Volltext Seite (XML)
heraus, das, gepaart mit Widerwillen, in ihm aufgärte, sagte er ziemlich schroff und unvermittelt: „Ich will Dir nur mit teilen, Lori, daß ich Deinen Verkehr mit den Frauenzimmern, der Wegener, der Pepi und der Sängerin jetzt unter keinen Umständen mehr dulde; ich bin Herr im Hause, und ich ver biete es Dir." Lori warf trotzig den Kopf zurück und schwieg. „Hast Du gehört, was ich Dir jetzt eben gesagt habe?" wiederholte Nauen streng, sie mit einem zornigen Blick streifend. „Gehört? Ja, das hab' ich; ob ich's aber tun werde, steht auf einem anderen Blatt." Bei diesen Worten sprang sie auf, schob den Stuhl heftig mit dem Fuße zurück, sodaß er hintenüber fiel, und ging, ein derbes Scheltwort halblaut ausstoßend, hinaus. Rauen knirschte' in ohnmächtiger Wut mit den Zähnen, er erschrak fast vor dem Gefühl, welches sich mit einemmale wieder in ihm regte. War es denn möglich, war er denn dahingelangt, Lori zu hassen? War denn dieses Weib nur dazu da, alle schlechten, unedlen Gefühle in ihm wachzurufen? War denn nichts in ihrem Wesen, in ihrem Charakter, das versöhnend, entschuldigend hätte wirken können? Lebte in dieser Seele nirgend ein noch so kleines Fünkchen des göttlichen Geistes? Und traf wirklich alle Schuld nur Lori allein? Sie war aus ärmlichen Verhältnissen hervorgegangen, ohne veredelnde Erziehung aufgewachsen und dann, um ihren Lebensunterhalt zu erwerben, jung und unerfahren nach Ber lin gekommen. Genußsüchtig, mit einem Hang zum Nichtstun, gepaart mit einem gewissen Unabhängigkeitsgefühl, ohne jeden inne ren sittlichen Halt, wie sie war, konnte es nicht Wunder neh men, daß sie sehr bald ohne Bedenken den Weg einschlug, aus dem sie so viele wandern sah, und wer war denn diesem Weibe jemals achtungsvoll begegnet? Wer hatte jemals in ihr et was anderes gesucht, als die lustige Gesellschafterin einer beim Bier oder Wein vergeudeten Stunde? Und er selbst? Hatte er ein Recht, zu verdammen und zu richten? Konnte er zu seiner Entschuldigung vielleicht nicht noch weniger anführen als jene? War er nicht ein Mann, ein hochgebildeter Mann? Hatte er nicht eine edle Mutter, einen braven Vater gehabt, die alles Gute schon in der Seele des Knaben Wachgernfen, die ihn gelehrt hatten, daß es eine heilige Pflicht jedes Men schen wäre, seine Leidenschaften zu zügeln und über alles hoch zuhalten die Ehre und Treue? Und was hatte er getan? In blinder Tollheit hatte er ein niedrig stehendes, seelisch rohes Weib an sich gekettet — hatte er wirklich gemeint, ein wahres, reines Glück an ihrer Seite zu finden?" Wie diese Gedanken ihn marterten, wie- sie doch immer und immer wieder kamen — o, hätte er ihnen, hätte er nur sich selbst entfliehen, hätte er wenigstens arbeiten können, aber vorbei alles — vorbei —! „Bergab," sagte er leise und müde, „bergab!" Sollte er es noch einmal versuchen, in Güte und Freund lichkeit auf Lori einzuwirken? Vielleicht, daß das Leben doch erträglicher, nur etwas erträglicher würde! Schwerfällig erhob er sich und ging schleppenden Schrittes in das Nebenzimmer; Lori stand vor ihrem Kleiderschrank, ihr Kopf war leicht nach hinten gebogen, in ihren Händen hielt sie — mit einem Schritt war er an ihrer Seite — aber nicht rasch genug, daß sie den Gegenstand nicht noch hätte ver bergen können. Ein feiner Alkoholgeruch rief eine schreckliche Ahnung in Egon wach. Er schob Lori zur L-eite, riß die Schranktür auf, griff zwischen die darin hängenden Kleider und hielt den so angstvoll geborgenen Gegenstand in der Hand — eine Kognakflasche! — Auch das noch, auch das Furchtbarste noch! Ekel und Ab scheu packten ihn, Egon wurde bleich bis in die Lippen, seine Augen schossen Blitze auf Lori, die jetzt, mit glühenden Wangen und wogendem Busen vor ihm stehend, sich an den Schrank lehnte — ein häßliches, verlegenes, gezwungenes Lachen ver zerrte ihr Antlitz. Egon, seiner nicht mehr mächtig, schleuderte ihr die Flasche vor die Füße, daß sie klirrend in tausend Scher ben zersprang und die Flüssigkeit über Loris Kleid und den Teppich rieselte. Mit einem lauten Schrei wich die Frau zurück. „Pfui! Und noch einmal pfui!" Das war alles, was Egon von Rauen sagte, dann wandte er ihr den Rücken und ging hinaus. Als Lori allein war, als sie nicht mehr unter dem Bann persönlicher Furcht stand, brach bei ihr das ganze wilde Na turell durch. Sie schüttelte die Flüssigkeit von ihrem Kleide, trat die Flasche vollends mit den Füßen entzwei, drohte mit der Faust gegen die Tür, durch die Egon verschwunden wat, und machte, wie sie das stets tat, ihrer Wut in abstoßenden Reden Luft, unbekümmert darum, daß Köchin und Di?ner, die in der Küche beschäftigt wallen, jedes Wort hörten. Nachdem Egon fein Zimmer betreten hatte, verriegelte er die Türen und warf sich erschöpft auf das Sofa. Hier lag er regungslos, auch als Lori, heftig am Schloß rüttelnd, Ein laß begehrte. Endlich schien sie von der Erfolglosigkeit ihres Unternehmens überzeugt, vielleicht glaubte sie ihn ausgegan gen, genug, er hörte sie endlich den Korridor entlang gehen .nnd die Tür, wie das ihre Art war, wenn sie Zank mit ihn: gehabt hatte, ins Schloß werfen, daß die Sachen in seinem Zimmer erbebten. Den einsamen Mann überkam es im ersten Augenblick wie tiefe, erlösende Ruhe; aber mit der Ruhe wuchs auch die Erkenntnis seines Unglücks, und er war noch zu schwach, um ihm gefaßt ins Auge zu sehen. Wenn er sich sagte, daß er ein Leben wie bisher weiter führen müßte, bis — ja, bis wann? ein Leben mit diesem verlorenen Weibe, dann begannen die Wogen der Verzweiflung sich wieder zu regen in seiner Brust, sein heißes Blut wallte wieder empor und stieg ihm siedend ins Hirn. „Frei, o, nur frei sein, um jeden Preis!" schrie es jetzt in ihm. Er sprang auf und eilte leise und hastig zur Tür, öffnete sie und horchte in den Korridor hinaus. Alles still! Er nickte befriedigt und kehrte ins Zimmer zurück, sein Blick hatte et was Starres, sein Atem entfloh leise keuchend der Brust. Vor einem Schränkchen mit Waffen machte er halt und entnahm demselben ein kleines, schwarzes Lederkästchen. Ein leichter Druck, und der Deckel sprang auf. Da lag sie auf tiefblauem Sammet gebettet, die kleine Waffe, ein Revolver. Mit grau siger Ruhe prüfte Rauen und lud, ein, zwei Kugeln auf alle Fälle! Er legt ihn auf den Schreibtisch. Nun schloß er das oberste Fach desselben auf. In einer Hülle von Seidenpapier — ein paar welke Blumen, ein Bild — Hede von Hilgendorfs. Er küßte es. Nur nicht weich werden — nein, jetzt nicht! Es war ja bald überstanden, Rauen trat an den Kamin, in dem noch einige Kohlen fortglimmten; er legte Bild und Blumen auf dieselben, und bald leckten die Flämmchen an den diirren, trockenen Blättern gierig empor. Nun war das Bild einen Augenblick noch zu erkennen, dann waren die lieben, holden Züge vernichtet, die letzte sichtbare Erinnerung an ein schönes, reines Glück dahin. Es war Zeit. Egon sah auf die Uhr; ein leiser Schauder ergriff ihn, aber gleichviel, mochte es schwer sein, zu sterben, schwerer war es, weiter zu leben so ohne jeden Halt zur Seite — ja, wenn Sperreuter —! —, aber er hatte niemand, sie hatten ihn alle verlassen, seit er sich selbst verloren! Mit einem raschen Entschluß trat er an seinen Schreibtisch; warum doch die Hand so bebte, die jetzt die tödliche Waffe hielt? Er biß die Zähne zusammen und stampfte mit dem Fuß, noch ein mal flammte der alte, kecke Trotz früherer Tage in ihm auf. „Mut, Egon — Mut zum Tode!" — Der Diener kam eben von einer Besorgung zurück und traf mit dem großen Herrn, der vor ihm schwerfällig die Trep pen Hinaufstieg, gleichzeitig vor der Tür ein, die zur Rauen- scheu Wohnung führte. Als er, den Schlüssel aus der Tasche ziehend, herantrat, wandte sich der Fremde mit der Frage an ihn, ob Herr von Rauen Wohl zu Hause sei. „Ich denke ja — hier in seinem Zimmer. Wen darf ich melden?" Er öffnete die Tür und ließ den Fremden in den Korri dor treten. „Melden ist nicht nötig — ich möchte den Herrn über raschen. Hier diese Tür?" „Jawohl." Die ganze Art und Weise des Auftretens ließ keinen Widerspruch aufkommen, der Diener zog sich zurück, und der andere öffnete mit seinem kurzen Anklopfen fast zugleich die ihm bezeichnete Tür. Der Mann vor dem Schreibtisch zuckte jählings zusam men, Totenblässe verfärbte sein Antlitz, angstvoll, entsetzt rich teten sich seine Augen auf den Eintretenden, und dann mit der Entschlossenheit der Verzweiflung hob er die Waffe gegen seine Stirn. Ein Knall, Pulverdampf — Sperreuter war an seiner Seite; der sonst so sichere Schütze hatte gefehlt, die Kugel war hinter ihm in den Spiegelrahmen geschlagen, er selbst stand unversehrt, der Revolver entfiel seiner Hand. (Fortsetzung folgt.)