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-/I? 145, 25. Juni 1904. Nichtamtlicher Teil. 5513 behaupten — abgesehen von ganz vereinzelten künstlerisch durchgebildeten Amateuren verstehen es nur verschwindend wenige Photographen, diese Probleme überhaupt zu er greifen und zu würdigen. Neunundneunzig Hundertstel des Publikums (der passiven Interessenten, wenn man so sagen darf) sehen in diesen Photographien nur das Abbild' nicht die Photographie als Kunstblatt, sondern als Abbildung eines stofflich interessanten Gegenstandes! Ganz dasselbe gilt von den photographischen Reproduk tionen der Meisterwerke der Malerei, die in öffentlichen und privaten Galerien vereinigt sind, soweit ihre Künstler länger als dreißig Jahre tot und ihre Werke der Reproduktion also freigegeben sind. Es interessiert den Kunstfreund nur sehr wenig, ob die Photographie eines Rembrandtschen Bildes von Braun L Co., von Bruckmann oder von Hanfstaengl ausgenommen ist; er sieht nur darauf, daß die verschiedenen Töne des Olaü-obsenr zur Geltung kommen, daß er eben ein deutliches Abbild des Gemäldes erhält. Auch hier interessiert die etwaige Kunstleistung des Photographen erst in zweiter Reihe; das Hauptinteresse erweckt bei den Galerie-Photo graphien gerade wie bei denen nach der Natur der dar gestellte Gegenstand. Bei diesen Galerie-Photographien erhebt sich nun eine ungeheuer wichtige Frage: Die oft sehr großen Wandgemälde klassischer Meister lassen sich vielfach nur mit den aller größten Schwierigkeiten und mit erheblichen Kosten photo graphieren. Infolgedessen streben die Photographen dahin, die so aufgenommenen Photographien möglichst lange und möglichst gründlich gegen jede Nachbildung zu schützen. Auf dem ersten Blick erscheint es auch ganz gerechtfertigt, daß der Aufwand von Mühe und Geld, den eine solche Aus nahme verursacht, durch besonders ausgiebigen Schutz ver golten wird. Aus diesen Erwägungen heraus ist dem Ver fasser der vielgenannten Erläuterungen (zu Z 40—48) auch wohl der Satz eingegeben worden: »Nach sachverständiger Auskunft sind zurzeit viele und teilweise wertvolle photo graphische Aufnahmen vorhanden, die nicht erschienen sind, um nicht im Wege der Verbindung mit industriellen Erzeug nissen der allgemeinen Benutzung anheimzufallen.« Wie man vernimmt, ist eine große, sehr bekannte Reproduktions- Firma gemeint, die seit einer Reihe von Jahren mit ganz besonders guten und großen Apparaten die Perlen der Galerien Europas ausgenommen hat und diese Blätter vor läufig zurückhält. »Diese Photographien werden-, wie es in den Erläuterungen weiter heißt, »mit der Beseitigung der bisher geltenden Schutzbeschränkungen sogleich veröffentlicht werden.» Jeder Einsichtige wird dieser Firma die Verwertung ihrer Aufnahmen von ganzem Herzen gönnen; trotzdem würde es aber im Interesse des Bilder kaufenden und be nutzenden Publikums auf das lebhafteste zu bedauern sein, wenn sich hieraus eine Art ewiges Monopol dieser Firma auf die Reproduktion der von ihr aufgenommenen Gemälde entwickeln sollte! Und dies ist zu fürchten, wenn nicht durch das Gesetz die Festlegung der ersten Veröffentlichung vor geschrieben wird! Daß eine Reihe von Jahren hindurch der Photograph gegen Reproduktionen geschützt wird, halte ich — wie schon mehrfach betont — für durchaus gerechtfertigt. Aber ebenso gerechtfertigt ist es, daß nach Ablauf dieser Frist alle Aufnahmen der allgemeinen Benutzung freigegeben werden müssen. Denn eine Firma erhält von den Galerien nicht deshalb das Recht, die Originalgemälde derselben photo graphieren zu dürfen, damit sie ein glänzendes Geschäft dabei macht, sondern nur, damit dem Publikum recht gute Ab bildungen der der Allgemeinheit gehörenden Werke geboten werden. Für die Galerie ist es ganz gleichgiltig, wer die neue Aufnahme macht; sie hat nur zu fragen, ob er die Gewähr Börsenblatt sür den deutschen Buchhandel. 7t. Jahrgang. bietet, daß die Aufnahme gut wird, und ob ein Bedürfnis vorliegt zur Neuaufnahme. Während der ganzen Zeit der Schutzfrist muß ein jeder Verleger, der eine Abbildung eines dieser Gemälde in einem Verlagswerke veröffentlichen will, von dem berechtigten Photographen das Reproduktionsrecht erwerben, und wenn diesem die Veröffentlichung eines solchen Werkes geschäftlich unerwünscht ist, so kann er das Reproduktionsrecht verweigern oder aber kann leicht solche Preise für das Reproduktionsrecht jedes Blattes ver langen, daß dies einer Verweigerung gleichkommt. Und eine solche Monopolisierung könnte doch unter Umständen zu recht unerquicklichen Verhältnissen führen! Man wirft da vielleicht ein: »Der Verleger braucht ja nur selbst die Bilder aus den Galerien sich photographieren zu lassen, dann ist er mit einem Male unabhängig von den Photographie-Verlegern!« — Ganz recht. Vielfach täten die Verleger das nicht mehr als gerne. Wenn die Direktoren es nur erlaubten! Aber diese können solche Erlaubnis oft gar nicht erteilen. Denn einmal leiden die Bilder dadurch, daß sie öfters von ihrem Platz heruntergenommen und in den Photographier - Raum geschafft werden. Dann aber: welcher Galerie-Direktor übernimmt wohl leichten Herzens die Verantwortung, daß ein Meisterwerk allerersten Ranges im Werte von Hunderttausenden allen Fährlichkeiten des Abnehmens und des Transportes über Treppen und Korri dore ausgesetzt wird? Ein Arbeiter kann einen Fehltritt tun und mit der Faust durch die Leinwand fahren: das Kunstwerk wäre, auch wenn es noch so gut geflickt würde, für alle Zeiten stark entwertet! Es ist den Galerie-Direktoren wirklich nicht zu verdenken, daß sie erst dann wieder ruhig schlafen können, wenn die Bilder wieder an ihrem gewohnten Platze hängen! Schließlich leidet unter solchem wiederholten Photographieren aber auch das die Galerien besuchende Publikum; denn für den vielleicht weit hergereisten Besucher ist es im höchstem Grade ärgerlich, wenn dies oder jenes berühmte Gemälde, auf das er sich vielleicht besonders ge stellt hatte, an seinem Platze fehlt. Diejenigen Bilder unserer Galerien, die von einer Firma jetzt in vortrefflicher Weise photographiert worden sind, würden, sobald sie erst erschienen sind, für absehbare Zeit deren Monopol sein; denn es ist gar nicht daran zu denken, daß in den nächsten Jahren ein anderer Photograph noch mals die Erlaubnis bekommt, alle diese Schätze neu auf zunehmen. Genießt nun diese Firma fünfzehn Jahre lang alle Vorteile des Schutzes, so ist es doch nur recht und billig, daß nach Ablauf dieser Zeit die Allgemeinheit gute und billige Reproduktionen erhält, und das kann nur ge schehen, wenn sie frei sind. Das Publikum kann dies aber nur erreichen, wenn man ihm ein Mittel gewährt, den Ab lauf dieser Schutzfrist festzustellen. Wie schwierig gelegentlich die Behörden sind, wenn es sich darum handelt, neue Aufnahmen zu gestatten, dafür möchte ich einen klassischen Beleg aus der neuesten Zeit an führen. Eine unserer ersten Zeitschriften wünschte in großem Format Abbildungen der Sarkophage des Kaisers Friedrich und seiner Gemahlin zu bringen, die, von Begas' Meisterhand ausgeführt, im Mausoleum der Friedenskirche in Potsdam aufgestellt sind. Sie erteilte deshalb einem Photographen den Auftrag, unter Darlegung des Zweckes eine Eingabe an das Ober-Hofmarschall-Amt in Berlin zu machen. Daraus erging nachstehender Bescheid: »Auf das Schreiben vom 7. d. M. werden Sie unter Wiederanschluß der Anlage hiermit ergebenst benachrichtigt, daß es durchaus nicht in den diesseitigen Wünschen liegt, vom Innern des Mausoleums Ihrer hochseligen Ma jestäten des Kaisers und der Kaiserin Friedrich immer von neuem photographische Aufnahmen machen zu lassen. 7L9