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Allgemeiner Anzeiger : 17.08.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-08-17
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191008174
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19100817
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- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
- -
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Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
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Jahr
1910
-
Monat
1910-08
- Tag 1910-08-17
-
Monat
1910-08
-
Jahr
1910
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 17.08.1910
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Vie MchsVerficherungsordMNg. Nach dem GeMstsplon der Kommission zur Vorberatung der Reichsverficherungsordnung soll der Rest der ersten Lesung bis zum Wieder- zusammsntritt des Reichstages erledigt werden. Die dann folgende zweite Lesung wird aber un zweifelhaft noch eine beträchtliche Zeit in Anspruch nehmen. Es sind in der ersten Lesung eine Reihe besonders wichtiger und schwieriger Fragen entweder gar nicht oder doch so zur Erledigung gelangt, daß eine Änderung der gefaßten Be schlüsse zur Erzielung eines Ergebnisses not wendig erscheint. So ist die Frage der Betrieb-kranke« kaffen noch völlig ungelöst. Die Arztefrage hat eine Erledigung gesunden, die von allen Seiten als einer Revision dringend bedürftig anerkannt ist. über die Landkrankenkasfen endlich find Be schlüsse gefaßt, über deren Unannehmbarkeit für die verbündeten Regierungen kein Zweifel be stehen kann. Es wird daher noch ernster und langwieriger Arbeit in der zweiten Lesung be dürfen, bevor die Reichsversicherungsordnung eine für die Verabschiedung geeignete Gestalt erhält. Selbst wenn, wie zu hoffen ist, sich eine beträchtliche Mehrheit mit der Regierung in den Hauptpunkten verständigt, muß für die Verhand lungen im Reichstage gleichfalls eine geraume Zeit in Aussicht genommen werden. Erst wenn die Reichsversicherungsordnung verabschiedet ist, kann aber bekanntlich die Witwen- und Waisenversorgung in Kraft treten. Es ist daher mindestens mit der Möglichkeit zu rechnen, daß dieses Gesetz nicht zu dem gesetzlich festgelegten Tmnin, dem 1. April nächsten Jahres, in Kraft treten kann und daß demzufolge eine Verlängerung der Frist eintreten muß. Diejenigen Parteien, die das größte Gewicht auf eine tunlichst beschleu nigte Verabschiedung deö Witwen- und Waisen- versorgungungsgesetzes Wert zu legen haben, können allerdings zur Erreichung dieses Zieles wesentlich beitragen, indem sie die Hand zu einer auch sür die verbündeten Regierungen an nehmbaren Gestaltung der Reichsverficherungs- ordnung bieten. Sie werden sich bei ihrem Verhalten von der Überzeugung durchdringen müssen, daß die Witwen- und Waisenversorgung nur dann am 1. April 1911 ins Leben treten kann, wenn das baldige Zustandekommen der ReichSverstcherungsordnung in einer für die verbündeten Regierungen annehmbaren Form gesichert ist. Politische K.unclscbau. Deutschland. *Das große Flottenmanöver aus Anlaß der Danziger Kaisertage am 29. d. Mts. wird durch eine Parade sämtlicher Kriegsschiffe — über hundert — in der Danziger Bucht vor dem Kaiserpaar auf der „Hohen- zollern" eingeleitet, dann geht der Kaiser an Bord des Admiralschiffes .Deutschland" zur Teilnahme an einem größeren Manöver auf hoher See. * Die Bürgermeisterei der Stadt Fried berg in Hessen ist amtlich verständigt worden, daß das russische Kaiserpaar sowie kurze Zeit voraussichtlich auch Kaiser Wil helm demnächst Gäste der Stadt Friedberg sein werden. * Wie verlautet, liegen die Vorschläge der einzelnen Reichsämter zu dem neuen Reichs et a t sämtlich dem Reichsschatzamt vor. Sie werden dort bereits seit einiger Zeit der üblichen Prüfung unterworfen. Daß die Arbeiten am nächstjährigen Etat schon mit Rücksicht auf die diesmalige frühzeitige Wiederaufnahme der Be ratungen des Reichstags beschleunigt werden, ist sicher. Ob es sich aber ermöglichen lassen wird, den neuen Etat schon zu Anfang Oktober dem, Bundesrat vorzulegen, ist nicht abzuiehen. Der: Entwurf zu dem neuen Etat wird überhaupt > nicht insgesamt dem Bundesrat unterbreitet, s vielmehr werden ihm die einzelnen Etats, so- bald sie fertiggestellt sind, vorgelegt. An diesem! Brauche dürfte auch jetzt nichts geändert werden. I * Bei der Ersatzwahl zum preußisch eM Landtage im Wahlkreise Emden-Norden ist der Nationalliberale Oberbürgermeister Für- bringer (Emden) mit 147 Stimmen wieder gewählt worden. Für Schmid (konservativ) wurden 143 Stimmen abgegeben. Die Wahl- prüfungskommifsion des Abgeordnetenhauses hatte vor Jahresfrist diese mit geringer Mehr heit erfolgte Wahl Fürbringers für ungültig erklärt. Die geringe Mehrheit, mit der er gesiegt hat, ist immerhin noch größer als im Jahre 1903, wo sie nur zwei Stimmen (137 gegen 135) betrug. * Das KölnerStadtverordneten- kollegium hat beschlossen, allen Veteranen einen Ehrensold auszuwerfen. Die Vor lage wird der Finanzkommission überwiesen, die sie derart beschleunigen soll, daß bereits im Sep tember zum Sedanfest der Sold ausgezahlt werden kann. Weiter soll geprüft werden, ob auS die Veteranen des Feldzuges gegen Baden 1858/59 berücksichtigt werden können. * Die teilweise Aussperrung der Werftarbeiter in den Hansastädten, die infolge des Hamburger Streiks nicht nur auf den Weserwerften, sondem verabredetermaßen auch sonst eingetreten ist, hat bereits zur Er weiterung der Ausstands- wie der Aussperrungs bewegung geführt und zum Teil die Hilfs industrien ergriffen. So haben in Stettin die Metalldreher und in Geestemünde die Holz arbeiter der Wersten beschlossen, in den Streik einzutrete«. Ofterreich-U«gar«. *Die Zusammenlunft des österreichischen Ministers des Äußeren, Grafen Nhrenthal, mit dem italienischen Minister des Äußeren, San Giuliano, findet am 29. d. Mts. in Salzburg statt. Frankreich. *Die Mittel, mit denen in Frankreich wirtschaftliche Kämpfe ausgefochten werden, müssen immer bedenklicher und dem Wohle des Ganzen gefährlicher erscheinen. So wurde dieser Tage in einer Versammlung der Eisenbahnangsstellten (unter denen gegenwärtig eine Lohnbewegung herrscht) empfohlen, für den Fall einer Mobilmachung der Einberufung erst am vierten Tage Folge zu leisten, wodurch der Bahndienst vollständig lahmgelegt würde. Die Versammelten verpflichteten sich zur Arbeits einstellung auf Befehl des Syndikatsausschusses. Belgien. *Jn Brüssel ist amtlich bekamt gegeben worden, daß das deutsche Kaiserpaar am 16. Oktober Berlin verläßt und am 17. Oktober zu dreitägigem Besuch des belgischen Königspaares in Brüssel eintrifft. * In Brüssel ist das Grenzab kommen zwischen England, Deutschland und Belgien be züglich der Regulierung der Grenze am Kivusee (belgischer Kongo) unterzeichnet worden. * Der in Brüssel tagende internationale Bergarbeiterkongreß nahm die Be schlüsse über den Achtstundentag und über die Gewährung von Alters- und JnvalidsnKnten an. Dann entspann sich eine lebhafte Aussprache über die Idee des Weltfriedens. In leidenschaftlichen Reden erklärten sich sämtliche Sprecher für die allgemeine Abrüstung und für eine Verbrüderung aller Völker. Schwede». *Jn diesen Tagen ist ein Jahr verflossen, seitdem in Schweden der Allgemeinaus- stand ausbrach. Wie verhängnisvoll dieser war, zeigt der Umstand, daß noch' acht Monate nach Beilegung des Großstreiks 18 000 Arbeiter ohne Beschäftigung waren. Bemerkenswert ist, daß in diesem Jahre ungewöhnlich wenig Arbeits konflikte vorgekommen sind, was deutlich zeigt, daß eine solche Kraftmessung wie die vorjährige, eine Arbeitsruhe im Gefolge hat. Dagegen ist es dem letzten Reichstag nicht gelungen, die Vorlage über die Arbeitsabmachungen, die eine unmittelbare Folge des Großstreiks war, durch zuführen. Zweifellos wird sie aber in ver änderter Form wiederkommen. Norwegen. * Die vorläufigen Verhandlungen über > Spitzbergen, die in Christiani« seit dem 19. Juli zwischen den Delegierten der norwe gischen, der schwedischen und der russischen Re gierung gepflogen wurden, sind jetzt abgeschlossen worden. Die Delegierten haben sich über den Entwurf eines Abkommens geeinigt, der den betreffenden Regierungen zugestellt, vorläufig aber noch geheimgehaltsn werden soll. BalkaMaate«. * Mit großem Eifer arbeitet die Türkei an dem Ausbau ihrer Flotte. Kaum sind von Deutschland mehrere Linienschiffe angekauft, so hat die Regierung schon wieder das Angebot einer bedeutenden europäischen Werft ange nommen, die für die Türkei so schnell wie möglich zwei Linienschiffe von 17 200 bezw. 23 000 Tonnen zum Preise von 30 und 50 Mil lionen Frank bauen will. Es ist leicht ver ständlich, daß Griechenland diesen außergewöhn lichen Rüstungen mit banger Sorge zufieht. * Die Lage der deutschen Koloniften in dem arabischen Bezirk von Haifa, wo kürz lich ein Deutscher ermordet wurde, wird als unhaltbar und die Sendung eines Kriegs schiffes als unerläßlich bezeichnet. Gewaltsame Einbrüche in der Kolonie Waldheim beweisen, wie die Eingeborenen die Lage ausnutzen, die den Kolonisten eine bewaffnete Gegenwehr ver bietet, da sie sonst unter Anklage wegen Mordes strafrechtlich verfolgt werden. Affe«. -Mit Rücksicht auf den russisch-japanischen Vertrag hat der kaiserliche Großrat in Peking jüngst erwogen, welche Schritte zur Sicher- stellung der Mongolei geschehen müssen. Es wurde beschlossen, zwei Divisionen moderner Truppen in der Provinz zu stationieren, das Erziehungswesen im chinesischen Sinne avZzubauen und eine Eisenbahn von Peking durch die ganze Mongolei zu bauen. Späte Enthüllungen. Der Kampf um die Wahlen zum ersten Parlament für die Ver. Staaten von Südafrika zeitigt ganz merkwürdige Blüten. Es sind zwei Parteien, die einander bitter bekämpfen. Auf der einen Seite steht die Engländerpartei unter der Leitung Dr. Jamesons, auf der andern die Burenpartei, deren Führung (der ehemalige General) Botha übernommen hat. Dr. Jameson gibt sich im Interesse seiner Partei sehr viel Mühe, da- Mißtrauen der Bure« gegen die Engländerpartei zu überwinden. So ist wohl auch eine Rede zu verstehen, in der Dr. Jameson ohne ersichtlichen Grund plötzlich den Vorhang von dem berüchtigten englischen Einfall in Transvaal am 29. Dezember 1895 lüstet und seinen erstaunten Zuhörern erzählt, was mit jenem Einfall eigentlich bezweckt werden sollte. Nach diesen Enthüllungen war es keineswegs beabsichtigt, dem Burentum in Transvaal ein Ende zu bereiten, nur war es Cecil Rhodes' Ides, daß man in Johannesburg von der Diktatur Ohm Krügers, des damaligen Präsidenten von Transvaal, erlöst sein wollte. Deshalb entsandte er Jameson, um den alten Herrn zu stürzen und den damaligen Präsidenten des Transvaaler Volksraad, Lucas Meyer, zum Präsidenten der Republik zu proklamieren. Jameson betont, daß es nicht der Zweck des Einfall- gewesen sei, Buren durch Engländer zu ersetzen, denn er habe eine Liste von neu zu ernennenden Beamten des Transvaal bei sich gehabt, in der nicht ein einziger englischer Name verzeichnet war. Dr. Jameson gab übrigens offen zu, daß der Überfall ein dummer Streich gewesen sei, der seine Strafe verdiente. Indessen könne nicht geleugnet werden, daß man dadurch der Vereinigung Südafrikas indirekt näher gekommen sei, und diese Vereinigung Südafrikas sei das große Programm von Cecil Rhodes ge wesen. — Man wird sich erinnern, daß der Einfall Dr. Jamesons an der Spitze von 600 Mann, die zum größten Teil der Polizei der englischen Südafrika-Gesellschaft anaebörten, am 2. Januar 1896 mit der Waffenstreckung bei Doornkop endete, worauf Kaiser Wilhelm dem Präsidenten Krüger ein Glückwunschtelegramm zusandte. Englische Blätter stellen auch jetzt wieder in Abrede, daß es Cecil Rhodes' Absicht gewesen sei, daß Dr. Jamesons Bande einen (Anfall in Transvaal unternehmen sollte. Er habe die Polizei nur an der Grenze bereit ge halten, um nach dem von Ausländern in Johannesburg geplanten Aufstande die Ordnung wiederherzustellen. Dr. Jameson habe dann aber auf eigene Ver antwortung hin und im Einverständnis mit den Ausländern in Johannesburg die Grenze des Transvaal überschritten. — Es ist jetzt müßig, darüber zu streiten, was England seiner zeit mit dem Einfall bezweckt hat, sicher aber trifft Dr. Jamesons Darstellung nicht zu, wird sie doch durch die Tatsache widerlegt, daß Eng land, als es seine Streitkräfte beisammen hatte, mit allen Kräften zum Kriege drängte. Der Kampf mit den Waffen zwischen Engländern und Buren in Südafrika ist wohl ein für alle mal entschieden, aber der Kampf um die Vor herrschaft der Rasse wird noch immer fortgesetzt, er wird dem kommenden Parlament bei allen wichtigen Entscheidungen das Gepräge geben. unä Flotte. — Die »Neue Freie Presse' erfährt aus besonderer Quelle, daß Generaloberst Frhr. von der Goltz, der Reorganisator der türkischen Armee, in kurzer Zeit den aktiven Dienst in der deutschen Armee mit voller Pension verläßt und gänzlich in türkische Dienste übertritt. — Der große Kreuzer „Viktoria Luise" hat mit 50 Seekadetten und 200 Schiffsjungen an Bord als zweiter Schulkreuzer von Wilhelms haven aus seine siebenmonatige Auslandsreise angetreten, die das östliche Mittelmeer zum Ziel hat. Das Schiff, das von Kiel bereits am 26. Mai in See ging, hat zunächst in der Ost see gekreuzt, wo Swinemünde, Saßnitz, Zoppot und Warnemünde angelaufen wurden, dampfte dann nach den norwegischen Gewässern, wo eS Molde, Merok, Gudvangen und Balholm einen Besuch abstattete, und traf von dort über Helgo land am 4. August in Wilhelmshaven ein. — Fünfundzwanzig Jahre sind in diesen Tagen vergangen seit der Flottenkundgebung von Sansibar unter Kommodore Paschen. Am 27. April 1885 hatte Sultan Seyid Bargasch von Sansibar Einspruch gegen die deutsche Schutzherrschaft in Deutsch-Ostafrika eingelegt, was die deutsche Regierung veranlaßte, durch eine größere Flottenkundgebung dem Sultan den Beweis zu liefern, daß Deutschland die Macht besitze, jede etwaige Verletzung seiner Rechte zu bestrafen. Ein unter Kavitän z. S. Karl Paschen als Kommodore aus China, Mel bourne, Sydney und von der amerikanischen Westküste zusammengezogenes Geschwader, be stehend aus den Kreuzerfregatten „Prinz Adalbert", „Stosch", „Elisabeth" und „Geneisenau", sowie dem bei Mauritius zu ihnen gestoßenen Transportdamvfer „Ehrenfels" legte sich am 7. August vor Sansibar gegen über dem Sultanspalast vor Anker, woraufhin der Sultan am 13. August die deutsche Schutz- Herrschaft über Usagara, Ukami, Nguru, Useguha und Witu gegenüber Kommodore Paschen un bedingt anerkannte. Nachdem am 17. August noch die Kreuzerfregatte „Bismarck", das Flagg schiff des Konter-Admirals Knorr, mit dem Transportschiff „Adler" und wenige Tage später auch das Kanonenboot „Möve" vor Sansibar eingetroffen, übernahm Konter-Admiral Knorr das Kommando über das Geschwader sowie die Fortführung der diplomatischen Ver handlungen, die am 20. Dezember an Bord des „Bismarck" mit dem Abschluß des Vertrages ihr Ende fanden. Als Stützpunkt wurde den dort zu stationierenden Schiffen, unter denen für die nächste Zeit „Hyäne", „Möwe" und später „Nautilus" zu nennen find, der Hafen von Daressalam einqeräumt und damit zu gleich für die Erwerbungen der Kolonialgesell schaft der Zugang zum Meere geschaffen. K Vor die Makl gestellt. 2/j Roman von M. Lautner. (Fortsetzung.! Wie ein Träumender schien Bernhard mehr von sich selbst zu reden und völlig vergessen zu haben, daß da noch jemand neben ihm gehe. Lange Zeit verging, und er hatte keine Ahnung, wie es um die Gefühle seines Bruders bestellt war, mit dem Egoismus der Liebe sah er nur sein eigenes Glück und dachte an nichts andres. Erst viel, viel später, als Hilda längst sein Weib geworden, kam ihm eine Erleuchtung. Die Kälte und das fortgesetzte Sichfern« hatten seines Bruders, mit dem er sonst in herzlichem Verkehr gestanden, mußte ihm endlich auffallen, und mit einemmal wurde ihm alles klar. Und jetzt verstand er auch im Wesen Albrechts manches, was er damals nicht weiter beachtet hatte, war sein Denken und Fühlen doch stets ganz anders in Anspruch genommen, jetzt kam ihm die Erinnerung daran, und das Verständnis für das, was er, unwissentlich und unschuldig allerdings, an dem Bruder verbrochen hatte. Mitleid mit dem in seinen heiligen Gefühlen Verletzten ergriff ihn, und doch — er hätte um alles in der Welt es nicht anders wünschen mögen, als es sich eben gefügt, seine Hilda, sein süßes Weib, war ja sein Leben, sein alles. So vergingen Jahre. Hilda hatte ihrem Gatten zwei Söhne geschenkt und das Glück des jungen Paares war grenzenlos. Auf Wunsch seines Vaters nahm Bernhard den Abschied und siedelte nach Altsnstein über, wo anhaltende Kränklichkeit des alten Freiherm die Anwesenheit einer jüngeren Kraft erheischte. Hier in der alten Heimat, in schöner, er- frischender Landeinsamkeit, wo ihre herzigen Kinder so prächtig gediehen, und weder der strenge Dienst, noch die nicht minder tyrannischen gesellschaftlichen Pflichten die Stunden des Familienlebens verkürzten, hier genossen Bem- Hard und Hilda ein Paradies auf Erden. Sie sahen die aufsteigende, sie drohende Wolke erst, als sie schon über ihren Häuptern stand und sie traf mit Blitz und Schlag bis ins innerste Herz hinein. Ihr ältester, blühender hoffnungsvoller Knabe wurde von einer bösartigen Krankheit ergriffen und wenige Tage später sank der Stolz md Liebling der unglücklichen Eltern ins Grab. Es währte lange Zeit, bis sie, di« das Leben bisher nur von der lichten Sette ge kannt, dieses Unglück mit Fassung ertragen lemten. Die junge Mutter besonders schien ganz ge brochen und blieb tief gebeugt, bis allmäh lich die alles heilende Zett ihren Balsam auch auf die Wunde legte und den herben Schmerz in wehmütige Erinnerung verwandelte. Ihrem Mutterherzen war ja auch noch ein teures Wesen geblieben, das es Leben und für das es sorgen konnte; ihr Zweiter, jetzt Einziger, und diesem gehörte fortan der ganze Schatz seiner Zärtlichkeit. Und ein andres, ein frohes Ereignis brachte nach dieser Zeit der Trauer und des Schmerzes auch wieder einen Lichtblick Md freudige Erregung: Albrechts Verheiratung. Wohl keiner in der Familie begrüßte die Nachricht davon mit größerer Freude und innigerer Teilnahme, als Bernhard. Freilich konnte er nicht wissen, daß Albrecht dem Mädchen seiner Wahl nicht Ms tiefer Liebe die Hand reichte, daß es vielmehr nur ein augenblickliches Gefallen war, gepaart mit der schmeichelhaften Erkenntnis, daß sie selbst ihm ihr ganzes unschuldiges Herz zugewendet, was ihm in einer heißen Stunde das entscheidende Wort auf die Lippen gedrängt. Ob die junge, leidenschaftliche Frau das erträumte Glück an seiner Seele fand, wer mochte das entscheiden? Vielleicht wäre es ihrer hingebenden alles überwindenden Liebe gelungen, das Herz des ernsten, verflossenen Maunes sich selbst zu erobem, wäre ihr mehr Zett zu diesem Erlösungswerk geblieben. Doch glich ihre Ehe nur einem kurzen Traum. Die Geburt eines Knaben kostete ihr das Leben. Einige Jahr« warm seitdem hingegangen und auch in Altenstein hatte der Tod wieder sein Opfer gefordert. Em junges, blühendes Leben, Bernhards einziger Sohn, war seiner finsteren Gewalt an- heimgtfallen uud bald darauf schloß auch der alle Freiherr für immer die Augen. In Verzweiflung fast trat das verwaiste Elternpaar in seine neuen Rechte, die allen Wert für fie verloren hatten, seitdem zwei lachende Sterne erloschen waren. Was nützte ihnen letzt aller Reichtum, was Ehre und Namen. Wie eine Einöde, wie ein finsteres Chaos, lag das Leben nun vor ihnen, undurchdringlich, kalt. Ein Gefühl des Neides krampfte ihr Herz zusammen bei dem Anblick des munteren kleinen Kurt, der jetzt mit seinem Vater drüben in Neuen dorf hauste, und ließ fie ihren Verlust mit immer neuer Bitterkeit und Schärfe empfinden. Es war ihnen daher ganz nach Wunsch, daß Albrecht sich trotz der nahen Nachbarschaft ziemlich fern hielt, und seinen Verkehr mit ihnen auf ein Minimum beschränkte. Das Landleben schien übrigens seinen Neigungen ganz zu entsprechen und er wandte sein ganzes Interesse der neuen ungewohnte» Tätigkeit zu. Der Tod der Frau Albrechts, der es iur Leben gelungen war, sein Herz rascher schlage» zu machen, hatte keine so große Lücke hinter- lassen, wohl aber seine Baterzärtlichkeit erwacht und er Verzärtelle seinen Knaben, das Ver mächtnis ihrer Liebe, in einer Art uud Weise, daß man hätte glauben können, seine ganze Seele hinge noch an ihrem Andenken. Und doch trübte kein solcher'Gedanke seine. Ruhe; kein Schatten von jenseits des Grabe»' störte das Gleichgewicht seiner Tage. Er führte ein behagliches Leben, und bet alledem konnte nur eins befremden: das fast ängstliche Abschlüßen gegen allen Verkehr mit dem Hause des Bruders. Müßige Schwätzer steckten die Köpfe zusam men und tuschelten dies und tuschelten das, ohne jedoch das Richtige zu treffen.
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