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starre rauchte. Wieder das Glockenzeichen — wieder stand er auf, wieder öffnete sich die Tsir, und Frau Winkler reichte ihm drei Pakete herein, eins enthielt den Napfkuchen, das zweite — das Format verriet es schon — es war das Jahr der Taschentücher — es kam aus Stralsund, und dann eine kleine, flache Kiste, ein Blick auf die Paketadresse verriet die Absen derin: Frau von Hilgendorff. Sie hatte seiner gedacht! Und in der Freude darüber ließ er sich soweit von seinem Ungestüm Hinreißen, daß er, sein Frühstücksmesserchen als Stemmeisen benutzend, den Deckel sofort heben wollte, bis mit einem plötz lichen Knack die Klinge zerbrach und er nun höchst verblüfft auf die in seiner Hand zurückgebliebene Schale schaute. In diesem Moment trat Frau Winkler mit allen zum Oeffnen einer Kiste notwendigen Gegenständen ins Zimmer. Ihren hausfraulichen Blicken konnte natürlich das kleine Malheur nicht verborgen bleiben, und in gutmütigem Erstaunen rief sie: „I Du meine Jüte, Herr Sperreuter, jleich mits Messer jehn Se heute los? Ick komme ja schon — na, nu hilft det »ich. — Wo kann ick mir denn aber ooch denken, — sonst hätte ick Ihnen zujerufen, ick bringe allcns." „Ja, liebe Frau Winkler" — der Riese wurde ordentlich verlegen — „ich weiß auch nicht recht; ich kaufe Ihnen aber ein neues " „Deswejen is es nich, Du lieber Jott, an det kleene Messer liejt nischt, ick wundre mir man. Na, nu man hier mit los- jewirtschaftet, det wird besser jehen." Sie legte Stemmeisen, Hammer und Zange vor Sper reuter hin und fing an, das Kaffeegeschirr zusammenzuräumen. Zu gern hätte sie doch gleich noch einen Blick in die Kiste ge tan; aber Sperreuter bastelte so lange daran herum, daß sie als „jebildete Frau" nicht länger im Zimmer bleiben konnte, ohne aufdringlich zu erscheinen. Er war allein! Wie ihm das Herz klopfte, bei jedem Nagel, den er herauszog, stärker, endlich der letzte, und er hob den Deckel ab. Hüllen von Seidenpapier flogen zur Erde, und dann kam in kostbarem Rahmen, nach seinem Gemälde, eine große Photographie Hedes zum Vorschein. Sperreuters Blicke ruhten lange darauf, ehe er das Bild herausmahm, dann stellte er es auf den Tisch, rückte sich einen Stuhl heran und saß im Schauen verloren davor. Wie oft hatte er sich in den Anblick dieser Züge versenkt, und immer wieder übten sie einen neuen Zauber auf ihn aus. Ein herzlicher Gratulationsbrief Hedes war beigefügt, in welchen: sie ihm mitteilte, daß Baron Jobst leidend sei und sie deshalb ihn, Konrad, nicht bitten könne, den heutigen Tag init ihnen zu verleben! Aber morgen möchte er kommen zu Mittag um zwei Uhr. — Zum erstenmal in seinem Leben be dauerte Sperreuter, daß ihm eine Einladung entgangen war; er fürchtete sich vor deni einsamen Tag, der so viele Reminis zenzen an vergangene wachrief, bei denen Egon im Vorder gründe gestanden hatte, und merkwürdig, so bitter er dem Freunde zürnte, es wurde ihm doch weich ums Herz, gerade heute, wenn er seiner gedachte — er fehlte ihm jetzt, fehlte ihm sehr. Ein leises Klopfen schreckte ihn aus seinen Träumereien; er erhob sich und rief kräftig: „Herein!", und als sich die Tür öffnete, stand derjenige, mit dem sich soeben seine Gedanken beschäftigt hatten, auf der Schwelle: Egon von Rauen. Aber wie war er verändert! Das schöne, einst blühende Antlitz war bleich und schmal geworden, und die lebensfrohen Augen hatten einen matten Blick, nur in der Haltung und in der tadellosen Eleganz seines Anzuges war er derselbe. „Egon!" Weiter konnte Sperreuter nichts sagen. Der Angeredete trat näher und streckte ihm die Hand entgegen. „Ich konnte den Tag nicht vorübergehen lassen, ohne Dich zu sehen, Konrad," sagte er, und man hörte die innere Be wegung durch seine Worte klingen. ' „Meinen schriftlichen Glückwunsch hättest Du mir am Ende wieder zugeschickt, mich selbst wirst Du ja Wohl nicht hinaus werfen." Sperreuter fand nicht gleich ein Wort der Entgegnung; die widerstreitendsten Gefühle bewegten ihn, und fast mecha nisch legte er seine Rechte in die Egons. „Möchte es ein gutes, ein glückliches Jahr für Dich wer den, Konrad," sagte dieser weich, und mit der ganzen bestricken den Liebenswürdigkeit, die ihm eigen war, ergriff er auch !Lperreuters andere Hand, hielt sie mit warmem Druck fest und sah ihm ins Auge, und der Niese fühlte, daß es ihm bitter schwer wurde, noch eine gewisse Reserve festzuhalten; er war kein scharfer Menschenkenner, aber er sah's wohl, daß der Manager jetzt mir ihm stand, ein anderer geworden, als der er einst^tewesen, Daß das Leben ihn in ernste Zucht genommen und daß die Sonne des Glücks auf das „Sonntagskind" schon seit lange keinen Strahl mehr herabgesendet haben mußte. Fester und fester schlossen sich die vier Hände ineinander, aber mit Worten war der Riese ungeschickt, und so sagte er nichts weiter als: „Ich danke Dir, Egon, daß Du gekommen bist, — setze Dich. Du siehst bleich aus — bist Du krank ge wesen, hast Du viel durchgemacht?" „Ja, Konrad, viel, sehr viel." Egon setzte sich neben Sperreuter auf das Sofa, und da konnte dieser sehen, daß hier und da ein Silberfaden aus dem vollen dunklen Haar hervorleuchtete. Erschöpft lehnte Egon das Haupt zurück. „Verzeih'," sagte er, „aber es ist meine erste Ausfahrt! Ich war sechs Wochen schwer krank; ich hoffte, es würde dabei zu Ende gehen, aber leider bewahrheitete sich das Sprichwort von dem Unkraut, das nicht vergeht, auch an mir." „O Egon, alter Junge, so mußt Du nicht sprechen," er widerte Sperreuter. „Nein, ich sollte es nicht, denn ich habe kein Recht, zu ver langen, daß es mir auch diesen Wunsch erfüllt, den letzten, den ich habe." Er blickte düster vor sich nieder, beide schwiegen. Egon war's, der zuerst wieder zu reden anfing; er strich sich mit der schmalen blassen Hand, an der der goldene Ehering glänzte, durch das Haar und sagte dann, sich zu einem leichteren Ton zwingend: „Ich bin ein schlechter Gratulant, nicht wahr, mein Riese? Wer mit solchem Gesicht und in solcher Gemütsver fassung kommt, sollte eigentlich zu Hause bleiben; aber es ging heute absolut nicht. Nimm fürlieb mit mir, wie ich nun ein mal bin und — wie Du es so oft schon getan hast." . Da fiel sein Blick auf das noch nneröffnete Paket, das ans dein Tisch lag, — ein mattes Lächeln huschte über seine Züge. — „Ach — aus Stralsund!" sagte er, „Taschentücher!" „Ich vermute," erwiderte Sperrenter. „Und dort!" Egon richtete sich plötzlich auf und drehte das Bild zu sich herum. In seinem Antlitz zuckte keine Miene; aber er be trachtete es ebenso lange und ernst, wie vorher Sperreuter. „Wie geht es ihr?" fragte er endlich. „Sie lebt weiter wie immer." „Du siehst sie oft?" „Ja, wöchentlich einmal bin ich dort." „Wann? Ist es ein bestimmter Tag?" „Nein." Egon sprang auf. „Sei nicht so einsilbig, Konrad!" rief er mit der stürmi schen Lebhaftigkeit früherer Tage. „Sage mir mehr von ihr, mehr, mehr —." Hier war der Punkt, den er nicht Hütte berühren sollen. Alles, was Egon Hede angetan, stand plötzlich wieder lebhaft vor Sperreuters Seele, und seine Stimme klang hart und ab weisend, als er jetzt sagte: „Ich wüßte nicht, was ich Dir sagen sollte." „Du wüßtest nicht, was Du mir von der Frau sagen soll test, die ich liebe?" rief Rauen leidenschaftlich. Er Wollte noch mehr sagen, aber der Andruck kalten Erstaunens, der auf Sper reuters Gesicht trat, ließ ihn momentan verstummen. „Die Du liebst?" fragte Konrad kalt. „Du vergißt Wohl, daß Du der Gatte einer anderen bist." Rauen biß sich ans die Lippen. „Du hast recht," antwortete er mit bitterer Ironie; „und es ist merkwürdig, wie leicht ein Sklave doch die Kette ver gißt, wenn sie nicht bei jedem Schritt an seinem Fuße klirrt." Sperreuter schwieg. Die widerstreitendsten Empfindun gen wurden wieder lebendig, Groll und Mitleid kämpften in shm, und so sehr er sich sträubte, letzteres Gefühl bewegte sein Herz doch mehr als das andere. Jetzt sprang Rauen auf und griff nach seinem Hut. Er trat dicht vor Sperreuter hin und sagte: „Lebe Wohl, Kon rad, ich will wieder gehen; ich hätte vielleicht besser getan, gar nicht zu kommen! Habe es auch, Gott weiß, lange genug überlegt; aber es ging nicht anders, ich mußte Dich einmal wieder sehen, ehe es ganz mit mir bergab geht, ehe ich — unten bin," fügte er mit einer bezeichnenden Handbewegung hinzu. (Fortsetzung folgt.) 29'