Suche löschen...
Allgemeiner Anzeiger : 23.07.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-07-23
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191007231
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id181900449X-19100723
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19100723
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-07
- Tag 1910-07-23
-
Monat
1910-07
-
Jahr
1910
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 23.07.1910
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Die eilasj-iowrmgiscke Verfaflungsfrage. In dem jetzt vorliegenden elsaß-lothringischen Verfassungsentwurf wird die staatliche Gleich berechtigung Elsaß-Lothringens nicht gefordert. Nach dem mit den Mgeordneten besprochenen Entwurf soll Elsaß-Lothringen auch später nicht die Bezeichnung Staat für sich in Anspruch nehmen. Es soll tatsächlich Reichsland bleiben. Ebenso wird keine stimmberechtigte Vertretung im Bundesrat gefordert. Die zum Bundesrat entsandten Kommissare sollen zwar drei beratende (keine beschließende) Stimmen erhalten, aber nur in Sachen der eigentlichen Landesgesetzgebung endgültig mitstimmen dürfen, doch dürfen sie in allen Reichsangelegenheiten das Wort ergreifen und auch Referate übernehmen. Was die Stellung des Kaisers betrifft, so wird an derselben nichts geändert. Der Kaiser übt nach wie vor die landesherr lichen Rechte in Elsaß-Lothringen als Beauf tragter des Reiches aus. Der Wahlrechtsent wurf enthält nichts von einer Verhältniswahl. Auch ist das Reichstagswahlrecht nicht zugrunde gelegt. Es wird das allgemeine geheime und direkte Wahlrecht gefordert, zwar ohne Plural stimmen für Bildung und Besitz, aber mit Alters mehrstimmen. Die über 35 Jahre asten Wähler sollen zwei Stimmen erhalten. Vom 45. Lebens jahre ab erhält jeder Wähler noch eine weitere Stimme. Zur Begründung wurde den Ab geordneten gegenüber ausgeführt, daß damit alle Klassen der Bevölkerung und alle Parteien gleiche Wahlvorteile für ihre älteren Mitglieder erhalten. Im ein zelnen lehnt sich der Wahlrechtsentwurf an die Bestimmungen des elsaß-lothringischen Gemeinde wahlrechts an. Voraussetzung des Wahlrechts ist also nur ein dreijähriger Wohnsitz im Lande. Dagegen sind die Vorrechte, die in dieser Hin sicht die Gemeinde-Wahlordnung einzelnen Be rufsständen, beispielsweise den Rechtsanwälten, einräumte, in Wegfall gekommen. Außerdem liegt für den Fall der Ablehnung des ersten Wahlrechts entwurfes ein zweiter Entwurf fix und fertig ausgearbeitet vor., In eingeweihten Kreisen will man wissen, daß dieser Gesetzentwurf ohne wesentliche Abänderungen binnen Jahres frist bereits in Kraft treten soll. Politische Kunälckau. Deutschland. * Kaiser Wilhelm ist auf seiner Nord landfahrt in Drontheim, der alten norwegischen Krönungsstadt, eingetroffen. "Aus Anlaß des hundertjährigen Todes tages der Königin Luise von Preußen (am 19. Juli) ließ Kaiser Wilhelm am Sarge der Königin im Charlottenburger Mauso- eum sieben Kränze — entsprechend der Zahl er Kinder der Königin — niederlegen. *Die,Neue Freie Presse' erfährt aus amt licher Quelle, daß von einer Zusammenkunft zwischen KaiserWilhelmund dem Zaren nichts bekannt sei. Man hält überdies eine solche schon deshalb für unwahrscheinlich, weil der Deutsche Kaiser gar nicht in die finnischen Schären kommt, wo der Zar auf seiner Jacht kreuzt. * Der ehemalige Kanzler Fürst Bülow, der von seiner Villa Malta in Italien kommend, sich mehrere Tage in Berlin aufgehalten hat, ist in Norderney zu längerem Kurgebrauch eingetroffen. * Nachdem die am 1. Juli d. Js. in Deutschland in Kraft getretene Zollerhöhung auf französische Schaumweine in Frankreich leb hafte Beunruhigung hervorgerufen hat, sind jetzt deutscherseits gewiße Zollerleichterungen für die Einfuhr französischerFlaschen- weine angeordnet worden. Es handelt sich um Befreiung solcher Sendungen bis zur Höhe von 10 Kilo von der Weinuntersuchung. Bei größeren Sendungen wird nur auf 2400 Flasche» eine Musterprobe erhoben. Für Faß weine fordert die deutsche Zollbehörde künftig nur eine Untersuchung für Sendung bis 30 000 Kilo. Einige weitere Erleichterungen sind zur Beschleunigung der zollamtlichen Untersuchung vorgesehen. "Die Betriebs-Einnahmen der preußisch-hessischen Staatseisen bahnen haben im Juni 1910 gegenüber dem gleichen Monat des Vorjahres im Personenver kehr 100 000 Mk. gleich 0,19 Prozent weniger, im Güterverkehr 6 Mill. Mk. gleich 6,89 Pro zent mehr, insgesamt einschließlich der sonstigen Einnahmen 6,1 Mill..Mk. gleich 3,73 Prozent mehr betragen. Osterreich-Ungarn. * In Dux wurden nach einer Versammlung mehrere Deutsche von Tschechen mit Revolvern und Totschlägern angegriffen und niedergeschlagen. Die Ausschreitungen nahmen einen großen Umfang an; hundert Gendarmen nahmen zahlreiche Verhaftungen vor und stellten die Ordnung wieder her. Dia Regierung droht mit Verhängung des Belagerungszu standes, falls sich die Straßenkämpfe wieder holen. Frankreich. * Präsident Falliöres empfing den Marquis of Northampton, der dieThronbesteigung König Georgs zur Kenntnis brachte. Hierbei betonte er, König Georg werde sich glücklich schätzen, das herzliche Einvernehmen zwischen Frankreich und England andauern und wachsen zu sehen. FalliöreS erklärte, die fran zösische Regiemng werde nichts außer acht laßen, um dieses Einvernehmen unablässig zu kräftigen. * Der allgemeine Streik der französischen Eisenbahner rückt in immer greifbarere Nähe. Das Nationalsyndikat der Eisenbahner hat das Streikkomitee beauftragt, in möglichst kurzer Frist den geeigneten Augenblick für den allgemeinen Ausstand der Eisenbahner zu wählen, um gegen die Weigerung der Eisen bahngesellschaften Einspruch zu erheben, mit dem Syndikat über die vom letzten Kongreß der Eisenbahner aufgestellten Forderungen zu ver handeln. Sxglaxd. * Der ,Daily Expreß' erfährt, daß die Krönung König Georgs auf den 22. Juni 1911 festgesetzt ist. Das Datum wird entweder Ende nächster oder Anfang der folgenden Woche mit dem üblichen Zeremoniell, das dem bei der Proklamation der Thron besteigung beobachteten sehr ähnlich ist, öffentlich verkündet werden. Belgien. * Wie aus Brüssel gemeldet wird, hat König Albert den Ehrenvorsitz bei der Internatio nalen Tuberkulose-Konferenz, die die Internationale Vereinigung gegen die Tuber kulose vom 5. bis 8. Oktober d. Js. nach Brüssel einbemfen hat, übernommen. Balkanstaate«. * Türkische Zeitungen bezeichnen die Mel dung, daß die gegen die Griechen gerichtete Handelssperre in der Türkei abzu lauen beginne, als unzutreffend. Es ist nicht sie geringste Abschwächung dieser Bewegung wahrzunehmen, und das leitende Komitee lehnt alle Zumutungen von Nachgiebigkeit beharrlich ab. Die Behauptung, daß mehrere Botschafter bei der türkischen Regierung eingeschritten sind, um die Einstellung der Sperre herbeizuführen, findet keine Bestätigung; es könnte sich allen falls um die Mitteilung von Beschwerden an die türkische Regierung handeln, die von An gehörigen der betreffenden Staaten wegen schädlicher Rückwirkungen der Sperre auf die Interessen der Beschwerdeführer erhoben wor den sind. Amerika. "Die Rebellen in Nikaragua, die noch immer gegen die Herrschaft des Präsidenten, Madriz kämpfen, haben unvermutet einen, Bundesgenossen bekommen, der ihrer Sache den Sieg zu sichern scheint. Unter den Truppen des Präsidenten ist das gelbe Fieber aus gebrochen und hat viele Todesfälle zur Folge gehabt. Die Truppen werden somit gezwungen, den Kampf gegen die Empörer emzusiellen. * Auf einer zu den PhiIippinen ge- hören m Insel ist ein Überfall auf den ameri kanischen Unterrichtsminisier verübt worden, der glücklicherweise mißlang. Er ist das Werk dortiger Eingeborener, die als besonders ver schlagen gelten. Der Anschlag beweist von neuem, wie unsicher noch immer die Verhältnisse auf jenen Inseln sind. Afrika. "Die Lage in Nordost-Marokko, wo die Franzosen einen Vorstoß nach dem Innern unternommen haben, ist sehr kritisch. Die Berber in der Umgebung von Taza haben sich zur Bildung einer Truppenmacht vereinigt, die den französischen Vorstoß ins Mulaja- gebiet aufhalten soll. Sie haben durch Aus rufer ankündigen lassen, daß sie während eines Zeitraums von zehn Tagen jeden Handelsver kehr mü der Grenze von Algerien unmöglich machen wollen. Asten. *Die im Auslande verbreiteten Gerüchte über einen Drohbrief an den Prinz- Regenten von China sind nach amtlichen Erklärungen gänzlich unbegründet. Peking ist vollkommen ruhig. * Die Portugiesen und die chinesischen Seeräuber schlagen sich noch immer bei Macao herum. Die portugiesischen Kanonenboote „Natia" und „Macao" erneuerten die Be schießung des Forts Colowan. Der Kreuzer „Reinha Dona Amelia" landete eine Truppen abteilung Eine Flotte von 14 chinesischen Re gierungsschiffen unterstützt angeblich die Portu giesen, um die Insel Colowan vollständig ab zusperren. * Zur Lage in Indien wird der ,Köln. Ztg.' als Kalkutta gemeldet: Die Polizei ist zurzeit außerordentlich tätig. Fast täglich finden Verhaftungen eingeborener Redakteure statt, die revolutionärer Gesinnung beschuldigt werden. Ebenso werden viele Zeitungen ganz unterdrückt oder von andern einzelne Nummern mit Beschlag belegt. Auch im Innern des Landes, wo wiederholt räuberische Überfälle stattsanden, die wohl auf politische Beweggründe zurückzuführen sind, haben zahlreiche Verhaf tungen von Hindus der gebildeten Stände statt gefunden. S-SSMi-E-—S-— i Die englische Zivilliste. Die Neuregelung der englischen Zivilliste nimmt auf Grund der von der parlamentarischen Sonderkommission ausgearbeiteten Vorlage eine Erhöhung der Bezüge um 13 000 Pfund in Aussicht. Nach der letzten Aufstellung, die im Jahre 1901 nach dem Tode der Königin Viktoria erfolgte, beliefen sich die Einkünfte der englischen 5kone auf 621000 Pfund. Die Ge samtsumme beträgt jetzt 634 000 Pfund. Davon fallen 470 000 Pfund auf die Zivilliste des Königs selbst, 146 000 auf den Unterhalt für Mitglieder der königlichen Familie und 18 000 Pfund auf Len Pensionsfonds. In dem Be trag von 146 000 Pfund figuriert eine Position von 70000 Pfund als Jahreseinkommen der .Königin-Witwe Alexandra. Dieselbe Summe ist der Königin Mary ausgesetzt, für den Fall, daß sie ihren Gemahl König Georg überlebt. Da gegen sind Bezüge > f r den Thronfolger nicht ausgeworfen. König Georg hatte als Prinz von Wales ein jährliches Einkommen von 20000 Pfund, seine Gemahlin ein solches von 10 000 Pfund. Beide Posten erscheinen nicht wieder, wie auch ein Betrag von 8000 Pfund für die Kaiserin Friedrich, den der Zivillisten etat von 1901 aufwies, in Fortfall gekommen ist. Der jetzige englische Thronfolger tst seit der Thronbesteigung König Georgs V. auf die Ein künfte des Herzogtums Cornwall angewiesen. Die Kommission hat jedoch befürwortet, daß im Fall seiner Verheiratung an die Gemahlin des Prinzen von Wales ein jährlicher Zuschuß von 10 000 Pfund gezahlt werden solle; dieser Be trag soll im Falle des Witwentumes der Prin zessin von Wales auf 30 000 Pfund erhöht werden. Betreffs seiner jüngeren Kinder hatte der König den Wunsch geäußert, daß schon jetzt die Bezüge festgelegt werden möchten, die bei Eintritt ihrer Großjährigkeit und im Fau ver Eyesquestrmg zu gewähren seien. Unter der Regierung der Königin Viktoria war es bis zum Jahre 188S Brauch, daß die Bewilligung erfolgte, wenn das Bedürfnis eintrat. Im Jahre 1889 wurde dagegen in einem besonderen Gesetz aus gesprochen, daß es wünschenswert sei, eins wiederholte Befassung des Parlaments mit Angelegenheiten der königlichen Familie nach Möglichkeit zu vermeiden und den Grundsatz aufzustellen, daß zwecks Versorgung der jüngeren Kinder bestimmte Summen den Eltern garantiert werden sollten. Demgemäß hat die Kommission in die Vorlage die Bestimmung aus genommen, daß jeder jüngere Sohn des Königs vom Eintritt der Großjährigkeit ab jährlich 10 000 Pfund, im Falle der Eheschließung außerdem 15 000 Pfund, insgesamt also 25 000 Pfund erhält. Den Töchtern deS Königs werden 6000 Pfund bei Eintritt der Großjährigkeit oder im Fall der Verheiratung zugesichert. Diese Beträge sollen gewähr leistet werden unter der Voraussetzung, daß Forderungen der gedachten Art für jüngere Kinder der königlichen Familie an daS Parlament nicht herantreten. Zu dem Jahres budget des königlichen Hauses von England treten schließlich noch die Einkünfte auS den Herzogtümern Lancaster und Cornwall. ES handelt sich dabei, für das Jahr 1909, um einen Betrag von 151 000 Pfund oder 18 000 Pfund mehr als im Jahre 1903. Für das laufende Jahr ist ein Betrag von 156 000 Pfund veranschlagt. Die jährlichen Gesamt einnahmen des königlichen HauseS in England stellen sich sonach auf 790 000 oder 15 Millionen 800 000 Mark. unä flotte. — Die Geschwindigkeiten unsrer ersten vier „Dreadnoughts" sind nunmehr festgestellt, nach dem auch „Posen" ihre Meßfahrt auf tiefem Wasfer an der Neukruger Meile ausgeführt und dabei das beste Ergebnis in dieser Schiffsklasse erzielt hat. Haben auch alle vier Schiffe die kontraktlich bedungene Schnelligkeit erheblich überstiegen, so differieren doch die erzielten mittleren Höchstgeschwindigkeiten (im Mittel zweier (Doppelmeilen) um nahezu eine halbe Seemeile. Die vom Stettiner Vulkan gebaute „Rheinland" wies eine solche von 20,01 See meilen auf, etwas darüber hinaus geht die von der Wilhelmshavener Marinewerft gelieferte „Nassau" mit 20,03 Seemeilen, während „West falen", von der Weserwerft gebaut, 20,30 See meilen läuft und „Posen", Erzeugnis der Krupp- schen Germaniawerft, mit 20,50 Seemeilen einen neuen Rekord für Linienschiffe aufgestellt hat. Abgesehen von „Nassau" und „Westfalen" machen die gegenwärtig der Hochseeflotte angehörigen Linienschiffe nur zwischen 18 und 19,26 See meilen Fahrt in der Stunde. i m Von I^ak uncl fern. Neue Gewitter- und Hochwasser schäden. In zahlreichen Orten Westdeutsch lands, in Frankreich und Holland haben Ge witter und Wolkenbrüche großen Schaden an gerichtet. Die zwischen Schlebusch und Dünn wald gelegene Karbonitfabrik, die am 7. Juni d. Js. von einer schweren Blitzschlagkatastrophe heimgesucht wurde, ist abermals durch einen Blitzschlag in Brand geraten. Es gelang jedoch, alle Gefahr für Menschenleben zu beseitigen. Explosion in der Luftschiffbau-Gesell schaft Zeppelin. In der Karboniumfabrik der Luftschiffbaugesellschaft Zeppelin in Friedrichs hafen fand infolge Platzens eines Zylinders eine starke Explosion statt, durch die ein Arbeiter getötet und fünf leichter verletzt wurden. Die Explosion zerstörte unter furchtbarem Knall sämt liche Umfassungsmauern des Fabrikgebäudes. Die Fabrik, die in der Nähe der Gelände der Luftschiffbaugesellschaft Zeppelin liegt und für diese Gesellschaft das notwendige Gas liefert, ist vollständig zerstört. Die Fensterscheiben der wenigen Häuser, die in der Umgebung der Fabrik liegen, sind zertrümmert. K bme schwergeprüfte frau. 2üj Roman von M. de la Chapelle. (Fortsetzung.) Der alte Schwendler fuhr sehr eifrig-fort: „Jetzt aber müssen Sie alles wissen, Herr Doktor, denn vielleicht können Sie helfen. Ich ahnte schon den ganzen Morgen, daß irgend etwas mit Hedwig nicht geheuer sei, weil sie gar so zerstreut war. Auch suchte sie sich auf alle mögliche Art aus dem Hause zu entfernen. Ich paßte ihr natürlich streng auf den Dienst, aber in einem unbewachten Augenblick ist sie mir doch entschlüpft. Obgleich ich mir ja sofort dachte, zu welchem Zweck sie davongelaufen, mußte ich sie doch ruhig gewähren lassen, denn wo sollte ich sie suchen? Nun ist sie den ganzen Tag mit dem Menschen herumgejagt, und der Schluß war natürlich ein Unglück." Papa Schwendler brach in seinem Rede strom ab, um Luft zu schöpfen, er hatte sich wieder, wie gewöhnlich, in den denkbarsten Eifer hineingeredet. Jordan benutzte den Augenblick, um erstaunt zu fragen: „Ein Unglück — — doch nicht Hedwig? —" „Nein, Gott sei Dank, die ist hell davon gekommen: aber der Mosjö Hartkopf hat die Geschichte ausbaden müssen. Ich habe ia wenig Sympathie für ihn, aber trotzdem wäre es doch schrecklich, wenn er seinen Leichtsinn etwa mit dem Leben bezahlen sollte. Das habt ihr nun von eurer verwünschten Liebelei, hättest du den Menschen doch nie gesehen!" Er schüttelte bei den letzten Worten die Faust drohend gegen Hedwig, die lauter wie vorher aufschluchzte, ohne jedoch zu antworten. „Onkel, laß sie, du siehst, sie ist ganz außersich," ließ sich da Karl Bergmanns Stimme ver nehmen, und als Jordan jetzt weiter ins Zimmer trat, sah er den jungen Mann in einer Ecke neben dem Ofen stehen, von wo aus er Hedwig mit düsteren Blicken beobachtete. Papa Schwendler schien nicht abgeneigt zu sein, eine neue Flut von Vorwürfen über das Haupt der ungeratenen Tochter auszugießen, allein Jordan schnitt ihm kurz das Wort ab, indem er ihn aufforderte, ein Glas Wasser zu bringen, denn ein prüfender Blick auf Hedwig, die eben jetzt den Kopf etwas erhob, sagte ihm, daß sie sich in hochgradiger nervöser Auflegung befand und der Beruhigung bedurfte. Halblaut vor sich hin knurrend, brachte Papa Schwendler das Verlangte, Karl hatte eine Be- wegung gemacht, als ob er daS Wasser holen wollte, besann sich aber und blieb nach wie vor unbeweglich auf seinem Platze. Nachdem Jordan ein niederschlagendes Pulver in dem Glase verrührt, forderte er Hedwig auf, davon zu trinken. Sie gehorchte, wenn auch widerstrebend, und nun sah Jordan erst so recht, welch verstörten, entsetzten AuSsruck ihr Gesicht zeigte. Tiefe. Bläffe lag auf ihren Wangen, während ihre Augen rot und vom anhaltenden Weinen dick verschwollen waren. Sie warf über das Glas hinweg einen scheuen Blick zu Karl hinüber, worauf ihr die Tränen aufs neue hervorschoffen, und sie abermals heftig zu schluchzen begann. Erst dem fortgesetzten freundlichen Zureden Jordans gelang es, sie etwas zu beruhigen — auch übte nach und nach das Pulver seine wohltätige Wirkung aus. so daß die unnatür liche Ansoannung ihrer Nerven allmählich nach zulassen begann. „So, und nun lassen Sie mich einmal der Reihe nach wissen, was eigentlich mit Ihnen und überhaupt vorgegangen ist," sagte er, als ihre Tränen endlich versiegt waren. Nach einigem Zögern kam Hedwig dieser Aufforderung nach. Sie verschwieg nichts — weder ihren heimlichen Fortgang von Hause, noch das, was zwischen ihr und Otto bis zu dem Augenblick der Katastrophe geschehen und gesprochen worden, ja sogar den Kuß, den ihr Otto in dem Potsdamer Restaurant zu geben beabsichtigte, vergaß sie nicht. Allerdings hob sie während ihres Berichtes die Augen nicht eine Sekunde lang von ihrem Schoß empor, weshalb sie nicht bemerken konnte, daß sich das Gesicht Karls bei Erwähnung eben dieses Kusses, wie auch vorher, als sie von der öe- deurungsvollen Absicht sprach, ihren Vater auf suchen zu wollen, mit einer dunklen Nöte bedeckte. Bei der Schilderung des Unglücksfalles über kam sie die Erregung von vorhin aufs neue. Sie schluchzte heilig, und fand nur mühsam Worte für das Geschehene. Jordan, der ihr aufmerksam zugehört, wartete geduldig ab, bis sie wieder ruhiger geworden. „War es denn nicht möglich, einen Arzt sür den Verunglückten herbeizuschaffen?" fragte er dann. „O doch," antwortete Hedwig, ihre Tränen trocknend. „Einer von den Herren fuhr sogleich nach Spandau hinein und kam nach einer halben Stunde mit einem Arzt und zugleich mit einem Krankenwagen zurück. Der Arzt meinte, die Verwundung, die Otto am Kopf erlitten, sei nicht so gefährlich — allein er fürchte, daß er durch den Sturz innerliche Verletzungen davon getragen, die weit schlimmer wären. Er hielt es auch deshalb für geraten, ihn vorläufig nicht nach Berlin, sondern erst nach Spandau in die dortige Klinik zu transportieren, um eine genaue Untersuchung an ihm vornehmen zu können — und wenn es sein Zustand erlaube, solle er dann morgen hierher gebracht werden." „Und hat niemand daran gedacht, seine An gehörigen zu benachrichtigen?" forschte Jordan weiter. Darüber konnte Hedwig keine genaue Aus kunft geben. Sie hatte nur gehört, daß Wisotzki, der Freund Ottos, auf eine dahin zielende Frage des Arztes geantwortet: er wolle es über nehmen, der Schwester des Verunglückten Nach richt zu geben. Er habe Hedwig darauf nach Spandau auf den Bahnhof gebracht, von wo aus sie nach Berlin zurückgekehrt sei. „Das ist aber noch nicht alles, Herr Doktor," fiel ihr Schwendler eifrig in die Rede. „Jetzt kommt erst das Verwickelte bei der ganzen Ge schichte, denn dieser Herr Hartkopf hat Hedwig eine Art Brieftasche anvertraut, die sie seiner Schwester bringen soll, und zwar nur ihr allein, wie er ausdrücklich betonte —" „Nun — und — ?" drängte Jordan. Schwendler rieb sich verlegen das Kinn. „Ja, wo diese Dame aber zu finden sei, konnte
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)