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Liebreiz ihres blassen Gesichtchens zu leidenschaftlichen Glu ten erhitzt, die seiner nüchternen, ewig berechnenden Natur sonst fremd waren. Langsam wandte er sich den Weg zurück, den sie zusammen gekommen, um nunmehr der Frau Hallin- ger Gesellschaft zu leisten und sich ihr gegenüber wenigstens eine vorteilhafte Position zu sichern. Auf ihre Frage nach Käthe gab er lächelnd Auskunft, daß sie sich ani Ende der Allee getrennt hätten und das; Fräulein Walberg ihn jedenfalls bringen werde. Käthe war indes, ohne überhaupt uoch an Fritzi zu den ken, den grün überwölbten, schattigen Buchengang hinunter- gehastet. Ihr Herz klopfte in zitternder Angst und vor ihren Augen tanzten die spärlichen Sonnenlichter, die sich durch das Vlättergewirr stahlen, einen flimmernden Reigen. Noch im mer wähnte sie den Aufdringlichen dicht hinter sich und wagte es nicht, sich umzusehen. Am liebsten wäre sie ohne Auf enthalt weiter und weiter gelaufen bis zu irgend einer Station, auf der sie den Zug nach Berlin hätte erwarten können. Wie sollte sie es die ganzen zwölf Wochen in diesem seit ab gelegenen Nest aushalten, wo dieser widerwärtige Doktor ihr tagtäglich zehnmal den Weg kreuzen konnte? Und er hatte es in der Hand, sie zu peiuigeu und zu quälen, wenn sie ihn abfertigte, wie er's nm sie verdient hatte und wie es ihr ums Herz war. Demi der Gedanke erfüllte sie mit herz- klopfeudem Schrecken, er könne, um sich zu rächen für ihren schroffen Widerstand, ihr Geheimnis an Tante Claudine ver raten! Und doch sah sie zunächst keine Möglichkeit, den Auf enthalt in Vollradseichen abzukürzen. Sie hätte es nicht übers Herz gebracht, Fritzi und Susi im Stich zu lasseu. Deun das kleine Volk stand in keinem sonderlich enthusiastischen Ver hältnis zur Taute, die sich in sonnigen, leicht vergeßlichen Kin derherzen nicht zurechtzufinden vermochte und das spanische Röhrchen für den vornehmsten Erziehungsfaktor hielt! Sie mit nach Berlin zu nehmen, war gleichfalls unmöglich. Dort waren Tor und Tür verschlossen, die Gardinen von den Fen stern genommen und die Polstermöbel eingekampfert und ver hüllt. Schneevoigts aber kehrten vor Ende August sicherlich nicht heim, da ja der Ingenieur seinen Ertra-Urlaub erst mit vielen Schwierigkeiten hatte erlangen können. Der sollte selbstverständlich bis zum letzten Tage ausgeuutzt werden. Das konnte ihm niemand verdenken. Eine trostlose Perspektive, die sich da auftat, ganz wie der Buchenweg, den sie unter den Füßen batte. Schnurgerade setzte er sich fort, durch den gan zen Wald hin und fand auch an der Horizontlinie noch keinen Abschluß. Es war wie eine Straße, die in die graue Unend lichkeit führte, und ein Grauen schüttelte sie. Aber nun weckte sie plötzlich ein halb verlegener und doch jauchzender Kinderruf aus ihren trüben Gedanken. „Tante Käthe!" meldete sich Fritzi von einem mit einer Steinbank ausgestatteten Seitenplätzchen, an dem eine Quelle aus dem Fels durch ein in Meterhöhe angebrachtes ehernes Löwenmaul riefelte. Erstaunt sah sie durch das Zweigwerk der hier üppig gedeihenden wilden Rosen hinüber. Da stabd der Racker, offenbar Schokolade knabbernd, zwischen den Kuieen eines auf der Bauk sitzenden Parkgastes, der Wohl vor „Vilja, dem Waldmägdlein" aus der „Lustigen Witwe", hierher geflüchtet fein mochte. Froh, den Ausreißer nun doch gefunden zu haben, der ihr zuletzt ganz aus dem Siuu gekommen war vor Angst und Grübeln, schritt sie dem lauschigen Wiukelchen zu, dabei scheu den ersten Blick rückwärts sendend. Gott sei Dank, Sartorins hatte ihre Verfolgung aufge geben! Tas erleichterte sie für den Augenblick: dafür erkannte sie jedoch in dem getreuen. Eckchart ihres abenteuerlustigen Neffen nun den spottlustigen Herrn Kleeberg von Eichenkamp, mit dem sie vom Vormittage her eigentlich noch einen Strauß anszufechten batte. Aber nach den Andeutungen Tante Clau dines hatte dieser schreckliche Mensch ja eine so lockere, Abscheu erweckende Vergangenheit, daß man wahrhaftig besser tat, ein neues Scharmützel mit ihm zu vermeiden! Des Brückenprozesses wegen hätte sich Käthe weniger ge niert gefühlt. Auf wessen Seite da schließlich das Recht lag, ließ sich zunächst nicht abfehen. Tante Claudines Streitlust band mit dem Großmogul au, wenn er zu haben war! Aber die Geschichte mit der reiselustigen Bühnenprinzessin, die er als Siebzehnjähriger, Gott mochte wissen, wohin, entführt hatte, war ihr doch mit einem gelinden Gruseln über die Ner ven gegangen. Ihr Fuß stockte unwillkürlich. War sie hier nicht geradezu aus dem Regen in die Tranfe gekommen? Und sichtlich verzagt über diese neue Tücke des Schicksals, rief sie geklommen: „A^r Fritzi! Hier also steckst Du? Komm' mal sofort mit zur Tante! Sie ist schön bös' auf Dich! Und wie habe ich mich geängstigt Deinetwegen!" Bei diesem Zusatz ging es ihr durch den Sinn, wie wenig sie zuletzt wirklich an den Jungen gedacht hatte. Und das ließ sic noch heftiger erröten, Ivie es schon durch das unsinnige Lau fen geschehen war. Vielleicht auch ärgerte sie das amüsierte Lächeln auf den Lippen des blondbraunen Hünen, der von sei nen: Sitze aufgeschnellt war und mit der Artigkeit eines halb Bekannten den Lodenhut lüftete. „Verzeihung, gnädiges Fräulein," sagte er, seine Augen voll auf ihr Antlitz richtend, „aber Fritzi ist diesmal mehr Opfer als Anstifter. Ich traf ihn vorhin bei dem Stollwerk- schen Nickelmagnet neben dem Orchester-Pavillon, und da ich seine Leidenschaft kannte und die ernste Absicht hatte, den schlechten Eindruck von heute vormittag bei ihm wieder zu ver wischen, so verband ich mich mit ihm zu einem kleinen Kom paniegeschäft. Ich gab also das Kapital her, und er leistet nun, wie Sie sehen, die Arbeit!" „Und das hast Du angenommen, Fritzi?" fragte die höchst verlegene junge Dame vorwurfsvoll. Fritz Schueevoigt hob die Schultern ein wenig unbehag lich. Es war ja richtig: Papa hatte es streng verboten, sich von Fremden mit dergleichen guten Sachen beschenken zu las sen. Aber Papa war so weit weg, wie Tante Küthe ihm be richtet hatte. Tag und Nacht mußte er fahren, ehe er da sein konnte, um seinen Jungen und sein Mädel wieder auf den Knieen reiten zu lassen. Warum erzählte sie denn so etwas? „Willste mal kosten, Tante Käthe?" fragte er und blitzte sie mit seinen klugen Augen so verschmitzt an, daß sie lächeln mußte. Damit war ihre Moralpredigt im Keime erstickt. „O nein, ich verzichte, kleines Naschmäulchen!" entgegnete sie abwehrend. „Hoffentlich hast Du Dich wenigstens bedankt bei dem Herrn! Sonst hole es mal sofort nach! — Und dann komm, damit Tante Hallinger nicht noch länger auf uns wartet!" „Natürlich hat er sich bedankt, der Junge! Und zwar ganz von selbst, ohne jede Nötigung. Er wird entschieden noch ein wirklicher Kavalier, eh' er zur Schule kommt!" berichtete lau nig der Spender mit einer leisen Anspielung auf Fritzis Sünden vom Vormittag. Seine Hand lag dabei auf dem lockigen Scheitel des Bürschchens, das merkwürdig schnell mit dem Hünen Freundschaft geschlossen hatte, der ihm vor w?- nigen Stunden doch noch bittere Furcht eingejagt. „Aber ich finde," fuhr Kleeberg lächelnd fort, „die Erwähnung der Tante Hallinger macht auf ihn nicht den beabsichtigten Eindruck! Oder follte die gestrenge Tante etwa mich schrecken? In dem Falle bitte ich zehntausendmal um Verzeihung, mein gnädiges Fräulein! Aber ich bin ein noch viel härter gesottener Sün der! Mir macht es rein gar nichts, daß mein jüngster Freund hier zugleich eine Art Großneffe meiner Unheil brütenden Prozeßgegnerin ist! Ich vermute, Sic haben inzwischen er fahren, welch ein Scheusal ich bin: Kleeberg, der Zankhammel von Eichenkamp, der getreuen Nachbarn schnöde ihr Eigentum abstreitct! Oder wüßten Sie das faktisch noch nicht?" Sie mußte abermals lächelu, obgleich sic die Erregung über Sartorius' Aufdringlichkeit noch immer in den Gliedern spürte. Seine heitere Selbstironisierung nahm sie für den Augenblick völlig gefangen. „Allerdings weiß ich es!" gab sie nickend zu, dabei heim lich über ihn Musterung haltend. In diesen: Antlitz lag ein Zug treuherziger Güte, der freilich nie ungemischt zum Aus druck kam, da ein stets sprungbereiter Spott die leisen Fält chen an den Mund- und Augenwinkeln mobil erhielt und der Physiognomie ein beinahe gegenteiliges Gepräge gab. Käthe Walberg wurde sich nicht ganz klar darüber. Aber sie korri gierte ihr Urteil von der ersten Begegnung her doch ganz merk lich zu seinen Gunsten trotz seiner Jugendsünden. „Natürlich sind Sie vor mir gewarnt worden!" bemerkte Kleeberg, sich behaglich den Schnurrbart streichend. „Das ist ja ganz selbstverständlich und wundert mich nicht im ge ringsten!" Sie schwieg belustigt und doch verlegen, während er sie ansah, als erwarte er zunächst eine Bestätigung seiner Ver mutung. Daraufhin stieg ihr langsam, aber fühlbar das Blut wieder in die Schläfe, was sie mit einem schweren Aerger gegen sich selbst erfüllte. Aus dieser Stimmung heraus sagte sie denn auch schnippischer, als es sonst ihre Art war: „Das beste Gewissen scheinen Sie ja meiner Tante gegenüber nicht zu haben, Herr Kleeberg!" (Fortsetzung folgt.)