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und hol' einen Topf voll." — „Laß doch den Franz liehen - ich mag nicht," brummte der Junge. „Geh' — Du," wandte er sich an den Bruder, ihm einen Stoß mit dem Ellenbogen gebend. — „Nee, ich will auch nich — bin ich Dein Schicke tanz? — Großmutter hat es Dir gesagt, nich mir — Du Affe," beharrte der Kleine. „Ach, mein Gott, gebt mir Wintersport am Niagarafall. doch Wasser," wimmerte der Kranke; das Weib hinter dem Ofen richtete sich mit widerwilligem Murmeln auf und hum pelte an einem Stock 8er Tür zu; als sie an den Knaben vor beikam, schlug sie mit der Faust nach ihnen. „Lümmel Ihr," sagte sie, nahm einen der zerbrochenen Krüge vom Tisch und schlurfte hinaus. Die Jungen schnitten eine Grimasse hinter ihr her und fuhren dann fort, ihre Brot rinden zu benagen. Der Mann auf dem Bett seufzte tief und schmerzlich, ein Ausdruck von Wehmut breitete sich über seine Züge, er faltete die Hände über die eingesunkene Brust, seine Augen folgten dem Strahl der untergehenden Sonne, der über den Tisch hin und her glitt, und durch seine Seele zogen schöne und trübe Erinnerungen. Als er, ein junger, rühriger Mann, draußen im Walde als Holzschläger arbeitete, als sein Weib noch lebte, den Haushalt in Ordnung hielt, und seine älteste Tochter, die Dorothee, ihr dabei so flink und geschickt zur Hand ging, sie waren alle gesund, alle fleißig, und was er mit feiner Frau, seinem Mädchen und den vier Buben zum Lebensunterhalt brauchte, war da. — Das waren die freundlichen Erinnerungen. Die Alte kehrte mit dem Wasser zurück; er trank in heftigen Zügen, als sie ihm den irdenen Topf an die fie berheißen Lippen hielt, den sie dann auf den Bettschemel stellte und zu.ihrem Platz hinter dem Ofen zurückschlurfte; ohne ein Wort der Teilnahme oder nnr eine Frage an den Mann zu richten, drückte sie sich in den alten Binsen- Lehnstuhl, zog das Wolltuch fester zusammeu und stierte stumpfsinnig vor sich hin, — die Jungen schnitzelten jetzt mit abgebrochenen Messern an der Ofenbank herum, und der Kranke nahm seinen Gedankcngang wieder auf. Da starb sein Weib, und von der Zeit an ging's bergab. Im nächsten Winter fiel ihm beim Verladen der ge fällten Bäume das Ende eines abgleitenden, schweren Stammes auf die Brust — wochenlang lag er krank und blieb siech für sein weiteres Leben — zwei Buben starben an der Diphterie, der Ausgaben waren viele, sein Verdienst gering. Die Dorothee war zwar mittler weile ein erwachsenes Pfädchen geworden, schön und frisch Ivie eine Rosenknospe, aber leichtlebig und lebenslustig. Die Armut der väterlichen Hütte, die schwere Arbeit, der geringe Verdienst verdrossen sie. Ihre Jugend gespielin, des Schulmeisters Friederike, war in Berlin Schnei derin; sie beredete Dorothee, ihr dahin zu folgen, sie könne zunächst bei ihr wohnen, bis sich eine passende Stelle fände, und — sie ging. Ueber die abgezehrten Wangen des Mannes rollte eine Träne — sie ging und ließ ihn gebrochen und hilf los mit den kleinen Brüdern zurück, kein anderes weibliches Wesen zu seiner Unterstützung als die alte, schon halb gestörte Großmutter. Das war vor einem Jahre, und seitdem war sie nicht wieder dagewesen; sie hatte Wohl ab und zu mal eine Kleinigkeit geschickt und dabei einen flüchtigen Brief geschrie ben, daß es ihr gut gehe, aber sonst hörte man nichts von ihr. Der arme Holzschläger wußte es Wohl, seinem Vaterherzen war sie verloren, und während sie sich drau ßen in der Welt vielleicht ein ganz schönes Stück Geld verdiente — und lustig lebte — derweil ging er mit den armen Buben in seinem Elend zugrunde. Allmählich sanken ihm die Lider über die brennenden Augen, ein sanfter Schlummer entriß ihn der traurigen Wirklichkeit, die Alte hinter dem Ofen schnarchte halblaut — Dämmerschein erfüllte den trostlosen Raum. Die Jungen fürchteten sich in dem Zwie licht. Draußen von der Dorfstraße her tönte das Lachen und Schreien anderer Kinder zu ihnen herein — auch ein Schlit tengeläut; sie sprangen auf und schlichen hinaus. Frische, kalte Winterluft schlug ihnen entgegen; einen Moment standen sie frö stelnd still und sahen dem Bauernschlitten nach, der vorbeifuhr, dann aber liefen sie, die Hände in den Hosentaschen, auf ihren klappernden Holzpantoffeln die Dorfstraße entlang, nach dem „Mergelberg" hinauf, wo sie, mit den anderen Buben und Mäd chen um die Wette, sich mit Schneeballen und „Glitschen" auf der blanken Schlitter bahn nach Herzenslust vergnügten. 2. Durch die Straßen Berlins flutete das Lebeu der Groß stadt; die im Strahl der Gasflammen erglänzenden Schau-- fenster der Friedrichstraße wurden von Schaulustigen um drängt, Privat-Equipagen und Droschken erster Klasse rollten den verschiedenen Theatern zu, dazwischen trottete in schwer mütigen! Trab der Fiaker „zweiter Güte". Ueberall ein un ruhiges Hasten hin und her, ein buntes Durcheinander von allerlei Menschenkindern; hier streift das Kleid der reichen Dame aus dem vornehmen Westen, die dem Gatten vor einem Juwelierladen ihre kostbaren Weihnachtswünsche ins Ohr flüstert, das zerlumpte Gewand der halbblinden Alten, die mit zitternder Hand ihre Schwefclhölzer feilbietet, — Offi ziere, die Mäntel um die Schultern gehängt, chassiereu mit ruhiger Sicherheit durch den sie umflutenden Menschenschwarm, und junge Flaneurs, das Monocle im Auge, den Spazierstock senkrecht im Arm, in hackenlosen, spitzschnabeligen Schuhen, mustern blasiert die wirklichen Damen und die, die es gern sein möchten. — An der Ecke der Passage, nach der halbdunklen Die Sintflut in Paris: Das Seiuehochwasser verursachte in Ivry den Brand einer Fabrik chemischer Produkte. In den überschwemmten Fabrikräumen befanden sich größere Massen von Säurestoffen, die durch ihre Verbindung mit dem Wasser Gase erzeugten und so zu einer Explosion führten.