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Hünen von Eichenkamp nun wirklich als die Braut Sartorius' sielten zu jollen! Es war schon besser, sie schrieb ihren Brief an Helga fer- tisi und versuchte, von dort Hilse zu erhalten, so knapp die Zeit auch dafür war. Tenn übermorgen würde ja Wohl die Katastrophe eintreten, wenn sie sich dem Biedermann nicht fügte! Hastig setzte sie sich nieder und befaßte sich mit dem Schluß, nicht ohne dis neueste Wendung ihrer unseligen Bedrängnis zu erwähnen. Und dann kuvertierte sie ihn nebst Fritzis und Susis Hieroglyphen-Manuskripten, die ihr natürlich doppelte Frankatur abnötigten. Aber das tat sic gern. Gleich danach erschien Mathilde mit dein Abendbrot. Und die nahm die Epistel mit fort, nm sie gleich zu besorgen. Käthe hörte denn auch bald, wie sie die Pforte aufschloß, um zum Briefkasten zu eilen, den der Postbote auf seinem Wege zum Abendzug noch zu leeren hatte. Wenn bloß nicht inzwischen Tante Claudine znrückkam! Sie wäre dann gezwungen gewesen, ihr zu öffnen. Aengstlich lauschte sie in die Abenddämmerung hinaus, die durch silbernes und rötlich bestrahltes Gewölk hinter den dun kelnden Banmwipfeln zauberhaft verschönt erschien. Von dem anssteigenden Wetter konnte sie an dieser Stelle nichts be merken. Plötzlich schallte ein Axtschlag auf, wie von Holz fällern, die einem Waldriesen zu Leibe gehen-, aber so nahe, als müsse der Baum dicht beim Hause stehen. Und nun wie der einer und in immer rascherer Folge mehr und mehr. Da zwischen ein Krachen und Poltern von dumpf aufschlagenden Bohlen und Planken. „O, die schöne Brücke!" klagte Fritz vom Eckfenster aus, an dem er sein Butterbrot verzehrte. Die Zimmerleute hatten wirklich ihr Zerstörungswerk begonnen. Jäh sauste inzwischen der Herold des düsteren Göschwaders vom Norden her über den eben reglosen Wald, daß die Wipfel unwillig zu murmeln begannen. Aber der tolle Gesell kümmerte sich nicht darum. Prasselnd fuhr er in das gelockerte Stützwerk der kleinen Brücke, als sei ihm das Schaffen der Zimmerer zu saumselig, als müsse er helsend eingreifen, nm der unsicher vor ihm herkeuchenden Auftrag geberin eine Ertrafrende zn bereiten! Dann fiel es ihm ein, wie sauer es den Leuten trotz alledem werde, wie sie Ströme von Schweiß vergießen mußten bei dem eiligen Abbruch. Und er nahm ihnen — mit etwas tölpelhaftem Mitleid allerdings — die alten Filzhüte und schmutziggelben Strohdeckel von den Möpsen, damit sein kühlender Hauch ihre heißen Stirnen und feuchten Haare freier umspielen könne. Aber es war doch ein Glück, daß er sich so ungebärdig be nahm. Tante Claudine wurde dadurch verhindert, ihre Köchin zu beobachten, die just vom Briefkasten zurückkam und nun so tat, als ob sie nur an die Psorte gekommen sei, um ihrer be drängten Herrin Beistand zu leisten. Auch das Erlöschen des Lichtes in Käthes Zimmer droben entging ihr. Erst als ihr Mathilde die Bestellung ausrichtete, Fräulein Käthe habe sich nicht Wohl gefühlt und sei deshalb frühzeitig zu Bett gegan gen, erwachte ihr Mißtrauen. Aber die Musik der Artschläge bon der kleinen Brücke her tat ihr viel zu Wohl, als daß sie sich lange um andere Dinge hätte bekümmern mögen. Außerdem hatte sie Hunger. Mit ihrer hinterhältigen Nichte, die ja noch keine Ahnung von der Aufspürung ihrer heimlichen Liebschast mit Sarto rius hatte, konnte sie morgen früh in aller Behaglichkeit beim Kaffee ins Gericht gehen. Käthe brachte indes oben die Sprößlinge ihrer Schwester zn Bett. „Tommt Mutti nu bald, Tante Täthe?" erkundigte sich, die Augen reibend, Susi. „Erst muß sie doch unsere Briefe haben, dumme Susi!" belehrte sie das Brüderchen. „Morgen früh beim Kaffee bringt sie der Briefträger! Nicht wahr, Tante Käthe?" „Wahrscheinlich erst übermorgen, mein lieber Junge!" sagte Käthe trübselig. „O, so lange dauert so'u kleiner Brief?" kritisierte miß billigend das Bürschchen und schlüpfte in seinen Weißen Nacht rock hinein. „Leider!" bestätigte die Tante. „Aber Mutti schickt da für gleich 'ne Depesche!" „Warum haben wir Mutti nicht auch 'ne Depesche ge schickt?" - forschte nachdenklich Schnee-Voigt junior und um halste kosend seine schöne Tante, die sich zu ihm niedergehocll. hatte, mu ihm sein Nachtgewand zuzuknöpfeu. „Fritzi, Du bist ein sehr kluger Junge!" konstatierte dar auf die überraschte Tante nach kurzem Ueberlegen und gab ihrem Neffen dazu einen Extrakuß. „Vielleicht geht das wirklich. Dann holen wir es morgen früh gleich nach!" Wenige Minuten später hatte auch sie sich entkleidet und im Halbdunkeln zu ihrem Lager getastet. Am Morgen hatte sich der Sturm gelegt, und noch ehe Tante Claudine sich vom Lager erhoben, war Käthe schon aus dem Wege nach dem Postamt. Da die Brücke weggerissen war, sah sich das junge Mädchen zunächst von dem Verkehr mit der Außenwelt abgeschlossen, bis sie einen Baumstamm bemerkte, den der Sturm entwurzelt und quer über den Trollbach gelegt hatte. Sie benutzte diesen als Steg und gab ein Telegramm an den Schwager auf, er möge sich doch sofort hierher bemüheu. Noch war die Taute nicht zum Vorschein gekommen, als Käthe auf demselben Wege zurückkehrte. „Du kannst aber fein klettern," empfing sie der Neffe, der ihre Zurückkunft vom Fenster aus beobachtet hatte. Käthe verbot ihm, darüber zu sprechen, und begab sich mit den Kindern zum Frühstück in das' Wohnzimmer. Tante Clau dine bewahrte ein eisiges «schweigen, ja, sie gab nicht einmal ihrer Betrübnis Ausdruck, die sie über die Verwüstungen emp fand, die der Sturm im Garten angerichtet. Mit Hilfe Ma thildens war sie im Laufe des Tages eifrig bemüht, die Wege von abgebrochenen Aesten zu säubern, hier umgerissene Pfähle aufzurichten, dort lose gewordene Sträucher festzubinden. Käthe war sich den ganzen Tag selbst überlassen und wartete mit Schmerzen auf die Antwort von ihrem Schwager Schnee- Voigt. — Als sie am Nachmittag gerade wieder nach dem Telegra- phenboten auslugte, sah sie Sartorius kommen, dessen Mission in Leipzig schneller, als er gedacht, erledigt war. Er übergab den Kindern, die im Garten spielten, je einen bunten Gas ballon, mit denen sie sich weiter die Zeit Vertrieben. Auf keinen Fall wollte Käthe mit ihrem Peiniger zusam mentreffen. Während dieser sich ins Haus begab, sann sie auf Flucht und verließ mit einer kleinen Reisetasche heimlich das Haus. Aber noch hatte sie die Gartentür nicht erreicht, als ein schriller Aufschrei ihre Schritte hemmte. Schneevoigt junior hatte sich seinen Ballon vorn Winde entführen lassen und war bei dem Bestreben, ihn einzufangen, in den angeschwollenen, reißenden Trollbach gefallen, dessen Fluten den Knaben fortführten. Beflügelten Schrittes eilte Käthe zu Hilfe und stürzte sich ohne Besinnen in die Fluten, dabei selbst in die Gefahr des Ertrinkens kommend. Umsonst flehte Tante Claudine, die mit Sartorius und Mathilde an den Schauplatz des Unglücks ge eilt war, den Rechtsanwalt an, ihre Nichte zu retten. Er holte nur eine Stange, um sie der den Knaben haltenden Käthe zu reichen. Doch schon nahte sich von anderer Seite Rettung: Kleeberg hatte die Vorfälle ebenfalls bemerkt, und mutig durch schritt er den Bach, dessen Wasser dem Niesen fast unter die Arme reichte, und brachte Käthe und den Knaben sicher aufs Trockene. > Während sich die Tante Fritzis annahm, trug Kleeberg Käthe auf seinen Arinen in das Haus, gefolgt von dem finster dreinblickcnden Sartorius. Auch die Tante sandte ihrem Feinde böse Blicke zu, doch mußte sie ihm einige Dankesworte sagen. Als sie aber Sartorius aufforderte, er möge sich eben falls bei Kleeberg für die Rettung seiner Verlobten bedanken, protestierte die eben ins Zimmer tretende Käthe, die sich in zwischen umgezogen, lebhaft dagegen. Sartorius wollte sich durch Erzählung der Bildergeschichte rächen, als sich die Tür ösfuete und Schneevoigt senior in der selben erschien. Er wies Sartorius, den er als Erbschleicher, der es auf reiche Mündel abgesehen, kannte, sofort die Tür, und zum gro ßen Erstaunen Claudinens gab er ihr über den Charakter des Rechtsanwalts ein sehr übles Bild. Kleeberg wollte sich empfehlen, doch dankbar reichte ihm der Ingenieur die Hand, hatte er ihm doch Kind und Schwä gerin gerettet. Als Käthe nun ebenfalls einige Dankesworte stammeln wollte, zog der Riese das junge Mädchen an seine Brust, und ohne an Tante und Schwager zu denken, gestand er ihr seine Liebe. „Aber nun schnell in trockene Kleider!" rief die Tante und brachte damit die Liebenden in die Wirklichkeit zurück. „Dann sollen Sie mir als Schwager willkommen sein!" sagte Schneevoigt, indem er Käthe in die Arme der Tante legte, die alles vergessen hatte und der Nichte zn der Verbindung jetzt gern den Segen gab. — E n d e. —