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Um blück unä Leben. Roman von Martin Bauer. (t. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) In den nächsten Tagen, morgen, über morgen, wenn es Dir paßt, fahren wir zu sammen hinaus nach Bogerau. Onkel hatte immer eine Vorliebe für Dich, er wird sich freuen, Dich wiederzusehen, und Du mußt doch die Bekanntschaft meiner kleinen Gabriele machen. Indessen gestatte^ daß ich sie Dir hiermit im Bilde vorstelles" Damit griff er nach einem Kabinettbilde, das in einem prunk vollen Stehramen ziemlich ostentativ auf der Schreibtischplatte prangte, und reichte es dem Freunde hinüber. „Sie ist keine Schönheit, meine Kleine, wie Du siehst, aber sie hat ein liebes freundliches Gesicht und viel anschmie- gcnde Grazie in ihrem Wesen. Die Götter haben es gut mit ihr gemeint, sie wird eine anmutige Haussrau werden, es wird sich gut mit ihr leben lassen." Die Worte gingen kaum zur Hälfte ver standen an Ernst Brenkendorffs Ohren vorüber, so sehr war er in das Betrachten des Bildes verliest. Es war kein schönes Gesicht, o nein, weit entfernt davon, selbst die Photographie ließ gewisse kleine Unregelmäßigkeiten erkennen. Die Stirn war zu hoch, die Nase zu kurz, der Mund war nicht klein genug, aber welch ein liebreizendes Lächeln umspielte diesen Mund, wie sanft und klug zugleich blickten die großen mandelförmigen Äugen. Es war fast cnr Seufzer des Bedauerns, mit dem er das Bild wieder in die ausgestreckte Hand seines Freundes zurückgleiten ließ, und als er die hübschen, lebhaften braunen Augen seines Ur teils gewärtig auf sich ruhen fühlte, zwang er sich nur widerwillig zu etlichen anerkennen den Worten. „Ja wirklich, ein liebes, kleines Ding," sagte Egon, dem Bilde seinen früheren Platz gebend, „und cs ist beinahe unbegreiflich, daß ich nicht von selbst auf den genialen Gedanken kam, mich um Gabrieles Hand zu bewerben, das; Onkel Adolf mich erst sozusagen darauf stoßen mußte. Uebrigens hat meine Kleine glücklicherweise hübsche Hände, nicht puppen haft klein, aber hübsch und wohlgebildet. Du wirst Dich erinnern, daß ich gerade auf die Schönheit der Hände bei Frauen besonderen Wert lege." Ob er sich erinnerte. Waren es nicht die Hände gewesen, die Hände vor allem, die Egon vor Jahren in eine köpf- und sinnlose Leidenschaft für eine um mehrere Jahre ältere Frail Hineingetrieben hatten? Mit der Begei sterung für die Hände, die wunderschönen, schneeweißen Hände, hatte es angefangen, mit einem Selbstmordversuch hatte es geendet, da die schöne, heißbegehrte Frau den glühenden Licbesbeteuerungen ihres jugendlichen Anbeters nichts wie lächelnden Spott entgegensetzte. Wie lange mochte das jetzt her sein? Ernst begann in Gedanken nachzurechnen. Nun, acht Jahre mochten sicher seither vergangen sein. Sie waren damals beide noch Studenten im letzten oder vorletzten Semester, und beide zu Ferien daheim, Ego. bei Onkel Adolf draußen auf dem Gut, er selbst dem Namen nach bei seiner Mutter in der engen Stadt wohnung, in Wahrheit aber fast den ganzen Tag Egons unzertrennlicher Gefährte, vom Morgen bis zum Abend Gast in Bogerau. Jetzt war Egon Rechtsanwalt, er selbst war Amtsrichter, und nachdem er vier Jahre in dem kleinen schmutzigen Landstädtchen ge schmachtet hatte, war sein Behagen um so größer, sich wieder in der Heimatsstadt zu wissen. Herrgott ja, wie die Zeit verging. Er war wahrhaftig schon zweiunddreißig Jahre - 2W x- alt, Egon war um zwei Jahre jünger, hatte ihn aber als' der Begabtere mit spielender Leichtigkeit zu ihrer Gymnasialzeit eingeholt. Ernst hatte sich höllisch zusammennehmen müssen, um wenigstens weiterhin mit dem jüngeren Freunde Schritt zu halten. Er lernte schwer und mußte oft stundenlang über einer Auf gabe brüten, die Egon im Fluge löste. — Seine Gedanken wanderten zu der Frau mit den schönen Händen und der ganzen bangen Zeit, die er mit dem Freunde durchlebt und durchlitten hatte. Ehe er sich's recht bewußt geworden, hatte er schon eine Frage gestellt: „Was mag aus jener Frau geworden sein?" Er hielt inne und biß sich auf die Lippe, jedoch zu spät, Egon hatte ihn verstanden, vermutlich, weil seine Gedanken ebenfalls einen Spaziergang in die Vergangenheit gemacht hatten. Aber er ward durchaus nicht verlegen, ja, es belustigte ihn sichtlich, daß der Freund sich ob seiner unzarten Frage innerlich Vor würfe zu machen schien. „Was aus Frau Stephanie Rahden ge worden ist, willst Du wissen? Nun, sie wird wohl reichlich zugenommen haben an Alter, Weisheit und Gnade vor Gott und den Men schen. Sie muß die Mitte der Dreißig er reicht haben, das ist für eine schöne Frau schon ein bedenkliches Alter." Ernst lächelte, da er sah, mit welcher Ueberlegenheit, welcher absoluten Gleichgiltig keit der Dame von Egon Erwähnung getan wurde. Die Zeit tut eben immer wieder Wunder, man durfte das nie vergessen. Er stellte auch jetzt beruhigt eine Frage: „Bist Du nie wieder mit der Dame in Berührung gekommen?" „Nein, merkwürdigerweise nie, obgleich es doch der Zufall hier wahrlich bequem genug gehabt hätte. Als ich nach — hm — nach jenem Knalleffekt dem Leben wieder zurück- gegeben war, war auch die Lust am Leben wieder da. Ich begriff nicht, daß ich es hatte so leichtsinnig von mir werfen wollen. Man lebt nur einmal und ich war noch so jung, hatte alles noch vor mir, und es gab so un zählige hübsche Frauen und Mädchen, ein Narr, der aus dem Häuschen gerät, weil eine ihn und seine himmelstürmenden Gefühle aus lacht. Ich kam zu meinem Bedauern aber noch nie dazu, der Dame unsere veränderten Beziehungen zu einander klar zu machen. Sie lebt viel auf Reisen, und bei ihrer gelegent lichen Anwesenheit in der Heimat kreuzten sich unsere Wege nie. Ob das der Zufall so fügte, ob Onkel ein wenig die Hand dabei im Spiele hatte, habe ich nie untersucht. Ist ja auch ain Enve tonte meme cbose. Wa? ist mir Hekuba, was geht mich Frau Rahden an? Die Vergangenheit ist tot, es lebe die Gegenwart!" Er schickte bei den Worten einen lächeln den, grüßenden Blick zu dem Bilde seiner Braut hinüber, und /Ernst kam sich recht pe dantisch und philisttrhast vor, weil bei ihm der Gedanke an die Vergangenheit nicht so rasch schwinden wollte, als bei dem leicht lebigen Freunde. Zweites Kapitel. Das Bogerauer Wohnhaus hatte wenig Imponierendes an sich. Es war ein niedriges, langgestrecktes, schindelgedecktes Gebäude mit schmalen Türen, kleinen Fenstern und über hängendem Dach. Nur durch ein schmales Vorgärtchen von dem Lärm und Getriebe des Wirtschaftshofes getrennt, schloß sich an seine Rückseite ein weitläusiger Garten, mit schönen alten Bäumen, wenig gepflegten Rasenplätzen, altmodischen Blumen und einer ganzen Reihe wohlabgezirkelter Gemüsebeete, auf denen aller lei wuchs und gedieh, das mehr nützlich als schön war, und die im Gegensatz zu den etwas vernachlässigten Rasenflächen sorgsam gepflegt und behütet wurden. Das war nun einmal so die Art des alten Herrn, der eben, auf einen handfesten Stock gestützt, langsamen Schrittes zwischen den Gemüsebeeten lustwandelte und dabei mit sch'r fen Augen spähte, ob nicht wieder wie im Vorjahre Raupenplage zu befürchten stände. Alles, was praktischen Nutzen hatte, ma teriellen Vorteil, sei er uocb w geringfügig, verhieß, wurde in Bogerau mit nimmermüder Sorgfalt gepflegt, andere Dinge, die blos der Annehmlichkeit, dem Behagen dienten, wurden gröblich vernachlässigt. Das war mitunter ein heimlicher Kummer für Gabriele Evers, den sie sich jedoch hütete, je in Worte zu kleiden. Sie war dem alten Herrn so unendlich vielen Dank schuldig, der als echter Helfer in der Not erschienen war, gerade da sie einsehen gelernt hatte, wie schwer es für ein schwaches Mädchen sei, den harten Kampf mit dem Leben allein zu bestehen. Mit dem Tode ihres Papas — Mama war schon viel früher gestorben, da Gabriele noch ein kleines Schulmädchen gewesen — waren auch ihre materiellen Hilfsquellen ver siegt, und Gabriele Evers hatte mittellos da gestanden, ohne besondere Fähigkeiten oder Vorkenntnisse ausgerüstet, die ihr den dornen vollen Weg durch das Leben erleichtern konnten. Papa war so plötzlich gestorben, ein Mann in den besten Jahren noch nicht fünfzig Jahre alt, hatte ihn ein Gehirnichlag dahingerafft, ohne vorangegangene Krankheit, ohne ein war nendes Vorzeichen. Er war früh vollkommen gefund zur gewohnten Stunde nach seinem Kontor gegangen, Herr Evcrs war B h'^'icr in einem großen Zigarrcnaeschäft, und seine Tochter hatte ihn wenige Stunden später nur noch als Leiche wiedergesehen. Gabriele hatte nie daran gedacht, ihrem lieben verstorbenen Papa einen Vorwurf dar aus zu machen, daß er für die Zu'unst sciues Kindes nicht gesorgt habe, aber es war doch sehr bitter für sie, die bisher von zärtlicher Liebe umsorgt und behütet gewesen, die nichts anderes verstand, als den Haushalt des Papas zu führen mit bescheidenen, aber auskömm lichen Mitteln, schon an den Broterwerb den ken zu müssen, lange lange bevor die Schmer zenstränen um den teuren Entschlafenen ausge hört hatten zu fließen. „Arbeit macht das Leben süß," das ist so einer von den häufig mißbrauchten Gemein plätzen, Gabriele vermochte keine Süßigkeit in der notgedrungenen Arbeit zu entdecken. Da bei war es nicht einmal leicht, eine Arbeit zu finden, der sie gewachsen war und dieleid lich bezahlt wurde. Anfangs hatte sie daran gedacht, eine Stellung zu finden, als Gesellschafterin. Stütze der Hausfrau, allenfalls auch als Bonne zu kleinen Kindern.. Wieviel vergebliche Wege hatte sie gemacht, wieviel Hoffnungen waren in ihr gekeimt, die sich als ebensoviele Ent täuschungen erwiesen. Um jede angebotene Stelle waren im Handumdrehen Dutzende von Bewerberinnen da, Mädchen mit Empfehlungen, mit guten Zeugnissen aus früheren Stellungen. Gabriele hatte weder Empfehlungen noch ZeugnO'c anf- zuweisen, sie hatte noch nie unter Irrenden Menschen ihre Kräfte erprobt, ihre Leistungs fähigkeit erwiesen, kein Wunder, daß niemand Neigung zeigte, ihre angebotcnen Dienste "an zunehmen. Als Verkäuferin in ein Geschäftslokal cin- zutreten, wie ihr die Stellenvermittler geraten hatten, konnte sich Gabriele nicht entsF s en. Sie konnte selbst nicht sagen, ob es Scheu oder Stolz war, was sie davon zur -.eit, und seit sie die Ueberzcugüng gewonnen hatte.