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Allgemeiner Anzeiger : 19.11.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-11-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191011196
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19101119
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19101119
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-11
- Tag 1910-11-19
-
Monat
1910-11
-
Jahr
1910
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 19.11.1910
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Tum Keicksetat für 1911. In ihrem Rückblick führt die halbamtliche ,Nordd. Allgem. Ztg/ aus: „Die in der Presse an den vorläufigen Überblick über den Etats entwurf 1911 geknüpften Betrachtungen ent behren wegen der Verschiedenheit der daraus gezogenen Schlüsse nicht eines gewissen Interesses. Soll bewiesen werden, daß die Schätzung des Mehrbedarfs auf 500 Mill. Mk. bei der Reichsfinanzreform viel zu hoch gewesen sei, so hat sich der Etat auch ohne 500 Millionen Mark ganz gut balancieren lassen. Glaubt man aber das Gespenst neuer Steuerforderungen an dis Wand malen zu müssen, dann heißt es, die Balancierung des Etats sei nur durch künst liche Heraufsetzung seiner Einnahmen erreicht. Wer die Finanzreform zu verteidigen für nötig erachtet, dem erscheinen die Einnahmeschätzungen als knapp, wer ihren Mißerfolg verkündet, be zeichnet sie als zu hoch. In Wirklichkeit ist bei den Einnahmeschätzungen mit völliger Vor urteilslosigkeit, niemand zuleide, und niemand zum Gefallen, Verfahren, ohne danach zu fragen, wie das gefundene Ergebnis nach der einen oder der andern Richtung ausgebeutet werden könnte. Hier sollte man wirklich zu der Reichsfinanz- verwalinng mehr Vertrauen haben. Denn ihre Schätzungen für 1910 dürften sich im Gesamt ergebnis mit fast mathematischer Genauigkeit als zutreffend erweisen. Für die Balancierung des Etats spielen Abweichungen in den Einzelheiten keine olle, wenn nur die eine Einkommens» quelle sich um so viel ergiebiger erweist, als die andre hinter den Erwartungen zurückbleibt. Was 1910 an Branntweinverbrauchsabgabe, Leuchtmittelsteuer, Scheckstempel und einigen sonstigen Posten ausfällt, wird bei andern Steuern und Stempeln mehr eingehen, übrigens zeigen auch die Erträgnisse der Branntweinverbrauchsabgabe in den letzten zwei Monaten eine beträchtliche Steigerung, sodaß der schließliche Abschluß sich besser gestatten möchte, als ihm vorausgesagt worden ist. Die Posteinnahmen sollen viel zu hoch geschätzt sein. Die Einnahmen aus Porto- und Telegraphengebühren haben betragen im Rechnungsjahre 1909 617,9 Mill. Mk., im Jahre 1908 58t,2 Mill. Mk., was einer Steigerung von 6,31 Prozent entspricht. In den Rechnungsjahren 1908 und 1907 ist die Einnahme um 4,61 und 5,57 Prozent gestiegen, im Durchschnitt der letzten drei Jahre also um 5,51 Prozent. Die Veranschlagung für 1911 hält sich noch unter diesem Prozentsatz und trägt damit auch den im Bereich einer Verkehrs- Verwaltung unvermeidbaren Schwankungen sowie dem infolge der Entwickelung des Post- überweisungs- und Postscheckverkehrs zu er wartenden weiteren Ausfall an Porto für Post anweisungen und Wertsendungen vollkommen Rechnung. Die Versuche, aus dem Etat einen großen Mißerfolg der Finanzreform nachzu- weisen, müssen mißglücken. Die Erträge aus den neuen Steuern find seinerzeit für den Be- harrungszustand nicht auf 500, sondern nur auf 417 Mill. Mk. geschätzt. Zur Erreichung des Gesamtbedarfs von 500 Millionen wurde auf die Abschaffung der Fahrkartensteuer (20 Mill. Mark), die Ermäßigung der Zuckersteuer (35 Mill. Mk.) und das Ortsporto (3 Mill. Mark verzichtet und den Bundesstaaten ein Diehr von 25 Mill. Mk. an Matrikularbei- trägen auferlegt. Daß aber auch die errechnete Summe von 417 Mill. DU. jedenfalls in nächster Zeit nicht voll zu erwarten sei, ist vom Regierungstlsche in der Etatsdebatte des vorigen Jahres ausführlich dargelegt. Damit wird aber die Bedeutung der neuen Steuer quellen für die Ordnung des gesamten Reichshaushalts keineswegs in Frage gestellt. Wie die Be urteilung der Einnahmen, gehen auch die Mit teilungen über die Ausgaben weit auseinander. Hier bieten namentlich» die Forderungen des Marineamls für den Ausbau der Flotte und des Knegsmimsteriums im Interesse der Heeres Wz iempo von 70 Kilometer pro Stunde; einen zweistündigen Passagierflug. Die beiden Per sonen, Flieger und Passagier, müssen mindestens je 70 Kilogramm wiegen; außerdem find noch 70 Kilogramm Überballast mitzunehmen, also insgesamt 210 Kilogramm Nutzlast. Der Motor muß ferner sechs Stunden lang laufen. Schließlich muß das Flugzeug in einer Stunde auseinanderzunehmen sein, derart, daß es auf ein Automobil verladen werden kann. Für den Aufbau des Apparats sind zwei Stunden Zeit bewilligt. vieMoabiter Krawalle vorGericht. G Die Krawalle, die sich vor einiger Zeit im Berliner Stadtteil Moabit abspielten, haben Anlaß zu einem Prozeß gegeben, der sich äußerst langwierig zu gestatten scheint. Die Verteidiger der 3b Angeklagten haben sich bekanntlich (mit Ausnahme von zweien) bemüht, die Strafsachen nicht vor der dritten Kammer verhandeln zu lasten. Diese Kammer soll nämlich in dem Rufe stehen, daß sie besonders strenge Urteile fällt. Zweimal haben die Rechtsvertreter der Angeklagten daher einen Antrag auf Ablehnung des Gerichtshofes wegen Besorgnis der Be fangenheit gestellt, ohne jedoch damit einen Er folg zu erzielen. Dieser eigenartige Beginn der Verhandlungen hebt den Prozeß aus dem Nahmen andrer Gerichtsverhandlungen heraus. Schon am zweiten Verhandlungslage kam es zu einer unerquicklichen Auseinandersetzung zwischen dem Vorsitzenden und einem Verteidiger. Rechtsanwalt Bahn erbat, als die Sitzung ge schlossen war, das Wort zu einer Erklärung, der Vorsitzende versagte es ihm. Und der Ver teidiger erklärte darauf wiederholt, ihm sei vas Wort abgeschnitten worden. Für diese Äußerung nahm das Gericht den Anwalt in eine Ungebührstrafe von 100 Mk., die höchste in diesem Falle , zulässige Strafe. Daß solche Zwischenfälle nicht geeignet sind, den friedlichen Fortgang der Verhand lungen zu fördern, leuchtet ohne weiteres ein. Dazu kommt, daß die Richter wie auch die Ver teidiger in reichlichem Maße mit Drohbriefen bedacht worden sino. Es ist darum erfreulich, daß der Vorfitzende in einer Unterredung mit zweien der Verteidiger die Erklärung abgab, er werde alle scharfen Wendungen vermeiden, und zugleich an die Rechtsanwälte das Ersuchen stellte, dieselbe Rücksicht zu üben. Der Vor- verstärkung die ergiebigste Gelegenheit zu zählungen. Es kann versichert werden, daß Ausbau programmgemäß erfolgen wird, daß von dem Betrage, den das Kriegsmimste- rium für 1911 im Interesse der Heeresverstär kung für erforderlich gehalten hat, nichts ab gesetzt worden ist. Wie fast immer, gehören auch diesmal die schön geputzten Nachrichten über persönliche Zusammenstöße, Entlassungs gesuche, Vermittelungen und dergleichen in das Reich der Fabel. Die Etatsverhandlungen und Ausgleiche spielen sich weniger dramatisch und nüchterner ab, als sie gemeinhin in der Öffent lichkeit geschildert und geglaubt werden." ---'"üW Politische Kunälckau. Deutschland. * Auf seiner schlesischen Reise, die für die Zeit vom 25. November bis zum 1. Dezember geplant ist, wird Kaiser Wilhelm am 26. in Beuthen weilen, um der Enthüllung des Reiterstandbildes Friedrichs des Großen brizu- wohnen. Von dort begibt sich der Monarch zum Besuche des Herzogs von Ratibor nach Räuden. * Nachdem von verschiedenen Seiten die Absicht kundgegeben worden ist, dem württem- bergischen Königspaar zu der im kom menden Frühjahr stattstn'venden Feier der sil bernen Hochzeit Geschenke zu überreichen und auch an verschiedene Hofstellen Anfragen gerichtet worden sind, haben der König und die Königin, hiervon unterrichtet, den Wunsch aus gesprochen, es möchte bei diesem Anlaß nicht nur von der Darbringung persönlicher Geschenke, sondern überhaupt von allen größeren festlichen Veranstaltungen und Huldigungen abgesehen werden. *Daß der Reichsinvalidenfonds im nächsten Jahre eingehen würde, war bekannt. Aus den Veröffentlichungen über den nächst jährigen Reichsetat geht hervor, daß er am Ende des laufenden Rechnungsjahres noch einen Be stand von 7,5 Mill. Mk. aufweisen wird. Diese Summe ist unter die Einnahmen des nächsten Jahres eingestellt. Die Ausgaben, die bisher Ms dem Fonds bestritten wurden, sind auf den Allgemeinen Pensionsfond übertragen. Dieser weist in den Veröffentlichungen nur ein Mehr von 1,8 Mll. Mk. auf, obschon ihm neue Aus gaben aus dem Eingehen des Jnvalidenfonds in Höhe von 32,5 Mill. Mk. zugewachsen sind. Das erklärt sich so, daß die Ausgaben beider Fonds im laufenden Jahre denen des nächsten Jahres gegenübergestelll wurden. Daraus ergibt sich das Diehr von noch nicht 2 Mill. Mk. * Wie es verlautet, ist beabsichtigt, im preußi schen Etat für 1911 Mittel anzu fordern für den Ankauf von Fischereigerechtsamen an den größeren Flüssen. Bei Flußcegulierun- gen, Hochwasssrschusbauten und Kanalbauten ist es in den letzten Jahren ost vorgekommen, daß Fischer mit Entschädigungsansprüchen an den Staat hrrantreten, weil sie durch die Bauten ihre Gerechtsame beeinträchtigt glaubten. Es hat sich ost nur schwer sestftellen lassen, ob tat sächlich eine Schädigung Vortag oder ob andre Umstände für das geringe Auftreten von Fischen maßgebend waren; langwierige Klagen waren die Folgen. Um diesen Mißhelligkeiten aus dem Wege zu gehen, will der Fiskus bei allen größeren Strömen, an denen Wasserbauten in Aussicht genommen sind, die Fischereirechte an kaufen, soweit die Forderungen gerecht und billig sind, und den Fischfang für jedes Jahr ver pachten, wobei die ehemaligen Inhaber dA Ge rechtsame ein Vorpachtsrecht haben. Treten Umstände ein, die Len Fischreichtum beeinträchti gen, so können die Pacht preise für spätere Jahre herabgesetzt werden. Vfterretch-Uxgar«. *Die österreichische Kriegsver waltung, die bisher wohl über Führer, aber über keine eigenen Flugzeuge verfügte, wird demnächst drei Militär - Flug maschinen ankaufen. Das Kriegsminike- rium verlangt von den zu wählenden Arien die Erfüllung folgender Bedingungen: einen zweistündigen Flug mst einem Lurchschnitts- G«gla«d. * Durch Erkenntnis des Gerichts in Win chester ist dem preußischen Leutnant Helm, der wegen Spionage im Hafen von Portsmouth verhaftet worden war, die Zahlung einer Sühne von 250 Pfund (5000 Mk.) auferlegt worden. Er leistete einen feierlichen Eid, daß er sich des Vergehens nicht wieder schuldig machen wolle. (Leutnant Helm hatte im Portsmouther Hafen einige Befestigungen ausgezeichnet, die auf jeder Ansichtspostkarte zu sehen sind.) Balta«staare«. *Die türkische Regierung bereitet einen Schritt vor, der am besten Zeugnis ab legt von der Festigkeit der neuen Ordnung im Sultanat. Der Großwesir beabsichtigt, eine allgemeine Amnestie für alle politischen Verbrecher im In- und Auslande beim Sultan durchzusetzen. Die Jungtürken wollen den Be lagerungszustand in der Hauptstadt aufheben. Hunderte von Verbannten, auch solche, die an den Unruhen des vorigen Jahres, die gegen das neue Regime gerichtet waren, teilgenommen haben, würden damit ihrem Vaterlande wieder gegeben werden. Asten. * Meldungen aus Peking zufolge soll der Entschluß des Regenten von China, das seit zwei Jahren angekündigte Parlament nicht erst 1912, sondern schon anfangs 1911 zu berufen, im ganzen Reiche große Freude hervorgerufen haben, überall ist unverzüglich mit den W a hlvorbereitungen begonnen worden. gang mag ungewöhnlich erscheinen, allein die Eigenart des Prozesses, der hüben und drüben die politischen Leidenschaften zu wecken geeignet ist, rechtfertigt solche Maßnahmen, die hoMntlich dazu beitragen werden, Konflikte innerhalb des Gerichtssaales nach Möglichkeit zu vermeiden. Man kann daher nur hoffen und wünschen, daß sie sich gerade bei diesem an sich schon so heiklen Prozeß nicht wiederholen. Am Montag spielten sich die Verhandlungen in wesentlich ruhigeren Bahnen ab. Als um 2V« Uhr die Sitzung beginnt, wird zunächst der Beschluß verkündet, daß die erneuten Ab lehnungsanträge der Verteidigung wegen Be sorgnis der Befangenheit des Gerichtshofes ab gewiesen seien. Infolgedessen tritt die 3. Straf kammer wieder in Aktion. Den Gründen, die zur Abweisung der Ablehnungsanträge geltend gemacht werden, ist folgendes zu entnehmen: Aus der Nichtgestattung des Wortes an drei bezw. zwei Verteidiger in den Sitzungen vom 9. bezw. 10. November und der behaupteten Erregtheit und den geltend gemachten Wider sprüchen in einzelnen Aussprüchen des Vor sitzenden kann kein Rückschluß auf eine Befangenheit desselben gezogen werden, selbst wenn die beiden letzteren Behauptungen glaubhaft gemacht würden. Das weitere Vorbringen der Verteidigung, die Ablehnung der vier Richter der dritten Straf kammer des König!. Landgerichts I sei im Hin blick auf den weiteren Umstand begründet, daß das Gericht gegen den bei der Verhandlung be teiligten Verteidiger in der Person des Rechts anwalts Bahn aus 8180 des Gerichtsverfassungs gesetzes eine Ordnungsstrafe von 100 Mk. festgesetzt habe, läßt nach Prüfung der vorgebrachten tat sächlichen Momente nach keiner Richtung die Befürchtung zu, daß die vier abgelehnten Richter in der vorliegenden Strafsache gegen die einzelnen Angeklagten unbefangen zu urteilen außerstande sein werden. Es liegt also kein Grund vor, der geeignet wäre, Mißtrauen gegen die Betätigung der abgelehnten Richter zu rechtfertigen." Die Verteidigung beantragt nun, es sollen jedem einzelnen Angeklagten sämtliche Anklageschriften (also nicht nur die ihn be treffende) zugestellt werden. Bis das geschehen st, solle die Berhattdlrmg ausgesetzt werden. — Erster Staatsanwalt Steinbrecht bittet, die Anträge der Verteidigung abzulehnen. Die Verteidigung erwidert darauf: Würde das Gericht den Antrag der Verteidigung ablehnen, so würde eS sich über ein zum Schutz der Ver teidigung gegebenes Recht einfach hinwegsetzen. Das würde diesen schon jetzt an Ungewöhnlichkeiten reiche« Prozeß um eine weitere Ungewöhnlichkeit bereichern. Das Gericht würde die Verteidigung der Ange klagten wesentlich beschränken und einen neuen Grund liefern, der das Reicksgericht veranlassen muß, das ganze Verfahren für null und nichtig zu erklären. — Das Gericht zieht sich hierauf zur Beratung über diesen neuen Antrag zurück. Nach kurzer Beratung entscheidet der Gerichts hof: Der Antrag, die Sachen auszusetzen, bis jedem einzelnen Angeklagten sämtliche An klageschriften zugestellt sind, wird abgelehnt. Es steht indessen dem geäußerten Wunsche der Verteidigung, daß jeder Angeklagte Kenntnis haben soll von den Anklageschriften der Mitan klagten, kein gesetzlicher Grund entgegen. ES wird infolgedessen der Staatsanwaltschaft an heimgegeben, die geeigneten Maßnahmen durch Erteilung von Abschriften der Anklageschriften an die Verteidiger und deren Klienten zu treffen. — Erster Staatsanwalt Steinbrecht erklärt hierauf, daß er Veranlassung nehmen werde, die erforderlichen Abschriften herzustellen, um sie der Verteidigung zur Verbreitung an ihre Man danten zu übermitteln. Seilens der Verteidi gung wird hierauf dem Gericht nahegelegt, die Prozrßverhandlungen täglich um 3 Uhr zu be endigen, weil einige Angeklagte, die sich in Freiheit befinden, Gefahr laufen, ihre gewohnte Tätigkeit zu verlieren, wenn sie ihr länger als bis 3 Uhr fernbleiben. Der Vorsitzende sagt dies zu. Dann wird die Verhandlung vertagt. U Oss ^ääekenkeim. 3 s Novelle von Antonie Andrea. ljjortsetzuug.I In der Tat war er, Dr. Brandin, am Gym nasium in der märkischen Kreisstadt angestellt worden. Sein Gehalt übertraf seine bescheide nen Erwartungen. Jetzt dächte er wirklich daran, sich zu verloben. Ob Fräulein Marga ihm das gleichfalls angesehen hätte?" Sie machte eine ablehnende Bewegung, dann bemerkte sie gleichgültig: „Wahrscheinlich hat Ihre Frau Mutter Ihnen längst die passende Braut ausgesucht." Er war an sie herangetreten. Min. Das besorge er selbst. Eben deshalb wäre er hier. Ob Frau Gellers ihm erlaube, ein offenes Wort an ihre älteste Tochter zu richten. Marga erhob sich. „Ich habe einen notwendigen Gang vor, Herr Doktor! Sie bleiben vielleicht zum Tee. In anderthalb Stunden kann ich wieder zurück sein. Vielleicht besprechen Sie inzwischen besser mit Mutter, was Sie mir zu sagen haben." Ihre Stimme war wie Eis — ohne eine Spur von Gefühl. Er stand so betroffen, daß er sie gewähren ließ, als sie an den Seiten- ttsch ging und ihr fertiges Kaffeegedeck in Papier wickelte, sauber, ohne Hast, und ganz bei der Sacke. „Aber Diarga!" rief Frau Gellers entrüstet. Die Kätte ihrer Tochter erschien ihr durchaus nicht am Platz. „Ruth kann ja gehen. Der «acht es Spaß." Ruths Mbefang-ne Bereitwilligkeit machte der peinlichen Pause zwischen den beiden jungen Leuten ein Ende. Sie nahm ihrer Schwester das Paket aus der Hand. „Auf Wiedersehen, Herr Doktor I Sie bleiben selbstverständlich zum Tee. Ich besorge ihn nachher in fünf Minuten. Na, Marga, mach' doch keine so gleichgültige Miene, du freust dich ja doch über die Anstellung unsres lieben Doktors." Nein. Sie stente sich gar nicht; aber sie hütete sich, es zu sagen. Die Mutter machte gleich aus allem eine Szene. Mit Doktor Brandin allein wurde sie schon fertig. Einen Augenblick schoß es ihr durch den Sinn, ob sie nicht bester getan hätte, zu gehen und sich von dem jungen Mann begleiten zu lassen. Ruth war indes schon fort, und bei reiferer Überlegung — Brandin nahm sich im Falle eines Sturmes im Hause der Mutter doch wohl mehr zusammen, als allein mit ihr auf der Straße. In ihrem alten Abendmantel, das nicht mehr neue Barettchen auf dem natürlichen Kraushaar, das Päckchen unter dem Arm, stieg Ruth wohl gemut die drei Treppen herunter. Sie freute sich, daß eS nun zu Hause eine Verlobung gäbe. Marga war im Grunde nicht angetan, aus eigenen Füßen zu stehen: so verwöhnt und anspruchsvoll und — liebenswürdig, wenn sie wollte! Der brave Doktor, guter, treuherziger Bursch, der er war, machte sicherlich eine brave Frau aus ihrer Marga. Und Arnold Oho! Da llirrte ja sein Säbel, unten auf dem Flur. Er kam gerade recht zur Verlobung. Wenn er nur nicht ewig jemand mitgebracht hätte, vor dem man sich zu Hause „genieren" mußte. Die Mutter wenigstens, und Marga. Sie nicht. Ihr hätte im größten Reichtum nicht freier zumute sein können als in ihrer Armut. Uud offen trug sie sie — ohne sich ihrer zu schämen; den Kopf hoch, den Blick mutig inS Leben gerichtet — wie eS einem rechtschaffenen, furchtlosen Menschen zukommt. „Holla, Aschenputtel. Wohin des Weges in dieser winterlichen Pelzdecke?" Arnold spielte auf den allerdings etwas schäbigen Pelzbesatz an ihrem Radmantel an. Er war bei guter Laune. Sie lachte: „Nach irgendwo in der Nähe des Alexander- Platzes. Marga liebte nicht, daß das Geschäft, für welches sie arbeitete, vor jemand Fremdem genannt wurde. „Oben ist Besuch: Doktor Brandin — 'n Abend, Herr von Börnicke!" erwiderte sie den Gruß deS großen Leutnants, der zunächst an den Hut faßte — er war in Zivil. Dann schüttelte er ihr die Hand. „Gnädigste — Kamerad." Sie lachten einander an wie zwei gute, lustige Bekannte, die sie im Laufe der Zeit ge worden waren. „Nach dem Alexanderplatz? Am andern Ende der Welt? Stückchen Stadtbahn fahren. Komm' ich mit. Addis, Arnold. — Gestatten liebwertestes Fräulein Kamerad?" „Meinetwegen," gab Ruth lachend zurück. „Sobald Sie mich aber „genieren", geht jedes seinen eigenen Weg." „Vernünftige Bedingung — angenommen." Sie standen bereits auf der Straße, Herr von Börnicke bot ihr galant seinen Arm. „Warum nicht gar, Kamerad!" sagte sie ungezwungen. „Man geht doch allein viel bester. Ich wenigstens habe das Bedürfnis, von allen Setten Lust zu haben. Bedenken Sie! Sonst badete ich den ganzen lieben Tag lang in frischer Landlust; jetzt Küchendunst, oder wenn ich das Fenster aufreiße, Straßenstaub und Maschinenqualm, mit etwas Kälte ver mischt: das nennt man Winterstische! In der Stube muß man achtzehn Grad Hitze schlucken. Na, wenigstens ist man zufrieden, wenn das Mutterle sich wohl dabei befindet." Das rechte Kind noch, dies große Mädchen, dachte Herr von Börnicke, als er lächelnd ihrem Geplauder folgte. Aber gescheiter als die andem beiden zusammen. . . Wie lange wird eS dauern — dann ist eS aus mit dieser ent zückenden Natürlichkeit. Dem Schrubber der großstädtischen ltberkultur widersteht auf die Dauer kein Weib. Laut sagte er: „Nehmen Sie sich in acht, Kamerad! Sie leiden an Originalität." „Na, dann können Sie Tante Amtsrats Tagelöhner durch die Bank für Originale nehmen, weil sie reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist — das ist es doch ungefähr, was Sie von mir denken könnten." Im Laufe ihrer Neckereien behauptete Börnicke, daß er mehrere Male versucht hätte, ihr seine Aufwartung zu machen. Gewöhnlich hätte Arnold ihn dann in Beschlag genommen, mit der unverblümten Andeutung, daß es doch nur verlorene Liebesmüh wäre. „Wo stecken Sie denn eigentlich, Kamerad, daß man Sie nie zu Gesichte bekommt?"
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