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Allgemeiner Anzeiger : 09.11.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-11-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191011099
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19101109
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1910
-
Monat
1910-11
- Tag 1910-11-09
-
Monat
1910-11
-
Jahr
1910
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 09.11.1910
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Der 2ar in Potsäam. Zu dem Besuche, den der Zar dem Deut, scheu Kaiser am 4. November in Potsdam ab- grsiaitet bat. schreibt die .Nordd. Alla. Ztg.': .Seine Majestät der Kaiser von Rußland hat Seiner Majestät dem Kaiser und König in VotSdem einen Besuch abgestattet. Daß ein Liedersehen zwischen den beiden verwandten «?d befreundeten Herrschen: in Aussicht stand, »ar fest der Anwesenheit deS russischen Mon- «chen auf deutschem Boden nicht zweifelhaft, und wir freuen uns ganz besonders, daß Kaiser Nikolaus uns Gelegenheit gibt, ihn in einer Residenzstadt Kaiser Wilhelms zu begrüßen, in deren Mauern schon so ost Fürsten aus dem Hause Romanow als Gäste der ihnen stets in Freundschaft verbundenen Hohenzollernschen Heerscherfamilie geweilt haben. Diese Reise »ach Potsdam ist ein neuer Beweis der herz lichen Gesinnung, die Kaiser Nikolaus von seiner Thronbesteigung an unserm Monarchen entgegen gebracht hat. Es entspricht einer bewährte« deatsch-rusfische« Über lieferung, daß die Herrscher der beiden Reiche sich öfters persönlich begegnen. Dem Wohl ihrer Länder und dem Frieden der Welt ist diese Übung stets förderlich gewesen. Wir sind überzeugt, daß auch von dieser Monarchenzusammenkunft keine andern als für die Eintracht der beiden großen Nachbarmonarchien und damit für den Frieden und die Ruhe Europas nützliche Wirkungen ausgehen werden. DaS russische Staatsleben hat in den letzten Jahren bedeutsame Wandlungen erlebt, seine innere Politik ist großen Ver änderungen unterworfen gewesen, seine äußere Politik ist mehrfach von den Bahnen früherer Jahrzehnte abgewichen und hat sich neuen, durch die Macht der Verhältnisse gegebenen Abkommen zugereigt. Unverändert in der Flucht der Jahre bat sich bis auf den heutigen Tag seit 150 Jahren das Freundschaftsverhältnis der Roma nows und Hohenzollern erhalten, und in dem Besuche des Zaren liegt der Ausdruck des festen Willens, auch die Pflege guter nachbarlicher Beziehungen zwischen ihren Völkern zu fördern und weiter zu befestigen. Die russischen und die deutschen Interessen stehen sich in der ganzen Welt nicht nur nirgends störend gegenüber, son dern sie laufen in allen Fragen der inter nationalen Politik auf den einen gemeinsamen Endzweck, die Aufrechterhaltung deS Weltfriedens und die Befestigung einer starken, monarchischen Regierung hinaus. In diesen Fragen find fie geradezu auf ein freundschaftliches Einvernehmen angewiesen. Der persönliche Akt der Freund- schäft, den Kaiser Nikolaus durch seinen Pots damer Besuch zum Ausdruck bringt, erhält aber erhöhte Bedeutung durch die Tatsache, daß der Gast in Begleitung des neuen Leiters der aus wärtigen Politik Rußlands war. In der Person Herrn Sasonows, des Nachfolgers Herrn Iswolskis, darf man aber nicht nur den Vollstrecker des Willens seines Souveräns, sondern auch den Träger eines ausgesprochenen politischen Programms erblicken. Die russische auswärtige Politik soll mehr und mehr in die «attonalen Bahne« der Innenpolitik zurückgeführt und mit ihr auf solche Weile in Einklang gebracht werden. Zu diesem Werke scheint die Persönlichkeit Herrn Sasonows be sonders berufen. Ein derartiges Programm schlöffe aber ein noch engeres Zusammengehen Rußlands mit seinen beiden Nachbarmonarchien in sich, ohne daß deshalb die Beziehungen zu andern Mächten eine Abänderung zu erfahren brauchten. Die Zusammenkunft der Leiden Herrscher hat ohne Zweifel gezeigt, daß trotz mancher Trübungen der Beziehungen zwischen Deutschland und dem Zarenreiche, wie fie ins besondere die bosnische Krise mit sich brachte, das Freundschaftsverhältnis der Herrscher un verändert geblieben ist. Damit aber ist eine gewisse Gewähr gegeben, daß auch die Be ziehungen beider Länder immer engere werden." Wenn der Besuch des Zaren dafür ein Zeichen gewese» ist und ein Versprechen für die Zukunft, ist er doppelt zu begrüßen. Politische Kunälckau. Deutschland. *Der Zar hat Kaiser Wilhelm in Potsdam einen Besuch abgestattet. Die Begegnung der beiden Herrscher war eine über aus herzliche. Halbamtlich wird gemeldet, daß beide Herrscher sich eingehend über alle schweben den Fragen der Politik unterhielten, wobei fest- gestellt wurde, daß die Beziehungen zwischen Deutschland und dem Zarenreiche durchaus freundschaftliche sind. "Die Meldung französischer Blätter, Kaiser Wilhelm arbeite an einer Geschichte Friedrichs des Großen, entspricht nach einer halbamtlichen Erklärung nicht den Tatsachen. Der Monarch treibt lediglich Studien deS Militärwesens zur Zeit deS großen Preußenkönigs. *Jm ReichSamt deS Innern haben die kommissarischen Beratungen mit den Vertretern der Reichsämter und der preußischen Ministerien über den Gesetzentwurf betr. die staatliche Pensionsversicherung der Privat angestellten begonnen. Da an diesen Be ratungen sämtliche preußische Ressorts beteiligt sind, wird die spätere Beschlußfassung des Staatsministeriums über die Vorlage wesentlich erleichtert. Unter diesen Umständen rechnet man kamst, daß die Vorlage noch im Laufe dieses Monats an den Bundesrat und, wenn irgend möglich, auch noch vor den Weihnachtsferien an den Reichstag gelangen wird. Die erste Lesung der Vorlage kann sodann unmittelbar nach den Weihnachtsferien im Reichstag stattfinden. Da der Entwurf in allen wesentlichen Teilen auf der zweiten Denkschrift des Reichsamts des Jnnem über die Pension?« und Hinterbliebenen- verficherung der Privatangestellten beruht, deren Grundsätze von fast allen Parteien des Reichs tages gebilligt find, so dürften die Kommisfions- beratungen und die Lesungen im Reichstag keinen allzugroßen Zeitaufwand in Anspruch nehmen. Man kann also mit einiger Sicherheit auf die Verabschiedung der Vorlage in der be vorstehenden Reichstagstagung rechnen. "Der Entwurf über die Neuordnung der Sonntagsruhe im Handels- gewerbe, an dem zurzeit im Reichsamt des Jnnem gearbeitet wird, wird dem Reichstage vor den Neuwahlen nicht mehr zugehen. Die Gesetzesvorlage wird den Reichstag frühestens im Frühjahr 1912 beschäftigen. Ofterreich«U»gar». "Für die Annahme, daß nach dem Tode des Wiener Bürgermeisters Dr. Lueger der christlich-soziale Einfluß in Wien sich verringern würde, scheint die Ersatzwahl zum niederösterreichischen Landtage in dem früher von Lueger vertretenen Wahl kreise ein Anzeichen zu bilden. In der Stich wahl UM bas Landtagsmandat Dr. Luegers hat der sozialdemokratische Kandidat nach hartem Wahlkampfe über seinen christlich - sozialen Gegner den Sieg errungen. Der Kandidat der Sozialdemokraten Schuhmeter wurde mit 12 761 Stimmen gegen den Christlichsozialen Preyer, auf den 11 625 Stimmen entfielen, gewählt. Frankreich. *Das neue Ministerium Briand ist im wesentlichen zustande gekommen, aber — und das ist für die sich in Frankreich vor bereitende Veränderung der Parteigruppierung bezeichnend — ohne die Teilnahme des bis herigen sozialistischen Ministers Millerand, der über das Streikrecht der Staatsbeamten andre Ansichten hat als der Kabinettschef, der es grundsätzlich ablehnt. Dieser Sachlage ent spricht es auch, daß die Radikal-Sozialisten der Regierung bereüS offen den Krieg erklärten. Spante«. *Jn einer amtlichen Note weist die Regie rung erneut darauf hin, daß alle Gerüchte von einer fortschreitenden Revolutionierung der Massen unzutreffend seien. In Madrid herrscht völlige Ruhe, und lediglich in dem immer unruhigen Barcelona, wo zurzeit eine SiMikbewegunq herrscht, ist es i» de» letzten Mgen zu Ausschreitungen gekommen, die jedoch belanglos waren. — In anbetracht dieser Erklärung erscheint es doppelt merkwürdig, daß vie Regierung über Telegramme, besonders solche aus dem Streikgebiet, eine strenge Zensur verhängt hat. Portugal. * Die portugiesische Regierung tritt jetzt in der Angelegenheit deS gerichtlich verfolgten früheren Diktators Franco einen Rückzug an. Sie behauptet, daß sie der gegen Franco eingeleiteten gerichtlichen Verfolgung fernstehe. Die Verfolgung Francos sei auf die Klage eines Privatmannes zurkckzufkhren, der im Jahre 1908 angeblich auf Veranlassung FraneoS ins Gefängnis geworfen worden sei und nun mehr von dem ihm zustehenden Rechte Gebrauch gemacht habe, wonach jeder Portugiese, der sich durch ein Verbrechen, auch durch ein politisier, geschädigt glaube, das Recht hat, den Schuldigen persönlich vor Gericht zu belangen. Amerika. * Die Lage in der mittelamerikanischen Republik Honduras ist sehr ernst. Infolge der Revolte des Generals Daladares ist der Hafen Amapala (auf der Insel Tigre) ge schlossen, auf der Insel der Belagerungszustand, in ganz Honduras das Kriegsrecht erklärt worden. Napoleons Beirat mit I^uite. s Erwecken wir die Zeit vor hundert Jahren vor unserm geistigen Auge, so sehen wir den Mann, der damals einer Welt seinen Willen aufgezwungen, auf der Sonnenhöhe seiner Macht. Napoleon gebot, nachdem er den alten Habsburger Staat niedergerungen und mit dem Zaren ein Schutz- und Trutzbündnis geschlossen hatte, unumschränkt auf dem europäischen Konti nent, und die höchste Krönung seiner Pläne und Ziele sollte ihm nun die Begründung einer eigenen Dynastie bringen, die ihn mit einem der vornehmsten Herrschergeschlechter verbrüderte und ihm den ersehnten Erben seiner Reiche schenkte. Die plötzliche Verlobung und rasche Vermählung Napoleons mit Marie Luise, der Tochter deS österreichischen Kaisers, die die Erfüllung dieses Strebens bedeutete, kam der ganzen Welt höchst überraschend. Hatte doch der Franzosenkaiser bald nach dem Frieden von Schönbrunn eine Werbung «m eine Zarentochter nach Petersburg gehen lassen, und erschien eS doch zudem den treuen habsburgischen Unter tanen fast unmöglich, daß Kaiser Franz seine geliebte Tochter dem „Antichrist" zur Ehe geben würde, gegen den er noch vor wenig Monaten einen verzweifelten und blutigen Kampf um die Existenz seines Reiches geführt hatte! Die tiefer liegenden Gründe für diese, ganz Europa in Aufregung versetzende Vermählung, die feinen diplomatischen Fäden, durch die diese Beziehungen angesponnen und verknüpft wur den, waren bisher noch nicht völlig aufgeklärt. Auf Grund neuer Dokumente stellt nun der geistvolle Biograph Napoleons, Prof. August Fournier, den wahren Verlauf der Dinge in der »Deutschen Revue' dar. NapolonS Be werbung um die 15 jährige Zarentochter war nicht ernst gemeint; fie sollte nur sein gutes Einvernehmen mit Rußland dokumentieren. Eine rasche Vermählung, an der ihm vor allem lag, war mit dieser kaum erwachsenen Braut nicht möglich; und vor allem sah der Kaiser auch voraus, daß das russische Bündnis, der polni schen und wirtschaftlichen Fragen wegen, in nicht langer Zeit zusammenbrechen werde. Er wollte daher eine Verbindung mit dem österreichischen Hause, dessen Freundschaft ihm für den bevorstehenden Kampf in Rußland sehr wichiig erscheinen mußte, zumal die längst erwachsene Marie Luise auch sonst seinen Wünschen besser entsprach, als die junge Russin. Einzelne Andeutungen dieser Art waren von dem Imperator ausgegangen. Am 15. September 1809 hatte er an Kaiser Franz Joseph geschrieben, es werde nach dem FriedenS schluß nur vo» ibm »bhängen, daS Band zwischen de« beiden Staaten fester zu knüpfe«. Während der lehren Verhandlungen über de» Frieden in Schönbrunn hatte er die Bemrrkanz fallen lallen. Österreich sei mit seinen Heirate» stets glücklich gewesen. Diese sehr vorsichtige» Anspielungen wurden nun von Kem neuer» österreichischen Minister deS Süßeren, de« Grafen Metternich, aufS eifrigste aufqenomme« und weitergesührt. Er mußte sich bei dem all mächtigen Franzosen-Kaiser, der sich gegen ih« ausgesprochen hatte, in feiner neuen Stellung erst fest in den Sattel setzen, und zudem glaubte er auch der österreichischen Dynastie nicht besser dienen zu können, als mit dieser Heirat, durch die die Existenz der Monarchie fichergestellt »ud ihr eine »«he« >«v Friedexsfrist - gegönnt wurde, deren sie -m Erholung emü tiefster Erschöpfung dringend bedurfte. Metter nich hat sich später ganz offen dazu bekannt, die Heirat in Vorschlag gebracht zu haben, «sd auch Napoleon sagte kurz vor seinem Sturze i« Jahre 1814: „Kann Metternich vergeffen, daß meine Heirat mit einer österreichische« Erz- , Herzogin sein Werk ist?" Zunächst wurde» die Verhandlungen sehr behutsam mit einem Le» trauensmann des französischen Ministers Maret, Alexandre de Laborde, geführt, aber bald nach Paris hinüber gespielt, wo der etwas schwer fällige österreichische Botschafter Fürst Karl Schwarzenberg die Angelegenheit nur recht langsam betrieb. Unterdessen hatte aber Napo leon seine frühere Gattin Josephine, von der er sich soeben „im beiderseitigen Einvernehmen" getrennt hatte, dazu veranlaßt, in einer Unter- redung mit der in Paris zurückgebliebene« Gräfin Metternich den Wunsch Napoleons nach einer ehelichen Verbindung mit einer österreichi schen Prinzessin offen auszusprechen. Die Gräfin nahm sich nun der Sach« mit Feuereifer an; der ungeschickte Schwarzenberg machte aber in weiteren Unterhandlungen gellend, daß die Erzherzogin naturgemäß Abneigung gegen den Kaiser empfinde und daß man ein Gefühl der Dank barkeit in ihr zu erwecken suchen müsse. Er ließ also durchblicken, man erwarte, daß Napoleo» dem österreichischen Kaiser eine der abgetretene» Provinzen, etwa ein Stück von Oberösterreich, zum Entgelt zurückgeben werde. Davon wollte aber der Kaiser nichts wissen, sondern ließ nun die Angelegenheit ruhen, bis sie eine plötzliche Wendung zum raschen Abschluß brachte. Metter nich hatte seiner Frau in einem für Joseohiue bestimmten Briefe mitgeteilt, daß eine Werbung Napoleons bei der Erzherzogin sicher auf keine« Widerstand stoßen werde. Diesen Bcief spielte die Gräfin Napoleon selbst in die Hände, und nun tat der Franzosenkaiser den entscheidende« Schritt, da er sich überzeugte, daß von einem politischen Entgelt an Österreich nicht mehr die Rede sein werde. Er sandte seinen Stiefsohn Beauharnais zu Schwarzenberg, damit er ihm die Werbung und zugleich die Aufforderung überbringe, sogleich den Heiratskontrakt abzi schließen und zu unterzeichnen. TagS darauf war alles in Ordnung gebracht. Nur noch eine Kleinigkeit blieb: die Zustimmung der Brant für die Ehe zu gewinnen. DaS kostete «och einige Schwierigkeiten, aber schließlich brachte die Persönlichkeit des Vaters Marie Luise z» de« großen Entschluß. Die eigentliche Entscheidung hatte die Gräfin Metternich herbeigeführt, wie aus einem Briefe an ihren Gemahl hervorgeht. „Da ist nun das große Geschäft beendet," schreibt sie. „Gott sei gelobt und gebe seinen Sege» dazu! Ich will mich nicht rühmen, aber ich habe nicht wenig beigetragen, daß die Sache gelang. Ihr Brief hat einen großen Eiudrcuk hervorgebracht, zwar nicht bei der Person, für die er bestimmt war — sie hat ihn gar nicht zu Gesicht bekommen, sondern bei einer hohe« Persönlichkeit, die iyn in Händen hatte. Aber sprechen Sie nicht darüber. Fürst Schwarzen berg weiß nichts davon; er war sogar da gegen, daß ich von dem Schreiben überhaupt Gebrauch mache. Ich bin da ganz allein meine« kleinen Kopfe gefolgt." A Voi" äie MM gestellt. 26) Roman von M. Lautner. ' Schluß.) Und er, Kurt, als naher Verwandter, sollte also nun den ganz besonderen Vorzug ge nießen, im engsten Familienkreise — denn unter dem Weibnachisbaume pflegt man doch nur ganz Nahestehende zu versammeln — ein« Vorfeier des glücklichen Ereignisses zu begehen? Nein — dagegen wollte er sich denn doch ver wahren. Er sktzte sich an seinen Schreibtisch und schrieb mit fliegender Hand eine kurze Absage. Damit war es indes nicht abgetan; die Höflichkeit erwiderte eS, daß er sich auch pe» 'önlich entschuldigte, besonders, da er in der Eile gor keinen Grund für leine Verhinderung angegeben hatte; und ganz abgesehen davon, ein Besuch bei seinen Verwandten vor der Abreise war unumgänglich. Er konnte unmög lich „kneifen", was womöglich noch Stoff zu allerlei Mutmaßungen bieten würde. Franz geriet durch den Befehl, binnen drei Tagen alles zu einer größeren Reise in Bereit schaft zu setzen, in arge Überraschung, und daS ganze Haus geriet in Unrube und Bewegung durch die Eile, mit der die Vorbereitungen be trieben werden mußten. Kurt selbst blieb noch so vieles zu ordnen und anzuweisen, daß er wenig Muße hatte, feinen Gedanken nachzuhängen. So fand er sich am nächsten Tage in Alten- fiein, er wußte selbst kaum, wie. Auf seine Frage, ob die Damen zu sprechen seien, meldete Auton, Fräulein Erna sei nur allein zu Hau^e. Also er sollte auch noch allein mit ihr sein! Das war ihm doppelt peinlich. Voll Resianation fügte er sich in diese Fata lität, und mit einer Art Todesverachtung folgte er dem anmeldenden Diener, sich gewaltsam zu einer gleichgültigen Miene zwingend, die ihm aber vollständig mißglückte. Erna empfing ihn in ihrem Boudoir und er hob sich bei seinem Eintritt von ihrem Platz am Fenster. Anton batte vorhin mit seiner Anmeldung ihr Herz in freudigem Schreck erbeben gemacht — sie kam ihm mit geröteten Wangen entgegen. Tante Lottchen, erzählte fie, sei nach der Stadt gefahren, um Einkäufe zu machen, „ich selbst blieb zu Hanke, da es mir vorkam, als wäre ibr meine Begleitung heute nicht erwünscht. Vor Weihnachten hat eben jeder seine kleinen Geheimnisse," fügte fie heiter hinzu. Ernst und zerstreut hörte er ihr zu und wagte nicht, sie anzusehen, und sie ihrerseits bemerkte voll Verwunderung dies sonderbare Wesen. Er kam ihr so anders heute vor, so fremd und hatte einen so finstern, herben Zug, den sie sonst nicht an ihm kannte. Was mochte er nur haben? „Aber bitte, leg' ab und nimm Platz," bat sie, sich selbst niederlassend. „Ich komme, nm dir und deiner Tante noch mals für die liebenswürdige Einladung zu danken," fing er an, nachdem er ihrer Weisung gefolgt, „und mem Bedauern auszusprechen, daß ich außerstande bin, derselben Folge zu leisten. Wie fremd und gedrechselt das klang — fie wußte gar nicht recht, was sie davon denken sollte. Laut sagt« sie: „Du verdirbst uns eine Freude. Wir hatten es so hübsch gedacht, dich am Weihnachtsabend auch hier zu haben." „Außerordentlich liebenswürdig", warf er ein. Das kam aber so gekniffen heraus, daß fie beinahe erschrocken zu ihm aufblickte. Hatte er denn irgend etwas übel genommen? — Nach einer kurzen Pause nahm Erna beherzt das Gelpräch wieder auf: „Wir erwarten nämlich noch andre liebe Gäste: Onkel Wellhof mit seiner Tochter. Er ist ein lieber, prächtiger Onkel und wird dir ge- Wiß gesallen." „Dann bedaure ich um io mehr, da ich nun auch des Vergnügens verlustig gehe, die Herr schaften kennen zu lernen." „O, kennen leimen wirst du sie schon, sie bleiben ja länger« Zeit. Unter vier Wochen werden fie nicht fortaelassen." „Trotzdem bezweifle ich. — Ich steh« näm lich im Begriffe, «ine Reise anzutreten." „Eine Reise? Jetzt im Winter?" rief sie iu vollster Überraschung. — „Zum Reisen ist der Winter gerade die ge eignetste Zeit für Landwirte, da sind wir zu Hause am leichtesten entbehrlich und außerdem — ich gehe nach dem Süden." Da sie schwieg, fuhr er nach ein« Weile fort: „Ich sehne mich mal wieder in die west« Welt hinaus — und mir bangt vor dem langen, einsamen Winter daheim." „So willst du lange fortbleiben?" fragt» sie leise. „Voraussichtlich, ja — mehrere Monate. Jedenfalls wird daS Frühjahr herankommen. Vielleicht auch noch länger, je nachdem." Erna saß unbeweglich, sie war sehr blaß ge worden und hielt die Blicke auf ihre im Schoß gefalteten Hände gesenkt. Er fand noch immer nicht den Mut, sie an zusehen, nur einen scheuen, schnellen Blick warf er auf diese schlanken, weißen Hände. Ob si« wohl schon einen Ring trug? Nein — er sah keinen. Dann versenkte er sich mit einer Aufmerksam keit in die Betrachtung des Teppichs zu seine« Füßen, als gälte es, aus den vielverschlungene« Blättern unv Arabesken die Lösung einer hoch wichtigen Lebensfrage zu finden. ' Das Schweigen aber wurde peinlich, er fühlte unbestimmt die Notwendigkeit, «S zu unter brechen, und da Erna stumm blieb, sagte er nur, um etwa- zu reden: „Wie ist dir neulich der Ball bekommen?" Doch kaum waren die Worte heraus, so er schrak er heftig; er hätte viel darum gegeben, sie ««gesprochen machen zu können; mußte Erna daS nicht für eine Anspielung halten auf jene Szene, die sein und Graf BülzowS Eintritt unterbrochen hatte? „O, danke — sehr g»t," antwortete sie aber ganz ruhig, „und di« ? Du warft ja so plötzlich verschwunden."
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