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vielleicht acht Stufen hinaufführte; wilder Wein war lustig ! an dem Treppengeländer hinaufgeklettert uud hatte schließlich den ganzen kleinen Altan mit seinem frischen Blätterschmuck umsponnen. Hier draußen standen zwei kleine Holzbänke — hier saßen Hede und der Baron fast immer, tranken ihren Kaffee und nahmen ihr Abendessen ein. Vom Garten aus führte eine Pforte auf den Weg, der sich hinter der Stadt herum nach dem Walde hinaufzog, zur „Rudolfseiche", von wo man eine freie Fernsicht über die etwas tiefer liegende Stadt und über das ganze, dieselbe umrahmende liebliche Landschafts bild hatte. Still und gleichmäßig verflossen den Bewohnern des klei nen „Schwalbennestes" die Sommertage; tägliche, mehr oder minder ausgedehnte Spaziergänge in dem herrlichen Forst mit seineiu Laubholz- und Kiefernbestand bildeten ihre Erholung, ihre Freude und boten immer Abwechselung. Baron Jobst und Hede besaßen die Gabe, in der Seele der Natur zu lesen; für sie waren die Bäume, die Pflanzen nicht stumme, gefühllose Wesen, die Vögel und Tiere, welche die Welt bevölkern, nicht nur die unvernünftigen Kreaturen, nein — zu ihnen sprach aus dem Rauschen des Waldes und aus dem Gezwitscher der kleinen gefiederten Sänger der Geist des liebenden, allmächtigen Schöpfers, dessen gewaltiges „Werde!" heute noch wie immerdar jedes, auch das Kleinste, Unscheinbarste, zum Dasein ruft, uud dessen Vatergüte seinen Kindern zur Freude die Erde so herrlich schmückt. Und Wohl nirgends in der Welt, ausgenomineu an einem treuen, gelieb ten Herzen, findet auch der Mensch im herbsten Leid soviel Trost uud so leicht den Weg zu seinem himmlischen Vater, wie im stillen, heiligen Waldesfrieden. — Das hatte der alte Baron, das hatte Hede schon oft er fahren, und darum hofften beide, auch jetzt wieder am leichte sten sich in das Leben hineinzufinden, wenn sie, und besonders Hede, erst im Innern das rechte Stillesein wieder gelernt Hütten. — Es war aber diesmal doch ein sehr harter Kampf, den das arme, verlassene, tief verwundete Frauenherz durchzu kämpfen hatte, eine entsetzliche Leere innen und außen, eine Oede, die immer fühlbarer, immer quälender wurde; und doch verging die Zeit, reihte sich Tag an Tag, Woche an Woche, schwand der Sommer und kgm der Herbst — die erste Hälfte des Oktober war da. An einem Sonnabend Nachmittag — Baron Jobst klagte über rheumatische Schmerzen im Bein — gingen Hede und Konrad Sperreuter den Weg über die „Rudolfs-Eiche" rechts hinein in den Wald. Es war menschenleer und still, und ein grauer Himmel hing über den Kiefern, seitwärts aber, am Horizont, war die Wolkenwand zerrissen, und die allmählich scheidende Sonne sandte im Verglühen ihren gelblich-roten Schein durch die Kronen der Bäume. Hede hatte heute sehr viel an Egon gedacht, und ihr fei nes Gesicht sah leidender aus als sonst; Konrad betrachtete sie besorgt mit zärtlichen Blicken; ein paarmal seufzte sie, bewegte die Lippen, als wollte sie sprechen, und ließ ihre Augen dabei schüchtern das Gesicht des Freundes streifen. „Frau Baronin," sagte Sperreuter, „wissen Sie, daß Sic mir heute gar nicht gefallen, daß Sie am vorigen Sonnabend eine ganz andere waren? Ich denke immer, es soll besser Wer den, aber, weiß Gott, mich täuschen Sie nicht, Frau Hede, es wird immer schlimmer." Sie schwieg uud senkte den Blick. „Nun, habe ich recht?" Sie nickte, und beide gingen eine Weile still nebeneinan- der weiter; plötzlich legte Hede ihre kleine Hand mit festem Druck auf Sperreuters Arm. „Herr Sperreuter," rief sie mit unterdrückter Leiden schaft, „es muß ja auch immer schlimmer werden, es ist ja auch zu schrecklich, mit einem solchen Herzen in der Brust weiter zu sehen." Er sah sie au, nicht recht wissend, wie er ihre Worte deu ten solle. „Sie können das nicht begreifen, werden es vielleicht auch nicht verstehen; ich meine, mit einem Herzen, in dem die Liebe tot, ganz tot ist, und das doch so gern lieben möchte! O, das ist furchtbar, furchtbar!" Sie ließ seinen Arm los und wandte den Kopf zur Seite. Hingerissen von seinen gewaltig aufwallenden Gefühlen, er griff Sperreuter ihre Hände und rief schmerzlich: „Ja, Frau Hede, uns beiden ist das Leben viel schuldig geblieben an Glück und Liebe, wir haben alles verloren." „Sic nicht, Konrad, Sie nicht!" sagte Hede, den tieferen Sinn seiner Rede nicht fassend. „Sie hahen einen Freund s verloren, das ist viel, aher ein Freund kann doch durch einen anderen ersetzt werden, und — Sie werden auch eine Frau finden und darin einen Ersatz für das, was Sie in dem Freund dahingaben. Ich, Konrad — ich aber habe in Egon alles ver loren. Für mich gab es in der ganzen weiten Gotteswcti unter allen den Taufenden von Menschen nur einen — Egon." „Arme, arme Hede!" „Ja, Konrad, ich bin sehr arm, und was das Entsetzlichste eben ist, daß ich mich nach ihm sehne, so wie damals, und wenn ich dann denke, er wäre da, er käme, er wollte mich an seine Brust ziehen, dann möchte ich vor ihm fliehen, weit, weit fort, dann überkommt es mich wie Angst, wie Entsetzen." — „Frau Hede!" Er sah sie an, erschrocken, überrascht von der schmerzlichen Ruhe, mit der sie sprach. „Ich habe es nie für möglich gehalten," fuhr Frau von Hilgendorfs fort, „daß eine solche Liehe aufhören könne, und ich habe noch weniger geahnt, wie furchtbar solches Weiter lehen sein müsse, wenn das schönste, stärkste, heiligste Empfin den, das unseres Daseins Zweck und Jnhegriff ausmachte, in uns tot ist. Sehen Sie, Konrad, das ist es ja ehen, das Rätsel hafte in mir — ich denke an Rauen täglich, stündlich, ich bange für ihn, und ich kann ihn doch nicht zurückrufen, ich kann es nicht." — Hilflos, fast flehend blickten ihre herrlichen, sprechenden Augen zu ihm auf, und er konnte ihr nicht helfen, — mit nichts; nur ihre feinen Fingerchen faßte er zwischen seine gro ßen Hände und drückte sie sanft und innig wie diejenigen eines Kindes. So standen die beiden Menschen unter den rauschenden Kiefern und dem grauen Herbsthimmel, die Frau mit dem Herzen, in dem die Liebe gestorben war, und der Mann, dessen Brust eine tiefe, große Leidenschaft erfüllte, dessen ganzes Em pfinden ihn dazu drängte, das verlassene Weih in seine Arme zu schließen, um es in treuer Sorgfalt die rauhe Lebensstraße entlang zu tragen, und der es doch gut genug wußte, daß er dazu verurteilt war, ohne Hoffnung neben ihr herzugehen. Hedwig löste endlich leise ihre Hände aus deu seinen und fuhr sich leicht über Stirn und Augen. „Weinen Sie, Frau Baroniu?" fragte Sperreuter, sich zu ihr niederbeugend. Sie schüttelt* den Kopf. „Nein, ich kann nicht mehr weinen feit jenem Tage. Das ist auch etwas Schreckliches." Er bot ihr den Arm, und sie gingen tiefer in den Wald hinein. „Ich möchte Sie etwas bitten, Herr Sperreuter," sagte Hede nach einer kleinen Pause. „Suchen Sie Egon wieder auf, bleibeu Sie sein Freund." Eine heftig verneinende Bewegung seines mächtigen Kopfes ließ sie verstummen und zu ihn: aufsehen. „Verlangen Sie alles von mir, gnädige Frau, nur das nicht." „O, Herr Sperreuter —" „Nein, gnädige Frau, Sie wissen es, wissen es vielleicht auch nicht, in welchem Maße ich Ihnen treu ergeben bin, wie sehr, sehr ich Sie — verehre und wie ich alles für Sie tun könnte, aber in diesem Falle — mutz ich nein sagen." „Armer Egon, dann ist er ganz verlassen —" „Er wollte es nicht anders, Frau Baronin," rief Sperrcu- ter mit einer plötzlich aufwallenden Regung der Eifersucht und des Zornes. „Wer eine echte Perle besitzt und daun um einen hübsch geschliffenen Glasstein mit offenen Augen in einen Sumpf hiueinspringt, der muß sehen, wie er sich selbst wieder herausarbeitet oder — darin zugrunde geht." „Zugrunde gehen? Egon von Rauen zugrunde gehen? Ein Mensch, so liehenswürdig, ein genialer Künstler — und das, Konrad, das könnten Sie zulassen, ohne eine Hand zu seiner Rettung zu rühren?" „Ich stecke meine Hände nicht in einen Sumpf," antwortete Sperreuter, zum ersten Male auch Hede gegenüber schroff. Ihre Hand glitt von seinem Arm. Sie begriff nicht die Unbarmherzigkeit, die den sonst so kindlich guten, opferfreudi gen Mann in diesem Augenblick ein so hartes Urteil fällen ließ. Wäre sie nicht vollständig schon seit Wochen durch das eigene schwere Geschick in Anspruch genommen gewesen, wären sic nicht von Anfang an in so wirklich echt freundschaftliche Beziehungen zu einander getreten, so wäre Hede am Ende eine Vermutung gekommen, wie es um Sperreuter stände. (Fortsetzung folgt.)