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Eine I^aiferreäe. Kaiser Wilhelm nahm am Montag an der Hauptversammlung der Deutschen Landwirt schaftsgesellschaft teil, die im Abgeordnetenhause zu Berlin stattfand. Der Monarch richtete dabei an die Versammelten folgende Ansprache: „Meine Beziehungen zur Deutschen Landwirt schaftsgesellschaft reichen bis in die Jahre ihrer Gründung zurück. Schon wenige Wochen nach Antritt meiner Regierung habe ich im Jahre 1888 der Bitte Ihres derzeitigen Präsidenten, des Herzogs von Ratibor, willfahrend, die Schutzherrschaft über die Deutsche Landwirt- schastsgesellschaft übernommen, und in den späteren Jahren den Prinzen meines Hauses gern gestattet, das Amt des Präsidenten der Ge sellschaft zu führen. Der Besuch der so glänzend und erfolgreich verlaufenen Ausstellungen in Hannover und Berlin hat mir Gelegenheit ge geben, mich persönlich von den hervorragende« Leistungen der Deutsche« LandwirtschaftSgesrllschaft und von ihrer Bedeutung für die Entwickelung der deutschen Landwirtschaft zu überzeugen. Mein Erscheinen am heutigen Tage, an welchem Ihre Gesellschaft auf ein Bierteljahrhundert treuer und zielbewußter Arbeit mit berechtigter Genugtuung zurückblicken darf, soll der bewährten Leiterin und Führerin auf dem Gebiete der landwirtschaftlichen Arbeit in Deutschland meinen kaiserlichen Dank und meine volle Anerkennung ihres Wirkens und Schaffens bekunden. In .Len 25 Jahren ihres Bestehens hat die Gesell schaft die wirtschaftlichen und geistigen Inter essen der Landwirtschaft in glücklichster Weise "wahrgenommen, den deutschen Landwirten in allen Fragen ihres schönen Berufes mit Rat und Tat zur Seite gestanden und ihnen manch edles Samenkorn zugeführt, das unter den erwärmenden Strahle« der Friedenssonne ^Wurzel geschlagen und hundertfältig Frucht ge tragen hat. Es ist das bleibende Verdienst der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft, zur rechten Zeit erkannt zu haben, daß die Landwirte im Wettbewerb der wirtschaftlichen Mächte sich die Fortschritte zu eigen machen müssen, die Wissen schaft und menschlicher Erfindungsgeist auf den Gebieten der Pflanzenkunde, Chemie und Tier- ' zücht, in der Industrie und Technik im Laufe der Jahre gezeitigt haben. Durch diese ihre Bestrebungen hat die Deutsche Landwirtschafts- Gesellschaft in hervorragendem Maße dazu bei getragen, die Leistungsfähigkeit der deutschen Landwirtschaft, sowohl deS bäuerlichen wie des Großgrundbesitzes, zu heben und in weiten Kreisen die Überzeugung zu befestigen, daß auch die Landwirtschaft von unsrer aufstrebenden und blühenden Jndnstrie nur Nutzen ziehen kann. Mit meinen Glück wünschen zu der heutigen Jubelfeier verbinde ich herzliche Wünsche für die Zukunft. Möge die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft ihren großen Zielen immer näher kommen, die deut schen Landwirte weiter unter ihren Fittichen sammeln, und so auch an ihrem Teile das Band festigen, das alle deutschen Gaue umschließt. Möge sie es sich stets angelegen sein lassen, die Liebe zur heimischen Scholle zu pflegen und in ihren Mitgliedern das Gesühl der Berufs- frsudigkeit und der Berufstreue zu stärken, damit die landwirtschafttreibende Bevölkerung sich alle zeit als ein gesunder und verläßlicher Kern des deutschen Volkes bewähre zu Nutz und Frommen des gesamten Vaterlandes I" politische Kunälchau. Deutschland. *Jn der amerikanischen Presse ist in letzter Zeit wiederholt der Wunsch ausgesprochen worden, der deutsche Kronprinz möge für seine Rückkehr nach Europa den Weg über Amerika nehmen. Wie verlautet, be steht eine solche Absicht nicht. Der Kronprinz wird auf jeden Fall, um seine Reite nicht noch länger auszudehnen, zur Rückreise nach Deutsch land den Weg über Sibirien nehmen. Ein Besuch der Ver. Staaten war im Reiseplan des Kronprinzen niemals vorgesehen, auch hat es niemals in seiner Absicht gelegen, auf seiner jetzigen Weltreise die deutschen Kolonien zu be suchen. Wie verlautet, wäre es nicht unmög lich daß der Kronprinz in einem der nächsten Jahre eine Reise in die deutschen Kolonien unternimmt. Von einer späteren Reise nach Nordamerika ist hingegen bisher nichts bekannt geworden. * Durch die kürzliche erfolgte Ersatzwahl im Wahlkreise Labiau-Wehlau ist der Reichstag seit langer Zeit wieder vollzählig, alle Mandate sind besetzt. Dis letzte Ersatzwahl, durch die Bürgermeister Wagner-Tapiau ge wählt wurde, war die 41. Ersatzwahl seit den Neuwahlen im Januar 1907. Die Fraktionen der Linken des Reichstags sind sich jetzt in der Stärks ziemlich gleich. Nationallibsrale und Fortschrittliche Volkspartei zählen je 49 Mit glieder, die Sozialdemokraten 52 Mitglieder. Die Rechte setzt sich zusammen aus 58 Konser vativen, 25 Mitgliedern der Freikonservativen, 17 Mitgliedern der Wirtschaftlichen Vereinigung und 3 Mitgliedern der deutschen Reformpartei. Die Polen zählen 20 Mitglieder, das Zentrum hat 106 Mitglieder. Keiner Fraktion gehören 18 Mitglieder an. Balkanstaatr«. *Bei den Wahlen zur griechischen Nationalversammlung haben die An hänger des Ministerpräsidenten Venizelos gesiegt. Der Mann, auf den nicht nur das griechische Volk, sondern auch der König seine letzte Hoffnung setzt, kann nun also zeigen, ob er im Kampfe der widerstrebenden Interessen die mittlere Linie findet, auf der eine Einigung aller Volksgenossen möglich ist. Bemerkenswert ist, daß Venizelos aus den Kreisen der länd lichen Bevölkerung fast keine Unterstützung ge funden hat. Aus äem Aeickstage. Am 10. d. Mts. Wird die erste Lesung des Etats fortgesetzt. Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg: über die auswärtige Politik werde ich mich später äußern. Ein Wort über den Zusammenhang zwischen Reichsfinanzreform und neuem Etat. Über die Polemik um die Besitzsteuer hat man ganz ver gessen, was die Nation bewegte, als wir die Steuern einbrachten. Das war nicht der Streit um diese oder jene Steuer, sondern die von der ganzen Nation vertretene Überzeugung, daß es mit der früheren Finanzwirtschaft nicht weiter ging. Der neue Etat ist die bündigste Rechtfertigung dafür, daß die verbündeten Regierungen den Reichstagsbeschlüssen beitraten. In das Gebiet der Fabel gehören die Erzählungen von Krisen zwischen Armeeverwaltung und Reichsschatzamt. Die Heeresverstärkung ist io durchgeführt, wie sie ge fordert ist. An den bewährten Grundlagen unsrer Wirtschaftspolitik werden wir mit Nachdruck fest halten. Nun wird die Situation vielfach von der taktischen Frage beherrscht, wie die Parteien zu einander und wie die Regierung zu Parteikombi nationen sich stellen sollen. Wie die Neuwahlen auch ausfallen mögen, eine Götterdämmmerung wird nach ihnen nicht anbrechen. Ich kann mich mit irgend einer Partei oder Parteikonstellation nicht identifizieren. Das Gerede vom schwarz-blaue» Kanzler hat zwar den Witzblättern reichlichen Stoff gegeben, mich persönlich läßt es kalt. Ich führe die Politik und schlage die Gesetze vor, die nach meiner sachlichen Überzeugung dem Wohle des Vaterlandes dienen. Damit komme ich zum wichtigsten Punkte, dem Verhältuis zur Sozialdemokratie. Herr v. Heydebrand verwies kürzlich auf die Gefähr lichkeit der sozialdemokratischen Umtriebe. Soll da durch' der Eindruck erweckt werden, als bedürfe ich besonderen Ansporns beim Schutze der staatlichen Ordnung, so lege ich dagegen Verwahrung ein. Bei uns liegen Schuld und Sühne viel zu weit ausein ander. Aber in der neuen Strafprozeßordnung sind Bestimmungen vorgeschlagen, den hier bestehenden Mißständen abzuhelfen Auch dagegen, daß die sozial politischen Einrichtungen zum Werkzeuge sozialdemo kratischer Machtpolitik werden, sind Ihnen Vor schläge bereits gemacht. Wester vertritt das neue Strafgesetzbuch die Ansicht, daß das geltende Recht gegen die aufhetzende Tätigkeit fanatischer Agitatoren n' st genügt. Was die Exzesse von Moabit betrifft, so ist für sie die Sozialdemokratie mitver antwortlich. Die Moabiter Unruhen sollen künstlich von der Polizei angeregt sein. Das ist eine will kürliche, unbewiesene, unbeweisbare und unsinnige Behauptung. Nach Ihren (zu den Soz.) Angriffen freilich sei offen ausgesprochen: Die Polizei hat in Moabit ihre Pflicht getan. Die Stimmung, die in Moabit zum Ausdruck gekommen ist, auf die arbeiten Sie (zu den Soz.) planmäßig hin. Daß Ihnen die Verwüstungen des Moabiter Zauberlehrlings nicht paffen, ändert an der Tatsache nichts. Fürst Bülow hat mehrfach erklärt, daß Monarchie und Gesellschaft bei furchtloser Anwendung der vor handenen gesetzlichen Mittel in der Lage seien, jeden Versuch des Umsturzes niederzuhalten. Derselben Ansicht bin ich auch. Vorschläge zu Ausnahme gesetzen mache ich Ihnen nicht. Aber alle gesetz- widrigen Angriffe auf die Ordnung des Staates werden mit nachdrücklicher Energie niedergeschlagen. Nur dem Wohle des Staates haben wir ein Recht zu dienen, ein Recht und auch die Pflicht. Abg. Bassermann (nat.-lib.) hätte es nach wie vor für richtig gehalten, daß Fürst Bülow nach Ablehnung der Reichserbschaftssteuer den Reichstag aufgelöst hätte. Er lobte den Schatzsekretär wegen der Aufstellung des neuen Etats und forderte eine Politik des Fortschritts und der Reformen. Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg: Zur Marokkofrage die Bemerkung, daß wir unsre Rechte mit Nachdruck wahrnehmen werden. Im übrigen wird sich der Staatssekretär des Aus wärtigen über Marokko auslassen. England hat wohl wiederholt den Gedanken vertreten, die Rüstungen nach Möglichkeit zu beschränken, hat aber keine Anträge gestellt, die wir hätten annehmen oder ablehnen können. Die Entrevue von Potsdam ist harmonisch verlaufen. Besonderen Wert gewann sie durch die Möglichkeit, daß sich die leitenden Staatsmänner persönlich kennen lernten. Von neuem wurde festgestellt, daß beide Regierungen keinerlei Kombinationen unterstützen, die ihre Spitze gegen die Türkei haben. Scheinbare Mißverständnisse wurden auf der Zusammenkunft beseitigt und das alte vertrauensvolle Verhältnis zwischen uns und Rußland wurde von neuem bestärkt und bekräftigt. Abg. Wiemer (fortschr. Vp.) glaubte nicht, daß des Kanzlers Sammlungspolitik Erfolg haben werde und bezweifelte, ob eine Erhöhung der Friedenspräsenzstärke des deutschen Heeres notwendig fei. Beim Verkauf des Tempelhofer Feldes dürfe das Mitbestimmungsrecht des Reichstages nicht aus geschaltet werden. Abg. Frhr. v. Gamp (freikons.) betonte, bei der Reichsfinanzreform sei die Erbschaftssteuer nicht der einzig mögliche Weg einer Besitzsteuer gewesen. Wenn nötig, möge der Reichstag auf den damals einstimmig angenommenen Antrag Gamp zurück kommen. Mit der Gesetzesmacherei müsse Maß ge hauen werden. Die Sparsamkeitsabsichten des Schatzsekretärs unterstütze seine Partei gern. Der Reichstag setzte am Montag die erste Lesung des Etats fort. Die Rede des Abg. Lattmann (wirtsch. Vgg.) war fast ganz der Rechtfertigung der Reichsfinanzreform und der Polemik gegen den Hansabund gewidmet. Staatssekretär des Aus wärtigen Amtes v. Kiderlen-Wächter stellte zunächst fest, daß das Anlaufen eines französischen Kriegsschiffes in einem nichtgeöffneten Hasen Marokkos von der französischen Regierung einwand frei und harmlos aufgeklärt worden fei. Zum Fall der Gebrüder Mannesmann fei nach wie vor zu wünschen, daß sich diese deutschen Industriellen mit den andern Interessenten verständigen. Zur Frage der Reorganisation des Auswärtigen Amtes werde zwar Resormbedürfnisien Rechnung getragen, aber die Organisation im ganzen stamme aus großer Zeit und an ihr dürfe nicht, gerüttelt werden. Als zweiter neuer Staatssekretär stellte sich der Leiter der Reichs kolonialamtes, Herr b. Lindequist, dem Hause vor. Er verwies mit Genugtuung auf die in allen Kolonien erzielten Fortschritte und führte diese Erfolge in erster Linie auf die Tätigkeit des früheren Staatssekretärs zurück. Redner stellte eine besondere ! Denkschrift über die Baumwollfrage in Aussicht, der in allen tropischen Kolonien erhöhte Aufmerksamkeit gewidmet werde. Es sprachen noch die Abgg. Graf Mielzynski(Vole), Werner (Rsp.) und Erz berger (Ztr.). Am 13. d. Mts. wird die erste Lesung desEtats - fortgesetzt. Kolonialstaatssekretär v. Lindequist: Abg. ! Erzberger fragte nach meiner Stellung zu den i Deutschen in den Kolonien. Wenn ich Andeutungen darüber unterließ, so habe ich angenommen, daß meine überseeische Tätigkeit in Deutschsüdwestasrika ; und in Britifch-Südafrika Gewähr dafür biete, daß ich nur eine deutschnationale Kolonialpolitik treiben werde. Das wird mich natürlich nicht abbalten, die Ausländer in unsern Kolonien freundlich zu be handeln. Abg. v. Putlitz (kons.): Die Ausführungen, die der Kanzler über unser Verhältnis zn den ' großen Nachbarstaaten gemacht hat, begrüßen wir. Die Etatsberatung hat im Zeichen der Wort« des Reichsschatzsekretärs gestanden: Fortschreitende Ge sundung der Finanzen. Welch' Unterschied Heutes und vor zwei Jahren. Die Wirkung der Finanz reform ist es gewesen, daß der Druck von ims genommen ist und daß wir heute anders vor dem' Auslande dastehen als vor zwei Jahren. Mm können wir ohne Sorge in die Zukunft bkcken, wenn nur weiter weise Sparsamkeit beobachtet wird. Wenn die Erregung nach der ReichsfinanzrejorM größer und nachhaltiger war als sonst nach Siener« f gesehen, so lag das daran, daß sich diesmal auch - liberale Blätter an der Steuerhetzc beteiligten. Abg.) Bassermann hat sich dagegen verwahrt, aber gerade die von ihm vorgetragenen Gesichtspunkte waren das Leitmotiv der Hetze. Abg. David (soz.): An die Gesundung der Reichsfinanzen glauben wir nicht. Mag sich auch Herr Wermuth bemühen, den Block der Finanzen , auswärts zu wälzen. Oben sitzen ja die Heeres- und Flottenminister und wälzen den Block wieder hmab. Die Erklärungen zum Abrüstungsgedanken klangen ja freundlicher als früher, genügen aber noch nicht. Wie kann der Reichskanzler uns Unfruchtbarkeit und Verneinung vorwerfen? Die Wähler wissen, was unsre positive Mitarbeit wert ist. Die sozialen Ver» . dienste des Reichskanzlers wiegen jedenfalls feder-- leicht im Vergleich zu den Zentnergewichten, die wir ' in die Wagschale zu werfen haben. Daß der Reichs kanzler über den Parteien steht, nun, er selbst maz s es glauben. Aber sonst niemand. Wir haben stets gegen die das Zentrum bedrängenden Ausnahme gesetze gestimmt und sind auch bereit, das Jesuiten« ; gesetz zu beseitigen. Aber das Zentrum schweigt sich ; aus, wie es über die angekündigte Verschärfung des Strafgesetzbuchs denkt. Die katholische Kirche ver anstaltet alle möglichen Exerzitien. Warum nicht / auch Exerzitien für Zentrumsabgeordnete? Der: Reichskanzler hat an Herrn v. Heydebrand eine - Absage erteilt. Aber der Wortlaut wird wählst zuvor von beiden vereinbart worden sein. Ran verwirft Ausnahmegesetze, indem man sich zu solchen rüstet. Über die Moabiter Vorgänge hat der Reichskanzler ein fertiges Urteil abgegeben. Aber hat er sich über die Prozeßaussagen hinreichend orientiert? Jedenfalls leistete er sich einen schweren Eingriff in die Unabhängigkell der Rechtsprechung, st Wer suchte in Moabit Wasser für seine Mühle? Der schwarzblaue Block! Man stellt uns als. Revolutionäre hin. Aber Revolution heißt Nm«; Wälzung, und ob sich die friedlich oder gewaltsam abspielt, hängt nicht von uns ab, sondern von) unsern Gegnern. Die Sozialdemokratie hat sich nicht zur Sozialdemokratie zu bekennen, sondern die/ Monarchie zur sozialen Demokratie, und der Kaiser s sollte Sozialreform zusammen mit der Sozial« s demokratie treiben. Die Sozialdemokratie ist un bezwingbar. Reichskanzler v. Bethmann - Hollweg:,. Hinsichtlich der Moabiter Vorgänge habe ich nur.t auf den Abg. Scheidemann erwidert. Nachdem erst behauptet hatte, die Moabiter Vorgänge feien auf § Polizeifpitzel zurückzuführen, war ich verpflichtet, die- Polizei gegen diesen Angriff in Schutz zu nehmens Im übrigen, ob die Angeklagten in Moabit ver- tz urteilt werden, ob sie freigesvrochen werden, die- moralische Mitschuld der Sozialdemokratie an st den Moabiter Vorgängen steht fest. (Stürmischer / Beifall rechts, dröhnender Lärm bei de» Soz., Abg. Kunert: Frechheit sondergleichen I Vize-'s Präsident Schultz ruft den Abg. Kunert zur Ord« nund erfucht wiederholt um Ruhe.) Uber diese Rit«Z schuld der Sozialdemokratie wird in Moabit »chtß geurteilt, ebenso wie an ihr weder durch dialektische, Kunstgriffe noch durch Zeugenaussagen noch durch st Mißgriffe einzelner Polizeiorgane irgend etwa« ge-^ ändert wird. (Stürmischer Beifall rechts und im s Zentrum, anhaltender Lärm der Soz.). Abg. Schrader (fortschr. Vp.): Herr Dern-^ bürg ist in und außer dem Hause angegriffen» worden. Aber Herr Rohrbach, dessen Schrift er-Z wähnt wurde, steht uns vollständig fern. Mit Aus-Z nahmegesetzen werden Sie die Sozialdemokratie nicht. bezwingen. Abg. Graf v. Mielzynski (Pole): Die: polnische Bevölkerung hat kein Vertrauen zur vreußi-st schen Justiz; daran ändert kein Abstreiten des Stunts- s sekretärs etwas. . 1 Abg. Hilpert (bayr. Bauernbund) stlmmtß den neuen Heeresforderungen zu. Das Reich fullteS aber auch für die Witwen und Waisen der Krieger sorgen. Das Haus vertagt sich. HL Vas Mäckenkeim. 11j Novelle von Antonie Andrea. lFortsetzung.l Ruth verneigte sich ehrerbietig, und ihre Helle Stimme bekam einen dunkleren Klang, als sie fortfuhr: „Doch nicht ohne Bedauern ver- zichte ich auf die Vorteile einer Stellung, wie ich die Ehre hafte, sie bei Ihnen zu bekleiden; denn — nicht wahr ? Ich darf meiner Entlassung entgegensehen/ Der alte Herr hatte alle Farbe verloren. So wurde ihm die Sache zu ernst. Er hielt das junge Mädchen zurück, indem er ihm kräftig die Hand auf die Schulter drückte: „Halt, halt, Fräulein Empfindlichkeit! Sie haben noch nicht „definitiv* geantwortet: Lieben Sie meinen Sohn?* Nur einen Atemzug lang, dann sagte Ruth mit einer Empfindung peinlicher Entschlossenheit: „Nein.* Zitterte ihre Stimme nicht dabei? Sie hatte doch nicht gelogen; warum denn tat ihr das kleine Wort mit einemmal so leid, als hätte sie einem guten Menschen furchtbar weh damit getan? So war es in der Tat. Dort in der Flügeltür mit den dunklen Vorhängen stand Frank Miles, bleich, regungslos, die dunklen Augen in verzweifeltem Flehen auf sie gerichtet. „Baier — was hast du getan?* stöhnte er. Dann schwankte er wie einer, der die Be sinnung verliert. Doch ehe sein Vater ihm zu Hilfe eilen konnte, stand er vor dem er schütterten jungen Mädchen, und die Hand auf sein schmerzendes Herz gepreßt, murmelte er: „Ruth — wenn Sie gehen — es ist mein Tod!" Da trieb das Mitleid sie zu ihm. Sie faßte seine zitternden, kalten Hände in ihre beiden warmen: „Vergeben Sie, Frank I Es war nicht die Wahrheit — nicht die volle Wahrheft. Es fuhr mir heraus. Ich wollte nicht als Eindringling vor Ihrem Vater stehen. Welches Mädchen sollte nicht lernen Sie zu lieben, Sie — den besten, großherzigsten Menschen? Lassen Sie mir Zeit, mich zu fassen. Ich begreife noch nichts — nur das eine, daß Sie leiden um meinetwillen, daß Sie mich lieb haben, und daß ich mein Leben hingeben könnte, um Sie froh und glücklich zu machen.* Er glitt vor ihr nieder, und das Antlitz in die Falten ihres armen, alten Trauerkleides gedrückt, stammelte er zwischen Schluchzen und Jauchzen: „Werde du nur mein Weib, Ruth, du einzige — und ich will das Leben lieben, wie ich dich liebel* Sie zog ihn empor. „Dann — ja, ja!* sagte sie freudig, und ihre Augen überströmten ihn mit Licht und Glanz, bis sie sie schließen mußte unter seinen Küssen. Sie hatten nicht darauf geachtet, daß der alte Herr das Zimmer verlassen. Frank fühlte nur, daß sie in seinen Armen ruhte, daß er selber in Glück und Liebe zerfloß, wie ein Tautropfen in der Mittagssonne. Sie aber tat ein feierliches Gelübde, daß sie ihm diese schöne, geweihte Stunde mit Liebe und Treue vergelten wollte . , . Als „der Chef* wieder bereinkam mit Miß Edith Winters, die der jungen Braut den Schwesterkuß zu geben wünschte, fanden sie Frank und Ruth Hand in Hand unter dem großen Kronleuchter stehen, beide strahlend, lächelnd, ein Bild der Schönheit und des Glückes, und ehe er sie in seine Vaterarme schließen konnte, schoß es ihm durch den Sinn: „Wenn eine ihn mir erhalten kann, so ist es die hier an seiner Seite.* 7. Margas Tagebuch: „Montag. — Unglaublich! Ruth dieses fabelhafte Glück. Nun, Mutter und Arnold können froh sein. Dienstag. — Unruhen, Ängste ohne Ende. Täglich Ärzte und Wärterinnen. Komme nur noch festen in das Krankenzimmer. Was man für Aufhebens von einem Menschenleben macht! Mittwoch. — Ob ich die Feiertage nach Hause wollte? Nein. Was soll ich da? Die gehen ihre Wege, ich verfolge die meinen. Donnerstag. — Es war diese Nacht. Wie unerwartet! Im Krankenzimmer nebenan wachte die Pflegerin. Daß er sich aussprechen wollte, merkte ich längst. Hat er wirklich noch Reste von Gefühl in seinem alten verknöcherten Herzen? Ich saß vor ihm in dem weichen Fauteuil und hörte zu. Wie poetisch und wirkungsvoll wäre das alles, wenn er nicht so all und häßlich gewesen wäre! Dies sanft er hellte Zimmer — zwei Lampen mit roten Spitzendächern. — Die weichen Polster und und Teppiche — die roten Plüsch- und Damast- sioffe. — Die Stille der Nacht. Ich fchaute immerfort in das rote Licht, um die Illusion festzuhalten. Er erzählte: Sie hatten einen Sohn. Einziges Kind. Ihn liebte sie, die Unnahbare, Erhabene — die sich dennoch hergegeben, eine Ehe zu schließen mit dem geadelten Emporkömmling. Ich verstehe. Das verarmte Edelfräulein —. — Geht mir mit euren Idealen: das Geld allein schafft sie. Laßt Not und Entbehrung an sie herantreten, sie zerfallen in nichts. Ich — ja, ich träumte in dieser nächtlichen Stunde von schönen Dingen, nur weil ich so weich und warm saß in dem roten Lampenlicht, umflutet von dem Dust des Reichtums, der Vornehm heit. Zu Hause in der gräßlichen „Berliner* habe ich nie geträumt. . . . Also, sie liebte diesen Sohn, mit einer Ausschließlichkeit, als hätte er keinen Bater. Sie verzärtelte, ver weichlichte, verzog ihn. Sie ging in ihm auf, als wäre er der Sauerstoff in ihrem Lichtkreise. Er war nichts für sie (kann's mir denken!). Kaum daß der Kleine lernte, ihn Vater zu nennen. Alles dies unter der Devise: daK Kind ist zart Md schwächlich. Schließlich wollte er seine väterliche Autorität geltend machen. Er bestand darauf, als der Junge sieben Jahre all war, daß er tumen, reiten, vor allem schwimmen lernte; denn der Junge fürchtete sich vor dem Wasser, wenn er es auch nur in der Badewanne sah. Sie reisten in ein Seebad. Es wurde eigens für ihn ein Schwimmeister genommen. Wäh rend der Kleine baden mußte, ging die Mutter am Strande hin und her, bleich, in heftigster Erregung. Nicht ohne Erfolg hatte der Junge