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Allgemeiner Anzeiger : 24.12.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-12-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191012249
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19101224
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
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- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1910
-
Monat
1910-12
- Tag 1910-12-24
-
Monat
1910-12
-
Jahr
1910
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 24.12.1910
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Vie frieäensstiftung. Wenn man ohne Vorurteil auf die zehn Millionen Dollar blickt, die der amerikanische vielfache MillionLr Carnegie zu Friedenszwecken gestiftet hat, so kann man nicht umhin, anzuer kennen, daß es eine hochherzige Tat ist. Aber ob sie ihren Zweck erfüllt, das ist die veinliche Frage. Der Gedanke eines ewigen Friedens ist uralt, wie die Geschichte des Krieges der Menschen und Völker gegeneinander. Die einen sahen die Möglichkeit eines dauernden Weltfriedens in der repuhlikanischen Verfassung des Staates, die andern wieder wollten in der Errichtung eines Weltreiches. das Allheilmittel gegen den Krieg gefunden haben. Die alt- versische Religion des Zarathustra schon lehrt, daß nach der Besiegung des bösen Geistes Ahriman aller Streit aufhören und ewiger Friede aus Erde« Einkehr halten solle. Die Römer beabsichtigten den Janustempel, der dem Kriege geweiht war, zu schließen, als die Grenzen ihres Reiches un ermeßlich geworden waren, und bei den alten Griechen, die den Kriegsgott Ares verehrten, kam in den „Eleusinien", den hohen Festen, der Friede als höchste Idee zum Ausdruck. Seit dem haben die Versuche, die West zum ewigen Frieden zu führen; nickt aufgehört. Heinrich IV. von Frankreich, der 1618 ermordet wurde, be schäftigte sich mit dem Gedanken, die Völker Europas zu einem friedlichen Staatenbunde zu vereinigen, einer Idee, die an der Wende des 19. Jahrhunderts wieder durch die „heilige Allianz" ausgenommen ward. Aber alle diese Versuche sind gescheitert und mußten scheitern, je mehr die J«tereffen«»terschiede der Nationen im Verlauf der geschichtlichen Entwicklung in den Vordergrund traten. Der Abt St. Pierre (1658 bis 1743) war der erste Schriftsteller, der sich eingehend mit dem Gedanken des „ewigen Friedens" befaßte. In seinem in alle euro päischen Sprachen übersetzten Werke: „Ideen zu einem dauernden Frieden zwischen den Fürsten Europas" verdammte er den Krieg, ohne jedoch die Richtlinien für die Herstellung des von ihm verfochtenen Friedens aufzuzeigen. Auch sein Landsmann Rousseau nahm den Gedanken auf, ohne seine Tiefen zu erschöpfen. Das tat zum erstenmal der Königsberger Philosoph Kant in seinem Schriftchen: „Zum ewigen Frieden." Bestimmungsrecht der Bürger über Krieg und Frieden, ein FriedenSdund der Staaten, ein aus allgemeine „Gastfreundschaft" gegründe tes Weltbürgerrecht, das die Bewohner aller Weltgegenden einander näher bringt: das sind die Forderungen Kants, und als Vorbedingung zum ewigen Frieden steht er die Abschaffung der stehenden Heere an, sowie die Aufstellung des Grundsatzes, daß ein selbständiger Staat weder durch Tausch oder Kauf, noch durch Erb schaft oder Schenkuna an einen andern übergehen kann. Im Jahre 1795 ward'S geschrieben. In dem Jahrhundert, das seitdem verflossen ist, hat sich das Weltbild geändert. Die Stacnen Europas sind konstitutionell geworden, haben dennoch heftige Kriege miteinander geführt und in Friedenstaaen dem alten Traume nachge- hangen, dem Krieg ein für allemal den Krieg zu erklären. Nur durfte es nicht Ernst werden. Im südafrikanischen, im mandschurischen Kriege, im Ringen um Kuba (zwischen den Ver. Staaten und Spanien) und in allen andern Fällen ver sagte das ständige Schiedsgericht und blieb das Schwert, oder besser gesagt, Kanonen und Gewehre der oberste Gerichtshof. Wird's nach dem Friedenskongreß im Haag anders werden? Begeisterte Verkünder deS Weltfriedens behaupten es und übersehen dabei, daß sich das Gewölk am politischen Himmel mit jedem Tage drohender zusammenzieht und daß alle Anzeichen darauf hindeuten, daß den wenigen Friedensjahren wieder eine Epoche blutiger Auseinandersetzungen folgen wird. Der Engländer Stead, an den europäischen Fürsten- hösen wohl ausgenommen, prophezeit den Anbruch des Völkerfrühlinqs, der Berliner Dr. Löwen thal (der im Jahre 1903 in seiner „Geschichte der Friedensbewegung" die mühsam gangbaren, aber immerhin erkennbaren Pfade der Völker verständigung gewiesen hat), die österreichische Dichterin Berta Suttner und viele andre, die seit langem der Friedensidee dienen, sind der selben Meinung. Der Politiker, der in seine Berechnung die grausame Wirklichkeit der Welt lage, die vom ehernen Griffel der Geschichte festgehaltenen Ergebnisse deS Zeitalters einstellen muß, wird auch von Carnegies Friedensstiftung nicht Überwältigendes erwarten und froh sein, in das Buch der Ereignisse schreiben zu können, wenn der „Krieg immer menschlicher gestaltet wird und den Banden der Barbarei entrückt wird". ^Lektor. poliriscke Aunäscbau. Deutschland. * Gelegentlich der Großen Parole ausgabe am Neuiahrstage wird in Berlin auch die feierliche Nagelung und Weihe der Standarte des am 1. Oktober d. Js. in Erfurt errickteten Jäger-Regiments zu Pferde Nr. 6 in Gegenwart Kaiser Wilhelms stattstnden. * Immer wieder taucht die Nachricht in der Presse auf, der frühere Staatssekretär deS Reichskolonialamtes Dernburg werde bei den kommenden Reichstagswahlen kandidieren. Gegenüber diesem hartnäckigen Gerücht, hat jetzt Herr Dernburg auf das bestimmteste er klären lasten, daß er weder bei Nachwahlen noch bei den Neuwahlen kandidieren werde. Gegen ein andres Gerücht hat er sich indessen nicht mit gleicher Energie gewandt. Danach soll der ehemalige Kolonialleiter für den Posten eines Oberbürgermeisters von Berlin ausersehen sein, der durch den Rücktritt des Herrn Kirschner, besten Amtszeit abläuft, erledigt wird. "Es darf als feststehend angesehen werden, daß dem Preuß. Landtag in seiner nächsten Tagung kein bedeutendes Maß von gesetzgeberi schen Aufgaben gestellt wird. Hingegen wird die Session wahrscheinlich im Zeichen einer im allgemeinen günstigen Finanzlage deS Staates stehen, über die die Etatsrede deS Finanz- ministerS eingehend berichten wird. An neuen Gesetzesvorlagen dürften eingebracht werden daS Zweckverbandgesetz, das FeuerbestattungSgesetz und eine Vorlage auf dem Gebiete des Für sorgewesens. * Der gemeinschaftliche Landtag der Herzog tümer Koburg und Gotha hat mit großer Mehrheft beschlossen, die herzogliche Staats- regierung zu ersuchen, im Hinblick auf die wieder gestiegenen Fleisch preise, die weite Bevölkerungsklaffen in ihrer Ernährung schwer schädigen und alle Nahrungsmittel in die Höhe treiben, unverzüglich alle Schritte zu tun, die geeignet find, der Fleischteuerung zu steuern, insbesondere auch auf Öffnung der Grenzen hinzuwirken, soweit solche Maß nahmen nicht dazu beitragen, den inländischen Viehstand durch Einschleppung von Seuchen zu schädigen. "Seitdem die Bedeutung der Insel Helgoland als vorgeschobener deutscher Posten allgemein anerkannt worden ist, geht mit diesem Eiland eine mächtige Veränderung vor, die einerseits in den Schutzbauten, ander seits aber auch in der schnellen Bebauung des JnselqeländeS zum Ausdruck kommt. Und wie die Insel selbst, so wandeln sich auch die Be wohner. Viele fremde Elemente beherbergt die Insel jetzt, denn die Bevölkerunqszunahme der letzten fünf Jahre beträgt 1198 Köpfe, wie das jetzt vorliegende Volkszählungsergebnis zeigt. Im Jahre 1905 waren 2216 Inselbewohner vorhanden, während es jetzt 3414 sind, ein schließlich 392 Militärpersonen. Diese schnelle Zunahme der Bevölkerung wird weiter anhalten, wird doch zum Herbst schon allein die Zahl der Militärpersonen um weitere 350 Mann wachsen. Durch diese starke Bevölkerungszunahme, die sich aus den verschiedensten deutschen Stämmen zusammensetzt, findet eine innere Zersetzung der eingesessenen Inselbewohner durch Rassenmischung statt, so daß der reine bekannte Helgoländer immer mehr im Schwinden begriffen ist. Frankreich. "In Gemäßheit ihres Beschlusses, die Taschenfeuerzeuge hoch zu besteuern, hat jetzt die Deputiertenkammer die Ver zollung von Taschenfeuerzeugen, Anzündern für GaS- und Azetylenlicht, Zündhütchen und andern Materialien, mit 445 gegen 65 Stimmen genehmigt. Spante«. "König Alfons wird am 5. Januar seine längst geplante Reise zur Besichtigung der spanischen Truppen in Melilla (Marokko) an treten. Damit scheinen alle Krisengerüchte, die in letzter Zeit aus Spanien kamen, widerlegt zu sein. Balka«Waate«. "Die türkische Regierung geht mit äußerster Strenge gegen Demokraten und Sozialisten vor, da man keine ihrer Organisationen aufkommen lasten will. Eine Anzahl der Führer find wegen Aufruhrstiftung bereits vor ein Kriegsgericht gestellt worden. * Die Kreter geben sich immer noch nicht zufrieden. Sie haben in einer erneuten Note an die Mächte Einspruch geaen den Gebrauch der Worte von der türkischen Oberhoheit erhoben und die Nationalversammlung spricht den Wunsch aus, daß die Mächte den der Angliederung an Griechenland ähnlichen Zustand anerkennen möchten. Amerika. "Der Präsident der Ver. Staaten Taft hielt in Washington eine Rede, in der er sick sckarf gegen die vom Generalstabschef dem Komitee für Militärangelegenheiten im Re präsentantenhause unterbreitete Denkschrift über die Errichtung eines stehenden Heeres wandte. Er erklärte, das Volk der Ver. Staaten würde niemals darin einwilligen, ein stehendes Heer zu unterhalten, das genügend wäre, eS in einer Schlacht mit den stehenden Heeren der Großmächte aufzunehmen. Aste«. "Das Verfassungswerk in China gestaltet sich immer schwieriger. Die Denkschrift deS Reichsausschusses, den Großen Staatsrat abzuschaffen oder ihn zu einer dem Volke ver antwortlichen Körperschaft umzugestalten, ist vom Regenten abschlägig beschieden worden. Der Reichsausschuß gibt aber damit seinen Plan noch nicht verloren, sondern läßt eine neue Denkschrift ausarbeiten. Darin werden gegen die einzelnen Mitglieder des Großen Staats rats Borwürfe erhoben und noch einmal die Notwendigkeit betont, den Großen Staatsrat dem Volke verantwortlich zu machen. Andern falls werde der Reichsausschuß auseinander gehen. Die Redner führten eine gemäßigte Sprache, aber zum erstenmal seit Bestehen des Neichsaussckustes ist an dem Regenten in der Sitzung Kritik geübt worden. Vas höhereZchulwesen inprsußen. Die neue Dienstanweisung an Direktoren und Lehrer der höheren Lehranstalten Vreußens wird bei den Oberlehrern zunächst nicht allgemeine Befriedigung erregen, da an Stelle des ge wünschten und erwarteten Ausbaues der Kollegialverfassung im Gegenteil ein stärkeres Betonen der direktorialen Amtsgewalt getreten ist. Dennoch wird von allen Seiten zugegeben, daß einige wichtige Neuerungen, die dem Geiste der Zeit entsprechen, durch geführt worden sind. So soll bei den Schulzeugnissen ein Urteil über den Fleiß für gewöhnlich nicht mehr abgegeben werden. Damit wird der allgemeinen Erfahrung Rech nung getragen, daß das Urteil der Schule über den Fleiß eines Schülers sich immer mehr oder minder nach dessen Leistungen richten wird ; der begabte Schüler, der ohne sonderliche An strengung in allen Fächern Gutes leistet, wird auch im Fleiß die Note „Gut" erhalten, während er auch nicht im entferntesten soviel arbeitet wie ein andrer, der trotz allen Fleißes noch keine genügenden Leistungen aufzuweisen hat und daher auch im Fleiß ein „Mangelbaft" oder günstigenfalls ein „Genügend" erhält. Wird aber in Zukunft ein Urteil über Fleiß abgegeben — es entscheidet darüber die Konferenz — so soll eS wie auch das Urteil über Betragen und Aufmerksamkeit „frei" gefaßt, d. h. ausführlich umschrieben, nicht durch glatte Zensuren aus gedrückt werden. Uber Schulstrafe« wird bestimmt: Scheltworte, die das Ehrgefühl des Schülers verletzen müssen, sind zu ver meiden. Körperliche Züchtigung wird auf außer- ordentlicke Fälle und aus die unteren Klassen beschränkt. Gemeinsame Arreststunden sind nicht gestattet. Kein Lehrer ist befugt, einen Schüler zu sich in die Wohnung zu bestellen. Auch die Bestrebungen, die auf Selbstverwaltung der Schüler gerichtet find, klingen durch, freilich noch recht zurückhaltend: es wird nämlich gestattet, daß bei der Wahl eines Schülers zum Ver trauensmann (Aufsichtsführer) in den mittleren und oberen Klassen die Mitschüler herangezogen werden können. Reckt verständig ist die Weisung, daß den Schülern während der Pausen jede Bewegungsfreiheit zu gönnen ist, die mit guter Sitte und der Ordnung deS Schulbetriebes vereinbar ist. Zweifellos ist ein gewisses Austoben der Jungen in den Pausen ein notwendiges Gegen- gewicht gegen die erzwungene Bewegungslosig keit während des Unterrichts. Daß endlich den Direktoren daS Halten von Pensionären unter sagt, den Oberlehrern nur mit Einschränkung gestattet ist, entsprich! ebensosehr dem allge meinen Empfinden wie dem wiederholt mit Entschiedenheit geäußerten Wunsch der Ober lehrer selbst. k)eer unä flotte. — Der nunmehr erfolgte Austritt deS Vize admirals v. Usedom auS dem Frontdienst wird als eine Folge des Kieler Werftprozeffes be zeichnet. Stand dieser Admiral doch an der Spitze der Marinewerft in Kiel, als die Auf rollung des Prozesses erfolgte. Schon im Juni dieses Jahres irat Vizeadmiral v. Usedom von diesem Kommando zurück, ohne eine weitere Dienstverwendung zu finden, und aus diesem Umstande wurde geschlossen, daß die Stellung zur Disposition des Admirals nur noch eine Frage der Zeit sei. In seinen sonstigen höheren Kommandostellen hat v. Usedom bestens seinen Platz auSgefüllt. Sein Name ist noch in Er innerung von dem Marsch der vereinigten inter nationalen Marinetruppen gegen Pelina im Sommer 1900. Ihm wurde damals der Orden pour Is wörits verliehen. In mehrfachen Kommandos stand v. Usedom dem Hoflager nahe, so als Adjutant des Prinzen Heinrich, als Flügeladjutant deS Kaisers und als Admiral L la »nico. Mehrere Jahre leitete er als Kommandant der „Hohenzollern" die Seereisen des Kaisers. Dem Seeoffizierkorps hat er 39 Jahre angehört. — DaS Reichsmarineamt hat sich gleich dem Kriegsministerium entschlossen, eine Anzahl Flugmaschinen in den Dienst zu stellen. Frank reich besitzt gegenwärtig bereits 36 Flugapparate, die in Toulon und bei Marseille stationiert sind. Auch England hat bereits mehrere Flug zeuge, die eigens für den Küstendienst gebaut und ausgerüstet sind, erworben, und Amerika hat eine größere Anzahl Flugmaschinen für diesen Zweck angekauft. Da es sich bei drr Erwerbung von See-Flugmasckinen in erster Linie darum handell, äußerst feste Apparate von bedeutender Tragkraft zu erwerben, hat sich das Reichs- marineamt durch Korvettenkapitän Lübbert mit den Albatroswerken in Verbindung gesetzt. Der Vertreter des Reichsmarineamts stattete der Fabrik in Johannisthal einen Besuch ab und unternahm auch mit dem Flieger König einen größeren Flug, bei dem König mehrmals aus 150 Bieter Höhe im Gleitfluge herniederging. Wie verlautet, sollen in nächster Zeit bei den Albatroswerken Offiziere im Fliegen aus gebildet werden. K Oss Mäekenkeim. 13s Novelle von Antonie Andrea. Fortsegnng.l „Freitag. — Börnicke sollte sich für mich inter essieren, well er so häufig kommt? Ja, wenn! — Aber ich kenne meine Leute besser. Er macht mir Komplimente, die nichts bedeuten. Am meisten strengt er sich damü an, wenn Ruth oder Frank zugegen find. Wozu das? Sonnabend. — Mit Arnold ist etwas nicht richtig. Wahrscheinlich gejeut. Er sollte sich wenigstens zusammennehmen, bis er den reichen Schwager sicher hat. Sonntag. — Schon wieder Brief. Geist ist nicht viel dann, mein Herr Baron. Fade Sentimentalität im Überfluß. Mag er doch gerade heraus sagen, was er will. Mama wartet mit Spannung darauf. Ich — o, ich weiß es im voraus. Ich habe keine Eile. Freitag. — Wenn der alle Baron der junge B. wäre! Ja, dann —. Er beunruhigt mich mü seinen Augen wie von Stahl. Ah, wenn die mal von Leidenschaft bewegt wären. Neulich ertappte ich einen solchen Blick. Aber wem galt er? Ich kam gerade herein — aber Ruth stand in derselben Richmng mit der lang weiligen Puritanerin Miß Winters. Ich würde es bald herausbekommen, wenn ich nicht so rettungslos abhängig wäre von einer guten Partie. Sonnabend. — Die beiden — Ruth und Frank — haben ihresgleichen nicht. Sie sind beide Narren oder, was man „Idealisten" nennt? Er quält sie mit seiner Liebe; er betet sie an; er läßt ihr keine Stunde Ruhe vor sich, seinen Briefen und Geschenken. Und Ruth, dieses praktische, hausbackene Mädchen, das nur immer seinen eigenen Kopf durchsetzte — es hat leinen Willen diesem jungen, überspannten Verliebten gegenüber. Sie geht mit ihm um, wie mit einem zerbrechlichen Lieblingsspielzeug: nicht anfassen. In Watte möchte sie ihn wickeln und unter Glas halten. Ist das Liebe? Sonntag. — Miß Edith (ich kann sie nicht ausstehen, diese ladylite, wellkluge Person mit den kühlen, überlegenen Manieren) hat Ruth auf längere Zeit zu sich geladen. Gewiß steckt Frank dahinter, der nach der Villa Grünow übersiedeln muß, um den Bau und die Einrichtung zu leiten. Er fürchtete den Verkehr von Arnolds Freunden bei unS — besonders, wie mir scheint, Börnicke. Armer Schelm — gegen diesen männlichsten aller Genllemen von Blut und Knochen sieht er allerdings aus wie ein Todes kandidat. Freilich im Vergleich zu meinem Bar— brr — ich fühle eine Spinne über mein Gesicht kriechen! Keine Vergleiche mehr. Montag. — Ruth ist fort. Ich behaupte jetzt allein das Feld. Briefe — Briefe — Briefe. Welch' elendes Geseufze für einen Mann von sechzig Jahren. Nun — einen Entschluß! Ein Ende gemacht. B. denk nicht an mich. Aber nächsten Winter, wenn er eine Einladung bekommt: Baron und Baronin von ... usw. — Dann soll er an mich denken. Ich werde ein großes Haus machen — glänzen werde ich, gefallen — wem ich will, auch ihm. Ah — die Raupe wird sich entpuppen! Die schöne Marga durfte höchstens 'mal den Mund aus tun, wenn ein Doktor Brandin sie fragte, die schöne Baronin wird der Welt noch viel zu sagen haben, auch ohne daß man sie fragt. Dienstag. — Ruth ist eine GanS. Sich in die Einsamkeit von Grünow zu begraben mit diesem eifersüchtigen, nervösen Frank — ich danke dafür." * * * Margas Schlußfolgerung war nicht irrig. Frank hatte es in der Tat veranlaßt, daß Ruth jetzt als Gast in seinem Vaterhause weilte. Ihn peinigte der Gedanke an Börnicke, den zu sehen und zu sprechen Ruth nicht vermeiden konnte, wenn sie in ihrer Familie blieb. Er verzieh ihm den Kuß nicht, der nicht allein seiner Braut, sondern auch ihm geraubt worden war. Wenn er jetzt das Leben nickt so wahn sinnig geliebt hätte, er würde Börnicke provoziert haben. Kein Tag verging, ohne daß Ruth Nach richt von ihm erhiät. Er wollte sie mit Gewalt immer von neuem an sick erinnern. Sie mußte ihm gleichfalls täglich schreiben; ver spätete sie sich mal um eine Post, so wurde sie telegraphisch gemahnt. Auf diese Weise kam sie nie recht zur Ruhe und ihr sonst so konzentriertes Wesen bekam einen Anstrich von Zerstreutheit und Nervosität. Sie klagte das einst ihrem Verlobten und drückte Verlangen nach Samm lung und einer geregelten Tätigkeit aus. Hinter her bereute sie es, denn Frank geriet außer sich. „Für mich gibt es keine Ruhe außer Dir," schrieb er unter anderm, „nichts, das mich be schäftigen könnte, als Du! Ach Ruth, Ruth, Du bist noch weit entfernt, mich zu lieben, so wir ich Dich geliebt von Anfang an I Jeder Tag, den ich nicht bei Dir bin, ist ein verlorener für mein Herz — diese Trennung eine einzige lange Qual. Kein Wunder, daß ich meinen Schlaf verliere und so elend aussehe wie ein kranker Mann. Aber — Lieb — ich bin nicht krank. Ich habe nur ewig Hunger — nach Dir! Ver stehst du mich nicht — dann liebst Du nicht —" Ruth versuchte einen scherzhaften Ton anzu- schlaqen, obgleich sie in ihrem Innern bangte — als sie schrieb: „Aber Frank, mein Liebster, man kann doch einander von Herzen gut sein, ohne sich dabei aufzureiben! Im Gegenteil: nichts sollte uns so ruhig und heiter stimmen als eine sichere, schöne Liebe. WaS haben die paar zehn Meilen zwischen uns zu sagen in der Geschichte unsres Glückes? Dein Schaffen dort, für Dich und mich, sollte Dir mehr Freude machen als das zwecklose Grübeln über unsre Trennung. Mn ich nicht an Deiner Seite, bei allem, WaS Du tust? Nur an mich zu denken brauchst Du, und ich bin Dir gegenwärtig. So ist es nämlich bei mir. Bei dem geringfügigsten Anlaß denke ich: wie wird es sein, wenn wir erst gemeinsam tätig find? Mache ich Einkäufe mit Edith (lieber Himmel, man tut ja kaum etwas andres l), so sage ich: wird das oder das Frank gefallen? Sitzen wir bei Tische, so er kundige ich mich nach Deinen Lieblingsgerichten Sehe ich Arnold im Begriff eine Dumm heit zu machen, so geht es mir durch den Sinn: Frank würde das nicht tun. Kommt das Mutterle 'mal zu uns, sprechen wir natürlich
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