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Allgemeiner Anzeiger : 27.07.1910
- Erscheinungsdatum
- 1910-07-27
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- Stadtbibliothek Bautzen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
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- Public Domain Mark 1.0
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- urn:nbn:de:bsz:14-db-id181900449X-191007274
- PURL
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- oai:de:slub-dresden:db:id-181900449X-19100727
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- Zeitungen
- LDP: Bestände der Stadtbibliothek Bautzen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Allgemeiner Anzeiger
-
Jahr
1910
-
Monat
1910-07
- Tag 1910-07-27
-
Monat
1910-07
-
Jahr
1910
- Titel
- Allgemeiner Anzeiger : 27.07.1910
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Spante«. * Ja einer amtlichen Erklärung sagt die Re gierung, daß sie nicht den Ausbruch neuer Unruhen in Barcelona befürchte. Es seien die umfassendsten Maßnahmen getroffen, um etwaige Bewegungen im Keime zu ersticken. Mailer Mlkelm unä äie Soffitte. Es gibt immer noch Leute, die da glauben, daß Kaiser Wilhelm strenge auf die Etikette (d. h. den Hofbrauch) halte, und daß er Derstäße gegen das Zeremoniell sehr unlieb, sam empfinde. Dies mag wohl auf angesagte Gala-Veranstaltungen und auf den Dienst zu- treffen, als Privatmann, als Mensch, ist der Kaiser dagegen durchaus nicht dafür zu haben. Dies konnte man auf der jetzigen Fahrt nach dem Norden wieder ost bemerken, und nicht allein der beinahe familiäre Damenkaffee, der kürzlich vom Kaiser auf der „Hohenzollern" ge geben wurde, legt hiervon Zeugnis ab. Der Kaller plaudert, scherzt und lacht in Muße stunden so selbstverständlich, daß der Hof marschall irgend eines kleinen Ländchens viel leicht in Entsetzen geraten würde, nicht aber die in- und ausländischen Gäste, die der Monarch bei Erholungsreisen oft bei sich steht. — Schon in dest ersten Tagen der Fahrt gab es auf diesem Gebiete ei« kleines Zwischenspiel. Das schöne Wetter batte den Kaiser früher als sonst auf Leck gelockt, und als noch alle Gäste Politische Kunälckau Deutschland. Balkanstaate«. "Die Schritte, die die deutsche Regierung in Konstantinopel wegen Ermordung des Deutschen Fritz Unger in Haifa (Palästina) unternommen bat, find insofern von Erfolg ge wesen, als die türkische Regierung nicht nur eine strenge Untersuchung zugesagt, sondern die selbe auch sofort begonnen hat. Afrika. * Wie verlautet, hat dieMarokkanische Staatsbank die Weisung erhalten, die von der Schuldenprüfungskommisfion als zu Recht bestehend anerkannten Forderungen fremder Staatsangehöriger auszuzahlen. An Deut- s ch e entfallen hierbei über dreiMillionen Mark. Sämtliche deutsche Forderungen sind damit bezahlt bis auf einige wenige, die von der Kommission noch geprüft werden. Affe«. * Die chinesische Regierung hat auf die Mit teilung von dem Abschluß des russisch - japanischen A bkommens geantwortet, sie freue sich über das Festhalten an dem Ver trage zu Portsmouth und an der Erhaltung des Mächteverhältnisses in der Mandschurei. China werde in Zukunft im Einklang mit dem Vertrage zu Portsmouth und mit den chinesisch-japanischen Verträgen handeln und seine Bemühungen fort setzen in allen Angelegenheiten, die sich ergäben aus der Ausübung seiner Hoheitsreihte und auS der gleichen Gelegenheit zur Entwickelung von Handel und Industrie, damit die Interessen aller Länder aufs beste gefördert würden. * Nach den mehrfachen Attentaten gegen englische Beamte in Indien ist die englische Regierung eifrig bemüht, jede revolutionäre Be wegung in diesem für England so wichtigen Lande mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterdrücken. Daher werden die Nachforschungen nach verborgenen Waffen von der Polizeibehörde eifrig fortgesetzt. Bei einer in einem Hause von Nordkalkutta vorgenommenen unvermuteten Durchsuchung wurden Revolver, Kisten mit Gewehren und Patronen gefunden. Aufs neue hat die Regierung eine Warnung erlassen und schwere Strafen für verbotenes Maffentragen angedroht. Daß trotz alledem die Lage eine sehr ernste ist, zeigt ein politischer Prozeß, in den nicht weniger als 79 Angeklagte, zum Teil sehr angesehene Inder, verwickelt sind. Sie werden beschuldigt, öffentlich und geheim zum Kriege gegen England gehetzt zu haben. besichtigen. Von Hannover begibt sich der Kaiser nach Wilhelmshöhe, wo derselbe einige Tage verweilen wird. Wenn auch über die Hauptgesichts- punkte der elsaß-lothringischen Ver- fassungsreform noch nichts Bestimmtes gesagt werden kann, so steht dennoch bereits jetzt fest, daß für den kommenden Landtag Elsaß-Lothringens das allgemeine, ge heime und direkte Wahlrecht mit zu- nehmender Stimmenzahl bei höherem Alter zur Anwendung kommen wird. Wahlberechtigt wird jeder Elsaß-Lothringer werden? der drei Jahre im Lande ansässig ist und 25 Jahre zählt. Mit Erreichung des 35. Lebensjahres werden ihm zwei und bei Vollendung des 45. Lebensjahres drei Stimmen bei der Wahl zum Landtag zur Verfügung stehen. * Die Vorbereitungen zum neuen Handels- Vertrag mit Japan sind im besten Gange. Bereits vor einigen Monaten sind die deutschen Interessentenkreise vom Staatssekretär des Reichs amts des Innern aufgefordert worden, ihre Wünsche bezüglich der sie angehenden neuen javanischen Zollsätze kundzugeben. Es hat sich infolge der Umfrage bereits im Reichsamt des Innern ein umfangreiches Material angesammelt, das gesichtet und geprüft wird. Nach Abschluß dieser Arbeiten wird für die deutschen Forderungen die Grundlage gegeben sein. * Verschiedene Zeitungen haben die Nachricht verbreitet, daß „der Auf st and in Kamerun bereits erloschen" sei. Dazu wird amtlich er klärt, daß es in Kamerun überhaupt keinen Aufstand gegeben hat, sondern daß ein Teil der Schutztruppe unter Hauptmann Dominik ledig lich einen Zug nach dem Süden der Koloni unternommen hat, um den Mörder eines Kauf manns Brettschneider zu züchtigen. In der Kolonie ist sonst alles ruhig. Frankreich. "Bei Besprechung der Gerüchte einer An näherung zwischen der Türkei und dem Dreibund erklärt der der Regierung nahe stehende ,Temps^, daß die Türkei durch den Eintritt in die Dreibundgruppe unweigerlich den Beistand Rußlands, Frankreichs und auch Eng lands einbüßen würde. Darüber wird man in Konstantinopel wohl kaum im Zweifel sein. Es 'fragt sich nur, welche Mächtegruppierung man in der Türkei für zweckentsprechender hält. * In ganz Frankreich werden Vorbereitungen für den drohenden Eisenbahnerstreik getroffen. Die Offiziere verschiedener Truppen teile haben den Mobilmachungsbefehl empfangen, da im Falle der Arbeitseinstellung der Eisen bahnbeamten der notwendigste Verkehr mit Hilfe von Soldaten aufrecht erhallen werden soll. Wie verlautet, wollen über 80 000 Mann in den Ausstand treten. G«gla«d. * Nachdem die jüngsten Verhandlungen im Unteihause über das Frauenstimmrecht gezeigt haben, daß eine ansehnliche Zahl von Abgeordneten grundsätzlich nicht gegen diese Er weiterung der Frauenrechte ist, hat sich in London jetzt ein Abwehrbund gebildet. Ihm gehören hervorragende Politiker an, die nun ihrerseits den Kampf gegen das Frauen- stimmrecht mit denselben Mitteln führen wollen, die bisher von den Verfechterinnen des Frauen stimmrechts angewandt worden sind. Auch der Adwehrbund wird also öffentliche Umzüge mit Musik, Volksversammlungen und Massenkund gebungen veranstalten. Das wird sehr inter essant werden, wenn die Anhängerinnen der beiden Parteien im Kampfe für und wider das Frauenstimmrecht auf offener Straße zusammen geraten. Ungarn am Lckeiäewege. Der ungarische Ministerpräsident Khuen- Hedervary hat im Abgeordnetenhause zu Buda pest eine bedeutungsvolle Rede gehalten, in der er sich noch einmal eingehend über die Haltung seines Kabinetts zu den schwebenden Fragen äußerte. Mit Recht hob der Minister, der in dem Raume, in dem er sprach, schon heftig in Worten und mit Tintenfässern, Büchern und Pultdeckeln angegriffen worden ist, hervor, daß sich Ungarn jetzt am Scheidewege befinde. Er wies Kn Vorwurf zurück, daß er ms Schwäche ei«e Politik der Entsagung treibe. „Es heißt nicht," so führte er unter dem Lärm der Gegner aus, „ein Einvernehmen zwischen der Krone und der Nation unter Ver zicht auf alle nationalen Bestrebungen Herstellen wollen, wenn man daran festhält, daß die Grundlage jeden Einvernehmens die aufrichtige und rückhaltlose Anerkennung des Ausgleich gesetzes sei. Die Parteien, die Ungarn um jeden Preis von Österreich losreißen wollen, dienen dem Vaterlande schlecht, so sehr sie auch ihrer ehrlichen Überzeugung folgen mögen. Das lehrt ein Blick auf die Regelung der Baukfrage, die doch den Zweck verfolgt, dem öffentlichen Kredit zu dienen. Die (mit Österreich) gemein same Notenbank hat sich in schwierigen Zeiten sehr bewährt. Was die Erhöhung der Armee lasten betrifft, so muß Ungarn seine Wehrmacht im Verhältnis zu der der andern Großmächte entwickeln. Das ganze Land, das ganze Abge- ordneienhaus und die Presse blicken mit Stoh und Befriedigung auf iene ernste Stunde zurück, in der Ungarn durch die Schlagfertigkeit seiner Armee zuverlässig dem Kampf hätte entgegen gehen können, mit dem es die Verwickleung an läßlich der bosnische« Kris« bedroht hat." über die Wahlreform sagte der Ministerpräsident, er selbst vertrete eine sehr liberale Auffassung und halte eine weiter gehende Lösung für das Land nicht für ge fährlich. Andrerseits müsse man auch jener Auffassung Rechnung tragen, die üble Folgen von einer zu ausgedehnten Wahlreform be fürchte. Man müsse jetzt einen größeren Schritt machen, da man versäumt habe, von Stufe zu Stute fortzuschreiten. Er hoffe, daß die Lösung der Wahlreform durch Ausgleichung der einander entgegenstehenden Ansichten erfolgen werde. Zu den Beschwerden über * Wahlmtßbräuche bemerkte der Minister Präsident, die geschlagene Partei (die die Trennung Ungarns von Öster reich will) sollte Einkehr halten und zugeben, daß die öffentliche Meinung sich von ihr abge wendet habe, so wie er selbst bescheiden ein- gestehe, daß der Sieg der Regierungspartei nicht so sehr der Begeisterung für kein Programm zu danken, sondern auf die große Unzufriedenheit und Enttäuschung zurückzuführen sei, die die Herrschaft der Unabtzängigkeitspartei erweckt habe. Ter Minister fand mit seinen Aus führungen den stürmischen Beifall der Mehr heit. Er hat sich abgekehrt von jenen Politikern, die das Heil Ungarns in der Betonung der nationale« Gegensätze sehen und die sich ein Ungarn zurücksehnen, das eine selbständige Welimachtstellung im Völker- konzert einnimmt. Wenn Khuen-Hedervmy zu seiner der Geschichte Rechnung tragenden Auf fassung immer größere Teile seines Volkes be kehren kann, dann wird er sich einst gern des Tages erinnern, da im Abgeordnetenhause zu Budapest unter den Angriffen der wütenden Gegner sein Blm floß, als er die Krone gegen die übertriebenen nationalen Ansprüche oes Hauses verteidigte. Denn jener Tag wäre dann dec Beginn zum endlichen Ausgleich zwischen Österreich und Ungarn geworden. schliefen, sah man den Monarchen bereits in der würzigen Luft promenieren. Mag sein, daß ihm plötzüch eine Idee kam, oder daß er die , i Zeit zum Aufstehen für gekommen hielt, jeden- Den Truppen sei die größte Zurückhaltung . falls betrat er den Kabinengang und klopfte an gegenüber üer erregten Volksmenge anempfchlen die Tür der Kabine eines seiner Gäste, dessen "Kaiser Wilhelm wird am 6. August worden, doch sollen Rechtsverletzungen aufs Namen nichts zur Sache tm. Der jo Geweckte das Königsulanen-Negiment in Hannover^ schwerste geahndet werden. i sprang in der Meinung, es sei eine Ordonnanz, an die Tür und sab hinaus. Als er niemand erblickte — der Kaffer war inrwiscben weiter ge gangen — schob er den Oberkörper durch den Türspalt und sah sich nun dem Kaiser in einer Toilette gegenüber, die niemand für hof fähig wird erklären wollen. Man kann sich den Schreck des Gastes denken, doch der Kaiser er faßte die Gedanken des Mannes im Maligä sofort, lachte und rief, dabei mit dem Finger c t drohend: „Ei, eil bei Ihrem Mter find Sonnen bäder immerhin nicht ganz ungefährlich!" — Diese Begebenheit erinnert lebhaft an das fast gleiche Ereignis, das dem Kaller vor einigen Jahren bei dem englischen Botschafter in Berlin, Sir Frank Lascelles, zustieß, über das der Botschafter selbst folgendes erklärte: „Eines Mor gens erwache ich und finde ve« Kaiser «ebe« meinem Bette stehen. Die Überraschung benahm mir den Atem, und alles, was ich zu sagen vermochte, war: „Mein Himmel!" Ich versuchte, mich zu erheben, der Kaiser aber schob mich sanft ins Kissen zurück. Ich sagte, „Eure Majestät müssen mir wenigstens erlauben, eine Zigarette anzu bieten. Der Kaiser nahm diese, setzte sich auf den Rand meines Bettes und sprach mit mir eine halbe Stunde, während der ich immer in halbliegender Stellung verharren mußte, denn ich befand mich ja in einem unmöglichen Anzug. Wie es sich später herausstellte, wünschte mich der Kaiser noch am selben Tage zu sprechen, und da er später keine Gelegenheit dazu hatte, so suchte er mich zeitig am Morgen vor seiner Fahrt nach Potsdam auf." Als die Unter redung zu Ende war und sich der Kaiser erhob, um zu gehen, sagte der Botschafter: „Ich muß Eure Majestät wenigstens zur Tür geleiten." „Bleibe« Sie ««r liegen," erwiderte der Kaiser. „Nur bis zur Tür des Zimmers," entgegnete Sir Frank Lascelles, sprang darauf in seinen Unterhosen aus dem Bett und bealeitete den Kaiser zur Treppe, über den Schlußeffekt macht der Botschafter dann noch folgende Angaben: „Als der Kaiser seinen Adjutanten in der Vorhalle warten sah, rief er diesem zu: „Achtung! jetzt gibt's eine Erscheinung" und... ich erschien. Ich dachte damals wirklich, daß der Adjutant vor Lachen bersten würde. In meinem ganzen Leben habe ich einen Menschen noch nie so lachen sehen." Solcher Anekdoten könnte man in der Umgebung des Kaisers zahlreiche erzählen, ohne daß man dabei in den Verdacht der Geschichtsfälschung zu kommen braucht. Es genügt, wenn an einzelnen Fällen nachgewiesen wird, daß der Kaiser als Mensch von sehr ungezwungenem Wesen ist, und daß er von der Stunde nimmt, was die Stunde gibt. —— ----------- Oeer unä flotte. — Auch an dem diesjährigen Kaisermanöver werden mehrere Fürsten und verdiente Generale teilnehmen, wie es bisher alljährlich Sitte war. Nach allem, was bisher verlautete, ist zu er warten, daß der österreichische Erzherzog-Thron folger der Einladung Kaiser Wilhelms folgen wird. Von deutschen Bundesfürsten wird vor aussichtlich der König von Sachsen, der Groß herzog von Mecklenburg-Schwerin, der Herzog von Sachsen-Koburg-Golha und ein bayrischer Prinz auf dem Manöverfelde anwesend sein. Von der kaiserlichen Familie werden fast alle Söhne des Kaisers zum mindesten an der Kaiser- parade in Danzig teilnehmen, über die An wesenheit andrer Fürstlichkeiten ist noch nichts bekannt. Bon hervorragenden deutschen Heer führern ist in erster Reihe der Generalfeld marschall Graf Häseler zu erwähnen, der all jährlich vom Kaiser eine Einladung zu den Manöver» erhält und ihr auch stets trotz seines Alters Folge leistet. Auch der Generaloberst Dr. Freiherr v. d. Goltz wird an den Kaiser- manövern teilnehmen. Außer den genannten deutschen Generalen werden sich im Gefolge des Kaisers noch mehrere ausländische Offiziere be finden, darunter argentinische, die vom Kaiser eine Einladung zu den Manövern erhalten haben. A Sine fckwergepk'ufte frau. 21j Roman don M. de la Chapelle. AoNlktzttNo.! Vapa Schwendler schien besonders mit dieser Lösung sehr zufrieden zu sein. „Ja, Herr Doktor, wenn Sie das tun wollten, so würden wir Ihnen von ganzem Herzen dankbar sein," riet er, Jordan die Tasche eilfertig zuschiebend. „Auf diese Weise kommen wir alle am besten von dieser fatalen Geschichte loS, und di« Hedwig kann sich gratulieren, daß Sie ihr den unangenehmen Gang ersparen." Etwas hastig griff Iordan nach der Tasche und schob sie in seinen Überrock, als fürchte er, sie könne ibm wieder genommen werden. Doch kaum hatte er sich in sein Zimmer begeben und Licht gemacht, so zog er sie wieder hervor. Mit zitternden Händen öffnete er sie, und nachdem er jenes Blatt, das er bereits vorhin gelesen batte, Nochmals überflogen, griff er nach dem Brief, der noch in der Tasche lag. Den blonden Kopf tief über das Papi« gebeugt, fieberhafte Spannung in den Zügen, begann Jordan zu lesen, erst rasch und über stürzend, wie jemand, der eS nicht erwarten kann, den Inhalt zu erfahren, dann aber Zeile für Zeile sorgfältig prüfend. Und je länger er laS, desto mehr klärte sich der Ansdruck seine« Gesichtes ans — seine Augen blitzten und seine Lippen murmelten zuweilen einige abgerissene Worte, die deutlich von der freudigen Erregung seines Innern zeugten. Endlich ließ er die eng beschriebenen Blätter sinken. „Beate — jetzt trennt uns nichts mehr!" flüsterte er innigen Tones, eine Weile die Gedanken verfolgend, die sich au diese für ihn so beglückende Gewißheit knüpften. Als er dann die Blätter wieder sorgfältig zusammen- und zurück in die Tasche schob, stand ein Entschluß auf seiner Stirn, dessen Ausführung er freilich für morgen verschieben mußte, der aber ohne Zweifel dem, was Jordmr in dieser Stunde erfahren, sein Entstehen ver dankte. 11. Früher als gewöhnlich erhob sich Jordan am nächsten Morgen. Er hatte die Nacht meist schlaflos verbracht, in unruhiger Erwartung den Tag herbeisehnend, um das zu tun, wozu er sich gestern abend erboten. Mein nicht in Fräulein Hartkopfs Hand durfte er die Tasche mit den für ihn und Beate so sehr wichtigen Schriftstücken legen, sondern sie wußte ohne alle Frage in den Besitz Baron Ulrichs gelangen. Wohl hatte Jordan die Frage erwogen, ob er eS als Arzt verantworten könne, dem kranken Mann eine derartige Aufregung zuzumuten; denn daß Baron Ulrich, sobald er den Inhalt der Tasche kannte, schwere seelische Kämpfe zu bestehen haben würde, war wohl selbstverständ lich. Aber auf der andern Seite — konnte, durste er den Dingen ihren bisherigen Lauf lassen? — Mißte nicht Beate sich endlich he ftest wissen von der Schuld, die Baron Ulrichs blinder Haß ihr auflud, und nm derentwillen sie sich von jedem Glück der Zukunft ausschließen wollte? Und selbst wenn Jordans Liebe zu Beate nicht bestanden, wenn also sein persönliches Empfinden gar nicht hierbei in Frage kam, so mußte die Wahrheit dennoch ans Licht gezogen werden: um Kurts willen I Beate hatte ganz recht — es würde für den Knaben der Tag kommen, an dem sich die Ver gangenheit nicht mehr vor ihm verbergen ließ — und diesem Tage mußte sie mit den Beweisen ihrer Schuldlosigkeit entgegengehen können. Diesen gebieterisch fordemden Gründen gegenüber mußte Jordan daher seine Bedenken aufgeben. Er prüfte noch einmal mit flüchtigem Überblick den Inhalt jener Schriftstücke — dann verschloß er die Tasche in ein großes Kuvert, das er zu sich steckte. Etwa eine halbe Stunde später ließ er sich bei Baron Ulrich melden. Es war anfangs seine Absicht gewesen, zu erst zu Beate zu gehen, um ihr Mitteilung von dem Geschehenen zu machen. Natürlich hätte dann auch jeder aufklärende Schritt gegen Baron Ulrich von ihr unternommen werden müssen, und diesen peinlichen Zwang wollte Jordan ihr vorerst noch ersparen. Ein Breit treten all des Häßlichen, was jene Blätter auf deckten, in ihrer Gegenwatt — vielleicht die Notwendigkeit, als Anklägerin ihres ehemaligen Gatten vor dessen Vater hintreten zu müssen./ Iordan sah im Geiste, wie sehr ihr Feingefühl vor einem derattigen Gewaltakt zurückschreckte, io sehr sie auch danach verlangte, ihre Schuld losigkeit anerkannt zu sehen. Er entschloß sich daher kurzerhand zu dem andem Wege. „Der Herr Baron hat soeben sein Frühstück beendet," orientierte ihn der alte Kammerdien« Hanfstängel, der ihn empfing. Seine Frage, ob Baron Ulrich allein sah, bejahte Hanfstängel — der junge Herr sei noch nicht gekommen, und Fräulein Hartkopf war vor einer Stunde telephonisch nach Spandaa gerufen worden, wo ihr Bruder an den Folgen^ eines gestern erlittenen Unfalles in einer der dorngen Kliniken lag. Um so bester, dachte Jordan, so konnte Ban» Ulrich, bevor sie zurückkehrte, schon von alle« unterrichtet sein. Entschlossen betrat er das Arbeitszimmer, das Hanfstängel vor ihm öffnete. Er fand den Baron wie neulich vor seinem Schreibtisch im Lehnstuhl ruhend, durch Kisten unterstützt. Mit unverkennbarer, jedoch nicht unange nehmer Überraschung sah er Jordan entgegen, trotzdem lag eine erstaunte Frage in seinem Blich die jener sogleich verstand. „Mein heutiges Erscheinen muß Sie nach der Art und Weise, mit der ich mich bei meinem letzten Besuche verabschiedete, befremden, Herr Baron," begann Jordan nach kurzer Verbeu gung. „Die Erklärung hierfür liegt in der Ver anlassung, die mich zu Ihnen sühtt." Baron Ulrich richtete sich unwillkürlich etwas aus seiner halb liegenden Stellung auf. Jordans Ton klang so eigentümlich ernst, beinahe feier lich, daß er aufmerksam wurde. „Wollen Sie mir diese Veranlassung nennen?" fragte er höflich, aber doch mit einer gewisse« kühlen Zurückhaltung.
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