe beim treuen Martin wohnt«. Täg lich ging der als Bote hin und her, denn Eberhardt, der sich die Schuld an Heinrichs Unglück zumaß, sucht« seinen Sohn auf alle Weise zu erheitern und zu erfreuen. Es entwickelt« sich so ein immer innigeres Verhältnis zwischen Vater, und Sohn. — Am letzten Tage der siebenten Woche fuhr frühzeitig «in Schlitt«» durchs Tor der Stadt nach Affalter zu. Als er an der Stelle war, wo der Weg von Eberhardts Hof auf die Straße mündet, hielt er an und wartete auf die Leute, die jetzt aus dem Torbogen des Hofes traten. Es war der alte Eberhardt und Martin mit seiner Frau. Der alte Eberhardt eilte auf den Schlitten zu, hob die Decken empor, mit denen das Innere verhüllt war, und sah hinein. Aus dem Inneren streckte ihm eine bleiche Gestalt die Arme entgegen. Mit einem Iubellaut schloß jener seinen Sohn an seine Brust. Darauf stieg auch er ein und setzte sich neben Dor«, die mit in die Verbannung zog. Dann verabschiedeten sie sich von den beiden treuen Leuten, die durchaus ihnen hatten folgen wollen. Ein Händedruck noch, ein Lebewohl und fort ging es hinaus in die weite Welt. , Vorerst wollten sie bloß bis Stollberg fahren, und am anderen Tage nach Themnitz. Dort wollte sich Eberhardt um sehen, wo er sich neu niederlassen könnte. Er hatte immer noch genug aus seinen Besitzungen gerettet. Die Gruben hatten Zwickauer angekauft, das Haus in der Stadt hatte Slaffe erhandelt, Eberhardt war dabei zur An sicht gekommen, daß Slaffe viel Geld verdienen müsse. Die Fluren hatte ein Dritter gekauft, wer der Käufer sei, hatte er nicht erfahren, er hatte auch nicht weiter darnach ge fragt. Es war der alte Möller gewesen, der auch am selben Tage, als Heinrich aus seiner Heimatstadt fortging, seine Toch ter an Michel Turler verlobt. Am Abend desselben Tages gab ein Mann bei Meister Roth ein Päckchen ab, auf dem stand: An Anna Güntherin. — Anna lag noch immer darnieder, sie war zwar nicht mehr ohne Besinnung, aber äußerst schwach und reizbar. Als Nikel einmal zu ihr ans Lager getreten, war sie ganz aufgeregt ge- worden, und ihr Zustand hatte sich einige Tage verschlimmert. Auch als sie wieder aufstehen konnte und umhergehen, blieb sie scheu und verschlossen und suchte jede Begegnung mit Nikel zu vermeiden. Oft saß sie stundenlang am Fenster und sah hinaus zum Himmel hinauf den Wölken nach, oft auch fing sie plötzlich an zu weinen. Eines Morgens, als sie nicht zum Frühtrunk erschien und Frau Roth sie wecken wollte, fand diese die Kammer leer. Auf dem Tische lag ein Zettel mit den Worten: „Ich kann dem Nikel nicht angehören, ich gehe in ein Kloster. Lebt wohl und tausend Dank für Eure Liebe!" Der Torwächter am Untertor erzählte später, am frühen Morgen beim Aufschließen sei eine weibliche Gestalt an ihm vorbeigegangen, weiter wußte er nichts. Im Frühling, als der Schnee schmolz, fanden Dauern, die von Grünhain nach Lößnitz zu Markte fuhren, neben der Straße unter einer Fichte den Leichnam eines jungen Mäd chens. Es war Anna. Ihre Kräfte hatten sie unterwegs wohl verlassen, sie hatte unter der Fichte ausruhen wollen und war da entschlummert, um nicht mehr zu erwachen. Die Bauern nahmen die Leiche mit zur Stadt, wo Anna nicht weit von ihrem Vater zur letzten Ruhe bestattet wurde. Jetzt öffnete Meister Roth auch das Päckchen, das er noch nicht gewagt hatte, Anna zu übergeben. Es enthielt dreihun dert Gulden und ein goldenes Medaillon an goldener Kette. In dem Medaillon lag ein Stückchen Papier und auf dem stand in zitternder Handschrift geschrieben? „Gedenke der Stunde im Walde. H. E." Roth übergab alles der Kirche unter der Bedingung, daß für Anna Seelenmessen gelesen würden. Nikel setzte ein schmuckloses Holzkreuz auf Annas Grab, dann ging er fort in die Welt. - Nach vielen Jahren kam das Gerücht in die Stadt, daß er einer der frommen Landsknechte geworden, die Georg von Frundsberg für den Kaiser warb. Als solcher soll er in der heißen Schlacht bei Pavia, wo die Deutschen die Franzosen aufs Haupt schlugen und ihren König gefangen nahmen, ge fallen sein. Don Heinrich erfuhr man, daß er bei einem Fürsten im Reiche ein Amt als Rechtsgelehrter bekleide und daß er oft zu großen und wichtigen Geschäften gebraucht würde. Er hat sich nie verheiratet. Schön Annas Grab verfiel allmählich. Größere, wich tigere Ereignisse traten ein und drängten das Alte zurück in die Vergessenheit und nur selten noch erinnerte sich jemand an „Schön Anna" und ihr trauriges Geschick. — End«. — Bild links: Da« erste Selnkel-vmphibtum-glug- zeug fielst sich Berst« vor. Das Kombinierle Land- und Wasserstug. zeug nach seiner Landung auf dem Temp liner See bei Berlin. Der Pleil weilt aus das Radgestell, das bei Wasserlondungen, bei denen das Flugzeng aut Schwimmern ruht, durch eine hydraulische Mechanik eingezogen werden kann. Bild rechts: Sln« Drückie gelang» auf Bildern an ' ihre« Bestimmungsort. Die Riesenpfeiler der Bostoner Brücke werden samt den ausklappbaren Fahr» dammleilen auf Gleisen an ihren Be stimmungsort gebracht. Beim Dau einer neuen Eisenbahnbrücke bei Boston an der amerikanischen Atlantik- Küste vollbrachte die amerikanische Technik eine sensationelle Leistung. Sämtliche Teile der Drücke wurden im säst sertig mon tiertem Zustande aus Rädern an ihren Bestimmungsort gebracht»