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kommen erachtet halte, seine Attacke zu wagen, war ilun ein Offizier von der Lnftschifferabteilnng znvorgekommen. Und zum Unnlück Verlobte sich tags darauf auch eine begüterte Pastorentochter, die er als Ersatzpartie für sich sicher geglaubt batte. Das unbestimmte Gefühl hatte ihn beschlichen, als sei er durch irgend einen unkontrollierbaren Einfluß zurückge- drängt Morden. Und das hatte ihm das Berliner Pflaster Ver leidet. Als ihm daher durch einen älteren Verwandten der Hinweis auf die wahrscheinlich frei werdende Goslichsche Praxis gegeben worden war, hatte er sich nicht lange besonnen und war in das thüringische Nest übergesiedelt. lind nun begegnete ihm hier, noch ehe er die beabsichtigte Umschau unter den Töchtern des Landes gehalten hatte, jenes anmutige Geschöpf wieder, das in seiner schönen, trotzigen Lieblichkeit an dem sonnigen Maitage bei der Rousseau-Insel zuletzt einen ganz eigenartigen Reiz auf ihn ausgeübt hatte. Stüber hatte ihm hinterher sein Ehrenwort gegeben, daß sein Verhältnis zu Käthe Walberg über das Maß des Schicklichen nie hinausgegangen sei. Und diese Erklärung hatte ihn da mals ein wenig enttäuscht. Er hatte wirklich nicht übel Lust gehabt, zum Zeitvertreib ein bißchen mit dem „famosen Mä del" anzubändeln. Aber da sie nun gar nicht das leichte Tuch war, für das er sie vorher gehalten, hatte er sich aus Klugheit nicht mehr bemüht, ihr Mieder den Weg zu kreuzen, weil sie als Partie sür ihn sa nicht in Frage kommen konnte. Heute fedoch lag die Sache Meseutlich anders. Wenn Käthe Walberg außer ihrem für lange Zeit festgelegten väterlichen Vermögen vielleicht auch einen Teil des Mammons ihrer schwerreichen Tante erbte, so wurde sic zu einer wirklichen Nummer auf seiner neu anzulegenden Heiratsliste. Denn die Mitgift, die ihr die Natur gegeben, war ganz nach seinem Geschmack, je lebhafter seine Phantasie sich mit ihr beschäftigte. Es war daher seine erste Tätigkeit, als er in der Villa des Jnstizrats anlangte, daß er in den Geheimaktcn nach ir gend welchen Spuren eines Testaments der Frau Doktor Hallinger umherstöberte, deren zum „Jgelschlößchen" um getauften „Weltfrieden" er soeben verlassen hatte. Seine schon einmal aufgewärmten Speisen wurden darüber kalt: aber das kümmerte ihn wenig. Und als er schließlich gefun den, wonach er gesucht, spielte ein triumphierendes Lächeln um feine schmalen, auch in der Einsamkeit stets ein wenig verkniffenen Lippen, und der Filetbraten schmeckte ihm, trotz der talgig gewordenen Sauce ausgezeichnet. Eine Ruhepause gönnte er sich nachher nicht. Dafür machte er jedoch nach Erledigung der inzwischen ausgelaufenen Arbeiten sorgfältig Toilette. Er wußte, wie gerade die Ber linerinnen die Herrenwelt äußerst kritisch zu mustern pfleg ten und wie eine zur Rockfarbe falsch abgetönte Krawatte den gefährlichsten Einfluß auszuüben imstande war. Selbst das fatale Gelbe seiner Zähne, an dein schon manches Dentisten- mittcl ergebnislos verpulvert worden war, bearbeitete er ge wissenhaft noch mit einer ihm unlängst empfohlenem Tinktur, bis ihn das Zahnfleisch schmerzte. Gegen fünf Uhr endlich erschien er auf der Konzert-Pro- menade. Käthe Walberg, die am liebsten daheim geblieben wäre, 'aber bon Tante Claudine genötigt worden war, sie zu beglei ten, steckte das Näschen eifrig in ihre lateinische Grammatik und tat so, als ob die soeben aufklingenden Melodien der „Lustigen Witwe" ganz besonders geeignet seien, lateinische Shntax-Regeln memorieren zu helfe». „So vertieft, gnädiges Fränlein?" flüsterte er, nachdem er Fran Hallinger begrüßt und auf eine, freundliche Hand bewegung von ihr nähergetretcn war, um Platz zu nehmen. „Wohl recht interessante Lektüre?" Wohl oder übel mußte sie nun aufsehen und seinen Gruß erwidern. „Klara Viebig oder Gabriele Reuter?" bohrte er weiter. Er wußte zwar nicht allzu viel von den Erzählern der Gegen- wart; aber er verstand es, den Anschein großer Belesenheit zu erwecken. „Keines von beiden!" entgegnete Käthe abwehrend und senkte das blasse Gesicht wieder auf die Buchseiteu. „Meine Nichte beschäftigt sich wissenschaftlich!" tuschelte darMf Tänte Claudine wichtig. „Sie hat die Absicht, ihr Abilurium zu machen, damit sie studieren kann!" „Alle Wetter!" gab er verblüfft zurück. Dieses Mädchen wurde ihm immer interessanter, wenn er anch nicht gerade zu den flammenden Verehrern der Frauenrechtlerinnen gehörte. Zugleich aber sagte er sich, daß er sie gewinnen würde, wenn er ihr zunächst in allen Stücken beipflichte. Aus dieser klugen Erwägung fügte er seinem Ausruf alsbald hinzu: „Das ist ja ein höchst tapferer Entschluß und erfüllt mich mit ehrlichem Respekt, gnädiges Fräulein!" Käthe wurde ein wenig rot. Sie mochte den Menschen nicht ausstehen und fand nun doch, daß sein ihr gespendeter Beifall nicht ohne Eindruck auf sie blieb. Darüber ward sie mit sich selbst unzufrieden, während Tante Claudine an ihrer Statt das Gespräch fortführte, indem sie voll Stolz erläuterte: „Und zwar wird sie Ihnen einmal Konkurrenz machen, mein guter Herr Doktor. Denn sie will Jura studieren!" „Ausgezeichnet!" rief er halblaut. „Ich begrüße das mit Freuden. Es gibt eine ganze Reihe von Fällen, die eigentlich nur von einer rechtskundigen Frau mit dem richtigen Ver ständnis vertreten.werden können!" Es war das zwar ganz und gar nicht seine innere Ueber- zeugung. Im Gegenteil: er hatte den festen Glauben an die Unfehlbarkeit des Juristentums, wie es war, und hielt das Eindringen weiblicher Kräfte in die von ihm erwählte Lauf bahn für durchaus überflüssig. Aber er witterte, daß ihm diese Bemerkung bei der Tante hohe Gunst erwarb und bei der Nichte auf keinen Fall schaden konnte. „Das ist ein gescheites Wort, Herr Doktor, und mir ganz aus der Seele gesprochen!" ließ sich die Tante denn auch bei fällig vernehmen und sandte ihm einen wohlwollenden Blick zu, ehe sie den Zuckerbrocken in den Mund steckte, über den sie einen weiteren Schluck des Nachmittagskaffees herunterschlür fen wollte. Denn es gehörte zu ihren Genußsteigerungeu, den Kaffeezucker aus der Zunge zergehen zu lassen. „Womit beschäftigen Sie sich denn augenblicklich, Fräu lein Walberg?" erkundigte sich Sartorius voll Anteil. „Mit Latein!" bemerkte Käthe wortkarg, ohne aufzu- schauen. „Und werden Sie damit ohne jede Anleitung fertig?" „Ich denke!" „Sonst würde ich mit Vergnügen zur Verfügung stehen! Auch iu Mathematik, die immer mein Lieblingsfach gewesen. Wenn Sie jemals eine Auskunft oder eine Erläuterung brauchen: ich könnte es mir nur zur Ehre schätzen . . ." „Es geht an der Hand meiner Lehrbücher ganz gut so!" behauptete Käthe und zog die Unterlippe ärgerlich ein über soviel Ausdringlichkeit. „Und dabei hast Du gestern gestöhnt wie eine alte Wetter fahne im Herbstwind, als Du Dir aus der Geschichte mit den dummen Vierecken nicht den richtigen Vers machen konntest!" verriet Frau Hallinger kopfschüttelnd. „Warum willst Du eine so liebenswürdig angebotene Hilfe nicht annehmen?" „Gestern war ich von der Reise abgespannt!" entgegnete Käthe ungeduldig. Und dann klappte sie plötzlich ihr Buch zu und seufzte: „Es ist bei der Musik unmöglich, einen Satz lo gisch aufzufassen!" Das Orchester spielte gerade: „Ja, das Studium der Weiber ist schwer," was den Assessor veranlaßte, die in diesem Moment höchst amüsant wirkende Zeile mitzusummen. Das konnte sich seine starke ironische Ader denn doch nicht versagen. Käthe aber schnellte von ihrem Stuhle hoch und rief, flüchtig Umschau haltend: „Wo ist Fritzi denn geblieben, Tante? Daß der Schlingel nie auf seinem Platz sitzen bleiben kann!" „Er wird schon nicht verloren gehen!" wollte Frau Hal linger sie beruhigen. Ihr war es jedoch darum zu tun, vom Tische fortzukommen, und so verschanzte sie sich hastig hinter ihrer Verantwortlichkeit den Eltern gegenüber und wanderte spähend die breite Hauptallee des Kurgartens hinunter. Aber schon war auch Sartorius an ihrer Seite, der sich schnell von der alten Dame die Erlaubnis erbeten hatte, den Ausreißer wieder einfangen zu helfen. Mit einem befriedigten Lächeln schaute sie dem offenbar für ihre Nichte schwärmenden jungen Doktor nach, der ihrer Meinung nach keine schlechte Partie für Käthe war. Jura konnte sie bei ihm dann ja privatim stu dieren, wenn sie den Gedanken durchaus sesthalten wollte. Außerdem war Jena und Halle ja ganz in der Nähe . . . „Sind Sie mir böse, daß ich Ihnen suchen helfen will?" begann er lächelnd und schritt neben ihr her, als habe sie ihn huldvoll dazu aufgefordert. „Weshalb soll ich darüber böse seiu?" fragte sie in kühler Höflichkeit zurück, während ihre Blicke unsicher über das sie neugierig anstarrende Sommerpublikum schweiften. „Aber ich glaube, wenn Sie mir wirklich helfen wollen, tun wir am besten, uns den Park zn teilen." (Fortsetzung solgt.- 44»