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„Der Herr Doktor ist drüben in seinem Zimmer," orien tierte sie Trina, das alte Faktotum von Iustizrats. „Ich glaube aber, er will verreisen." Sie zeigte sich bereit, die Besucherin sogleich anznmelden. Aber Tante Claudine war viel zu ungeduldig, uni sich ans irgend welches Parlamentieren einzulassen. Sie wies die Vermittelung kurz, doch nicht etwa unfreundlich, znrück und ging selbst. Energisch klopfte sie an die bezeichnete Tür, und ohne ein „Herein" abzuwarten, klinkte sie auf. Sie hatte den Doktor Fran Maria Bolnice, 134 Jahre alt. Die älteste lebende Frau der Welt ist eine Frau Maria Bolnice aus der Stadt Cattaro in Dalmatien, die im 134. Le bensjahre steht. Sie hat, wie das in der dortigen Gegend Brauch und Sitte ist, täglich Ziegenkäse ge gessen, was eine Ver kalkung der Arterien ver hindern und dadurch eine Verlängerung des Lebens herbeiführen soll. Als sie schon sehr alt war, bekam sie noch einmal neue Zähne und Haare, doch verlor sie die Zähne bald wieder. Ihre Augen blicken noch munter und frisch in die Welt hinaus. Es ist übrigens keine Seltenheit, das; in Dalmatien, wie überhaupt in den Mittclmeerländern, infolge des dortigen gesunden Klimas und der einfachen Lebensweise der Bewohner dieser Gegend, Leute über hundert Jahre alt werden. am Schreibtisch vermutet. Aber das Zimmer war leer. Nun jedoch klang aus dem Nebenraum, wo der Herr Doktor sein Nachtlager haben mochte, seine Stimme auf: „Wollen Sie et was von mir, Trina?" „Natürlich will ich etwas, lieber Doktor!" gab Tante Claudine lachend zurück. „Aber die Trina bin ich nicht!" „O Pardon, Frau Hallinger, wenn ich recht höre! Ge dulden Sie sich nur noch eine Minute. Ich stehe sofort zu Ihrer Verfügung." , „Bitte!" entgegnete sie seufzend und ließ sich auf einem der altmodischen Plüsch-Fauteuils nieder, die noch aus dem " an seinem Platze. Keine Bücher oder Akten auf den Stühlen: keine Handschuhe, Zigarrenreste und Streichholzbüchsen auf dem Tische. Nirgends etwas achtlos aus der Hand Gelegtes: keine Spur von genialer Unordnung, die älteren, gern Muste rung haltenden Kleinstädterinnen oft ganz besonders verdäch tig erscheint. Dieser Sartorius war ein gut erzogener Mensch, sie konstatierte es mit sichtlicher Befriedigung. Auf dem Nipptischchen unter dem Spiegel hatte er in symmetrischer Anordnung eine Anzahl Bilder stehen. Offen bar feine nächsten Verwandten: denn aus dem Kreise der Gos- lichschen Familie stammten diese Köpfe nicht. Das erkannte sie auf den ersten Blick. Aber was war das? In einem blitzenden Bronzcrahmen erblickte sie ein Gesicht, das eine seltsame Aehnlichkeit mit Küthe aufwies. Lebhaft richtete sie sich auf, ergriff das Bild und trat damit ans Fenster, uni es bei besserem Lichte zu betrachten. Sie tat es ohne Hast, da sie eine Empfindung für das Unstatthafte einer solchen Inspektion im Moment nicht besaß. Beinahe hätte sie es dabei aus den Händen gleiten lassen, so überrascht war sie, als sie erkannte, daß hier nicht etwa eine zufällige Aehnlichkeit sic getäuscht hätte. Es war wahr haftig Käthes letzte Aufnahme, die sie selbst auch im Frühjahr von Berlin zugesandt erhalten hatte. Konnte er ihr das Bild etwa entwendet haben? Oder war es ihm von Käthe selbst geschenkt worden? Sie bösanu sich, daß das ihr gehörige in der geschnitzten Truhe ihres obe ren Zimmers lag, wo sie den Doktor bisher nie empfangen hatte. Es mußte also von Käthe selbst stammen. Aber das war doch zum mindesten sonderbar, da die beiden — in ihrer Gegenwart wenigstens — höchst formell miteinander verkehr ten und Käthe sich Sartorius gegenüber oft sogar frostig und abstoßend gezeigt hatte. Nachdenklich wiegte sie den Kopf hin und her. Dann blitzte ein Helles Verständnis in ihren Augen auf, die darauf hin einen pfiffigen Ausdruck bekamen. „Diese Duckmäuser!" murmelte sie und stellte das Bild an seinen Platz zurück, noch ehe der Rechtsanwalt endlich über die Schwelle kam. „Verzeihen Sie, gnädige Frau, daß ich Sie warten lassen mußte. Ich war gerade dabei, meinen Koffer zu packen, was immer ein bißchen derangiert. Was verschafft mir die Ehre Ihres freundlichen Besuches?" sagte er verbindlich und führte sie zu dem bequemsten Sessel seines Zimmers, nachdem er ihre Hand galant an feine Lippen geführt hatte. Danach rief er auf den Korridor hinaus nach Licht. Eine neue Schutzhütte in Ober bayern. Auf dem Gipfel des „Wank", des ober bayrischen Aussichtsberges bei Partenkirchen, von dem man die Zugspitze, das Wetterstein- gcbirge rc. prächtig überblickt, wurde in diesem Herbst ein Schutzhaus fertiggestellt, das im nächsten Frühjahr dem Verkehr übergeben werden soll. Die Hütte ist ein schmucker Holzbau und liegt 1780 Meter über dem Meeresspiegel. Erbauer ist der Deutsch- Oesterreichische Alpenverein, der es sich be kanntlich zum Ziel gesetzt, durch Erbauung von Schutzhütten, Unterhaltung von Führer- knrsen und sonstige zweckmäßige Einrichtungen die Gefahren zu mindern, die bei Besteigung der herrlichen Alpen entstehen. Die Gründung des Vereins erfolgte als Oesterreichischer Alpenverein im März 1862 zu Wien auf Veranlassung dreier jugendlicher Bcrgfreunde der Studierenden Paul Grohmann, Edmund v. Mojsisovics und Guido Frhr. v. Sommaruga, die in ihren Bestrebungen von einer Anzahl Gleichgesinnter unterstützt wurden, darunter besonders Achilles Melingo und der Geolog Professor vr. Eduard Sueß. Im Jahre 1869 bildete sich auch der Deutsche Alpenverein. 1873 fand eine Verschmelzung beider Vereine statt. Der Verein gibt eine „Zeitschrift" (jährl. ein Band) und „Mitteilungen" heraus. Letztere erscheinen monatlich zweimal. Außer dem erscheint jährlich ein Kalender. Eine neue Schutzhütte in Oberbayern. Elternhause der alten Iustizrätin stammen mochten. Von da aus hielt sie, um über die unerwünschte Pause fortzukommen, Umschau in dem schon dämmerigen Raum. Es sah übrigens gar nicht wie eine Iunggesellenbude aus. Alles war hübsch „Wollen Sie denn verreisen?" fragte indessen die alte Dame neugierig. „Ich muß!" bestätigte er. „Mit dem Abendzuge will ich nach Leipzig, wo ich morgen ziemlich zeitig einen Termin