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Allgemeiner Anzeiger : 12.11.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-11-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191011123
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19101112
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19101112
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1910
-
Monat
1910-11
- Tag 1910-11-12
-
Monat
1910-11
-
Jahr
1910
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 12.11.1910
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EMHrMgsgesch zur ReichZverficherMgsordnung. Der Bundesrat hat den Gesetzentwurf für ein Einführungsgesetz zur Reichsverficherungs- ordnung den zuständigen Ausschüssen überwiesen. Dieses Einiührungsgesetz wird olle diejenigen rechtlichen Grundlagen für den Übergang aus dem bestehenden Zustand in die neuen Verhält nisse enthalten, die nur vorübergehender Natur sind und daher zweckwäßigerwsise in die Reichs- versichsrungsordnung selbst nicht aufzunehmen waren. Solche Übergangsbestimmungen werden notwendig beispielsweise bei der Kranken versicherung durch die Aullösung oder Zu sammenlegung einzelner Kassen und die sich hieraus ergebenden vermögsnsrechtlichen Aus einandersetzungen. Auch die Invaliden- und Hinterbliebenen - Versicherung wird gesetzliche Äusführungsbestimmungen erfordern. Schließ lich soll durch das Einführungsgesetz auch die Aufhebung des 8 15 des Zolltarifgesetzss, der die Überschüsse der Hinterbliebenen zurück weist, bewirkt werden, indem festgesetzt wird, daß an seine Stelle die Rsichsversicherungs- ordnung mit ihren festen Beiträgen zur Durch führung der Hinterbliebenen-Versicherung tritt. Da der Entwurf für das Ausiührungsgesetz auch von der Kommission für die Reichsversiche rungsordnung beraten werden soll, so dürfte diese Vorlage eine der ersten sein, mit der sich der Reichstag nach seinem Zusammentritt be schäftigen wird. Gleichzeitig mit ihr wird dann auch der Entwurf eines Gesetzes betr. die Aufhebung des Hilfskaffengesetzes eingebracht werden, der vom Bundesrat schon im Frühjahr erledigt wurde. Ein ähnlicher Gesetzentwurf ist bereits zweimal, im Jahre 1905 und 1997, im Reichstage eingebracht, aber nicht verabschiedet. Die neue Vorlage hat gegen ihre beiden Vorgänger eine Umgestaltung erfahren. Denn der Teil des Entwurfes, der das Verhältnis der Hilfskassen zu den Kranken kassen regelte, ist in die Reichsversicherungs- ordnung übergegangen. Dort werden auch die Voraussetzungen festgelegt, unter denen die Ver- sichernngsvereine als Ecsatzkassen zugelassen werden dürfen. Es bleiben daher nur noch die allgemeinen Verhältnisse der Hilfskafssn einer besonderen gesetzlichen Regelung Vorbe halten. Gefordert wird in Zukunft für die Lilfskassen eine Mindestzahl von 1000 Mit- gliedern. Der Beitritt soll Versicherungs- Pflichtigen nicht versagt werden dürfen, wenn er an sich nach den Satzungen zulässig ist, ins besondere soll der Beitritt nicht vom Lebens alter, Geschlecht ober Gesundheitszustand ab hängig gemacht werden. An Leistungen sind mindestens die Regelleistungen der Kranken kassen nach dem Grundlohne zu gewähren, der bei der Krankenkasse maßgebend ist. -Politische kunäschau. Deutschlaad. * Kaiser Wilhelm wird am 11. No vember seine Tante, die Großherzogin-Mtwe Luise, auf Schloß Baden in Baden-Baden be suchen. Der Aufenthalt soll nur wenige Stunden dauern. kR Pariser sonst gut unterrichtete Kreise wollen wissen, daß zwischen den Höfen in Berlin und in Monako in der letzten Zeit Verhandlungen gepflogen worden find, die einen Besuch Kaiser Wilhelms im Fürstentum Mo nako zum Zweck haben sollen. Der schon früher dem Fürsten Albert vom Kaiser Wilhelm versprochene Besuch des Ozeanographischen Museums soll dadurch verwirklicht werden. — An zuständiger Stelle ist augenblicklich weder ein Widerruf noch eine Bestätigung der Nach richt zu erlangen. Immerhin ist es möglich, daß dieser Besuch des Kaisers bei Anlaß der nächsten Mittelmeer-Reise zur Ausführung ge langen wird. "Der Kaiser hat dem Gouverneur des Kiaut'chou-Gebieles, Vizeadmiral Truppel, den Kronenorden erster Klaffe verliehen. * Dem Reichstage sind drei kleine Ge setzentwürfe zugegangen: 1) ein Entwurf betr. die durch die neue Strafprszeßsrdnung veran laßten Änderungen der Gebührenord nung (der Entwurf regelt die Gebühren für Bormundschafts- und Jugendgerichte); 2) ein Entwurf betr. den Schutz des für Reichs banknoten verwendeten Papiers (seine Be stimmungen sollen die Anfertigung falscher Banknoten erschweren); 3) ein Entwurf betr. die Beseitigung von Tierkadavern, der Entwurf will bisher zutage getretene Mißstände beseitigen. Der Entwurf betr. den Schutz des zur Anfertigung von Reichsbanknoten verwen deten Papiers gegen unbefugte Nachahmung be stimmt, daß Papier, das dem der Banknoten ähnlich sieht, nicht angefertigt, verkauft oder sonst in Verkehr gebracht werden darf. — Die nächste Sitzung des Reichstags ist vom Präsi denten Grafen Schwerin-Löwitz aus den 22. November 1910 angesetzt worden. Auf der Tagesordnung stehen die ersten Lesungen dieser kleinen Vorlagen. *Eine wichtige Neuerung hat die Straf prozeßkommission beschlossen. Danach ist der Abschnitt „Hauptoerhandlung" wie folgt zu ergänzen: „über die rechtskräftigen Ver urteilungen werden Strafregister nach näherer Anordnung des Bundesrats geführt. Aus dem Strafregister sind die Vermerke über Personen zu entfernen, die nach den der Registerbehörde zugekommenen Strafnachrichten seit der Verbüßung oder dem Erlaß ihrer letzten Strafe sich zehn Jahre lang straflos geführt haben." *Der Reichstagsabgeordnete Domkapitular Dr. Pichler ist zum Domprob st in Passau ernannt worden. Diese Ernennung macht e ne Neuwahl im niederbayrischen Reichstagswahl kreise Passau nötig. Frankreich. * Auch das neue Ministerium Briand wird in der Kammer manchen Sturm zu be stehen haben. Schon bei ihrem Wiederzusammen tritt am 7. November griffen die Sozialisten aller Schattierungen die Regierung wegen ihrer angeblich arbeiterfeindlichen Politik heftig an. Briand erklärte demgegenüber, er sei durchaus nicht arbeiterfeindlich, er wolle auch weder das Streik- noch das Vereinigungsrecht der Arbeiter antasten, aber er müsse Sorge tragen, daß Vorgänge, wie gelegentlich des Eisen bahnerstreiks, unmöglich gemacht werden. *,Presse colonial^ berichtet, daß die fran zösische Regierung dis Stadt Chandernagor in Französisch-Indien an England abtreten Wolls, um dafür eine Vergrößerung des Gebiets von Pondichöch zu erhalten. Der französische Kolonialminister lehnte eine Aus kunft über das Gerücht ab, da die Frage zu öffentlicher Behandlung noch nicht spruchreif sei. Daß aber überhaupt Verhandlungen über einen solchen Austausch schweben, zeigt, wie eng die Beziehungen zwischen England und Frankreich sind. England. * Nach einer Erklärung König Georgs ist der Termin der K ö ni g skrö n ung auf den 22. Juni 1911 festgesetzt worden. Balkanftaats«. * Die Verhandlungen über die deutsch- türkische Anleihe sind jetzt zum Abschluß gelangt. Die Anleihe soll elf Millionen Pfund betragen, hiervon sechs Millionen für dieses Jahr und der Rest für das nächste Jahr. Der Zinsfuß wurde auf 4 Prozent festgesetzt. Der türkische Ministerrat hat bereits seine Zustimmung erteilt. * Die Nachrichten von Bandenkämpfen in Mazedonien mehren sich in jüngster Zeit in auffälliger Weise. Das türkische Militär muß immer wieder einschreiten, und zwar sowohl an der bulgarischen wie an dec griechischen und montenegrinischen Grenze. — An der montenegrinischen Grenze sand ein Zu sammenstoß zwischen Türken und Montenegrinern statt, der vier Stunden dauerte. Zwei türkische Soldaten wurden dabei getötet und mehrere verwundet. — Fast Zu gleicher Zeit kam es zu einem heftigen Kawvf zwischen einer bulgarischen Da de und den sie verfolgenden Gendarmen. D;.. Bulgaren wurden erschossen. Die Gen darmen verloren zwei Tote und einen Ver wundeten. — Endlich fand an der griechischen Grenze ein Zusammenstoß zwischen einer griechi schen Bande und türkischen Grenzwachen statt, wobei drei Griechen fielen; ein türkischer Soldat wurde schwer verwundet. Die türkische Regie rung beschloß umfangreiche Schutzmaßregeln zu ergreifen. Der kaubmorä in Kerim. Das Verbrechen in der Potsdamer Straße zu Berlin, wo am Sonntag die Eheleute Tetzke, als sie bei ihrer Heimkunft einen Einbrecher in ihrer Wohnung fanden, von dem Verbrecher niedergeschossen wurden, wird nicht ungesühnt bleiben. Der Täter ist bereits ermittelt und verhaftet worden. Am Montag erschien auf dem Polizeipräsidium ein junger Mann, der in der Mordsache sofort und dringend vernommen zu werden verlangte, da er wichtige Mitteilungen machen wolle, die vielleicht zur Entdeckung des Täters führen könnten. Er gab folgendes an: Die polizeilichen Bekanntmachungen über das Verbrechen in der Potsdamer Straße hätten ihn an einen Vorgang erinnert, der allerdings bereits eine Woche zurücklag. Als er sich an einem Tage nach dem Arbeitsmarkt begab, um Arbeit zu suchen, sei ein ihm unbekannter Mann, dessen Namen er auch heute noch nicht kenne, an ihn herangetreten und habe zu ihm gesagt, daß die schwere Arbeit doch gar keinen Zweck habe. Er wisse, wie man auf viel leichtere Art rasch eine schwere Menge Geld erwerben könne. Der Unbekannte fuhr dann fort, daß er Schneidersleute kenne, die in der Pots damer Straße wohnen, dort sei etwas zu machen. Er kenne die Gelegenheit ganz genau, da seine Schwester bei den Leuten in Stellung gewesen sei. Daher wisse er auch, wo diese Leuts ihr Geld aufbewahrten. Die Sache sei ungefährlich, da er auch genau wisse, wann die Schneidersleute nicht zu Hause seien. Der Zeuge hatte damals den Unbekannten bis zu einem Hause in der Sedanstraße in Schöneberg be gleitet und erklärte, er würde jenes Haus wiedererkennen. In Begleitung mehrerer Krimi nalbeamter fuhr der Zeuge nun nach der Sedan- straße, wo er den Beamten sofort das Haus zeigte. Bald hatte man festgestellt, daß in dem Hause eine Frau wohne, die eine geborene Tippe sei. Nun war der Faden, der von dem von Tetzkes entlassenen Dienstmädchen Tippe zu dem Unbekannten führte, rasch gefunden. Schlag auf Schlag folgten nun dir weitere« Feststellungen, die so schwerwiegend waren, daß sie den Mörder der Polizei wenige Zeit später in die Arme trieben. Der Unbekannte hatte gesagt, seine Schwester habe Lei den Schneidersleuten in Dienst gestanden. Das traf nun bei der Tippe zu; der Unbekannte hatte weiter gesagt, daß in dem Hause seine verheiratete Schwester wohne; auch das traf zu. Inzwischen war ermittelt worden, daß ein Bruder in Berlin existierte, und zwar der stellungslose, zwanzig Jahre alte Gärtner Paul Tippe. Nach allen Feststellungen konnte nur dieser Paul Tippe als Täter in Frage kommen. Jetzt wurde die verheiratete Schwester einem Verhör unterzogen. Sie gab an, daß ihr Bruder Paul schon seit jeher das Schmerzenskind der Familie fei, der schon von früher Jugend an den Eltern großen Kummer bereitet habe. Paul Tippe, der am 27. Juli 1890 in Neundorf im Kreise Bernburg geboren ist, hat in der Provinz schon mehrere Vorstrafen erlitten. Kurz vor der Tat hatte er seiner Schwester 20 Mk. gestohlen. Am Sonntag nachmittag entfernte sich Tippe aus der Wohnung der Schwester. Gegen 11 Uhr obends kehrie er in die Wohnung zurück. Seinen Angehörigen fiel das verstörte Wesen des Mannes aus, sie führten es aber darauf zu rück, daß er sich wegen des Diebstahls schäme. Der Täter wurde kurze Zeit danach auf einem Arbeitsnachweis verhaftet. Anfangs leugnete er und versuchte seine Unschuld zu beweisen; aber bald erfolgte das Geständnis des Mörders. Als er das Protokoll seiner Vernehmung unter schreiben wollte, sah er plötzlich im Türrahmen des Nebenzimmers den jungen Mann stehen, den er einige Tage früher zum Einbruch ber Tetzke hatte überreden wollen. Die Wirkung, die der Anblick des jungen Mannes auf den Verbrecher ausübte, war groß: der Federhalter entsank seinen Händen, aschfahl im Gesicht stierte er den Zeugen an und sank dann in den Stuhl zurück, wo er mit einer Ohnmacht kämpfte. Rasch wurde ihm ein Glas Wasser gereicht; mit versagender Stimme bat er dann, die Tür zu schließen, er wolle alles gestehen. Unter Zittern legte nun der Verbrecher sein Geständnis ab. Er gab an, daß er sich aus seiner Wohnung mit der Absicht entfernt habe, um den Einbruch zu verüben. Er Habs sich so fort nach der Tetzkeschen Wohnung begeben und habe, nachdem er in die Wohnung gelangt war, bereits die Behälter erbrochen, als er durch das vorzeitige Kommen der Wohnungsinhaber gestört wurde. Als Frau Tstzke die Tür öffnete, wollte er entfliehen. Frau T. schrie laut auf, und nur das Schreien habe ihn so verblüfft, daß er, ohne an etwas zu denken, seinen Revolver gezogen und blindlings drauflos geschosst« habe. Bei dem Manne sei es dasselbe ge wesen; dieser habe ihn umklammert, und um loszukommsn, habe er auch auf ihn geschossen. Er habe nicht die Absicht gehabt, die Leute zu töten. Er sei nach der Tat sofort auf die Straße geeilt, den Revolver habe er fort geworfen, und dann sei er noch, ehe er sich nach seiner Wohnung zurückbegab, planlos in den Straßen umhergeirrt. Mit diesen Worten brach der Verbrecher zusammen. — Während Herr Tetzke unmittelbar nach den erhallenrn schweren Verletzungen seinen Geist aufgab, starb seine Frau am Dienstag morgen, ohne das Be wußtsein vorher wiedererlangt zu haben. imÄ Flotte. — Unter den einmaligen Forderungen deS neuen Marineetats wird sich u. a. auch jene zum Bau eines neuen Torpedobootsschießstandes in der Eckernförder Bucht befinden, den die In spektion des Torpedowesens im Interesse der Ausbildung nicht länger entbehren kann. Bei den kleinkalibrigen Torpedos genügten in den früheren Jahren Torpedobootsschießstände bis zu einer Länge von etwa 400 Metern, da die Torpedos früher kaum eine größere Strecke zu rückzulegen in der Lage waren. Nachdem in dessen gerade in den letzten Jähren eine erheb liche Verbesserung der Torpedowaffe sowohl in bezug auf verlängerte Schußweite als auch Treffsicherheit und erhöhte Laufgeschwindigkeit stattgefunden hat, genügen die bisherigen Torpedobootsschießstände nicht mehr den An forderungen. Die Eckernförder Bucht wurde aus dem Grunde für diese Anlage in Aussicht genommen, als in ihr in ungestörter Weise die Torpedobootsschießübungen abgehaltsn werden können und am wenigsten eine Behinderung der Schiffahrt zu befürchten ist. Die Torpedo bootsschießübungen müssen von Jahr zu Jahr der Zahl nach gesteigert werden, da dauernd er höhte Indienststellungen beim schwimmenden Material der Inspektion des Torpedowesens zur Ausführung kamen. Sind für das neue Ubungsjahr doch zum erstenmal Indienst stellungen bis zu sechs Torpedobootsflottillen angeordnet worden, die die erforderlichen Schieß übungen zu erledigen haben werden, ganz ab gesehen von der erhöhten Zahl der Torpedo übungsschiffe und dem Reservematerial. Wird im neuen Etatsjahr doch eine Erhöhung der Jndiensthaltungskosten für die Torpedofahrzeuge der Hochseeflotte sowie für die Schulschiffe zur Torpedoausbildung und für die Torpedoversuche beantragt werden. K Vas )Vlääckenkeim. 1j Novelle von Antonie Andrea.*) Als Steuerkontrolleur batte er nun sein Leben beschlossen, der arme Leutnant a. D., nach einer Kränklichkeit von beinahe zwanzig Jahren, und der grüne Dienstrock mit den blanken Knöpfen hatte ihn hinwegtäuschen müssen über den Verlust der geliebten Uniform: das Band in seinem Knopfloch, mit dem Eisernen Kreuz und dem roten Adlerorden 4. Klasse, taten dann das übrige zur äußeren Erbaltung seiner militärischen Würde und seines Offiziersranges. Noch einmal stand er jetzt in voller Uniform — aufgebahrt in der großen Vorderstube, um friedet von hohen Topfpflanzen, Blumenkränzen und grünen Gewinden. Das Gseme Kreuz an seiner Brust blinkte in dem Schimmer der Ker-ien zu seinen Füßen und sein wachsgelbes Gesicht sah im Tode noch ebenso verdneßlich und unzufrieden auS wie sonst, in dem langen, ungestillten Durst nach Ehren und Aus zeichnungen. In dem anstoßenden Zimmer saß seine Witwe, eine früh verblühte, nervöse Frau, ganz in Schwarz, mit abgespannter Mene und einer beständigen Unruhe in den verweinten Augen. Ein großes Begräbnis mußte es werden — das ging nicht anders — mit einem distin guierten Gefolge von höheren Beamten, Mili tärs, einigen Vertretern der städtischen Behörden und mehreren vornehmen Gelehrten, die der *) Unberechtigter Nachdruck wird verfolgt. junge Brandin, Dr. Phil., gestern abend ange kündigt hatte. Dies eine Mal hätte er sich mit Recht in die Brust werfen können, der gute Steuerkontrolleur und Leutnant a. D.; denn fast drei Tage lang spielte er eine Rolle in „weiteren Kreisen". Aber ach, was hat man im Tode von den Auszeichnungen, die einem im Leben versagt bleiben? Bei diesem Ge danken seufzte Frau Steuerksntrolleur Gellers; dann ging sie auf den Zehen nach der halb geöffneten Tür des P Badezimmers und guckte hinein: es sah wirklich alles recht feierlich und vornehm aus l Die Lichter mußten wohl noch mal erneuert werden — teure Wachskerzen. Sie hatte sie eigenbändig besorgt. Die Tüll spitzen und weißen Atlasbänder — alles reich und geschmackvoll. Die Modistin wartete wohl mit der Rechnung bis zum nächsten Vierteljahr. Die schönen Topfpflanzen — sie waren nur geliehen aus der großen Knnstgärtnerci an der Ecke; das konnte den Kopf nicht kosten. Sie waren doch dies alles ihrem Stande schuldig, auf den der Verstorbene stets das meiste ge halten ! Marga, die älteste Tochter, trat ein, gleich falls in tiefer Trauer und fertig für die bevor stehende Feierlichkeit. Schwarz kleidete sie wunderschön zu der zierlichen Gestalt, dem zarten Gesicht mit den etwas müden, blauen Auflen, die so stolze Blicke werfen konnten. „Hat Arnold den Wein geschickt?" fragte Frau Gellers leise. „Noch nicht. Wenn er eS nur nicht vergißt. Es ist kein Verlaß auf ihn," entgegnete das junge Mädchen ebenso. Die Frau wurde nervös: „Er hat es doch versprochen. Im Notfälle könntet ihr euch darum kümmern, du oder Ruth." „Ich geniere mich, auf Borg zu nehmen. Der Kaufmann machte neulich wieder Ein wendungen, länger anzuschreiben. Ruth mag meinetwegen ihr Heil versuchen." Frau Gellers drückte ihr Taschentuch vor den Mund, um den eS weinerlich arbeitete. „So seid ihr nun. Er hat sich im Leben genug stlr euch gequält, der arme Vater, jetzt, da er tot ist, verdrießt eS euch, einen Gang für ihn zu machen." Das schöne Mädchen besaß Selbst beherrschung genug, um ihren Unmut über diesen Vorwurf zu verbergen. Mama sollte sich nicht aufregen, bat sie be schwichtigend. Man dürfte doch heute nicht die Haltung verlieren wegen Geldverlegenheiten und Familiensorgen; was sollten die Leute denken? Die hätten ohnedies genug zu klatschen. Die Frau trocknete sofort ihre Tränen. „Hat der General einen Kranz geschickt?" fragte sie. „Ja doch, Mama. Ich sagte es dir schon gestern. Den oben auf dem Sargdeckel, mit dem langen Trauerflor und der Widmung in Gold.... Ich muß mir noch ein Paar Handschuhe kaufen. Meine schwarzen find nicht mehr anständig. Es wird inzwischen wohl niemand kommen." Frau Gellers nickte zerstreut. Sie war an den Sarg getreten und prüfte die Schleife an dem Kranze des Generals. Reine Seide — auch ein Palmenwedel — Lorbeer mit Rosen. Ja, ja. Das alles sah er nicht mehr, der arme Leutnant a. D. Er lag für immer still und stumm. Was für tiefe, tiefe Furchen hatte er auf der Stirn und die Wangen herunter. Sie hatte sie ihm im Leben nie fortstreicheln können. Verdrießlich war er ihr stets auSgewichen. Jetzt, da er endlich still hielt, hatte der Tod seine Hand darauf gelegt. Mit einem Gemisch von Grauen und Zärt lichkeit tätschelte sie daS starre Antlitz; wie grau und grob ihre Finger abstachen gegen seine Wachsfarbe! Früher, als Mädchen, hatte sie schöne, gepflegte Hände gehabt, und wie stolz war sie, die Tochter des reichen Konditors und Hausbesitzers, gewesen, als sie ihre Rechte in die männliche des stattlichen Offiziers legen durste, vor dem Traualtar. Sie hatte ihm ein ansehnliches Heiratsgut mitgebracht. Sein« Junggesellenschulden verschlangen es im Um sehen. Außerdem, sie mußten repräsentierens^ Womit hätte sie den andem Offiziersfrauen - imponieren sollen, wenn nicht mit einem großen Hausstand und kostspieligen Toiletten? Dann kamen die Kinder. Die Ausgaben verdoppelten sich. Die ewige Kränklich km ihres Mannes, die nur zu bald seinen Abschied erforderte — dann ihr erster Einblick in die wirtschaftliche Lage der Dinge. Sie standen vor dem Ruin. Hätte damals ihr Vater nicht eingegriffen, so wäre es ihnen nicht möglich gewesen, wenigstens den Schein nach außen zu bewahren und den Kindern eine Hstandesgemäße" Erziehung zu geben. Das war der Anfang zu all den geheimen Sorgen und Entbehrungen und Quälereien und der beständigen Angst „vor
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